Abraham

Die Initiationsschulen schickten aus ihrer Mitte den Begründer der vierten Unterrasse aus, die in ihrem Schoße sich lange vorbereitet hatte. Das ist diejenige Persönlichkeit, welche die Bibel Abraham nennt; sie stammt aus Ur in Chaldäa und ist herausgebildet wie ein Extrakt der drei alten Kulturen. Aus den drei alten Kulturen wird durch Initiation der jüdischen Patriarchen diese vierte Kultur, das Urjüdische abgeleitet, von welchem dann tatsächlich alles herstammt, was wir als vierte Unterrasse haben, denn es gehören dazu auch die althellenische und altrömische Kultur. [1] Alles das, was der Menschheit anerzogen wird, muß immer seinen Ausgangspunkt nehmen von einer Individualität. Fähigkeiten, die dann Fähigkeiten einer großen Anzahl von Menschen werden sollen, müssen sozusagen zuerst bei einem Menschen anfangen. [2] In dem Stammvater des hebräischen Volkes, in Abraham, war auch tatsächlich eine solche Individualität auserlesen, daß dessen Leiblichkeit ein geeignetes Instrument war für das urteilende Denken. [3] Damit sollte jene Kultur eingeleitet werden, deren Früchte noch heute unserer ganzen westlichen Kultur und Zivilisation einverleibt sind. Jenes kombinatorische Denken, die mathematische Logik, wurde durch Abraham eingeleitet; ihn sah man bis ins Mittelalter hinein in gewissem Sinne als Vertreter der Arithmetik an. Die ganze Anlage seines Denkens war eben eine solche, die Welt nach dem Verhältnis von Maß und Zahl anzusehen. [4] In einer talmudischen Legende wird uns der Vater des Abraham geschildert als ein Feldherr jener sagenhaften, aber wiederum wirklichen Persönlichkeit, die in der Bibel als «Nimrod» bezeichnet wird. Und auf Grund eines Traumerlebnisses wird der Sohn seines Feldherrn dem Nimrod angekündigt von denen, die die Zeichen der Zeit verstehen, als eine Wesenheit, die viele Könige und Herrscher entthronen werde. Nimrod fürchtet sich davor und befiehlt, daß der Sohn seines Feldherrn getötet werde. Das erzählt (uns) die Legende; das bestätigt uns die okkulte Forschung. Der Vater des Abraham ergreift eine Ausflucht und zeigt ein fremdes Kind dem Nimrod vor. Das eigene Kind aber, Abraham, wird in einer Höhle auferzogen. Und die Tatsache, daß wirklich Abraham der erste ist, der durch jene Kräfte, die sonst für die äußeren hellseherischen Fähigkeiten Verwendung fanden, jetzt im Inneren jene organisatorische Kraft entwickelt, die zum inneren Gottes-Bewußtsein führen soll, diese Umkehrung der ganzen Kraftsumme wird angedeutet in der Legende dadurch, daß das Kind während der drei Jahre, wo es in der Höhle erzogen wird, Milch saugt durch Gottes Gnade aus seinem eigenen Finger der rechten Hand. [5] Die Leiblichkeit des Abraham war so, daß dieser den Jahve als den die Welterscheinungen draußen durchlebenden und durchwebenden Gott verstehen konnte. [6] Abraham hatte zuerst das Organ in sich veranlagt, ein Jahvebewußtsein zu erwerben. Aber er mußte wissen, daß der Gott, der sich in seinem Inneren ankündigen konnte den physischen Erkenntniskräften, mit derselben Stimme spricht, mit welcher der ewige, alles durchwebende Gott der Mysterien spricht. [7] Die Aufgabe, die in Abraham repräsentiert wird, ist, in das Menschliche hereinzutragen alles das, was draußen verehrt wurde; Eingeweihte zu schaffen, die einen großen Wert legen auf das Menschliche, um Persönlichkeitskulte zu begründen. Daher treten persönliche Eigenschaften bei den jüdischen Patriarchen auf. Mit List und Verschlagenheit geht es eigentlich her. [8] Da aber das Denken an das physische Gehirn gebunden war, wie konnte es da Gemeingut werden? Nur durch Vererbung. Das heißt, es mußte geradezu von dieser Individualität ein Volk ausgehen, in dem sich vererbte diese besondere Eigentümlichkeit. [9] Abraham bekam die Verheißung: Deine Nachkommen sollen geordnet sein wie die Sterne am Himmel. [10] Abraham mußte eine Nachkommenschaft haben, die weiterbaute jene eigenartige Konstitution des physischen Leibes. Es mußte nun selbständig von dem Menschen der Aufbau des physischen Leibes in die Hand genommen werden, damit das weitergeführt wurde, was bislang die Götter getan haben, und zwar durch viele Generationen hindurch mußte dies geschehen. Es mußte ein den Jahve verstehendes Gehirn sich durch die physische Vererbung erhalten. Der Bund des Jahve mit Abraham sollte auch auf die Nachkommen übergehen. Dazu aber gehörte eine ungeheure Hingebung der Individualität des Abraham an den Jahve. Abraham hat es so weit gebracht in der Hingabe, daß er seinen Sohn Isaak hingeopfert hat; sein Wille war es. Und er bekam den Isaak wieder zurück, von Jahve selber zurück, das heißt Abraham geht so weit, die Mission, die er hat, nicht durch sich auf die Nachwelt weiter zu übertragen, sondern sie als Gabe des Jahve in seinem eigenen Sohn zu empfangen. [11] An Stelle des Isaak wurde geopfert ein Widder oder ein Lamm. Was heißt das ? Die letzte Gabe aus der geistigen Welt, die noch verbleibt, wenn alle früheren verdunkelt sind, wird in der mystischen Symbolik durch den Widder bezeichnet. Die beiden Widderhörner bedeuten; das Opfer der zweiblätterigen Lotusblume (siehe: Astralleib–Organe). [12] (Siehe auch: Opfer und Resignation)

