Sprache

Das «Wort» ist nach zwei Richtungen der Gefahr ausgesetzt, die aus der Entwickelung der Bewußtseinsseele kommen kann. Es dient der Verständigung im sozialen Leben, und es dient der Mitteilung des logisch-intellektuell Erkannten. Nach beiden Seiten hin verliert das «Wort» seine Eigengeltung. Es muß sich dem «Sinn» anpassen, den es ausdrücken soll. Es muß vergessen lassen, wie im Ton, im Laut, und in der Lautgestaltung selbst eine Wirklichkeit liegt. Die Schönheit, das Leuchtende des Vokals, das Charakteristische des Konsonanten verliert sich aus der Sprache. Der Vokal wird seelen-, der Konsonant geistlos. Und so tritt die Sprache aus der Sphäre ganz heraus, aus der sie stammt, aus der Sphäre des Geistigen. Sie wird Dienerin des intellektuell-erkenntnismäßigen, und des geist-fliehenden sozialen Lebens. Sie wird aus dem Gebiet der Kunst ganz herausgerissen. Wahre Geistanschauung fällt ganz wie instinktiv in das «Erleben des Wortes». Sie lernt auf das seelengetragene Ertönen des Vokals und das geistdurchkraftete Malen des Konsonanten hin-empfinden. Sie bekommt Verständnis für das Geheimnis der Sprach-Entwickelung. Dieses Geheimnis besteht darin, daß einst durch das Wort göttlich-geistige Wesen zu der Menschenseele haben sprechen können, während jetzt dieses Wort nur der Verständigung in der physischen Welt dient. [1]

In der Sprache haben wir wirklich nicht bloß das gegeben, was die moderne materialistische Wissenschaft glaubt, sondern wir haben in der Sprache etwas gegeben, was vielfach zusammenhängt mit dem nicht vollbewußten menschlichen Erleben, was sich vielfach ereignet in den unterbewußten menschlichen Regionen, was daher auch durchdrungen ist von geistigen Wesenheiten. Geistige Wesenheiten leben in der Sprache des Menschen darinnen, wirken darinnen, und indem der Mensch Worte formt, Worte bildet, drängen sich in seine Worte hinein elementarische Wesenheiten durch die Räume, in welchen sich die Menschen miteinander unterhalten. Daher ist es so wichtig, daß man achtet auf gewisse Intimitäten der Sprache, und daß man sich nicht einfach der Willkür des Leidenschaftslebens überläßt, wenn man spricht. [2] Das, was wir in der Sprache wahrnehmen, ist die Spiegelung des Lebens höherer Wesen aus einer höheren Welt, die Spiegelung ihrer inneren Entwickelung in der Welt, in welcher wir uns befinden in der Zeit zwischen Geburt und Tod. [3]

Das, worin heute der Mensch noch nicht so selbständig ist (wie in den Handlungen), sondern noch ein anderer Geist mitwirkt, das ist die Rede. Damit machen wir Eindrücke in einer Welt, hinter der nicht nur das Physische, sondern das Leben steht. In der Welt des Lebens bleiben die Imaginationen von dem zurück, wovon wir sprechen, bildende Kräfte, die neue Rassen schaffen. [4]

Wenn Sie Luft spüren, dann müssen Sie sich klar sein, daß diese ein den physischen Körper ganz umgebendes Geistiges ist, und daß Sie mit jedem Atemzug nicht nur physische Luft einatmen, sondern Geist einatmen. Der Geist, der in der Luft seinen Körper hat, ist es, der es den Menschen möglich gemacht hat, zur Sprache zu kommen. Denn diejenige Einrichtung des menschlichen Organismus, welche seinen jetzigen Atmungsprozeß möglich macht, die macht auch die Sprache möglich. In der atlantischen Zeit entwickelte sich die Sprache, und der höchste Ausdruck der Sprache war dasjenige, was schon am Ende der atlantischen Zeit das «Ich» aussprechen lernte. Das ist ein Prozeß, der in der lemurischen Zeit beginnt und gegen das Ende der atlantischen Zeit allmählich seine Vollkommenheit erreicht. [5]

