Moses

Moses heißt Weisheit oder Wahrheit. [1] Zwei Schüler hatte Zarathustra, die er nicht dazu unterrichtete, daß sie hinausgehen sollten, um die Perser zu lehren. Sie gehörten zu denjenigen Schülern, die sich immer bei den großen Eingeweihten finden, die in der Stille sich vorbereiten für ihren künftigen Beruf, die zunächst verzichten darauf, hinauszutreten und zu lehren. Hermes, der große ägyptische Lehrer, und Moses waren in einer früheren Inkarnation diese Schüler. [2] Dieser zweite intime Schüler wurde unterrichtet in den Dingen, welche sich besonders im Ätherleib ausprägen, also tiefere Eigenschaften (als diejenigen, die sich dem Astralleib einprägen). Dieser Schüler empfing in der folgenden Verkörperung den Ätherleib des Zarathustra. Die religiösen Urkunden erzählen darüber Dinge, welche erst durch diese Erklärung verständlich werden. Der Schüler mußte bei seiner Wiedergeburt in ganz besonderer Weise aufleben, der Ätherleib mußte stark sein, ehe der Astralleib auflebte. Dies wird erreicht mit dem, was mit der Geburt des Moses verbunden war, daß er in ein Kästchen gepackt in das Wasser gelegt wurde und so weiter, das hatte den Zweck, den Ätherleib als Kind völlig zu erwecken. Dadurch wurde Moses befähigt, über weit vergangene Zeiten im Gedächtnis zurückzuschauen, die Genesis der Erde in Bildern niederzuschreiben, in der Akasha-Chronik zu lesen. [3] (Siehe auch: Biblische Schöpfungsgeschichte).