In Abraham ist ein solcher Mensch ausgewählt worden, der so organisiert war, daß im rechten Zeitmomente aus seinen Nachkommen der Jesus von Nazareth herausgeboren werden konnte. Dazu aber mußte das, was erst Anlage bei Abraham war, entwickelt werden. Wir müssen uns darüber klar sein, daß zur Entfaltung dieser Anlagen nötig war, daß immer einiges ausgestoßen wurde. Abraham hatte zwei Söhne, Isaak und Ismael. Von Isaak stammt das althebräische Volk ab. In Abraham waren aber noch andere Eigenschaften, diese mußten hinausgestoßen werden in eine andere Nachkommenschaft, in die Ismaels, den Sohn der ägyptischen Magd Hagar. [13] An der Stelle, wo von der Begegnung des Abraham mit Melchisedek die Rede ist (siehe unten), verbirgt sich überhaupt ein tiefes Geheimnis für die Entwickelung der Menschheit. [14] Wer diese Stelle versteht, der weiß, daß Abraham, der der Führer seines Volkes werden sollte, in diesem Momente gleichsam initiiert wurde – wenn auch nicht vollbewußt, wie es in späteren Initiationen der Fall ist – in bezug auf das Verständnis desjenigen Göttlichen, das in alle menschlichen Seelen hineinspielen kann. [15] Einem solchen Menschheitsführer, wie dem Abraham, war es gegeben, in der Begegnung mit Melchisedek, oder Malek-Zadik, sich die Kräfte für die Sonnen-Sphäre anzueignen. Die geistigen Augen des Abraham wurden vollständig aufgetan für das Akasha-Bild des Christus in der Sonnen-Sphäre. [16]

Zitate:

[1]  GA 93a, Seite 257f   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[2]  GA 117, Seite 173   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[3]  GA 117, Seite 39   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[4]  GA 117, Seite 40   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[5]  GA 123, Seite 71f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[6]  GA 117, Seite 41   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[7]  GA 123, Seite 81   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[8]  GA 93a, Seite 257   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[9]  GA 117, Seite 115   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[10]  GA 123, Seite 84   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[11]  GA 117, Seite 42f   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[12]  GA 117, Seite 44   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[13]  GA 117, Seite 65f   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[14]  GA 141, Seite 44   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[15]  GA 141, Seite 43   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[16]  GA 141, Seite 50   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)

Quellen:

GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)