Kamaloka

Wenn wir vom physischen Plan ausgehen, so haben wir sieben Unterabteilungen des physischen Planes; dann kämen sieben Unterabteilungen des Astralplanes. Von diesen fallen die drei untersten mit den drei obersten des physischen Planes zusammen. Wir müssen den Astralplan mit dem physischen Plan so zusammengeschoben betrachten, daß die drei obersten Partien des physischen Planes zugleich die drei untersten Partien des Astralplanes sind. Wir können von einer Randzone sprechen, das ist die, welche unsere Seelen nach dem Tode nicht verlassen können, wenn sie durch Begierden noch an die Erde gefesselt sind. Man nennt sie Kamaloka. [1]

Der Geist hat in dem Körper gelebt und ist daher durch den Körper in Beziehung zur körperlichen Umwelt gekommen. Diese Beziehung hat ihren Ausdruck darin gefunden, daß sich vermittels des Körpers Triebe, Begierden, Leidenschaften entwickelt haben, und daß sich, durch diese, äußere Handlungen vollzogen haben. Die Handlung, die ich begehe, ist die Folge meiner Begierde; und ich selbst bin als Persönlichkeit das, was diese Begierde zum Ausdruck bringt. Die Handlung geht in die Außenwelt über; die Begierde bleibt in meiner Seele wie die Vorstellung in meinem Gedächtnisse. So lebt in meiner Seele wegen des körperlichen Daseins eine Summe von Trieben, Begierden und Leidenschaften. Man bezeichnet diese Summe als den «Körper des Verlangens», Kama rupa. Dieser «Körper des Verlangens» hängt innig mit dem physischen Dasein zusammen. Denn er entsteht ja unter dem Einfluß der physischen Körperlichkeit. Von dem Augenblicke an, in dem der Geist nicht mehr verkörpert ist, kann er daher seine Bildung nicht mehr fortsetzen. Der Geist muß sich von ihm befreien, insofern er durch ihn mit dem einzelnen physischen Leben zusammengehangen hat. Man kann fragen: Ist denn mit dem Tode nicht auch dieser «Körper des Verlangens» zerstört? Die Antwort darauf ist: Nein, in dem Maße, in dem in jedem Augenblicke des physischen Lebens das Verlangen die Befriedigung überwiegt, in dem Maße bleibt das Verlangen bestehen, wenn die Möglichkeit der Befriedigung aufgehört hat. Nur der wunschlose Mensch stirbt, ohne in seinem Geiste eine Summe von Verlangen zurückzubehalten. Und (eine solche) Summe muß nach dem Tode gleichsam abklingen. Der Zustand dieses Abklingens wird «Aufenthalt im Orte des Verlangens» Kamaloka – genannt. [2]

In der Welt des Astralen wird sich die Seele zu reinigen haben von dem, was sie ans Irdische kettet, von den Trieben, Leidenschaften und Instinkten, welche notwendig sind zum irdischen Leben, aber unmöglich der menschlichen Seele auf der weiteren Wanderung anhaften können. Nachdem sie sich von alledem befreit hat, durchwandert sie das eigentliche Geistesland. [3] Das Kamaloka ist in der Mondensphäre. [4]

In dem Moment, wo die Seele durch die Pforte des Todes gegangen ist, schwirren die ahrimanischen Wesenheiten ganz besonders heran. Da sind sie in Fülle da, und es ist nicht zu verwundern, daß sie da sind, denn sie sind ja die Geister der Zerstörung. Ihre regelmäßige Tätigkeit ist es, daß sie an der Zerstörung der physischen Organisation arbeiten. Das gehört zu ihrem Handwerk. Sie dürfen nur nicht zu lange dableiben. Die Menschen nun, welche geistiges Verständnis in sich aufgenommen haben, halten sich diese Wesenheiten vom Leibe. Aber viel Macht haben diese Geister über die materialistisch denkenden Seelen, über die Seelen, die sich kein Verständnis aneignen für die geistige Welt. Die griechische Mythe hat dieses Verschmähen des Verständnisses der geistigen Welt sehr schön dargestellt in der Gestalt des Tantalus. Das ist derjenige, dem die Götter Speisen vorgesetzt haben, aber so, daß er sie nicht erreichen konnte, und dann zusahen, wie er dadurch Qualen auszustehen hatte. Solche Tantalusse kann man heute viele sehen. Es sind dies alles materialistische Seelen, die sich kein Verständnis aneignen wollen für die geistige Welt. Sie sind Tantalusse in dem Sinne, als ihnen nach dem Tode während der Kamalokazeit, wenn sie ihre Lebenszeit durchgehen – rückwärts, in einem Drittel der (auf Erden) gelebten Zeit –, alles weggeschnappt wird. Dann haben sie überall, indem sie sehen, in was sie gelebt haben, das Gefühl: Wozu habe ich dies oder das getan? Sie sehen, da kommt gleich einer der zerstörenden Geister und schnappt es ihnen weg, so daß sie finden: Ich habe es eigentlich für nichts getan. Die Geister der höheren Hierarchien können sie nicht sehen beim Zurückleben, und so muß ihnen alles sinnlos erscheinen. [5]

