Dante

Dante hatte Schauungen, war bekannt mit der geistigen Welt. [1] Er hat einfach die ätherische Welt beschrieben und nicht die physische. [2] Wo der Grieche noch Realitäten gesehen hat in der geistigen Welt, da sehen wir bei Dante nur noch Bilder, Bilder derjenigen Seelenkräfte, die überwunden werden müssen. Diejenigen Kräfte, die aus der Empfindungsseele kommen, und die niedere Kräfte sind und das Ich von der Entwickelung zu höheren Stufen abhalten können, müssen überwunden werden; und ebenso müssen überwunden werden diejenigen Kräfte der Verstandesseele und Bewußtseinsseele, welche die höhere Entwickelung des Ich hindern können. [3]

Zu Dantes Zeit war unsere Erde der Mittelpunkt des ganzen Weltensystems. Sie war aber nicht nur dieser feste Planet, sondern innerhalb der Erde waren Wesenheiten, die zu den Menschen in Beziehung standen. Es waren dort die Kräfte, die den Menschen zu einem tierähnlichen Wesen machten. Diese waren in der Mitte der Erde. Darin waren die verschiedenen Stufen dessen, was man als Hölle bezeichnete. So wie Dante diese Dinge schildert, so galten sie dem Menschen dazumal als wirklich. Das ist bei Dante nicht Dichtung. Damals hatte man die Vorstellung: Jenseits, auf der anderen Seite der Erde, wirkt die Schwerkraft in der entgegengesetzten Richtung. Da stellten sich die mittelalterlichen Menschen die Kräfte vor, die dem Menschen entgegengesetzt waren, die Kräfte, die ihn loslösten von alledem, was geistige Erdenschwere bedeutet. Da war das Läuterungsfeuer, Kamaloka.

Wenn man von da aus in den Sternenraum hinausblickt, so waren da ganz andere Vorstellungen. Der Mond war nicht ein Mineral, sondern der Körper eines Geistwesens, auf dem viele Geistwesen wohnten, ein Weltenkörper. Es lebten darauf Wesen, die ähnliche Entwickelungszustände durchgemacht hatten wie die Menschen. Sie waren aber tiefer hinuntergefallen als die Menschen, nur waren ihre Laster geistiger aufgefaßt als die tierischen Laster der Menschen. Wie wir den Menschen aus dem Innersten des Seelenwesens ableiten, so dachte sich der mittelalterliche Mensch als Geistwesen die Sonne, den Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter, Saturn. Der Mensch nahm damals überall Geist wahr. Überall war die Welt für ihn von Geistwesen bevölkert.

In dem Fixsternhimmel lebte der Christus, seit er die Welt verlassen hatte. Jenseits des Fixsternhimmels war das Empyreum, das heißt der zehnte Himmel, welcher die Urgründe alles Daseins umfaßte. Diejenigen Wesenheiten, welche nicht hier auf der Erde in diesem Leibe waren, stellte sich der Mensch vor als wohnend in irgendeinem Gebiet außerhalb der Erde. Einen Krieger, der durch den Tod gegangen war, hätten wir nach der damaligen Vorstellung auf dem Mars zu suchen. Einer, der ein beschauliches Leben geführt hat, wäre auf dem Saturn. Der noch höher gestiegen war, war im Fixsternhimmel zu suchen, wo der Christus nach seinen Tode war. Darüber standen dann noch höhere Wesenheiten. Aus solcher Vorstellungsweise heraus hat Dante seine «Göttliche Komödie» gedichtet. Die Menschen haben jetzt gar keine Vorstellung davon, daß Leute der damaligen Zeit in allem Materiellen noch etwas Geistiges gesehen haben. Für die damalige Anschauung gibt es kein rein Körperliches und kein rein Geistiges. So ist ein Ineinanderweben des Physischen und Geistigen für alle Gemüter selbstverständlich gewesen. Es ist unsinnig, darüber zu streiten, ob Beatrice nur Symbol war oder die Geliebte des Dante. Darin liegt gar kein Widerspruch. Beatrice war eine wirkliche Persönlichkeit, sie war aber auch der Ausdruck alles Geistigen. Beatrice ist gerade vor dem nicht verlernten inneren Sinn die echte Personifikation der Theologia. [4]

Eine Vision ist das Dantesche Gedicht, eine Vision in dem Sinne, wie sie der Eingeweihte erlebt, eine Wirklichkeit in der geistigen Welt. Dante kann wirklich das Geistige wahrnehmen. Bei der Vision bringt er mit, was sich in seinen Organismus von der katholischen Welt hineingelebt hat, aber er sieht es geistig. Jederzeit sieht der Mensch das Geistige durch die Brille seiner Erfahrungen. Die Sinne, die wir für das Geistige ausgebildet haben, hängen von dem Leben auf dieser Erde ab. Hier reifen wir aus für das Jenseits, hier bereiten wir uns die geistigen Augen und Ohren für das Jenseits. Daher hatte Dante seine geistigen Organe in der Weise ausgebildet, wie es die katholische Welt hervorgebracht hatte.

