Intuition

Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt werden. [1] Die Intuition wird nicht durch logisches Denken, nicht durch kombinierendes Denken erhalten, sondern eine Wahrheit steht unmittelbar vor dem Geiste des Betreffenden. Er weiß sie. Man braucht sie ihm nicht zu beweisen. [2]

In dem gleichen Sinne, wie die Offenbarung des Körperlichen Empfindung heißt, sei die Offenbarung des Geistigen Intuition genannt. Der einfachste Gedanke enthält schon Intuition, denn man muß seine Offenbarung aus dem Geiste durch das Ich empfangen. [3] Dasjenige, was aus der geistigen Welt durch die Intuition sich in voller Wirklichkeit für die übersinnliche Erkenntnis enthüllt, sich in seiner niedersten Offenbarung dem Geistselbst, Manas so ankündigt wie das äußere Dasein der physischen Welt in der Empfindung. [4]

Die heutige Wissenschaft kennt den Begriff des Intuitiven überhaupt nur auf dem Felde der Mathematik. Allein diese ist unter unseren Wissenschaften eine auf reiner innerer Anschauung beruhende Erkenntnis. Nun aber gibt es eine solche innere Anschauung nicht nur für Raumgrößen und Zahlen, sondern auch für alles andere. Goethe hat zum Beispiel auf dem Gebiete der Botanik eine solche intuitive Wissenschaft zu begründen versucht. Seine Urpflanze (beispielsweise) in ihren verschiedenen Metamorphosen beruht auf innerer Anschauung. [5]

Das Leben der Dinge in der Seele ist nun die Intuition. Es ist eben ganz wörtlich zu nehmen, wenn man von der Intuition sagt: man kriecht durch sie in alle Dinge hinein. – Im gewöhnlichen Leben hat der Mensch nur eine Intuition, das ist diejenige des «Ich» selber. Denn das Ich kann auf keine andere Weise von außen wahrgenommen werden, es kann nur im Inneren erlebt werden. Die Wahrnehmung des eigenen Ich ist das Vorbild für alle intuitive Erkenntnis. Um so in die Dinge hineinzukommen, muß man allerdings erst aus sich selbst heraustreten. Man muß selbstlos werden, um mit dem Selbst, dem Ich einer anderen Wesenheit zu verschmelzen. [6] Dasjenige, was sich dunkel, ahnungsvoll für den Menschen im Gewissen kundgibt, ein Abglanz ist, gewissermaßen ein Schattenbild des Höchsten, das nun erst in der wahren Intuition, in der höchsten dem Menschen zunächst als Erdenmenschen möglichen Erkenntnisart erscheint. Der Mensch hat wirklich als Erdenmensch etwas von dem Untersten (der landläufigen Intuition), und wiederum ein Schattenbild des Obersten, das erst in der Intuition erreichbar ist. Gerade die mittleren Gebiete fehlen ihm zunächst vollständig als Erdenmenschen. Die muß er sich erwerben: Imagination und Inspiration. Die Intuition in der reinen, gerade in der sittlichen Empfindung, im Inhalt des sittlichen Gewissens ein irdisches Abbild desjenigen, was dann als Intuition auftritt. So daß man auch sagen kann: Wenn der Mensch als ein Initiierter, Erkennender zu einem wirklichen intuitiven Erkennen der Welt aufsteigt, so wird ihm die Welt, die er sonst nur in Naturgesetzen kennt, so innerlich, so mit ihm verbunden, wie für ihn als Erdenmenschen sonst nur die sittliche Welt ist. Und das ist gerade das Bedeutsame in der Menschenwesenheit auf Erden, daß wir wie mit einem innersten dunklen Erahnen hängen an dem Allerhöchsten, was wiederum nur der entwickelten Erkenntnis in seiner wahren Gestalt zugänglich ist. Nur durch die höchste Ausbildung und Vergeistigung der Liebefähigkeit kann dasjenige errungen werden, was in Intuition sich offenbart. Es muß dem Menschen möglich werden, die Liebefähigkeit zu einer Erkenntniskraft zu machen. Wir bereiten uns schon gut auf diese vergeistigte Liebefähigkeit vor, wenn wir uns in einer gewissen Weise losreißen von unserem Hängen an den äußeren Dingen, wenn wir zum Beispiel zur regelmäßigen Übung machen, die Dinge, die wir erlebt haben, nicht in der Erlebnisfolge vorzustellen, sondern rückwärts verlaufend. Wir müssen eine bedeutende, rein aus dem Innern herausgeholte Kraftanstrengung vollbringen, um rein rückwärts vorzustellen. Dadurch reißen wir die innere Tätigkeit unserer Seele los von dem Gängelbande, an dem wir sonst fortwährend gezogen werden, und dadurch bringen wir dieses innere geistig-seelische Erleben allmählich bis zu jenem Punkt, wo sich das Geistig-Seelische wirklich losreißt vom Körperlichen und auch vom Ätherischen. [7]