Dieser zweite Schüler des Zarathustra hatte diejenigen Geheimnisse empfangen, welche sich auf den Zeitenlauf beziehen, und er mußte daher mitempfangen, was wie eine Stauung des Alten und des Jungen, wie etwas Gegensätzliches, polarisch Wirkendes in der Evolution darinnen steht. Aber auch für diesen Schüler hatte Zarathustra einen Teil seiner eigenen Wesenheit hingeopfert. Während also die Individualität des Zarathustra erhalten blieb, wurden die Hüllen von ihm getrennt; sie blieben aber, weil sie von einer so mächtigen Individualität zusammengehalten waren, intakt und zerstoben nicht. Dieser zweite Schüler, welcher die Zeitenweisheit – im Gegensatz zur Raumesweisheit – erhalten hatte, empfing zu einer bestimmten Zeit seiner Wiederverkörperung den Ätherleib des Zarathustra, welchen Zarathustra ebenso hingeopfert hatte wie seinen astralischen Leib. Moses erhält einverleibt in ganz früher Kindheit den erhalten gebliebenen Ätherleib des Zarathustra. Es mußte mit ihm etwas ganz besonderes geschehen. Bevor er die entsprechenden Eindrücke aus der Umgebung wie ein anderer Mensch erhalten sollte, bevor in seine Individualität hin(ein) steigen konnten die Eindrücke der Außenwelt, mußte in seine Wesenheit hineinfiltriert werden, was er von Zarathustra erhalten sollte. Das wird erzählt in jener Symbolik: daß er in ein Kästchen gelegt und in den Fluß versenkt worden ist, was sich wie eine merkwürdige Initiation ausnimmt. Eine Initiation besteht ja darin, daß ein Mensch abgeschlossen bleibt für eine bestimmte Zeit von der Außenwelt, und während dessen dasjenige, was er erhalten soll, in sich hineinfiltriert erhält. Damals also, als Moses so abgeschlossen war, konnte ihm in einem bestimmten Moment der aufbewahrte Ätherleib des Zarathustra einverleibt werden. Da konnte in ihm aufblühen jene wunderbare Zeiten-Weisheit, die ihm einst Zarathustra früher vermittelt hatte, mit der er jetzt begabt wurde, und die er herausbringen konnte, indem er in Bildern, die wieder für sein Volk geeignet waren, darstellte die Weisheit der Zeit hintereinander. Daher können uns bei Moses die großen Bilder der Genesis entgegentreten als äußere Imaginationen der Zeiten-Weisheit, die von Zarathustra herstammte. Sie waren das wiedergeborene Wissen, die wiedergeborene Weisheit, die er von Zarathustra empfangen hatte. Das war nun in seinem Inneren dadurch befestigt, daß er die Ätherhülle des Zarathustra selber empfangen hatte. Moses hat als Schüler jenes Geheimnis erhalten, welches wir dadurch angedeutet haben, daß in allen Zeiten ein Früheres mit einem Späteren zusammenstößt und dadurch eine Gegensätzlichkeit entsteht. Sollte sich Moses mit dieser Weisheit hineinstellen in die Menschheitsentwickelung, dann mußte er selbst sich mit der anders gearteten Weisheit, als es die Hermes-Weisheit war, wie ein Gegensatz hineinstellen in die Entwickelung. Das geschah. Wir können sagen: Hermes hat von Zarathustra die direkte Weisheit empfangen, sozusagen die Sonnenweisheit, das heißt das Wissen von dem, was geheimnisvoll wesenhaft lebt in der äußeren physischen Hülle des Lichtes und des Sonnenleibes, dasjenige also, was einen direkten Weg geht. Anders Moses. Moses hatte diejenige Weisheit erhalten, die der Mensch mehr in dem dichteren Ätherleib bewahrt, nicht in dem astralischen Leib. Er hatte diejenige Weisheit erhalten, die nicht nur hinaufschaut zur Sonne und fragt: was alles fließt von dem Sonnenwesen aus, sondern die auch das begreift, was sich dem Sonnenlichte, dem Sonnengut entgegenstellt; was in sich verarbeitet, obwohl es sich nicht davon verschlechtern läßt, dasjenige, was erdenhaft, was dicht geworden ist; was sich aus der Erde heraushebt als das Altgewordene, als das Verfestete: Erdenweisheit also, die in der Sonnenweisheit zwar lebt, die aber doch Erdenweisheit ist. Die Geheimnisse vom Erdenwerden, von der Art und Weise, wie sich der Mensch auf der Erde entwickelt und die Erden-Substantialität evolviert hat, als sich die Sonne von der Erde getrennt hat, das hatte Moses erhalten. Das macht es aber gerade aus, wenn wir die Sache nicht äußerlich, sondern innerlich betrachten, warum uns in den Hermes-Lehren (der Ägypter) etwas wie der krasse Gegensatz zu der Moses-Weisheit entgegentritt. [4]

In Moses also, indem er sich erinnert an alles, was er von Zarathustra erhalten hat, leuchtet auf das Erden-Werden, die Erdenevolution des Menschen. Er geht gleichsam vom Irdischen aus. Aber dieses Irdische ist ja von der Sonne getrennt, es enthält in einer gewissen Weise abschattiert das Sonnenhafte. Das Irdische kommt ihm entgegen und begegnet sich mit dem Sonnenhaften. Daher mußte sich die Erdenweisheit des Moses mit der Sonnenweisheit des Hermes auch im konkreten Dasein begegnen. Diese beiden Richtungen mußten aufeinander stoßen. Das wird uns in seiner Tatsächlichkeit ganz wunderbar in dem Zusammenstoß des Moses und in seiner Initiation mit der Hermes-Weisheit auch äußerlich dargestellt. In dem Geborenwerden in Ägypten, in dem Hingezogensein seines Volkes nach Ägypten, in dem Zusammenstoßen des Moses-Volkes mit dem ägyptischen Hermes-Volk liegt der äußerliche Abglanz des Zusammenstosses von Sonnenweisheit mit Erdenweisheit, wie sie beide von Zarathustra herstammen, wie sie sich aber beide in ganz verschiedenen Evolutions-Strömen über die Erde ergießen, wie sie zusammenwirken müssen und zusammenfallen. [5]