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, er eine kurze Zeit nach dem Tode etwas hat, wie einen Rückblick auf sein gesamtes Erdenleben (siehe: Lebenstableau). Dann folgt die Zeit einer Art Schlafzustandes. Und der Mensch wacht dann nach einigen Monaten oder Jahren auf dem Astralplan, im Kamaloka, auf. Es folgt diesem Erwachen das Kamaloka-Leben, das darin besteht, daß wir mit dreimal so großer Geschwindigkeit das Erdenleben zurückleben. Und im Beginne des Kamaloka-Lebens ersteht für jeden Menschen ein sehr bedeutendes Ereignis. Eine geistige Individualität zeigt uns alles das, was wir selbstsüchtig getan haben im letzten Leben, wie ein Verzeichnis alles dessen, was wir gesündigt haben. Je anschaulicher Sie sich diesen Vorgang vorstellen, desto richtiger stellen Sie sich ihn vor: wie wenn wirklich am Anfang des Kamaloka-Lebens sich so eine Gestalt mit dem Register unseres physischen Lebens darstellen wollte. Die meisten Menschen, die der europäischen Bildung angehören, erkennen in dieser Gestalt den Moses. [6] Was zeigt uns Moses, wenn er mit unserem Sündenregister vor uns steht? Er zeigt uns, was auf der einen Seite, auf der Unrechtseite unseres Karma steht. (Daher) ist es in der Tat wichtig für die Seele unserer Zeit, daß durch die Inspiration des Buddhismus die Karmalehre begriffen werden kann. Doch die Wirklichkeit des Karma nach dem Tode wird uns gezeigt durch die alttestamentarische Gestalt des Moses. Indem nun die Seelen sich immer mehr und mehr durchdringen mit dem übersinnlichen Christus, wird sich vollziehen nach dem Tode die Umwandlung der Moses-Gestalt in die des Christus Jesus. Das heißt aber nichts anderes als: unser Karma kommt mit Christus in einen Zusammenhang, Christus wächst mit unserem Karma zusammen. In der Zukunft der Menschen-Inkarnationen verwächst immer mehr der Christus mit dem Karma (siehe: Christus – Herr des Karmas). Es bekommt (dadurch) unser Karma etwas Wesenhaftes, etwas Lebensfähiges. [7]

Jedes Leben ist ja so, daß man sagen kann: es bietet uns so manches, aber die Möglichkeiten des Erlebens sind weit größer als das, was der Mensch in Wirklichkeit in sich aufnimmt. Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes schreitet, so fühlt er wollend, oder er will fühlend alles das durchleben, was er, ich kann nicht sagen, weiß, sondern von dem er fühlt: Du hättest es noch erleben können. Alle die unbestimmten Affekte, alles an möglichen Erlebnissen, was uns das Leben hätte bringen können und nicht gebracht hat, das alles tritt herein in den Zusammenhang mit dem vorherigen Leben, in das, was die Seele durchmacht. Insbesondere das, was die Seele nach ihrer Empfindung hätte tun sollen, tritt als starke, als intensive innere Erlebnisse auf. Was etwa die Seele schuldig geworden ist gegenüber anderen Menschen, was sie gegen andere verstoßen hat, das alles tritt auf als das Gefühl der mangelnden Liebe, der wir uns im Leben zwischen Geburt und Tod gar nicht bewußt sind; das wird intensiv empfunden. [8]