Wenn wir in das andere Dasein hinüberkommen, dann können wir dasjenige wahrnehmen, was jetzt in uns ist. Das wird uns dann äußerlich sichtbar. Wenn wir in die geistigen Welten eingetreten sind, dann werden (uns) die Inhalte unseres seelischen Organismus etwas, was außer uns vorhanden ist, so wie im physischen Dasein die äußeren Gegenstände wahrzunehmen sind. Was in unserer Seele lebt, wird uns symbolisch sichtbar. Dante nennt drei Symbole, die drei Haupteigenschaften seines Triebkörpers, seines Astralleibes, seiner niederen Seele darstellen: einen Panther, einen Löwen, eine Wölfin. Das ist aber nicht ein bloßes Sinnbild. Wenn der Mensch den Astralplan betritt, dann kommen ihm eben wirklich die niederen Leidenschaften in der Form von Tieren entgegen. Die Wölfin, die Leidenschaft, die in allem lebt, was sich auf den Besitz richtet, die Habsucht und andererseits das Recht auf persönlichen Besitz. Diese Leidenschaft ist damals den Menschen eingeimpft worden, als die Wölfin Romulus und Remus gesäugt hat, vorher eignete sich der Mensch die Eigenschaft der Tapferkeit an, die im Löwen zum Ausdruck kommt und die zur Herrschsucht werden kann. Noch weiter zurück liegt das, wie sich aus der Priesterherrschaft die größte Schlauheit herausbildet: der Panther, die Odysseus-Eigenschaft.

Als Vergil dem Dante entgegentritt, sagt er: Befreien kann ich dich nicht von den drei Tieren, am wenigsten aber von der Wölfin. – Das sagt er, weil Dante aus dem herausgewachsen ist, was von den alten römischen Leidenschaften in Italien geblieben ist. Den Vergil, der in der Äneide ein Bild der Einweihung gegeben hat, mußte Dante zum Führer nehmen. Von Vergil lernten die Menschen damals am meisten darüber, wie es im Jenseits aussieht. In drei Stufen bauten sie sich damals das Jenseits auf: als Hölle, Fegefeuer und Himmel. [5]

Wenn Sie die Lehren der Templer verfolgen, so ist da etwas im Mittelpunkte, was als etwas Weibliches verehrt wurde. Dieses Weibliche nannte man die göttliche Sophia, die göttliche Weisheit. Manas ist das fünfte Prinzip, das geistige Selbst des Menschen, das aufgehen soll, dem ein Tempel errichtet werden sollte. Und wie das Fünfeck vom Eingang des Salomonischen Tempels den fünfgliedrigen Menschen charakterisiert, ebenso charakterisiert dieses Weibliche die Weisheit des Mittelalters. Dante hat mit seiner «Beatrice» nichts anderes als diese Weisheit zur Darstellung bringen wollen. Nur der versteht Dantes «Göttliche Komödie», der sie von dieser Seite betrachtet. Daher finden Sie auch bei Dante dieselben Symbole, die bei den Templern, den christlichen Ritterschaften, den Gralsrittern und so weiter zum Ausdruck kommen. [6] Aus der Hölle wird Dante in das Fegefeuer geführt. Als nächstes Gebiet zwischen Fegefeuer und Himmel kommt Dante in den Garten Eden. Dort werden wir in die Anschauungsweise eingeführt, die die eigentlich christliche ist: wie der Ursprung der Kirche im Geistigen ruht. Wer im Sinne des Mittelalters verstehen will, wie die Kirche sein soll, muß sich hinauforganisieren dahin, ihr Urbild im Jenseits zu sehen. Die Stufenfolge der weltlichen Hierarchie der Kirche sollte ein Abbild dieser himmlischen Hierarchie sein. Das stellt Dante im Garten Eden dar, wo uns die Hierarchien symbolisch entgegentreten. Dann übernimmt Beatrice die Führung. In der Seele unterscheiden wir ein weibliches Element, das innere Seelenwesen, und ein männliches Element, das Geistige im Universum, das die Seele befruchtet. Die weibliche Seele zieht uns hinan. Die mittelalterlichen Alchimisten nannten das Weibliche im Menschen das «Lilium». Darum spricht auch Goethe in seinem Märchen von der «schönen Lilie». Beatrice ist wirklich im Sinne der Danteschen Denkweise so dargestellt, daß er in ihr das Gebäude der scholastischen Theologie zum Ausdruck bringen kann.