Was man als dritte Stufe der geistigen Erkenntnis erringen kann, das erlangt man dann, wenn man vollständig gewahr wird – es wird das in einem bestimmten Zeitpunkte der seelischen Entwickelung auftreten –, daß man ein anderer ist, daß man wirklich einen inneren Beobachter in sich gefunden hat durch die Anstrengungen, die man gemacht hat durch Imagination und Inspiration hindurch. Man sieht, daß aus dem Geistigen heraus nicht nur dieser unser physischer Leib mitgestaltet ist, man lernt sehen, daß unsere Seele selber, so wie sie mit ihren Gefühlen, mit ihren Tendenzen, mit ihren Ambitionen, mit ihren Affekten, mit ihrem Willenscharakter in uns lebt, daß sie so selber durch geistige Vorgänge geworden ist. Ein innerlicher Schicksalsschlag wird das Erkenntnisdrama. [8]

Die intuitive Erkenntnis ist dadurch gegeben, daß man im Seelenleben gewissermaßen lernt, durch mächtige Willensimpulse mitzumachen, ja selbst hervorzurufen, was man nennen kann: Zurückziehen des Ätherleibes von den physischen Vorgängen. [9] Die Kräfte, die in der Intuition, in der intuitiven Erkenntnis angewendet werden, sind dieselben Kräfte, mit denen man bis zum siebenten Jahre so wächst, daß dieses Wachsen seinen Ausdruck findet im Zahnwechsel. Diese schlafenden Kräfte, die bis zum siebenten Jahr tätig sind in der Menschennatur, die benützt man in der übersinnlichen Erkenntnis, um zur Intuition zu kommen. [10] Wenn die Übungen für die Intuition gemacht werden, so wirken sie nicht allein auf den Ätherleib, sondern bis in die übersinnlichen Kräfte des physischen Leibes (siehe: Phantom) hinein. – Nun sind aber die Erfahrungen der Intuition zart, intim und fein; und der physische Menschenleib ist auf der gegenwärtigen Stufe seiner Entwickelung im Verhältnisse zu ihnen grob. Er bietet deshalb ein stark wirkendes Hindernis für den Erfolg der Intuitionsübungen.

Der Geistesschüler bemerkt das daran, daß er allmählich gewisse Äußerungen des physischen Leibes, die vorher ganz ohne sein Bewußtsein erfolgten, in seine Gewalt bekommt. Er bemerkt es auch daran, daß er für kurze Zeit das Bedürfnis empfindet, zum Beispiel das Atmen, oder dergleichen, so einzurichten, daß er in eine Art Einklang oder Harmonie mit dem kommt, was in den Übungen oder sonst in der inneren Versenkung die Seele verrichtet. Das Ideal der Entwickelung ist, daß durch den physischen Leib selbst gar keine Übungen, auch nicht solche Atemübungen gemacht würden (über deren große Problematik, siehe: Atemübungen), sondern daß alles, was mit ihm zu geschehen hat, sich nur als eine Folge der reinen Intuitionsübungen einstellte. [11] Die Fortsetzung (nach der Inspiration) muß darin bestehen, daß der Geistesforscher nach erlangter Selbstanschauung diese durch energische Willenskraft zu unterdrücken vermag. Er muß die Seele frei machen können von allem, was noch unter der Nachwirkung seiner an die sinnliche Außenwelt sich anlehnenden Übungen erlangt worden ist. Die Symbol-Vorstellungen sind kombiniert aus sinnlichen Vorstellungen; das Weben des Selbst in sich bei erlangter inspirierter Erkenntnis ist zwar frei von dem Inhalt der Symbole; aber es ist doch eine Wirkung der Übungen, welche unter ihrem Einfluß angestellt worden sind. Wenn so die inspirierte Erkenntnis auch schon ein unmittelbares Verhältnis des Selbst zur übersinnlichen Welt herstellt, so kann das reine Anschauen dieses Verhältnisses doch noch weiter getrieben werden. Das geschieht durch energisches Unterdrücken der erlangten Selbstschau. Das Selbst wird nach dieser Unterdrückung entweder dem Leeren gegenüber sich finden – in diesem Falle müssen die Übungen fortgesetzt werden. Oder aber es wird sich dem Wesenhaften der übersinnlichen Welt noch unmittelbarer gegenübergestellt finden als bei der inspirierten Erkenntnis. Bei dieser erscheint nur das Verhältnis einer übersinnlichen Welt zum Selbst; bei der hier charakterisierten Erkenntnisart ist das Selbst vollständig ausgeschaltet. Will man einen dem gewöhnlichen Bewußtsein angepaßten Ausdruck haben für diese Seelenverfassung, dann kann man sagen: das Bewußtsein erlebe sich nunmehr als Schauplatz, auf dem ein wesenhafter übersinnlicher Inhalt nicht vorgestelllt wird, sondern sich selbst vorstellt. [12]