Der Gedanke lebt im Atem. Der Gedanke ist eine Kraft, die auf die Atemluft wirken kann. Wir können diejenigen Willensimpulse, die in der Sprache sich ausleben, durchaus verfolgen, wenn wir mit der Imagination hineinschauen in das ganze Weben und Walten desjenigen, was als Seelisches den physischen Leib und den Ätherleib durchzieht. [6]

Wenn der Mensch singt oder spricht, dann kommt im Tone und in der Vokalisierung eigentlich immer ein Spektrum des ganzen Menschen zum Vorschein. Das, was man hört, ist der Ton, ist der Vokal. Dasjenige, was aber alles zum Vorschein kommt für das hellseherische Bewußtsein, das ist im Grunde genommen ein ganzer Mensch, der ganze Mensch in einer Bewegungsform. [7] (Siehe auch: Eurythmie).

Wie würde der Mensch denken, und wie würde er sprechen und das Gesprochene hören, wenn nur die Geister der Form (die biblischen Elohim) und ihre Diener die Erde schaffen und leiten würden. Wenn dies der Fall wäre, wenn kein luziferischer und ahrimanischer Einfluß in der Erdentwickelung sich zur Geltung gebracht hätten, so würde von vornherein in dieser Erdentwickelung ein völliger Einklang gewesen sein zwischen dem Sprechen und dem Denken. Wir müssen diesen Einklang erst wiederum durch eine gewisse Objektivität suchen. [8] Wären nur die luziferischen Angeloi gekommen, so wäre zwar der Einheitswahn (der Internationalität der Begriffswelt, der über die ganze Erde hinüberreichenden einheitlichen Dogmatik) über die Erde gekommen; aber es würden sich die einzelnen Sprachen so entwickelt haben, daß man, wenn man nur in seinem Gemüte den Einheitswahn überwindet, noch empfinden könnte in den verschiedenen Sprachen das, was in ihnen liegt. Aber nachdem einmal die Vorstellungswelt losgerissen war von den luziferischen Angeloi, war es dann den ahrimanischen Archangeloi leicht, die Sprache noch um eine Stufe hinunterzutreiben; so daß dann keine Möglichkeit mehr war, die Sprache so zu entwickeln, daß in ihr die Empfindung für die unmittelbare Vorstellung geblieben wäre. [9]

Dadurch, daß wir nach und nach die Sprache zum Zeichen machen müssen, dadurch wird das luziferisch-ahrimanische Element überwunden werden. Wäre es aber gar nicht gekommen, so wäre ein inniger Einklang zwischen Sprechen und Denken in der Menschheit zur Entfaltung gekommen; das heißt, es wäre so gekommen, daß der Mensch eine Wahrnehmung, eine lebendige Empfindung haben würde für das, was im Sprachlaut liegt, für das, was im D, T, Th und so weiter liegt, was er ja heute nicht hat. Das Einseitige des Denkens, das ganz und gar nicht in dem Sprechen zum Ausdruck kommt, das müssen wir ins Auge fassen; denn es ist etwas, das vom Sprechen schon abgezweigt ist. Das hätte mit dem Sprechen in einem viel innigeren Zusammenhang erscheinen müssen, wenn keine ahrimanisch-luziferischen Wirkungen in das Erdendasein eingegriffen hätten. Die Menschen würden mit ihren innersten Lebensempfindungen durchdringen das Sprachliche, sie würden sozusagen in dem Laut drinnenstehen, aber im Laut drinnen zu gleicher Zeit den Begriff, die Vorstellung erleben; beides nicht getrennt empfinden, sondern beides als eines empfinden. So haben es die Geister der Form, die Exusiai für den Menschen veranlagt gehabt. [10] Und es hätten nach den Intentionen der Geister der Form die Menschen sich nicht unterscheiden sollen nach Sprach-Charakteren auf der Erde, sondern der Unterschied der Nationen war von den Geistern der Form so gedacht, daß er sich nur gründen sollte auf Natur-Untergrundlagen, auf geographische und klimatische Verschiedenheit. Der Mensch sollte sich als Nation fühlen dadurch, daß er sich im Zusammenhang gefühlt hätte mit gewissen, wie selbstverständlich in den Natur-Untergrundlagen seines Daseins wirkenden Mächten. Dagegen wäre es, wenn die Intentionen der Geister der Form allein ausgeführt worden wären, dem Menschen möglich geworden zu verstehen von vornherein, was in dem Worte liegt. Verschiedene Sprachen würde es schon gegeben haben. Aber nicht wären die Menschen in bezug auf das Verständnis der Sprachen verschieden gewesen; sondern im Empfinden dessen, was in dem einzelnen Laut, in dem einzelnen Buchstaben liegt, hätte zwar der Mensch die andere Sprache gehört, aber er hätte nicht gehört das Ausgehülste des Lautes, des Wortes; in dem Wort, in dem Laut drinnen hätte er die Vorstellung gehört, auf den Flügeln des Wortes wäre ihm die Vorstellung gekommen. Man versteht jetzt die fremde Sprache aus dem Grunde nicht, weil in dem Worte ja die Vorstellungen gar nicht drinnen liegen, weil die Worte enthülst sind von den Vorstellungen. [11]

