Einweihung

Je weniger man in einer solchen Einweihung etwas sieht, das in einem äußerlichen menschlichen Verhältnisse besteht, desto richtiger wird die darüber gebildete Vorstellung sein. [1] Worin das Geheimnis der Einweihung besteht, kann nur derjenige verstehen, der selbst diese Einweihung in die höheren Geheimnisse des Daseins bis zu einem gewissen Grade erfahren hat. [2] Das Wissen und Können, das einem Menschen durch die Einweihung zuteil wird, könnte er ohne eine solche erst in einer sehr fernen Zukunft – nach vielen Verkörperungen – auf einem ganz anderen Wege und auch in einer ganz anderen Form erwerben. Wer heute eingeweiht wird, erfährt etwas, was er sonst viel später, unter ganz anderen Verhältnissen, erfahren würde. [3] Diejenigen, die etwas von der Einweihung wußten, sprechen von einer Erneuerung des ganzen menschlichen Wesens. Und einer von ihnen sagte: Derjenige ist erst im wahren Sinne des Wortes ein Mensch geworden, der in den Mysterien seines ewigen Wesenskernes teilhaftig geworden ist, während die andern noch warten müssen, bis ihnen ebenfalls diese Gnade zuteil wird. – Plato, der einzigartige griechische Philosoph, sagt: Diejenigen wandeln im Schlamme, die nichts erfahren haben von dem Heiligen in der Einweihung. [4]

Niemand kann Einweihung erobern für sich selbst. Es gibt ein geheimnisvolles okkultes Gesetz, wonach keine egoistische Begierde unsere geistige Entwickelung fördern kann, sondern nur ein Gefühl von Pflichtbewußtsein und Altruismus, und dabei nicht nur allein das Gefühl: ich will meinen Mitmenschen helfen –, sondern auch die Einsicht: ich muß auf die zielsicherste Weise die Werkzeuge dazu anfertigen. Das Bewußtsein von dieser Pflicht ist eine der ersten großen Bedingungen für das innere Leben und den Einfluß seiner Gesetze. [5]

Die intellektuelle Entwickelung des Menschen, seine Läuterung und Veredelung von Gefühlen und Willensäußerungen sind das Maß seiner Verwandlung des Astralleibes zum Geistselbst, Manas; seine religiösen Erlebnisse und manche anderen Erfahrungen prägen sich dem Ätherleibe ein und machen diesen zum Lebensgeist, Buddhi. Im gewöhnlichen Verlaufe des Lebens geschieht dies mehr oder weniger unbewußt, dagegen besteht die sogenannte Einweihung des Menschen darin, daß er durch die übersinnliche Erkenntnis auf die Mittel hingewiesen wird, wodurch er diese Arbeit im Geistselbst, Manas und Lebensgeist, Buddhi ganz bewußt in die Hand nehmen kann. [6]

Die Frucht seiner Übung wird sein, daß seinem geistigen Wahrnehmen gewisse Einsichten in die übersinnliche Welt sich eröffnen. Er lernt, wie die Wahrheiten über diese Welt gemeint sind; und er wird von ihnen durch eigene Erfahrung die Bestätigung erhalten. Ist diese Stufe erstiegen, dann tritt an ihn etwas heran, was nur durch diesen Weg Erlebnis werden kann. Auf eine Art, deren Bedeutung ihm erst jetzt klarwerden kann, wird ihm durch die «großen geistigen Führermächte des Menschengeschlechtes» die sogenannte Einweihung (Initiation) zuteil. Nur angedeutet kann hier werden, was mit dem Erkennenden nun vorgeht. Er erhält eine neue Heimat. Er wird dadurch bewußter Einheimischer in der übersinnlichen Welt. Der Quell geistiger Einsicht strömt ihm nunmehr aus einem höheren Orte zu. Das Licht der Erkenntnis leuchtet ihm nunmehr nicht von außen entgegen, sondern er wird selbst in den Quellpunkt dieses Lichtes versetzt. Und da der «Schüler der Weisheit» vermag, mit dem Geiste selbst Zwiesprache zu halten, so schwindet ihm auch jede falsche Gestalt, unter der er sich vorher den Geist vorgestellt hat. Die falsche Gestalt, in der man sich den Geist vorstellt, ist Aberglaube. Der Eingeweihte ist über den Aberglauben hinaus, denn er weiß, welche des Geistes wahre Gestalt ist. Demgegenüber muß (jedoch) betont werden, daß diejenige Stimmung der Seele, welche diese geeignet macht, die Wirklichkeit des Geistes unmittelbar zu erleben, nicht wie eine allgemeine Anforderung über das ganze Leben ausgedehnt werden kann. Der Erforscher geistigen Daseins kann es in seine Gewalt bekommen, für diese Erforschung die Seele in die dazu notwendige Abgezogenheit von der sinnenfälligen Wirklichkeit zu bringen, ohne daß diese Abgezogenheit ihn im allgemeinen zu einem weltfremden Menschen macht. [7]