Es war die Moses-Weisheit in ihrem weiteren Verlaufe etwas, von der man sagen kann, sie entwickelte sich als die Wissenschaft der Erde und des Menschen – eben als Erdenweisheit – nach der Trennung von der Sonnenweisheit weiter; aber in der Weise, daß sie der Sonne entgegenwuchs und aufnahm, was von der Sonne als direkte Weisheit kam und mit dem sie sich jetzt durchdrang. Aber nur bis zu einem gewissen Grade sollte sie sich mit der direkten Sonnenweisheit durchdringen; dann sollte sie allein weiterschreiten und sich selbständig entwickeln. Daher bleibt die Moses-Weisheit nur so lange in Ägypten, bis sie genugsam aufnehmen konnte, was sie brauchte; dann erfolgte der «Auszug der Moseskinder aus Ägypten», damit dasjenige, was als Sonnenweisheit von der Erdenweisheit aufgenommen worden ist, verdaut und jetzt selbständig weitergebracht wird. [6] Daher sollte Moses in inneren Seelenvorgängen das von Zarathustra Ererbte so entwickeln, daß es beim Rückzug wieder das Sonnenhafte finden konnte. Daher war sein Weg so, daß er dasjenige, was Hermes direkt brachte, wie in Radienstrahlen von der Sonne, auf dem Rückweg neu entwickelte, umgekehrt, nachdem er zunächst etwas von der Hermes-Weisheit aufgenommen hatte. Nun wird uns gesagt, daß Hermes, der später Merkur-Thoth genannt wurde, seinem Volke Kunst und Wissenschaft gebracht hat, äußeres Weltwissen, äußere weltliche Kunst, in der Art, wie es sein Volk gebrauchen konnte. In anderer Art, gleichsam entgegengesetzt, sollte bis zu diesem Hermes-Merkur-Standpunkt Moses selber weiterdringen, die Hermes-Weisheit rückläufig selber ausbilden. Das ist dargestellt in dem Fortgang des hebräischen Volkes bis zu dem Punkte des Zeitalters und der Regierung des David, der uns entgegentritt als der königliche Psalmensänger, als göttlicher Prophet, der als Gottesmann wirkt wie als Schwertträger und auch als Träger des Musikinstrumentes. David, der Hermes, der Merkurius des hebräischen Volkes, so wird er uns geschildert. So weit hat es jetzt jener Strom des hebräischen Volkstumes gebracht, daß er ein selbständiges Hermestum oder Merkurtum hervorbrachte. Die aufgenommene Hermes-Weisheit war also im davidischen Zeitalter (auf dem Wege zur Sonne) bis in die Region des Merkur gelangt. Weiterschreiten sollte die Weisheit des Moses auf der rückläufigen Bahn bis zu dem Punkte, wo die «Venus-Region» ist, wenn man so sagen darf. So wie das, was von der Erde zurückstrahlt in den Raum, auf dem Weg zur Sonne in einem Punkt die Venus trifft, so traf die Moses-Weisheit zusammen mit dem, was auf der anderen Seite von Asien herübergestrahlt war, in der babylonischen Gefangenschaft. Was sich wie in einer abgeschwächten Form kundgab in den Mysterien Babylons und Chaldäas, mit dem traf die Weisheit des hebräischen Volkes in ihrer besonderen Entwickelung zusammen in der babylonischen Gefangenschaft. Dort lehrte während dieser Zeit in den Mysterienstätten am Euphrat und Tigris, mit denen damals die hebräischen Weisen bekannt wurden, der wiederinkarnierte Zarathustra. [7]