Nach dem Tode kommt uns alles das zum Bewußtsein, was wir während der Nacht durchlebt haben. Nacht für Nacht kommt uns zurück. Der Tote durchlebt sein Leben, aber er erlebt es auf dem Umwege seiner Erlebnisse durch die Nächte hindurch. Die Kamalokazeit dauert so lange, wie die Nachtschlafenszeit dauerte, die ungefähr ein Drittel der gesamten Erdenlebenszeit ausmacht. [9]

Der Mensch durchläuft die Zeit des Kamalokas rückwärts. Er durchläuft das Leben rückwärts bis zum Moment der Geburt. Das liegt dem schönen Satze der christlichen Botschaft zugrunde, der da sagt, wann eigentlich der Mensch in die geistige Welt eintritt oder in die Reiche der Himmel: «Ehe ihr nicht werdet wie die Kinder, könnt ihr nicht kommen in die Reiche der Himmel!» Das heißt, der Mensch lebt zurück bis in die Zeit, wo er seine Kindheitsaugenblicke erlebt, und dann kann er, da er alles wieder rückwärts absolviert hat, in das Devachan oder in das Reich der Himmel eintreten. [10]

Nachdem der Ätherleib sich von dem Astralleib getrennt hat, tritt ein Bewußtsein auf, das viel stärker ist als ein lebhaftes Träumen. Es erlebt die Wirklichkeit der astralen Welt (siehe: Astralplan). Man nennt diesen Zustand Kamaloka, das heißt wörtlich: Ort der Begierden. Es ist aber kein Ort gemeint, der jenseits der physischen Welt ist. Die astrale Welt ist innerhalb unserer physischen Welt. Die Welten unterscheiden sich nur dadurch, daß die eine Welt durch eine andere Art von Organen erkennbar ist als die andere.

Je mehr der Mensch sich in diesem Leben davon befreit hat, durch die Sinne befriedigt zu werden, je mehr er sich das Schöne, das Gute der Welt, das Reine, die leibfreien Ideen angeeignet hat, desto schneller geht die Kamalokazeit vorüber. Hat er sich gar in die geistige Welt eingelebt, hat er seine Seele mit den Vorstellungen und Gedanken durchdrungen, die hinter der Sinnenwelt stehen, dann ist seine Kamalokazeit kurz. [11] Im Leben kann sich der Mensch einen Genuß verschaffen, nach dem Tode nicht. Die Begierde hört aber nicht auf, denn sie hat nicht im physischen, sondern im Astralleib ihren Sitz. Weil nun aber das physische Werkzeug (zur Befriedigung) fehlt, so fehlt auch die Möglichkeit, diese Begierde zu befriedigen. Solche Menschen schauen im Kamaloka hinunter in die physische Welt, die sie verlassen haben, sie schauen das, was ihnen jetzt noch Genuß machen könnte von alledem, was unten auf der physischen Welt ist, aber sie können es nicht genießen, weil sie kein physisches Instrument haben, und dadurch kommt jener brennende Durst in sie. [12] Es ist dies nicht eine Quälerei von außen, sondern die Qual der Unerfüllbarkeit der noch vorhandenen Genußfähigkeit. [13] Die ganze Umwelt während der Kamalokazeit hängt von der Stimmung der Seele ab, hängt davon ab, daß das, was man als elementarische Welt schildern muß, sich zur Seelenwelt dadurch modifiziert, daß man hauptsächlich sich auflösende Ätherität in dieser elementarischen Welt (Astralplan) sieht. [14]