Ihr, Beatrice, werden zuerst die Wesen des Mondes entgegengeführt, die ihr geistiges Gelübde gebrochen haben. Sie hatten das Gelübde, nur dem Geistigen zu dienen, gebrochen und waren wieder der Sinnlichkeit verfallen. Merkur war noch für die alte griechische Theosophie dasjenige Wesen, das mitgewirkt hat, als der alte Atlantier sich zu dem Begriff des Ich aufgeschwungen hat. Die ersten Atlantier hatten noch nicht das Ich-Bewußtsein. Die Wesenheit, in deren Zeichen das Persönliche steht, ist der Gott Merkur, Hermes. Der Mensch kommt zum Persönlichen, indem er zur Ichheit, zum Egoismus herunterfällt. Das hat uns zugleich zu den Menschen gemacht, die nach dem Besitz streben. Daher ist der Merkur auch der Gott der Kaufleute. Auf dem Jupiter findet Dante die Fürsten, die Gerechtigkeit geübt haben. Auf der Sonne geht etwas sehr Wichtiges vor, es wird ihm der eigentliche Charakter des Ewigen gezeigt; wie es aufzufassen ist, wenn man einen Tag erlebt, den man den Jüngsten Tag nennt. Dieser verändert die Verhältnisse. Da treten uns Thomas von Aquino und der König Salomo entgegen. Thomas stellt das Leben im Sinne des Christentums, des Neuen Testamentes dar, und König Salomo ist der Lehrer des Alten Testamentes. [7]

In dem Priestertum sah der Christ den körperlichen Ausdruck dessen, was ihm der Christus in der geistigen Entwickelung war. Nach dem Erdenleben ist der Christus entrückt und hält seinen Triumphzug in den Fixsternhimmel. Wer hier seinen geistigen Embryo so zubereitet hat, daß er geistig schauen kann, vermag Christus in dem Fixsternhimmel zu sehen. Der tiefsteingeweihte Jünger Christi, Johannes, tritt als der Lehrer dieser Anschauung auf. Nur Christus und Maria konnten ihren Leib in den Fixsternhimmel mit hinaufnehmen. So wie der heutige Kulturmensch lernt, mit seinen sittlichen Ideen über die Leidenschaften Herr zu sein, so wahr lernt der Mensch auf höherer Stufe den physischen Leib beherrschen. Jesus und Maria hatten den physischen Leib so geheiligt, daß sie ihn in die höchsten Regionen mitnehmen konnten.

Dann übernimmt der heilige Bernhard (siehe: Bernhard von Clairvaux) die Führung in die höheren Gebiete, wo er die Gottesanschauung, die Versenkung in das göttliche Selbst erhält. Da wächst Dante über das Kirchlich-Christliche hinaus. Er sieht die drei Kreise, die dreifache Urwesenheit der Welt, Vater, Sohn und Geist. Die indische Religion nennt sie Brahma, Vishnu und Shiva. Hier stellt sich die Dreifaltigkeit des Universums dar, wo Dante sich zur rein geistigen Anschauung, zur Kontemplation aufschwingt.

Das Ägypter-Chaldäertum der dritten nachatlantischen Kulturperiode lebt in der italienischen Volksseele auf, daher hat die italienische Volksseele mehr die Möglichkeit, in den einzelnen Individuen, die dem Volke angehören, die Empfindungsseele anzuregen. Und so wie es mehr elementar war, was der Ägypter durchmachte, so macht der Italiener das, was er wiederholt, was er in seiner Empfindungsseele durchmacht, mehr im Innerlichen durch, dadurch, daß er in der Empfindungsseele dieses Geistig-Kosmische erlebt, aber jetzt mehr verinnerlicht. Was könnte mehr verinnerlicht sein als die ägyptische Astrologie in Dantes «Göttlicher Komödie»: die richtige Wiederauferstehung der altägyptischen Astrologie, aber verinnerlicht. [8]

Am Schluß wird dargestellt, wie wir in Gott leben, weben und sind, aber uns nicht vermessen können, Gott zu verstehen. Nur das ahnende Gewißwerden der menschlichen Erkenntnis von Gott wird am Ende dargestellt. Für Dante war sein Gedicht das Schauspiel der Welt, von der anderen Seite gesehen. [9]

Sie würden im höchsten Grade erstaunt sein, wenn ich Ihnen sagte, in welcher Weise zum Beispiel Dante im 19. Jahrhundert wieder inkarniert war. [10]

Zitate:

[1]  GA 175, Seite 389   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[2]  GA 349, Seite 72   (Ausgabe 1961, 264 Seiten)
[3]  GA 59, Seite 288   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)
[4]  GA 97, Seite 28f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[5]  GA 97, Seite 31f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[6]  GA 93, Seite 152   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[7]  GA 97, Seite 34f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[8]  GA 174a, Seite 38   (Ausgabe 1982, 308 Seiten)
[9]  GA 97, Seite 35f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[10]  GA 138, Seite 41   (Ausgabe 1986, 168 Seiten)

Quellen:

GA 59:  Metamorphosen des Seelenlebens – Pfade der Seelenerlebnisse. Zweiter Teil (1910)
GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 138:  Von der Initiation. Von Ewigkeit und Augenblick. Von Geisteslicht und Lebensdunkel (1912)
GA 174a:  Mitteleuropa zwischen Ost und West (1914-1918)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 349:  Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (1923)