Stufenweise macht der Mensch die Entwickelung durch. Es wird zunächst eine Stufe überwunden, auf der der Mensch seine niedere Natur gewahr wird. Während er sonst drinnensteckt, sich mit ihr identifiziert, tritt sie jetzt wie etwas anderes ihm gegenüber, so wie der Tisch jetzt vor mir steht, (also objektiviert). Diese Stufe nennt man in allen Einweihungen die Kreuzigung oder das Hängen an dem Holz. Der Mensch wird gekreuzigt in seinem eigenen Leib, weil der ihm so gleichgültig ist wie ein äußeres Kreuz, an das er festgenagelt ist. [8]

Die höhere Seele ist eng gebunden an die tierische Seele. Ihre Verbindung untereinander ist es, die die Leidenschaften mäßigt, sie vergeistigt und beherrscht nach dem Grade der Vernunft und des Willens. Diese Verbindung hat (daher) einen Vorteil für den Menschen. Aber er bezahlt diesen Vorteil mit dem Verlust seiner Hellsichtigkeit. Wenn der Einweihungsweg die tierische Seele von der geistigen Seele trennt, erfolgt für die höhere Seele daraus die Hellsichtigkeit, aber die allein gelassene tierische Seele überliefert sich nun, sofern sie noch nicht durch das Ich gereinigt ist, ohne Kontrolle dem Exzeß der Leidenschaften. Man kann diese Tatsache häufig bei den Medien konstatieren. Die Vorbeugung gegen diese Gefahr wird manchmal in der Einweihung bezeichnet durch das Wort: der Hüter der Schwelle. Das ist der Grund, weshalb die erste Forderung, die man an den Schüler stellt, die ist, daß er ein fester Charakter und ein Herrscher über seine Leidenschaften sei. Den Einweihungsübungen gehen deswegen eine strenge Zucht und gewisse Bedingungen voraus, deren erste Ruhe und Zurückgezogenheit sind. Die gewöhnliche Moral genügt nicht, denn die bezieht sich nur auf das Betragen des Menschen in der äußeren Welt. [9]

Es handelt sich für den Eingeweihten darum, die Richtung seines Lebenslaufes zu ändern. Der Mensch der Gegenwart wird in seinen Handlungen durch die Sinneseindrücke, das heißt durch die äußere Welt, bestimmt und getrieben. Welches sind nun die Mittel zu diesem Zweck? Erstens: Seine Gedankenkraft auf ein einziges Objekt richten und sie darauf ruhen lassen. Das nennt man: die Gedanken-Kontrolle erwerben. Zweitens: Ebenso handeln in Hinsicht auf alle Tätigkeiten, seien sie groß oder klein, sie beherrschen, sie regeln, sie unter die Kontrolle des Willens bringen. Alle müssen hinfort von einer inneren Initiative ausgehen. Das ist die Kontrolle der Handlungen. Das dritte ist das seelische Gleichgewicht. Man muß im Schmerz und in der Freude Mäßigung walten lassen. Der Okkultist muß mit demselben seelischen Gleichmut die größte Freude und den größten Schmerz ertragen. Das vierte ist die Positivität. Der seelische Zustand, der darin besteht, daß man das Gute in allem sucht. Fünftens: Die Unbefangenheit, geistige Offenheit für jede neue Erscheinung; die Fähigkeit, sich niemals durch das Vergangene in seinem Urteil bestimmen zu lassen. Sechstens: Das innere Gleichgewicht, das aus all diesen vorbereitenden Übungen entspringt. Man findet sich nunmehr reif zur inneren Schulung der Seele. Man ist bereit sich auf den Weg zu machen. Siebentens: Die Meditation. Man muß sich blind und taub machen in bezug auf die äußere Welt und die Erinnerung an sie, bis zu dem Grad, daß ein Kanonenschuß uns nicht aus der Fassung bringen würde. Das ist die Vorbereitung zur Meditation. Hat man sich leer gemacht, so ist man fähig, in sich zu empfangen, was von außen kommt. Es gilt alsdann, die tieferen Seelenschichten zu erwecken durch bestimmte Ideen, die geeignet sind, sie zur Quelle aufsteigen zu lassen. [10]