Man kann sehr leicht den Ausdruck Intuition mißverstehen, weil zum Beispiel derjenige, der Phantasie hat, der dichterisches Vermögen hat, die gefühlsmäßigen Empfindungen von der Welt, die er hat, auch schon Intuition nennt. Aber das ist eine dunkle, bloß gefühlte Intuition. Sie ist aber doch verwandt mit demjenigen, was ich Intuition hier nenne. Denn wie der Mensch vollständig hier als Erdenmensch seine sinnliche Wahrnehmung hat, so hat er einen Abglanz der höchsten Art der Erkenntnis der Intuition durch das irdische Gefühl und den irdischen Willen. Er würde sonst kein sittliches Wesen sein können. So daß dasjenige, was sich dunkel ahnungsvoll für den Menschen im Gewissen kundgibt, ein Abglanz ist, gewissermaßen als ein Schattenbild des Höchsten, das nun erst in der wahren Intuition, in der höchsten dem Menschen zunächst als Erdenmenschen möglichen Erkenntnisart erscheint. Nur durch die höchste Ausbildung und Vergeistigung der Liebefähigkeit kann dasjenige errungen werden, was in Intuition sich offenbart. Es muß dem Menschen möglich werden, die Liebefähigkeit zu einer Erkenntniskraft zu machen. Wir bereiten uns schon gut auf diese vergeistigte Liebefähigkeit vor, wenn wir uns in einer gewissen Weise losreißen von unserem Hängen an den äußeren Dingen, wenn wir zum Beispiel zur regelmäßigen Übung machen, die Dinge, die wir erlebt haben, nicht in der Erlebnisfolge vorzustellen, sondern rückwärts verlaufend. [13] Sie werden sagen: Man erlebt so viel am Tage, das dauert lange. Nun man mache zunächst episodisch wirklich das zunächst, daß man das Hinauf- und Hinuntergehen über eine Treppe umgekehrt vorstellt: Hinunter- und Hinaufgehen; dann bekommt man eine innere Beweglichkeit, so daß man nach und nach wirklich in drei, vier Minuten den ganzen Tagesverlauf des Lebens rückwärtsbewegend vorstellen kann. Damit hat man aber eigentlich doch nur die Hälfte, im Grunde das Negative dessen vollbracht, was man zur Steigerung, zur geistigen Ausbildung der Liebefähigkeit braucht. Denn die muß bis zu jenem Punkte kommen, wo man liebevoll verfolgt jedes Wachsen der Pflanze – im gewöhnlichen Leben sieht man ja das Wachsen der Pflanze nur, wie es sich im Raume gestaltet, man macht es nicht mit, wenn man mitmacht jedes einzelne, was im Pflanzenwachstum sich zeigt, wenn man untertaucht in die Pflanze, mit seiner Seele selber diese Pflanze wird, wenn man selber wächst, blüht, selber die Früchte der Pflanze trägt, wenn man also ganz untertaucht, wenn einem die Pflanze so wert wird, wie man selber sich ist; wenn man dann in derselben Weise zur Vorstellung des Tierischen hinauf, zur Vorstellung des Mineralischen hinuntersteigt, wenn man fühlt, wie das Mineralische sich gestaltet zum Kristall, wenn man gewissermaßen ein inneres Wohlgefallen entwickeln kann an diesem sich Bilden von Flächen, von Kanten, von Ecken. Und wenn man beim Zerspalten, Zerklüften des Minerals etwas empfinden kann wie ein Schmerzgefühl, das durch die eigene Wesenheit zuckt –, wenn man in dieser Weise mitfühlend, ja nicht nur mitfühlend, sondern in der Seele mitwollend wird mit allem Naturgeschehen.