Darauf kommt es nicht an bei der Prüfung unserer Kamalokazeit, ob unsere Wünsche, Begierden, Leidenschaften und so weiter im Oberbewußtsein, im Ich-Bewußtsein sind, sondern ob sie auch im astralischen, im Unterbewußtsein sind. Beide wirken in gleicher Weise brennend nach dem Tode, und die Wünsche und Begierden, die wir verhüllt haben hier im Leben, die wirken eigentlich noch intensiver nach dem Tode. [15] (In der Astralwelt nehmen) die Triebe und Leidenschaften tierische Gestalten an. Solange der Mensch im physischen Körper verkörpert ist, so lange richtet sich sein Astralleib in der Gestalt etwas nach diesem physischen Leib. Wenn aber der äußere Leib weg ist, dann kommen die Triebe, Begierden und Leidenschaften, so wie sie in ihrer tierischen (Natur) sind, in ihrer eigenen Gestalt zur Geltung, zum Durchbruch. Im Astralischen, im Kamaloka, ist also der Mensch durch seine Leidenschaften annähernd ähnlich (der Tier-Natur). [16] Natürlich ist dieser Zustand nicht nur ein qualvoller; qualvoll ist er nur so lange, bis sich dieser Astralleib das Verlangen nach Genuß abgewöhnt hat. Je mehr also der Astralleib hier im physischen Leben Bedürfnisse hatte, um so länger dauert dieser Zustand. Daraus können Sie aber schon entnehmen, daß je nach der Qualität der Bedürfnisse, die der Mensch im verflossenen Leben gehabt hat, nicht nur Qualvolles, sondern auch unter Umständen etwas sehr Gutes und Angenehmes dem Astralleib im Kamaloka begegnen kann. So zum Beispiel erlebt er dann angenehm eine jede Freude, die er an der schönen Natur gehabt hat. Um diese Freude an der schönen Natur zu genießen, müssen wir zwar Augen haben zum Sehen, aber Schönheit ist etwas, was hinausgeht über das Physische, und deshalb ist auch im Kamalokaleben dieser Zustand die Quelle erhöhten Genusses. Solche Dinge sind die Ursachen von den größten Freuden und wundervollen Erlebnissen auch während der Kamalokazeit. Diese Zeit kann sich der Mensch schon verschönern, wenn er sich frei macht vom Kleben an rein physischen Genüssen. [17] Wir durchleben auch alles dasjenige, was wir zwischen der Geburt und dem Tode schon an Geistigem durchgemacht haben, wir durchleben auch die guten Ereignisse des Lebens so, daß wir sie gleichsam im Spiegelbild wiederum vor uns haben. [18] Diese Kamalokazeit ist (also) durchaus nicht immer eine greuliche oder unangenehme. In jedem Falle wird der Mensch dadurch unabhängiger von den physischen Begierden, und je mehr er sich schon im Leben unabhängig gemacht und sich Interessen im Anschauen geistiger Dinge verschafft hat, desto leichter wird diese Kamalokazeit für ihn verlaufen. Er wird durch sie freier, so daß der Mensch dankbar wird für diese Kamalokazeit. Das Gefühl des Entbehrens im physischen Leben wird zur Seligkeit in der Kamalokazeit. Es treten also die entgegengesetzten Gefühle ein, denn alles, was man im Leben gelernt hat, gern zu entbehren, wird in der Kamalokazeit zum Genuß. [19]

Wer aber im gewöhnlichen Leben durch ein Eindringen in die Kunst, in die Erkenntnistatsachen durch das Physische schon hindurchzuschauen vermag auf dasjenige, was durch den Schleier des Physischen hindurchdringt an geistigen Geheimnissen des Daseins, wer auch nur ahnend die Offenbarungen des Geistes durch den Schleier des Physischen ergreift, für den wird die Läuterungszeit kürzer dauern, denn er wird vorbereitet durch die Pforte des Todes gehen, vorbereitet für alles dasjenige, was eben nur aus der geistigen Welt an Befriedigung kommen kann. [20] Während der ganzen Kamalokazeit fühlt sich der Mensch so, wie wenn er richtig im Raume aufgeteilt wäre. Sie fühlen sich stückweise überall da, wo Sie sozusagen etwas zu suchen haben, so daß, wenn Sie alle Ereignisse Ihres Lebens in dieser Weise in Betracht ziehen, Sie sich während des ganzen Durchgehens durch den Zeitraum nach dem Tode förmlich zerstückelt fühlen. [21] Man fühlt sich so, daß man sich zum Beispiel mit einem Teil seines Wesens in München, einem anderen in Mainz, einem dritten in Basel und noch mit einem anderen Teile weit außerhalb des Erdkreises, vielleicht auf dem Monde fühlt. Man fühlt sich sozusagen zerstückelt und die dazwischenliegenden Räume als nicht zu sich gehörig. Das ist die eigentümliche Art, sich astral zu fühlen: wie ausgebreitet im Raum, an verschiedene Orte hinversetzt, aber den dazwischenliegenden Raum nicht ausfüllend. Und diese Empfindung dauert die ganze Kamalokazeit hindurch, die der Mensch rückläufig bis zur Geburt durchlebt. Es ist immer ein Durchleben solcher Stücke, die zu einem gehören. Das gliedert sich dann zusammen mit dem ganzen übrigen Kamalokaleben. Man fühlt sich zunächst in dem Menschen drinnen, mit dem man zuletzt verbunden war, und dann zurück in allen Menschen und anderen Wesen, mit denen man zu tun hatte während des Lebens. Wenn Sie zum Beispiel in Mainz einmal einen Menschen geprügelt haben, so erleben Sie nach Ihrem Tode zur gegebenen Zeit die Prügel selbst, die Schmerzen, die Sie ihm zugefügt haben. Wenn der Mensch also dann noch in Mainz ist, so fühlt sich ein Teil Ihres astralischen Leibes nach Ihrem Tode in Mainz und erlebt dort die Sache. Ist der Geprügelte dagegen inzwischen gestorben, so fühlen Sie sich dort, wo er selbst jetzt in Kamaloka ist. Wir haben es natürlich nicht nur mit diesem einen Menschen zu tun, sondern auch mit vielen andern, die auf der Erde und in Kamaloka zerstreut sind. Überall sind Sie; das gestattet Ihnen dies unterbrochene Wesen, das die Körperlichkeit in Kamaloka ausmacht. Sie macht es möglich, in allen anderen drinnen das zu erleben, was Sie mit ihnen zu tun gehabt haben, und Sie bilden sich so eine bleibende Verbindung mit all denen, mit denen Sie in Berührung gekommen sind. [22] In der Kamalokazeit vergrößert sich die Ätherform des Menschen immer mehr und mehr, so daß ihre äußerste Grenze von der Bahn des Mondes umkreist wird. Alle Menschen füllen denselben Raum aus, der von der Mondbahn umschlossen ist. [23]