Es muß derjenige, welcher nach und nach zur Einweihung in die höheren Geheimnisse kommen will, diesen Moment des Verschwindens der äußeren Eindrücke (wie beim Einschlafen) künstlich herbeizuführen lernen. Er muß einen Zustand in sich hervorrufen können, der gleich ist mit der Eindruckslosigkeit des Schlafens, wo weder Farbe noch Wärme noch Ton von der Seele wahrgenommen wird und sie weder Leid noch Freude über etwas in der äußeren Welt empfindet. Nur muß der Schüler diesen Zustand nicht nur völlig bewußt herbeiführen können, sondern er muß sich, trotzdem seine Seele leer ist von allen äußeren Eindrücken, sich ebenso bewußt sein, wie er es während des gewöhnlichen Tageslebens ist. In diese so geleerte Seele muß er nun gewisse Vorstellungen und Gefühle, die nicht von außen kommen, sondern im Inneren der Seele selbst erweckt werden, hineinfüllen. Durch starken Willen und aus eigener Kraft heraus muß die Seele bestimmte Gefühle, Empfindungen und Willensimpulse hervorrufen können, die stärker sein müssen als alles, was von außen kommen kann. Dieser Zustand ist derjenige der Meditation. Würde der Meditant nur diese beiden Fähigkeiten in sich ausbilden, so würde er bald innerlich etwas erleben wie eine erdbebenartige Erschütterung: er muß, um dieses zu vermeiden, die größte Seelenruhe zu bewahren lernen. Die starken inneren Impulse während der Meditation muß er erleben können, indem seine Seele glatt ist wie das Meer bei völliger Windstille. Das also sind die drei Bedingungen für den Einzuweihenden: Erstens Leerheit der Seele von allen äußeren Eindrücken; zweitens Reichtum der Seele an inneren Vorstellungen; drittens völlige Seelenruhe. Wer die Ausdauer hat, sich so zu schulen, der wird einen großen, gewaltigen Augenblick erleben, der eine vielleicht nach wenigen Monaten schon, der andere vielleicht erst nach Jahren. Die geistigen Sinne werden sich ihm öffnen. Von diesem erhabenen Moment an wird der Schüler zum Forscher in den geistigen Welten. [11]

Die Wahrnehmungen, die der hellsehend gewordene Mensch hat, beschränken sich anfangs auf die Zeit, in der sein physischer Leib schläft. Bei steter Übung jedoch wird er so weit kommen, in jedem Augenblicke des Tages, sobald er nur will, die physischen Sinne auszuschalten und ohne seinen Leib zu verlassen, geistig zu schauen. In der geistigen Welt verliert der Raumunterschied, das Hier und Dort, völlig seinen Sinn, und wir sind mit unserem Bewußtsein nicht mehr vor dem Rosenstrauß (beispielsweise), sondern in ihm drinnen. Das Ich des Sehers ist im Grunde genommen überall dort, wo es wahrnimmt. Dieser Weg in die geistigen Welten hinein ist derselbe, den auch jeder Nichthellsichtige beim Einschlafen macht, nur daß er dabei bewußtlos wird. [12]