Beim Gehörsinn ist beteiligt der Ätherleib des Menschen. Dieser Ätherleib, so wie der Mensch ihn heute hat, ist aber außerstande, in Wahrheit etwas abzugeben, ohne dauernden Verlust für uns, wie das der Empfindungsleib noch kann. Der Ätherleib ist schon so geformt seit der atlantischen Zeit, daß er nichts mehr abgeben kann, denn solches müßte dann der Mensch in seiner Lebenskraft entbehren. Es muß also auf einem anderen Wege geschehen, wenn eine Gehörwirkung zustande kommen soll. Hier kann der Mensch also nichts mehr abgeben. Aus sich heraus kann der Mensch keinen höheren Sinn entwickeln, als es der Wärmesinn ist. Würde hier nicht etwas, das der Mensch selber nicht hat, in den Menschen eintreten, so könnte kein Hörsinn zustande kommen. Der Mensch muß deshalb durchsetzt werden von Wesenheiten, die ihn wie einen Schwamm durchdringen. Es sind dies die Wesen, welche wir Angeloi nennen, die in der Vergangenheit schon die Menschheitsstufe durchgemacht haben. Sie schicken ihre Astralsubstanz in uns Menschen hinein als eine fremde Astralsubstanz, welche sich der Mensch aneignet und in sich wirken und ausströmen läßt. Sie strömt durch die Ohren dem entgegen, was uns durch den Ton zugetragen wird. Gleichsam auf den Flügeln dieser Wesenheiten schreiten wir in jenes Innere hinein, das wir als die Seele der Dinge erkennen lernen. Nun gibt es noch einen höheren Sinn, nämlich den Sprach- oder Wort- oder Lautsinn. Wo dieser in Betracht kommt, hat der Mensch wiederum nichts, das er von sich aus abgeben könnte. Hier müssen deshalb Wesenheiten eingreifen, welche ihrer Substanz nach ähnlich sind mit dem, woraus der menschliche Ätherleib besteht. Sie haben natürlich auch die entsprechende astralische Substanz; diese wird aber hierbei in die Umwelt hinausgedrängt. Sie müssen in den Menschen eintreten, sie geben ihren Ätherleib und diese Kraft kann dann der Mensch wiederum in die Umgebung ausströmen lassen. Es sind dies die Archangeloi. Sie bewirken, daß der Mensch den Laut nicht nur hören kann, sondern ihn auch verstehend zu erleben vermag. Diese Wesen sind nichts anderes, als was man auch etwa die Volksgeister nennt. Während beim Gehörsinn die Angeloi ihre Arbeit äußerlich ausdrücken durch Luftwirkungen, dadurch, daß sie die Luft im Ohre behandeln, stellen die Archangeloi dem, was in der Luft draußen geschieht, andere Wirkungen entgegen. Durch sie werden Säftewirkungen hervorgerufen in einer wäßrigen Substanz. Durch das, was sie bewirken, wird der Säfteumlauf in eine gewisse Richtung gebracht. Daß zum Beispiel der Mensch im A den entsprechenden Sinn des Lautes wahrnimmt, bewirken auch die feineren Säfte. Der äußere Ausdruck für diese Arbeit liegt darin, daß die Volksphysiognomien geformt werden. Daher können wir sagen, daß die Säfte in einem Menschen anders fließen und der ganze Organismus anders wirkt, je nachdem jenes Archangeloiwesen dem Volke, dem es zugehört, dieses oder jenes als Lautsinn beibringt. [12] Wenn beispielsweise ein Volk «Aham» – Ich im Sanskrit – sagt für Ich, was immer es auch sonst noch für Theorien über das menschliche Ich haben möge, so spielen diese keine Rolle, aber die zwei A hintereinander geben eine ursprüngliche Organisation, und der Angehörige dieses Volkes muß eine solche Empfindung vom Ich haben, wie sie diesen zwei aufeinanderfolgenden A entspricht. Wenn ein Volk I mit ch verbindet, so tritt eine ganz andere Wirkung ein. Ein solches Volk muß eine andere Vorstellung vom Ich haben. Es handelt sich dabei um die Wirkung von Geistern, die in der Hierarchienreihe auf der Stufe der Archangeloi stehen und die den Menschen durchdringen mit dem, was Lautsinn ist und seine wäßrige Substanz durchbeben. Es gehört auch zu den größten Erlebnissen für den zum Übersinnlichen aufsteigenden Menschen, wenn er anfängt zu fühlen, was für ein Unterschied in der gestaltenden Kraft der Laute liegt. Dann kann auch gefühlt werden, was für eine Bedeutung darin liegt, wenn sich jemand gedrängt fühlt, irgendein Wesen zu bezeichnen mit dem Namen «Eva». Will der Betreffende etwas anderes ausdrücken, das sich dazu verhält wie das Geistige zum Sinnlichen, so könnte er das Spiegelbild davon anwenden und bekäme so «Ave» als eine Silbenfolge für den Gruß an Maria. Dies erzeugt ein gegenteiliges Gefühl im menschlichen Organismus, als wenn er «Eva» spricht. Noch eine andere Umkehrung von «Eva» wäre mit dem J davor das Wort «Jahve», als Bezeichnung für Gott im Alten Testament. Alle Beziehungen zwischen Jahve und Eva kann der, welcher in den Laut eindringt, erkennen, wenn er zu höheren Erkenntnissen fortschreitet. Die Sprache ist nicht in Willkür zustande gekommen; sie ist ein geistiges Produkt. Um sie in ihrem Geist wahrzunehmen, haben wir den Lautsinn. [13]