Es muß dem vorausgehen eine wirkliche, auf alle Menschen sich erstreckende Liebefähigkeit. Man wird die Natur nicht in der geschilderten Weise richtig lieben können, wenn man nicht zuerst Liebefähigkeit für alle Menschen sich errungen hat. Dann, wenn man in dieser Art verständnisvolle Liebefähigkeit für die Menschen und für die ganze Natur errungen hat, dann stellt sich dasjenige ein, daß das, was sich uns zunächst wahrnehmbar macht, sagen wir, in den aurischen Farben (siehe: Aura), in dem sphärischen Tönen (siehe: Sphärenmusik), daß sich das rundet, konturiert zu wirklichen geistigen Wesenheiten.

Ein geistiges Wesen muß man erleben, indem man in dasselbe ganz untertaucht, indem man also gerade anwendet die Liebefähigkeit, die man zunächst an der Natur entwickelt hat. Geistige Intuition ist nur möglich durch Anwendung – in der Stille, in dem, was leer ist für das Bewußtsein – desjenigen, was man an Liebefähigkeit an der Natur entwickeln kann. Die Wesenheiten der höheren Hierarchien, die erlebt man nun mit; die werden reales, wesenhaftes Weltendasein. Man erlebt ebenso eine konkrete geistige Welt, wie man durch Auge und Ohr und durch das Gefühl, durch die Wärme eine konkrete physische Welt erlebt.

(Der Intuition) offenbart sich das vorige Erdenleben, und nach und nach die anderen vorhergehenden Erdenleben. Denn dieses wahre Ich, das in wiederholten Erdenleben vorhanden ist, das kann sich nur offenbaren, wenn man die Liebefähigkeit so weit gesteigert hat, daß einem das andere Wesen, das draußen in der Natur oder in der Geisteswelt ist (wie das «höhere Ich» beispielsweise), so lieb geworden ist, wie man sich nur selber in Eigenliebe lieben kann. Aber niemals wird der Eigenliebe zugänglich das wahre Ich, das durch wiederholte Geburten und Tode geht. Denn dieses Ich des vorhergehenden Erdenlebens ist so objektiv für dieses jetzige Erdenleben geworden, wie nur irgendein äußerer Stein oder eine Pflanze für uns ist, wenn wir im Raume außer ihm stehen. Wir müssen gelernt haben, dasjenige, was uns zunächst für die gegenwärtige subjektive Persönlichkeit ganz objektiv, ganz fremd geworden ist, in objektiver Liebe zu erfassen. Wir müssen uns überwunden haben im gegenwärtigen Erdendasein, um überhaupt irgendeinen Einblick bekommen zu können in ein vorhergehendes Erdendasein. [14] (Siehe dazu: Inkarnationsrückerinnerung; Reinkarnationsrückerinnerung).

Die Sinne (des Normalmenschen) sind gewissermaßen Golfe, in welche die Außenwelt mit Ihrer Gesetzmäßigkeit hereinragt. Auf der anderen Seite liegt die Sache so, daß der ganze Mensch, der ja in der Intuition zum Sinnesorgan wird, jetzt hereinragt in die geistige Welt. Dort ragt die Außenwelt in den Menschen hinein, hier ragt der Mensch in die Außenwelt hinein, allerdings in die geistige Außenwelt. Deshalb ist es hier auch so, daß, während der Mensch da oben (im Kopf) – ich habe das für die Augenorganisation ausgeführt – ein gewisses tätiges Verhältnis zu der Tiefendimension hat, er für die Intuition, zunächst, soweit er mit dieser Intuition in der Selbsterkenntnis bleibt, ein gewisses Verhältnis zur Höhendimension bekommt (siehe auch: Intuition – Aufrichtekraft). So ergibt sich etwas dem Sinneswahrnehmen ganz Analoges, nur eben umgekehrt. Es ergibt sich, daß der Mensch durch die Intuition sich in die geistige Welt als Ganzes hineinstellt. So wie durch die Sinne die äußerliche Sinneswelt hineinragt, so stellt er sich durch die Intuition in die geistige Welt bewußt hinein, und dieses bewußte Hineinstellen wird ebenso gefühlt von dem Menschen, wie der Mensch sich empfindungsgemäß der Außenwelt in der Wahrnehmung gegenüber fühlt. Und dieses Sich-Fühlen in der geistigen Welt, das dunkle Erlebnis des Darinnenstehens in der geistigen Außenwelt, das nennt man im gewöhnlichen Leben Intuition. Diese Intuition wird eben von heller Klarheit durchdrungen, wenn eine solche Erkenntnis angestrebt wird. [15]