Moses war der Prophet eines Volkes, welches durch natürliche Vererbung die Eigenschaften der vorderasiatischen Völker und durch Erziehung die Lehren der Ägypter in sich hatte. In seine Seele war so viel von den Einflüssen der Einweihung gekommen, daß dieser Seele in besonderen Zuständen das Wesen sich offenbarte, das einstmals in der regelmäßigen Erdentwickelung die Rolle übernommen hatte, vom Monde aus das menschliche Bewußtsein zu gestalten. In Blitz und Donner erkannte Moses nicht bloß die physischen Erscheinungen, sondern die Offenbarung des gekennzeichneten Geistes (Jahve). Aber zugleich hatte auf seine Seele gewirkt die andere Art von Mysterien-Geheimnissen, und so vernahm er in den astralischen Schauungen das Übermenschliche, wie es zum Menschlichen durch das «Ich» wird. So enthüllte sich Moses derjenige, welcher kommen mußte (Christus), von zwei Seiten her als die höchste Form des «Ich». [8]

Was wir in der Bibel über die Schicksale des Moses lesen und über alles, was er an Schmerzen über das Geknechtetsein seines Volkes im Ägypterlande erlebt, das können wir als eine Darstellung äußerer Verhältnisse ansehen. Dann geht aber die Darstellung über in eine Schilderung innerer Seelenerlebnisse des Moses. Das geschieht da, wo Moses die Flucht ergreift und zu einem Priester geführt wird, zu dem midianitischen Priester Jethro oder Reguel. Angeregt werden sollte Moses zu seiner Mission dadurch, daß er gewissermaßen der Schüler einer solchen geheimnisvollen Gestalt wurde, die sich mit ihrem Sinnen für die übrige Menschheit zurückziehen und nur die Lehrer der Führer der Menschheit sind. Was Moses nun als Schüler dieses großen Priesterweisen erleben sollte, wird uns so dargestellt, daß er zunächst an dem Orte, wo er den Priester aufsucht, bei einem Brunnen – ein Symbol für den Weisheitsquell – die sieben Töchter des Priesterweisen trifft. [9] Wir erkennen in den «sieben Töchtern» des Priesters Jethro die sieben menschlichen Seelenkräfte wieder, über welche die Weisheit des Priesterweisen zu verfügen hatte. Der alte Mensch fühlte sich wie hingegeben an den Makrokosmos und die einzelnen Seelenkräfte fühlte er wie im Zusammenhange stehend mit besonderen göttlich-geistigen Wesenheiten. Wir können in einer abstrakten Form das, was uns die sieben Töchter des midianitischen Priesterweisen symbolisieren sollen, als die sieben lebendigen Geisteskräfte, die auf dem Schauplatz der Seele wirken sollen, noch in den mittelalterlichen sieben freien Künsten erkennen. Wenn wir dies berücksichtigen, werden wir vor die Tatsache geführt, daß Moses mit seinem Seelischen vor dem Gesamtaspekt der sieben menschlichen Seelenkräfte stand, daß er aber vorzugsweise die Aufgabe hatte, eine einzige derselben ganz und gar wie einen Impuls der menschlichen Entwickelung einzuimpfen. Das konnte er dadurch, daß es der besonderen Blutanlage und dem Temperament seines Volkes gegeben war, dieser Seelenkraft, die in ihren Wirkungen bis zu uns herunterreicht, ein besonderes Interesse entgegenzubringen. Das war die Seelenkraft, welche die übrigen, vorher getrennt gedachten Seelenkräfte in ein einheitliches inneres Seelenleben zusammenschließt, in ein Ich-Leben. Darum wird erzählt: Eine der Töchter des Jethro heiratet Moses. [10]