An der Entwickelung des Gedächtnisses hing nun auch diejenige der Sprache. Solange der Mensch das Vergangene nicht bewahrte, konnte auch eine Mitteilung des Erlebten durch die Sprache nicht stattfinden. Und weil in der letzten lemurischen Zeit die ersten Ansätze zu einem Gedächtnisse stattfanden, so konnte damals auch die Fähigkeit ihren Anfang nehmen, das Gesehene und Gehörte zu benennen. Nur Menschen, die ein Erinnerungsvermögen haben, können mit einem Namen, der einem Dinge beigelegt ist, etwas anfangen. Die atlantische Zeit ist daher auch diejenige, in welcher die Sprache ihre Entwickelung fand. Und mit der Sprache war ein Band hervorgebracht zwischen der menschlichen Seele und den Dingen außer dem Menschen. Dieser erzeugte das Lautwort in seinem Innern; und dieses Lautwort gehörte zu den Gegenständen der Außenwelt. Und auch ein neues Band entsteht zwischen Mensch und Mensch durch die Mitteilung auf dem Wege der Sprache. Nun hatten die Kräfte in den Seelen dieser ersten Atlantier noch etwas Naturkräftiges. Diese Menschen waren gewissermaßen noch verwandter den sie umgebenden Naturwesen als ihre Nachfolger. So war auch das Lautwort, das sie hervorbrachten, etwas Naturgewaltiges. Sie benannten nicht bloß die Dinge, sondern in ihren Worten lag eine Macht über die Dinge und auch über ihre Mitmenschen. Wenn der erste Atlantier ein Wort aussprach, so entwickelte dieses Wort eine ähnliche Macht wie der Gegenstand selbst, den er bezeichnete. Darauf beruhte es, daß Worte in dieser Zeit heilkräftig waren, daß sie das Wachstum der Pflanzen fördern, die Wut der Tiere zähmen konnten, und was ähnliche Wirkungen mehr sind. All das nahm an Kraft bei den späteren Unterrassen der Atlantier immer mehr und mehr ab. Man könnte sagen, die naturwüchsige Kraftfülle verlor sich allmählich. Die ersten Atlantier empfanden diese Kraftfülle durchaus als eine Gabe der mächtigen Natur; und dieses ihr Verhältnis zur Natur trug einen religiösen Charakter. Insbesondere die Sprache hatte für sie etwas Heiliges. Und der Mißbrauch gewisser Laute, denen eine bedeutende Kraft innewohnte, ist etwas Unmögliches gewesen. Jeder Mensch fühlte, daß solcher Mißbrauch ihm einen gewaltigen Schaden bringen müßte. Der Zauber derartiger Worte hätte in sein Gegenteil umgeschlagen; was, in richtiger Art gebraucht, Segen gestiftet hätte, wäre, frevelhaft angewendet, dem Urheber zum Verderben geworden. In einer gewissen Unschuld des Gefühles schrieben die ersten Atlantier weniger sich selbst, als vielmehr der in ihnen wirkenden göttlichen Natur ihre Macht zu. [14]