Durch die Ausbildung der Intuition in Willensübungen ergibt sich, daß im Unterbewußten das im Denken erstorbene vorirdische Dasein während des Erdendaseins wieder belebt wird. Durch diese Willensübungen wird der Mensch in einen Zustand versetzt, durch den er außerhalb seines physischen und ätherischen Organismus in die Welt des Geistigen eingeht. Er erhält das Erlebnis des Daseins nach Ablösung vom Körper. Damit ist ihm eine Vor-Anschauung gegeben von dem, was im Tode wirklich eintritt. Er kann aus dieser Anschauung heraus über die Fortdauer des Seelisch-Geistigen nach dem Durchgange durch den Tod sprechen. [16]

Das geistige Geschehen steht den Gemütsbewegungen näher als dem Vorstellen, denn die Vorstellungen sind alle nicht maßgebend für die seelisch-geistigen Geschehnisse. Da ist in der geistigen Welt das Geschehen, das hereinragt in die Gemütsbewegungen während des ganzen Nachtlebens; aber mit seinem Vorstellen kann der Mensch nicht an dieses Geschehen heranreichen, um dieses Erleben zu charakterisieren. So haben wir die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, daß auch die Intuition mit den Gemütsbewegungen in einer bestimmten Verbindung steht. Daher auch kommen Mystiker, bevor sie zu irgendwelchen klar umrissenen Vorstellungen über die höheren Welten kommen, zu einer Art allgemeinen dumpfen Gemütserlebens dieser höheren Welten, und viele sind damit zufrieden, viele sogar mit noch weniger. Aber diejenigen, welche sich wirklich in die höheren Welten versenken mit dem Gemüt, die beschreiben dann alle in gleicher Weise die Zustände von seelischer Hingabe, die sie da durchmachen, kurz, lauter Gemütsverfassungen an dem, was man unmittelbares Erleben der geistigen Welt nennen kann. Wenn wir durch diese Intuition, die in das Gemüt hereinspielt, weitergehen wollen, so würden wir nicht gut weiterkommen können, sondern wir müssen eigentlich mehr von der andern Seite ausgehen. Um nicht so allgemein in den Gemütsbewegungen zu schwelgen, sondern um zum konkreten Anschauen der geistigen Welt zu kommen, müssen wir schon versuchen, Imaginationen auszubilden und darauf dann mit Bezug auf die geistige Welt unsere Aufmerksamkeit wenden. Dann tritt allmählich eine Verbindung ein in unserem Leben zwischen der noch unverstandenen, mehr nur gefühlten Intuition und der noch mehr oder weniger in der Unwirklichkeit schwebenden Imagination, die nur aus Bildern besteht. Und was da die Verbindung ist, das gibt uns zuletzt das Heranrücken an den Gedanken: Wir sind jetzt zu den Wesen gekommen, die das geistige Geschehen ausführen. Dieses Herankommen an die Wesen bezeichnen wir als Inspiration. Wir haben also hier gewissermaßen das Umgekehrte von den Vorgängen, die wir der äußeren körperlichen Welt gegenüber haben. In dieser haben wir sozusagen die Gedanken, die wir uns über die Dinge machen. Da sind uns die Dinge schon gegeben und wir machen uns Gedanken über dieselben. Hier aber ist das Geschehen, das Ding, das in der Intuition zunächst für die Gemütsbewegungen auftritt, ein durchaus Unbestimmtes, und die Imagination als solche wäre ein in der Luft Hängendes. Erst wenn die beiden zusammenkommen, wenn die Imagination durch die Inspiration hereinwirkt in die Intuition, wenn uns, mit anderen Worten, unser Vorstellen hinaufführt zur Imagination, und wenn wir die Imagination fühlen als von Wesenheiten herkommend, dann strömt auch das Wesen dieser Wesenheiten in uns ein als ein Geschehen. Es wird mitgebracht durch die Imagination etwas, was aus der Intuition einströmt, und wir nehmen mit dem Geschehen einen Inhalt wahr, der sich vergleichen läßt mit dem Vorstellungsinhalt. Wir nehmen dann aber diese Gedanken, für deren Wahrnehmung wir uns vorbereitet haben, durch die Imagination in dem Geschehen wahr, das uns in der Intuition gegeben ist. [17]