Warum müssen wir in Bewußtlosigkeit fallen? Das hat seinen Grund darin, daß der heutige Mensch dazu noch nicht reif ist und sein ich es nicht ertragen könnte, in das Weltenall bewußt hinauszuströmen. Wir können uns den Vorgang an einer bildlichen Vorstellung einigermaßen klarmachen: Denken wir uns ein großes Wasserbassin, in welches wir einen kleinen Tropfen einer farbigen Flüssigkeit fallenlassen. Da sehen wir, wie der Tropfen sich auflöst in dem ihn umgebenden Wasser, und wie er immer unsichtbarer wird, je weiter er sich ausbreitet. Ähnliches erlebt der Mensch in seinem Ich, welches wie ein Tröpfchen sich auszudehnen hat in die ganze geistige Welt. Der heutige Mensch könnte es nicht ertragen, bewußt sich so aufzulösen und muß diese Aufnahme in seiner geistigen Heimat mit der Bewußtlosigkeit bezahlen. Was würde mit ihm passieren, wenn er ohne okkulte Vorbereitung, in vollem Bewußtsein sich in die geistige Welt ausdehnen würde? Das können wir uns am besten vergegenwärtigen, wenn wir uns das Ich mit nur so viel Kraft ausgerüstet denken, als zur beschränkten Wahrnehmung auf dem physischen Plane erforderlich ist. Indem es über die körperlichen Grenzen sich ausdehnt, verliert es an Kraft, wie der Tropfen an Konsistenz, und seine Wahrnehmungen würden immer mehr verblassen, je mehr er sich ausdehnt bis es schließlich das grauenhafte Gefühl haben würde, über einem bodenlosen Abgrund in tiefster Finsternis zu schweben. Das Ich haben wir uns nicht nur als Kraft, sondern als fühlendes und empfindendes Wesen zu denken und können uns daher eine schwache Vorstellung von dem Eindrucke des Verlorenseins im Nichts machen. Daher gehört es auch zu den wichtigsten Vorbereitungen für den, der zum hellsichtigen Bewußtsein vordringen will, daß er sich die Furchtlosigkeit aneignet, und es gehört durchaus zur Schulung des geistigen Forschers, daß für ihn viele Gelegenheiten herbeigeführt werden, durch die er seinen Gleichmut und seine Standhaftigkeit erproben kann. Derjenige Mensch, der nicht tausend und abertausend Gelegenheiten gehabt hat, gegenüber denjenigen Ereignissen, die sonst den Menschen erschrecken und ihn erbleichen lassen, mit ruhiger Seele sich zu sagen: Ich stehe vor der schrecklichsten Gefahr, aber ich weiß, daß durch meine Furcht meine Lage nicht sicherer wird, wohl aber durch wackeres Zugreifen –, ist noch nicht genügend vorbereitet. In den alten Mysterien freilich geschah es, daß der Einzuweihende, selbst wenn sein Ich noch nicht völlige Stärke hatte, bewußt in den Makrokosmos hinausgeführt wurde, es mußte jedoch der Initiator stets bei ihm sein, um ihm rechtzeitig helfen zu können. Diese Art des Hellsehens, wie sie in den alten Geheimschulen Europas erzielt wurde, nennt man die Ekstase. [13]

Außer diesem Weg der Ekstase gab es noch den sogenannten mystischen Weg zur Einweihung. Er bestand darin, daß der Meditant sich immer mehr in sein Inneres hineinlebte. Man hat zu lernen, aufzuwachen, ohne die äußeren Eindrücke auf sich einwirken zu lassen. Die Erlebnisse, die er dann bei den ins Grenzenlose sich steigernden egoistischen Wünschen hat, sind das, was alte Mystiker mit der «Versuchung» bezeichnen. Um dieser Gefahr nicht zu erliegen, müssen daher Tugenden, wie Liebe, Demut und Andacht in hohem Grade vorher entwickelt werden. So gewappnet, kann der Meditant diesen Weg ruhig betreten. In den ägyptischen Mysterien finden wir diese Methode, es war jedoch bei der Einweihung stets der Guru (Hierophant) zugegen, welcher von außen den Aspiranten vor den egoistischen Kräften schützte. Die veränderten Verhältnisse unserer heutigen Epoche machen einen neuen Weg notwendig. Der Mensch ist selbständiger geworden und es müssen ihm die nötigen Mittel geboten werden, ohne direktes Eingreifen des Lehrers den Pfad zu den inneren und höheren Welten zu betreten. Die Rosenkreuzereinweihung, wie sie heute ausgeübt wird, faßt beide Methoden zusammen, und diese Schulung, welche zum Hellsehen in den geistigen Welten führt, beseitigt die vorhin erwähnten Gefahren, denen (sowohl) der alte Ekstatiker (wie auch der) Mystiker ausgesetzt war. [14]