Zunächst ist das Kamalokaleben dadurch charakterisiert, daß wir in uns eingesperrt sind und die Einsperrung in uns selber das Gefängnis ist, um so mehr verriegelt zunächst, als wir nicht zu irgendeinem physischen Leben zurückkehren können. Erst wenn wir dieses Kamalokaleben durchleben so, daß wir allmählich darauf kommen – man kommt eben nur allmählich darauf –, daß alles das, was da ist, nicht anders aus der Welt geschafft werden kann, als daß man sich eben in anderer Weise erfühlt als durch bloße Begierden und so weiter, erst dann ist unser Kamalokagefängnis gesprengt. [24]

Nun würde ja der astralische Leib in Kamaloka nicht zu dem Bewußtsein der quälenden Entbehrung kommen können, wenn er nicht dadurch, daß er noch mit den Resten des Ätherleibes verbunden ist, fortwährend die Möglichkeit hätte, sich zu erinnern an das, was er im Leben genossen und begehrt hat. Und das Abgewöhnen ist ja im Grunde nichts anderes als ein allmähliches Vergessen dessen, was den Menschen an die physische Welt kettet. [25]

In demselben Maße, als der Mensch sich in Kamaloka die physischen Zusammenhänge abgewöhnt, hellt sich auch sein Bewußtsein wieder auf. Nach dem scharfen, klaren Bild der Überschau über sein Leben tritt im nachtodlichen Leben eine Umdüsterung seines Bewußtseins ein, je stärker der Wunsch nach dem Physischen wird. [26] Das Bewußtsein im Kamaloka ist durch das Abtragen persönlicher Schuld getrübt. [27] Alles Kamaloka verläuft ja eigentlich in der Sphäre zwischen der Erde und der Mondenbahn; aber das eigentliche für den Menschen bedeutungsvolle Kamaloka verläuft viel näher der Erde als, sagen wir, der Mondenbahn. Seelen, welche überhaupt nicht viel von dem entwickelt haben, was Empfindungen und Gefühle sind, die sozusagen über das Erdenleben hinausgehen, bleiben auch recht lange mit der Sphäre des Erdenlebens verbunden, verbunden durch ihr eigenes Begehren. Man kann durch ganz andere Triebe und Begierden noch als man gewöhnlich wähnt, mit der Erdensphäre verbunden bleiben. Zum Beispiel recht ehrgeizige Menschen, denen es besonders darum zu tun ist, innerhalb der Erdenverhältnisse dieses oder jenes zu gelten, die da den allergrößten Wert darauf legen, solche Geltung zu haben, die von Urteilen innerhalb der Erdenmenschheit abhängig ist, die entwickeln damit auch in ihrem Astralleibe einen Affekt, der sie längere Zeit sozusagen zu erdgebundenen Seelen macht. Es gibt mannigfaltige Gründe, welche den Menschen so in der Erdensphäre zurückhalten. Und das weitaus meiste, was auf medialem Wege aus den geistigen Welten für die Menschen vermittelt wird, das stammt eigentlich aus solchen Seelen und ist im Wesentlichen das, was diese Seelen abzustreifen streben. Es braucht nicht einmal immer daran gedacht zu werden, daß solche Seelen durch ganz unedle Motive, obwohl das meist der Fall ist, an die Erde gebunden bleiben; es können auch Sorgen sein, welche für das empfunden werden, was man auf der Erde zurückgelassen hat. Solche Sorgen für zurückgelassene Freunde, Verwandte, Kinder, können auch in gewisser Weise wie eine Art Schwere wirken und die Seele in der Erdensphäre zurückhalten. [28]