Intuition ist, in dieser Anwendung, nicht eine Erkenntnis, die an Klarheit hinter der Verstandeserkenntnis zurückbleibt, sondern welche diese weit überragt. [18] Erst in der Intuition verschmilzt der geistige Beobachter mit Wesen, die in sich geschlossen sind, selbst. Im richtigen Sinne kann das nur geschehen, wenn diese Verschmelzung nicht unter Auslöschung, sondern unter völliger Aufrechterhaltung seiner eigenen Wesenheit der Fall ist. Alles «Sich-Verlieren» an ein fremdes Wesen ist von Übel. Daher kann nur ein Ich, das in sich bis zu einem hohen Grade gefestigt ist, in ein anderes Wesen ohne Schaden untertauchen. [19] Es gibt keine andere Art, um wirklich mit dem Geiste und seinem Dasein zusammenzukommen, als gewissermaßen, wie es jetzt geschildert worden ist, mit ihm zu verschmelzen. Alles aber, womit wir nicht verschmelzen, kann nie als ein Beweis für den Geist gelten, denn einen anderen Beweis gibt es nicht, als das eigene Erleben mit dem Erleben des Geistes zusammenfallend zu finden. Wer ein Geistwesen erfahren will, muß seine Seele so weit bringen, daß er sein eigenes Erleben zusammenfallen lassen kann mit dem Erleben dieses geistigen Wesens. [20]

Zitate:

[1]  GA 4, Seite 146   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[2]  GA 89, Seite 90   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[3]  GA 9, Seite 51   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[4]  GA 9, Seite 199   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[5]  GA 34, Seite 398f   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[6]  GA 12, Seite 22f   (Ausgabe 1969, 88 Seiten)
[7]  GA 227, Seite 59f   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[8]  GA 73, Seite 34f   (Ausgabe 1973, 398 Seiten)
[9]  GA 66, Seite 171   (Ausgabe 1961, 269 Seiten)
[10]  GA 191, Seite 32   (Ausgabe 1983, 296 Seiten)
[11]  GA 13, Seite 371f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[12]  GA 35, Seite 129f   (Ausgabe 1965, 484 Seiten)
[13]  GA 227, Seite 59f   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[14]  GA 227, Seite 61ff   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[15]  GA 324, Seite 121   (Ausgabe 1972, 154 Seiten)
[16]  GA 25, Seite 34f   (Ausgabe 1956, 92 Seiten)
[17]  GA 115, Seite 280f   (Ausgabe 1965, 318 Seiten)
[18]  GA 12, Seite 75   (Ausgabe 1969, 88 Seiten)
[19]  GA 12, Seite 76   (Ausgabe 1969, 88 Seiten)
[20]  GA 62, Seite 136   (Ausgabe 1960, 499 Seiten)

Quellen:

GA 4:  Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung – Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode (1894)
GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 12:  Die Stufen der höheren Erkenntnis (1905/1908)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 25:  Drei Schritte der Anthroposophie. Philosophie – Kosmologie – Religion (1922)
GA 34:  Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908)
GA 35:  Philosophie und Anthroposophie (1904-1923)
GA 62:  Ergebnisse der Geistesforschung (1912/1913)
GA 66:  Geist und Stoff, Leben und Tod (1917)
GA 73:  Die Ergänzung heutiger Wissenschaften durch Anthroposophie (1917/1918)
GA 89:  Bewußtsein – Leben – Form. Grundprinzipien der geisteswissenschaftlichen Kosmologie (1903-1906)
GA 115:  Anthroposophie – Psychosophie – Pneumatosophie (1909/1911)
GA 191:  Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 324:  Naturbeobachtung, Experiment, Mathematik und die Erkenntnisstufen der Geistesforschung (1921)