Man kann das heute nicht mehr, den Worten ist ihr alter suggestiver Wert, ihre Kraft genommen. Es floß menschliche Gemeinsamkeitskraft von Seele zu Seele in alten Zeiten, indem die Menschen miteinander sprachen. So wie wir, wenn wir in einem Saale beisammen sind, die gemeinsame Luft einatmen, so lebte in dem, was die Menschen miteinander sprachen, eine geistige, eine spirituelle Kraft des Gemeinsamen in alten Zeiten. In der fortschreitenden Evolution der Menschheit ist das verlorengegangen. Das Wort ist immer entgöttlichter geworden.

Solche Wortformeln (siehe auch: Mantren), die eine über das Gewöhnliche weit hinausgehende Wirkung hatten, wurden in den Mysterien überliefert. Jetzt können Sie begreifen, daß sie nicht verraten werden durften, weil dadurch, daß der Mensch diese Formeln kannte, ihm eine hohe Macht gegeben war über die anderen Menschen, die nicht mißbraucht werden durfte. Es ist eine absolut reale Wahrheit, daß, wenn der alte hebräische Tempelpriester dasjenige ausgesprochen hat, was man im gewöhnlichen Leben das Wort nannte, was aber eben eine gewisse Lautzusammensetzung hatte, dann, wenn er es aussprach in der richtigen Weise – weil es in jenen alten Zeiten so war, daß in jener Lautzusammensetzung die Kraft lag –, bei den Menschen, zu denen er sprach, tatsächlich das eintrat, daß um sie eine andere Welt war, geistig, aber diese Geistigkeit war wirklich. [15]