Das, was nach dem Tode im Kamaloka am wirksamsten ist, sind die Gemütsbewegungen und moralischen Impulse. Vorstellungen über die Sinnenwelt sterben ab, nur die vom Übersinnlichen kann der Mensch mitnehmen. Dagegen verfolgen uns die Gemütsbewegungen nach dem Tode ganz gewaltig und bleiben. Denn sie sind es, die uns eine gewisse Zeit im Kamaloka halten. Zum Beispiel ein Mensch, der ganz schlecht wäre, würde durch seine Gewissensbisse zwischen Tod und neuer Geburt überhaupt nicht ins Devachan hinaufkommen können, sondern müßte sich ohne das wieder inkarnieren. Da er keine guten Gemütsbewegungen hatte, ist ihm auch das untere Devachan verschlossen. [29]

Alles, was man im Leben gelernt hat zu entbehren, wird in der Kamalokazeit zum Genuß. Wenn dann aus dem Menschen der dritte Leichnam austritt, dann entschwebt mit diesem, dem astralischen Leibe alles, was der Mensch fernerhin in der geistigen Welt nicht brauchen kann. Für den Hellseher sind diese astralischen Leichname sichtbar, und es dauert 20 bis 40 Jahre, bis sie sich aufgelöst haben. Geradeso, wie für den eigentlichen Menschen nach dem Austritt des ätherischen Leichnams ein Extrakt, eine gewisse Essenz für alle Ewigkeit zurückbleibt, so bleibt auch für ihn nach dem Austritt des astralischen Leichnams für alle Ewigkeit eine gewisse Essenz zurück als Frucht der letzten Verkörperung. [30] (Siehe auch: Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt).

Zitate:

[1]  GA 101, Seite 223   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[2]  GA 34, Seite 100f   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[3]  GA 88, Seite 119   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)
[4]  GA 94, Seite 77   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[5]  GA 254, Seite 186   (Ausgabe 1969, 279 Seiten)
[6]  GA 130, Seite 46f   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[7]  GA 130, Seite 49f   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[8]  GA 63, Seite 337   (Ausgabe 1959, 439 Seiten)
[9]  GA 254, Seite 132   (Ausgabe 1969, 279 Seiten)
[10]  GA 107, Seite 206   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[11]  GA 96, Seite 179ff   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[12]  GA 104, Seite 246   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[13]  GA 95, Seite 31   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[14]  GA 147, Seite 146   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[15]  GA 140, Seite 113   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[16]  GA 324a, Seite 40f   (Ausgabe 1995, 1922 Seiten)
[17]  GA 100, Seite 46   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[18]  GA 119, Seite 18   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[19]  GA 108, Seite 57   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[20]  GA 119, Seite 17   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[21]  GA 100, Seite 69   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[22]  GA 99, Seite 72f   (Ausgabe 1962, 172 Seiten)
[23]  GA 130, Seite 337   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[24]  GA 143, Seite 90   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[25]  GA 107, Seite 92   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[26]  GA 109, Seite 192   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[27]  GA 95, Seite 146   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[28]  GA 140, Seite 267   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[29]  GA 143, Seite 36   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[30]  GA 108, Seite 57   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)

Quellen:

GA 34:  Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908)
GA 63:  Geisteswissenschaft als Lebensgut (1913/1914)
GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 99:  Die Theosophie des Rosenkreuzers (1907)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 108:  Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie (1908/1909)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 130:  Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit (1911/1912)
GA 140:  Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 147:  Die Geheimnisse der Schwelle (1913)
GA 254:  Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur. Bedeutsames aus dem äußeren Geistesleben um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (1915)
GA 324a:  Die vierte Dimension. Mathematik und Wirklichkeit (1905-1922)