(Auf einer) ersten Stufe findet der Eingeweihte in der Seele völlige Stille. Alsdann steigt in ihm auf die astrale Vision, wo alles auf symbolische Weise Bild der Realität ist. Diese astrale Vision, wahrgenommen während des Schlafes, ist noch unvollkommen. Zweite Stufe: Die Träume hören auf chaotisch zu sein und werden regelmäßig. Man fühlt die wahre Beziehung zwischen der Symbolik der Träume und der Realität, man wird Meister auf dem Astralplan. Nun entzündet sich das Astrallicht, das aus dem Inneren kommt, in der Seele, die lernt, die anderen Seelen gleichsam als Realitäten zu sehen. Als dritte Stufe stellt sich die Kontinuität des Bewußtseins zwischen dem Wachzustand und dem Schlafzustand ein. Während einstmals das Astralleben sich in den Träumen des leichten Schlafes spiegelte, erscheint es nun im Tiefschlaf in anderen Wahrnehmungen, die reine Hörvorgänge sind und sich in feierlicher Form manifestieren. Die Seele hört alsdann das innere Wort aller Wesen in Form einer wunderbaren Harmonie, und diese Harmonie manifestiert das wirkliche Leben. Plato und Pythagoras haben diese Harmonie die Sphärenharmonie genannt. Das ist keine poetische Metapher, sondern eine tiefe Schwingung der innersten Seele unter dem Klang der Wellen, die von der Weltseele ausgehen. Im tiefen Schlaf vernimmt der Eingeweihte diese Töne als Trompetengeschmetter und Donnerrollen. [15]

Dieses innere Tönen, das natürlich kein für das äußere sinnliche Ohr wahrnehmbares Tönen ist, dieses innere Wort der Dinge, wodurch sie ihre eigene Natur aussprechen, das ist das Erlebnis, das der Mensch hat, wenn er von seinem Astralkörper aus seinen Ätherkörper zu beeinflussen vermag. Einen solchen Menschen, der diese Stufe erstiegen hat, nennt man einen heimatlosen Menschen, weil er den Zusammenhang gefunden hat, mit einer neuen Welt, weil es ihm aus der geistigen Welt herüberklingt und weil er dadurch sozusagen in dieser sinnlichen Welt nicht mehr seine Heimat hat. Indem die geistige Welt in den Menschen hereintönt, überwindet er eine Illusion, in der im Grunde genommen alle Menschen vor dieser Stufe der Entwickelung befangen sind. Das ist die Illusion des persönlichen Selbst. Wir haben das äußere, gesonderte Leben überwunden, wir sind ein Teil des All-Lebens geworden. [16]

Praktisch ist jetzt die Buddhi erreicht, als eine Entwickelungsstufe des Ätherkörpers, jenes Ätherkörpers, der nicht mehr ein Sonderdasein bewirkt, sondern eintritt in das All-Leben. Dann braucht er sich nicht mehr die Wahrheit dadurch zu verschaffen, daß er seine Vorstellungen mit der äußeren Umwelt vergleicht, dann lebt er im Ton, im Wort der Dinge, dann tönt und klingt es aus dem Wesen heraus, was es ist. Da gibt es keinen Aberglauben, keinen Zweifel mehr. Das nennt man die Auslieferung des Schlüssels des Wissens an den Geistesschüler. Wenn er diese Stufe erlangt hat, dann tönt ein Wort von der geistigen Welt in diese hinein. Dann verkündigen seine Worte nicht mehr die Wiedergabe dessen, was in dieser Welt ist, sondern es ist sein Wort die Wiedergabe dessen, was aus einer anderen Welt stammt, die hereinwirkt in diese, die aber nicht mit unseren äußeren Sinnen angeschaut werden kann. Boten der Gottheit sind diese Worte. Wenn diese Stufe überschritten ist, kommt eine neue. Es tritt dies ein, daß der Mensch Einfluß gewinnt auf das, was sein physischer Körper unmittelbar tut. Was der Mensch tut, wird eingegliedert in das, was wir das Karma nennen. Aber der Mensch arbeitet nicht bewußt daran; er weiß nicht, wie er durch seine Tat eine Wirkung nach sich zieht. Erst jetzt fängt der Mensch an, in bewußter Weise in der physischen Welt die Handlungen so zu vollführen, daß er bewußt an seinem Karma arbeitet. Da gewinnt er Einfluß auf das Karma durch das physische Handeln. Da tönt es nicht nur von den Dingen der Umwelt, sondern da ist er so weit, daß er die Namen aller Dinge auszusprechen in der Lage ist. So wie der Mensch in unserer Kulturstufe lebt, ist er nur in der Lage, einen einzigen Namen auszusprechen: Ich. So nun, wie der Durchschnittsmensch seinem Ich allein den Namen gibt, so gibt der Geistesschüler im dritten Grade allen Dingen der Welt Namen, die er aus der Intuition heraus hat. Das heißt, er ist aufgegangen in das Welten-Ich. Er spricht aus diesem Welten-Ich selbst heraus. [17]