Die alten Menschen lernten aus ihren Worten denken, und es gab in alten Zeiten keine anderen Gedanken als die, die aus den Worten kamen. [16] Erst dann wird der Mensch die verschiedenen Geheimnisse der Sprache erkennen, wenn die Sprache auf ihren Ursprung zurückgeführt werden wird, wenn sie nämlich selber auf das imaginative Erkennen zurückgeführt wird. Wenn der Ton erfaßt wird von der Imagination, sich in sie hineinergießt, um sie als eine Hülle auszufüllen, dann wird der Laut daraus, der wirkliche Laut. [17]

Wenn wir in ganz alte Zeiten der Menschheit zurückgehen, dann finden wir, daß der Wille intensiv bei der Wortbildung beteiligt ist. Wenn wir nun in diese ganz alten Zeiten zurückgehen, in denen die Menschen ihr Willensverhältnis in der Sprache zum Ausdruck brachten, also in die letzten Zeiten der atlantischen Entwickelung, da war die Sprache oder das, was in der Sprache als Wesen aus der Hierarchie der Archangeloi lebte, etwas anderes, als was später in dieser Beziehung vorhanden war. In jener alten Zeit waren die Worte durchaus Ausdrücke für die menschlichen Reaktionsvorgänge, für das, was sich der Mensch veranlaßt sah zu tun unter dem Einflusse der Welt. Willensausdrücke waren fast die einzigen Ausdrücke, die die urältesten Sprachen während der menschlichen Erdent-wickelung hatten. Das kam davon her, daß die Archangeloi zu der Sprache auf dem Wege der Intuition kamen. Die Archangeloi gaben sich, solange die sprachbildende Kraft bei ihnen auf der Intuition beruhte, der nächsthöheren Hierarchie hin, den Kyriotetes, Dynamis, Exusiai. Da standen sie darinnen. Und aus dem, was sie erlebten durch ihr intuitives Darinstehen in dieser Hierarchie, konnten sie dem Erdenleben die sprachbildende Kraft einflößen. In der nächsten Epoche schritten die Archangeloi so vorwärts, daß ihre sprachbildende Kraft aus der Inspiration floß. Sie lauschten jetzt auf die Inspirationen der ersten Hierarchie, der Throne, Cherubim, Seraphim, und aus dieser Inspiration heraus flößten sie dem Erdenleben die sprachbildende Kraft ein. [18] Wenn wir in die ersten Zeiten der nachatlantischen Entwickelung selbst noch bis ins Ägyptertum und Chaldäertum zurückgehen, so finden wir überall, wie der Quell, aus dem heraus die Archangeloi schöpfen, um dem Menschen die Sprache zu vermitteln, die Inspiration ist. Da wird die Sprache so – sie macht eine Metamorphose durch –, daß vor allen Dingen die Worte Ausdruck werden für menschliche Gefühle und Empfindungen überhaupt. An die Stelle der alten Willenssprache tritt eine Gefühlssprache. Und es ist vorzugsweise jener Zustand vorhanden, wo gefühlt wird an dem äußeren Vorgang oder dem äußeren Wesen dasjenige, was auch gefühlt wird, wenn aus den Tiefen der Menschenwesenheit durch die Sprachorgane die zum Wort artikulierten Laute kamen. [19] Bis ins Griechentum herein hat die Gefühlssprache geherrscht zum Beispiel unter den Philosophen bis zu Plato. Der erste philosophische Philister ist der große universelle Geist Aristoteles. Dann kommen wir an die Zeitepoche heran, wo die Archangeloi, indem sie dem Menschen die Sprache vermitteln, nicht mehr der Inspiration unterliegen, sondern der Imagination. Und die Sprache wird zur Gedankensprache. Die Menschen sprechen immer mehr und mehr aus den Gedanken heraus, die Sprache kommt gewissermaßen an das abstrakte Element des Menschen heran. Dem liegt etwas sehr Bedeutsames zugrunde. Die Intuitionen haben die Archangeloi empfangen von der 2. Hierarchie, die Inspirationen von der 1. Hierarchie, die Imaginationen – ja, da gibt es zunächst keine Hierarchie über die erste hinaus. Daher haben gewisse Archangeloiwesen dazu greifen müssen, nun die Imaginationen, das heißt, die Bilder der sprachbildenden Kraft – denn das sind die Imaginationen – aus der Vergangenheit herzuholen, also Früheres fortzusetzen. Es hörte die unmittelbare quellende Kraft, Sprache zu bilden, auf. In die Sprache kam ein ahrimanisches Element herein. Und dieses, was da die Archangeloi über sich im Oberen fühlten, das drückte sich in der Menschheit dadurch aus, daß die Sprache immer mehr und mehr sich abschliff, ablähmte, nicht mehr als etwas so Lebendiges vorhanden war wie in früheren Zeiten. Bedenken Sie, was für ein ungeheuer Bedeutsames sich in dieser Tatsache ausspricht. In das Menschenleben kommt etwas herein, was eigentlich eine höhere Hierarchie brauchte, als die erste Hierarchie ist. Man muß dieses nur in seiner ungeheuer umfassenden Bedeutung fühlen, und man wird darauf hingewiesen, wie eine Zeit herangekommen war, in der Götter über dasjenige hinauswachsen mußten, was in der ersten Hierarchie enthalten war. [20]

