Makrokosmos

Der Makrokosmos wird von dem schauenden Bewußtsein in immer größerer Lebendigkeit gefunden, je weiter der Blick in die Vergangenheit zurückdringt. Er lebt in ferner Vergangenheit so, daß jede Berechnung seiner Lebensoffenbarungen da aufhört. Aus dieser Lebendigkeit heraus wird der Mensch abgesondert. Der Makrokosmos tritt immer mehr in die Sphäre des Berechenbaren ein. Damit aber erstirbt er allmählich. In dem Maße, in dem der Mensch – der Mikrokosmos – als selbständige Wesenheit aus dem Makrokosmos ersteht, erstirbt dieser. In der kosmischen Gegenwart besteht ein erstorbener Makrokosmos. Aber im Werden desselben ist nicht nur der Mensch entstanden. Es ist aus dem Makrokosmos auch die Erde erstanden. Wie aus dem Pflanzenkeim, der räumlich so unbedeutend klein ist, die ganze große Pflanze sich wieder bildet, wenn die alte ersterbend zerfällt, so wird aus dem «Staubkorn» Erde ein neuer Makrokosmos, indem der alte erstorbene zerfällt. [1]

Der Mensch ist, während er schläft, an den Makrokosmos hingegeben, in den Makrokosmos ausgegossen. In diesen Makrokosmos ausgegossen ist der Mensch auch schon während der Ekstase; nur weiß er da etwas von diesem Makrokosmos. Das ist das Eigenartige der Ekstase, daß der Mensch etwas erlebt, seien es Bilder, seien es Wirklichkeiten, was ausgebreitet ist um ihn herum, etwas, was sozusagen einen gewaltig großen Raum einnimmt und an das er sich wie hinverloren glaubt. Wir sind dann, wenn wir in Ekstase sind, wie hineingewachsen in die große Welt, in den Makrokosmos, wo auf Schritt und Tritt irgendwelche phantastische Gestalten vor uns aufsteigen. [2]

Geradeso wie der innere Hüter der Schwelle, so ist ein zweiter Hüter der Schwelle, der große Hüter der Schwelle, der äußere Hüter der Schwelle, der vor der großen geistigen Welt steht, unwahrnehmbar für das gewöhnliche Bewußtsein. Er wird immer mehr wahrnehmbar für den, der sich in der gehörigen Weise vorbereitet. So daß derjenige, der auf dem anderen (spirituellen) Wege hinausschreitet in die große geistige Welt, in den geistigen Makrokosmos, vorüberkommen muß vor dem großen Hüter der Schwelle, der uns auch zeigt, wie unbedeutend wir sind und wie wir neue Organe entwickeln müssen, wenn wir in diese große Welt, in den geistigen Makrokosmos hineinwachsen wollen. Mutlos und verzagt würde der Mensch dastehen, wenn er unvorbereitet in bewußter Weise an diesen großen Hüter der Schwelle herankäme. Nun müssen wir uns aber auch klar darüber sein, daß aus diesem selben Makrokosmos, in den wir also hineingeführt werden, die Kräfte kommen, welche eigentlich uns selber aufbauen. Woher ist denn das genommen, was Material ist für unseren physischen Leib und für unseren Ätherleib? Alle die Kräfte, die da zusammenströmen, um dasjenige, was so weisheitsvoll ist, aufzubauen, all das tritt uns wirklich ausgebreitet in der großen Welt entgegen. Da tritt uns, wenn wir vorbeigegangen sind an dem großen Hüter der Schwelle, nicht nur Erkenntnis entgegen. Wenn man aber die Erkenntnisse der großen Welt erworben hat, dann hat man noch nicht seinen Eingang gehalten in die Wirkungen und Kräfte. Wir kommen also, wenn wir an dem großen Hüter der Schwelle vorbeigekommen sind, an diesem merkwürdigen geheimnisvollen geistigen Wesen, in eine Welt unbekannter Wirkungen und Kräfte hinein. Von dieser Welt muß man zunächst auch sagen, daß der Mensch nichts davon weiß, weil sich der Schleier der Sinneswelt davor ausbreitet. Das sind aber die Kräfte, die in uns hineinfließen, aus denen zusammengeronnen sind unser physischer und unser Ätherleib. [3]

Die Zeit, wo das größte Maß der Eindrücke vom äußeren Makrokosmos auf die Erde ausgeübt wird, ist die Sommersonnenwendezeit, die Johannizeit. Es erinnern uns daher viele Nachrichten aus alten Zeiten, die an Festesdarstellungen und Festesbegehungen anknüpfen, wie solche Feste inmitten der Sommerzeit stattfanden, wie die Seele in der Mitte des Sommers dadurch, daß sie sich des Ich entäußert und aufgeht im Leben des Makrokosmos, trunken hingegeben ist den Eindrücken vom Makrokosmos. [4]

Zitate:

[1]  GA 26, Seite 197ff   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[2]  GA 119, Seite 44f   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[3]  GA 119, Seite 96f   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[4]  GA 158, Seite 172   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)

Quellen:

GA 26:  Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie – Das Michael-Mysterium (1924/1925)
GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)