Das, was der Eingeweihte erlebt, wenn er die geistigen Welten betritt, ist in einer gewissen Weise etwas durchaus Ähnliches wie (die Erlebnisse) in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Der Eingeweihte muß sich in dieselben Sphären hineinleben (wie der Tote), und er würde (beispielsweise) in der Sonnen-Sphäre dieselben Qualen durchmachen (wie der Tote). [18] In der Sonnen-Sphäre fühlen wir uns schon als Einsiedler, als Vereinsamte, wenn wir durch die Vorurteile irgendeines Religionsbekenntnisses eingeschnürt sind und nicht in der Lage sind, denjenigen zu verstehen, der von einem andern Bekenntnisse seine Seele durchdrungen hat. In der Sonnen-Sphäre, da wir uns alle bis dahin ausdehnen und durchdringen, sind wir zugleich zusammen – und durch unser Inneres getrennt; da ist jede Trennung und jedes Nichtverstehen zugleich ein Quell furchtbaren Leidens. [19] Daher ist es notwendig daß der Einweihung ein völliges, restloses Verstehen jedes Bekenntnisses, das auf unserer Erde verbreitet ist, vorhergehe, ein Verstehen dessen, was in jeder einzelnen Seele lebt, gleichgültig, welcher Weltanschauung sie angehört. Sonst ist alles andere, dem man ein solches Verständnis nicht entgegenbringt, etwas, was einem entgegenkommt qualvoll, wie unendlich hohe Berge, die sich auf einen stürzen wollen, wie explosionsartige Erscheinungen, die einem entgegenkommen, so daß man die ganze Gewalt solcher Explosionen sich auf sich entladen fühlt. Alles Unverständnis, das man den Menschen entgegenbringt, weil man sich selbst darin einschnürt, wirkt so in den geistigen Welten.

Das war nicht immer so, daß sich die Menschen erst hinentwickeln sollten zu einem solchen Verständnis jeder einzelnen Menschenseele. Die Menschheit mußte die Einseitigkeit durchmachen. Aber die, welche zu einer gewissen Führerschaft der Welt hinauf geführt wurden, sie mußten immer mehr oder weniger bewußt das in sich aufnehmen, was Verständnis geben kann für alles, ohne Unterschied. Und selbst wenn irgendeine menschliche Wesenheit nur der Führer eines Volkes war, mußte sie in einer gewissen Weise in das Verständnis einer jeden menschlichen Seele eingeführt werden. Das wird so grandios im Alten Testament an der Stelle angedeutet, wo Abraham dem Melchisedek entgegentritt, dem Priester des Allerhöchsten. Wer diese Stelle versteht, der weiß, daß Abraham, der der Führer seines Volkes werden sollte, in diesem Moment gleichsam initiiert (eingeweiht) wurde. [20]