Was wir heute als das wichtigste Element für das Kulturleben betrachten, hat seinen ersten Impuls durch Moses erhalten. Das intellektualistische Denken, das Wirken in Verstand und Vernunft war es, was dem Moses gegeben war. Ihm war es noch in ganz besonderer Weise gegeben. Denn alles, was später in seiner besonderen Eigenart auftreten soll, muß vorher in der Eigenart der alten Zeiten gegeben werden. Was die spätere Menschheit dem Moses verdankt, ist die Kraft, Vernunft und Intellekt zu entfalten, aus dem Ich-Bewußtsein heraus im vollen Wachzustande intellektuell über die Welt zu denken, über die Welt sich intellektuell aufzuklären. Dem Moses mußte das Bewußtsein von der Intellektualität so gegeben werden, daß in ihm selber das intellektuelle Bewußtsein noch auf die Art der alten Hellseher aufleuchtete. Das heißt also: Moses hatte zwar den ersten intellektualistischen Impuls, aber bei ihm war er noch ein Hellsehen. Bei ihm war er der erste der neuen und der letzte der alten Impulse. Was die spätere Menschheit außerhalb des Hellsehens hatte, das hatte er innerhalb desselben. Die Erkenntnis für die reine Vernunft und den Verstand war ihm gegeben, indem seine Seele in hellseherische Zustände durch den Einfluß versetzt wurde, den er bei dem midianitischen Priester erhalten hatte, so zum Beispiel bei dem Erlebnis vor dem «brennenden Dornbusch», der aber in solchem Feuer erglühte, daß er nicht dabei verbrannte. Da offenbarte sich in neuer Art der Weltengeist vor Moses, wie er sich für die hellseherische Erkenntnis der Ägypter nicht hatte zu erkennen geben können. [11]

Was ist da, beim brennenden Dornbusch und bei der Verkündigung auf dem Sinai, mit dem Moses vorgegangen? Seine hellseherische Kraft hatte sich bis zu einem gewissen Punkt entwickelt, und er hat das Übersinnliche in dem Sinnlichen wahrgenommen. Der Nichthellseher hätte da einfach ein Naturereignis wahrgenommen. Moses aber sah in dem brennenden Dornbusch dasjenige Wesen, das sich ihm ankündigte als der «Ich bin der Ich-bin». Und er hat gewußt, daß dieses Wesen da ist, daß jenes Feuer nicht nur äußeres Feuer war, sondern daß dahinter sich Geistiges verbirgt. [12]

Wer mit diesen Tatsachen bekannt ist, der weiß, wie im Verlaufe der Entwickelung die Menschenseele dazu kommt, die äußeren Gegenstände allmählich verändert zu erblicken, so daß sie auf dem Hintergrunde durchwoben erscheinen von den Urbildern, aus denen sie hervorsprossen. Und das Bild, das uns grandios in der Bibel mit dem «brennenden Dornbusch» entgegengestellt wird, erkennt jeder, der zu einem geistigen Erkennen aufrückt, als etwas wieder, wodurch man hineinsieht in eine geistige Welt. [13]

Bis hinein in das verhangene Allerheiligste (dem Ich des Menschen) wirkt derjenige Weltengeist, der dem Moses als der einheitliche Weltengeist klar wurde. Was Wunder, als dieser Weltengeist sich ihm offenbarte, daß Moses sich sagte: Wenn ich die Aufgabe erhalte, hinzutreten vor das Volk, um eine Kultur zu inaugurieren, die auf Selbstbewußtsein begründet sein soll, wer wird mir glauben? Auf welchen Namen soll ich meine Mission stiften? Zur Antwort bekam er: «Du sollst sagen: Ich bin der ICH-BIN!» – Das heißt: Du kannst den Namen jenes Wesens, das sich im innersten Allerheiligsten des Menschenwesens ankündigt, nicht anders ausdrücken als mit dem Worte, welches das Selbstsein bezeichnet. So erblickte Moses in der Erscheinung des brennenden Dornbusches die Jahve-Natur, und wir begreifen, daß in der Stunde, da in Moses der Name des Jahve aufging als «Ich-bin», eine neue Strömung, ein neues Element in die Entwickelung der Menschheit hereintrat, daß abgelöst werden sollte die alte ägyptische Kultur, an der Moses nur seine Seele heranzubilden hatte, um das zu verstehen, was ihm im Leben als Höchstes begegnen sollte. Diesen Übergang von der alten in die neue Zeit fand Moses. Daher wurde das Andenken an das, was Moses mit seinem Volke gefunden hat, zur Erinnerung des Überganges von der alten in die neue Zeit, das Passah, fortgefeiert. Denn dieses Passah sollte daran erinnern, daß mit Moses die Möglichkeit gegeben war, den Abgrund von der alten in die neue Zeit zu überbrücken. [14]