Wenn der Mensch sehend wird in der geistigen Welt außerhalb seines physischen und ätherischen Leibes, dann weiß er: In der geistigen Welt nimmst du wahr wie durch ein Sinnesorgan mit dem geistigen Teil deines physischen Leibes, und du denkst in der geistigen Welt mit deinem Ätherleib. Dein Ätherleib ist eigentlich wie dein Gehirn in der geistigen Welt und dein früherer physischer Leib ist ein Sinnesorgan. Du selbst aber bist mit all deinen Lebenskräften ausgegossen über die geistigen Welten. Es ist das ein ganz anderes Dasein. Und damit hängt zusammen, daß derjenige, der selbst in die geistige Welt eintritt, sei es durch Tod, sei es durch Einweihung, mit den anderen Wesenheiten der geistigen Welt, mit Wesenheiten höherer Hierarchien oder mit Menschenseelen, die zwischen dem Tod und einer neuen Geburt leben, so vereinigt lebt, daß er sie nicht so erlebt, wie man Erdenmenschen außen trifft, wo man räumlich von ihnen getrennt ist. Sondern er erlebt sie als mit ihm befindlich in einem gemeinsamen Geistraum, sich gegenseitig durchdringend. Das, was eine andere Seele erlebt, erfährt man nicht dadurch, daß sie einem etwas sagt, wie bei den Erdenmenschen, sondern so, daß man in die andere Seele sich hineinlebt und in ihrer Wesenheit ihre Gedanken miterlebt. [21]

Die sechs Tugenden (siehe: Gedankenkontrolle), die man bewußt und aufmerksam üben und zur Meditation hinzufügen muß, bringen sechs weitere Blätter der zwölfblättrigen Lotusblume (siehe: Astralleib – Organe und deren Organisation) zur Entfaltung. Niemand kann, bevor seine Lotusblumen sich drehen, irgend etwas Seelisches in seiner Umgebung sehen. Wenn nun die Wand durchbrochen ist, wenn er auf der Vorstufe der Erkenntnis so weit vorangeschritten ist, daß er einen Einblick in diese seelische Welt hat, dann erst beginnt für ihn die eigentliche Schülerschaft. [22]

Wenn der Mensch vom Selbstbewußtsein aus seinen Astralkörper durchleuchtet hat, wenn er selbst die lichtvolle Organisation seines Astralkörpers geworden ist, dann sagen wir, dieser Schüler hat seinen Astralkörper mit Manas durchleuchtet. Nichts anderes ist Manas als ein Astralkörper, welcher vom Selbstbewußtsein aus beherrscht ist. Manas und Astralleib sind ein und dasselbe, aber auf verschiedener Entwickelungsstufe. Dann wenn es so weit ist, daß der Astralleib von sich aus organisiert ist, dann geht die Arbeit über auf den Ätherleib, dann bekommt dieser das innere Wort, dann hört der Mensch nicht nur dasjenige, was in der Umwelt lebt, dann erklingt ihm in seinem Ätherkörper der innere Sinn der Dinge. [23]

Zitate:

[1]  GA 9, Seite 192   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[2]  GA 10, Seite 17   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[3]  GA 10, Seite 75   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[4]  GA 54, Seite 264   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[5]  Bei 60, Seite 25   (Ausgabe 1977, 0 Seiten)
[6]  GA 13, Seite 75   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[7]  GA 9, Seite 192ff   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[8]  GA 54, Seite 377   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[9]  GA 94, Seite 43   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[10]  GA 94, Seite 43f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[11]  GA 118, Seite 199f   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[12]  GA 118, Seite 201   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[13]  GA 118, Seite 202f   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[14]  GA 118, Seite 204f   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[15]  GA 94, Seite 46f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[16]  GA 53, Seite 268ff   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)
[17]  GA 53, Seite 270ff   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)
[18]  GA 141, Seite 43   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[19]  GA 141, Seite 42   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[20]  GA 141, Seite 43   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[21]  GA 159, Seite 37f   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[22]  GA 53, Seite 265f   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)
[23]  GA 53, Seite 267f   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)

Quellen:

Bei 60:  Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Heft 60 (1977)
GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 10:  Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904/1905)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 53:  Ursprung und Ziel des Menschen. Grundbegriffe der Geisteswissenschaft (1904/1905)
GA 54:  Die Welträtsel und die Anthroposophie (1905/1906)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 118:  Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt (1910)
GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)