Wir sehen Moses mit seinem Volke hingestellt vor das Rote Meer. Durch ein Wissen, das dem unsrigen ähnlich ist, das bei ihm ins Hellseherische noch übersetzt ist, erkennt er, wie durch die natürlichen Zusammenhänge – durch eine besonders kombinierte Verbindung von Ostwind und dem ebbe- und flutartigen Gang des Meeres – eine Möglichkeit besteht, sein Volk zur günstigen Stunde durch das Meer hindurchzuführen. Dazu wird uns die Tatsache geschildert und gezeigt: Moses steht da als der Begründer der neuen, intellektualistischen Weltanschauung, die den Menschen erst wieder lehren wird, die Lebenspraxis in Einklang mit den Naturverhältnissen zu bringen, wie es Moses getan hat. Die Ägypter waren ein Volk, dessen Stunde abgelaufen war; sie konnten nicht mehr wissen, was in später Stunde geschieht. Die alten Naturinstinkte waren bei ihnen verfallen. So standen sie an derselben Stelle wie in den alten Zeiten. Daher standen sie vor dem Roten Meere ratlos und beirrt da durch ihr nicht mehr maßgebendes Bewußtsein und verfielen dem Unglück.

Wenn wir durch solche scheinbar äußeren Schilderungen auf das durchblicken, was der Darsteller eigentlich sagen will, so finden wir in solchen Angaben die großen Wendepunkte der Menschheitsentwickelung charakterisiert und begreifen, daß es gar nicht leicht ist, aus der ganzen eigenartigen Darstellung der alten Schriften die Bedeutung solcher Persönlichkeiten – wie zum Beispiel Moses – herauszufinden. Daß Moses ganz auf einem alten Hellsehen fußte, daß bei ihm die neue intellektuelle Kultur noch hellsehend war, das wird uns auch noch später da gezeigt, wo es sich entscheiden soll, ob er nun wirklich sein Volk nach Palästina hinüberführen soll. Was Moses als Hellseher hatte, das konnte den Impuls geben, konnte aber selbst diese Kultur nicht sein. Denn hellsehend sollte diese Kultur nicht sein; sie sollte gerade als ein Neues gegenüber dem alten Hellsehen auftreten. Daher sehen wir, wie Moses sich berufen fühlte, sein Volk bis zu einem gewissen Punkte zu führen, er selbst aber nicht in das neue Land führen konnte. Das sollte er denen überlassen, die zu der neuen Kultur berufen sind. Klar wird uns das in der Bibel gesagt. [15]

Wir sehen das Moses-Zeitalter wieder aufleben, und zwar so, daß den ganzen Geist der christlichen Mystik, von Meister Eckhart bis herauf zu den späteren christlichen Mystikern, dieser Geist des Moses durchstrahlte und durchlebte. Er war sozusagen so da, daß er sich in ihre Seelen hineinlebte. Es gestaltete insbesondere das zweite Moses-Zeitalter dasjenige aus, was die deutsche Mystik war: das tiefe mystische Bewußtsein von dem Einheitsgott, der in der menschlichen Seele auferweckt werden kann, der in der menschlichen Seele auferstehen kann. [16] (Weiteres siehe: Biblische Schöpfungsgeschichte).

Zitate:

[1]  GA 104, Seite 184   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[2]  GA 108, Seite 310   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[3]  GA 109, Seite 16   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[4]  GA 123, Seite 42ff   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[5]  GA 123, Seite 45   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[6]  GA 123, Seite 49   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[7]  GA 123, Seite 50f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[8]  GA 13, Seite 291   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[9]  GA 60, Seite 421f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[10]  GA 60, Seite 423ff   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[11]  GA 60, Seite 426f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[12]  GA 109, Seite 163   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[13]  GA 60, Seite 427   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[14]  GA 60, Seite 429f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[15]  GA 60, Seite 434f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[16]  GA 118, Seite 118   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 108:  Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie (1908/1909)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 118:  Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt (1910)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)