Was sich auf der Erde abgespielt hat, und was im menschlichen Gemüt als eine Erkenntnis von dem Ereignis von Golgatha auftritt, das ist das Abbild von etwas ungeheuer viel Umfassenderem, Großartigerem, Gewaltigerem, Erhabenerem, das sich abgespielt hat in den Götterwelten selber. Und des Christus Durchgang durch den Tod auf Golgatha ist ein Ereignis, durch das die 1. Hierarchie in ein höheres Gebiet hinaufreichte. Daher mußte ich Ihnen immer sagen: Die Trinität liegt eigentlich über den Hierarchien. Aber dazu ist sie erst im Laufe der Entwickelung gekommen. Und deshalb hängt mit dem Ereignis von Golgatha unter vielem anderen auch das zusammen, daß, wenn die Menschen nach und nach immer mehr und mehr den Christus-Impuls aufnehmen, sie durch den Christus-Impuls wiederum den lebendigen Sprachquell erhalten. Eine Belebung des Sprachschöpferischen im Menschenwesen kann nur dadurch eintreten, daß die Menschen immer mehr den Christus-Impuls als ein Lebendiges wieder ergreifen, damit der Christus-Impuls gerade das Sprachschöpferische werde. [21]

Stellen wir uns nur vor, daß, indem der Mensch eine Erhöhung durchmacht, diese Erhöhung des Menschen auch eine Erhöhung der höheren Hierarchien ausmacht. Seien wir uns klar darüber, daß die Imaginationen der Archangeloi gegenwärtig lebendige Imaginationen werden, wenn die Archangeloi immer mehr hineinbekommen von dem Christus, der seinen Wohnplatz in den Herzen der Menschen auf der Erde gefunden haben wird, der als einen Impuls in die Imaginationen der Archangeloi einzieht. [22]

Zu dem, wozu der Mensch von vorneherein veranlagt ist, gehört die Sprache nicht. Die Erwerbung der Sprache hängt davon ab, daß das Ich unter anderen Menschen-Ichen weilt. Wenn der Mensch (alleine) auf eine ferne Insel verpflanzt wird, lernt er nicht sprechen. [23]

Und jetzt fassen wir einmal unseren heutigen Menschen auf: Wodurch ist denn der Mensch für die Geisteswissenschaft so geworden, wie er heute ist? Wodurch hat er denn die bestimmte Gestalt, die ihn ja doch unterscheidet von allen übrigen Lebewesen in seiner Umgebung; was macht ihn denn eigentlich zum Menschen? Die Sprache, die in Lauten zum Vorschein kommt, das macht ihn zum Menschen. Das Lauthafte schafft aus der tierischen Gestalt die menschliche Gestalt. [24]

Das mythische, bildliche Ausdrücken ist entwertet worden. Die Menschen empfinden bei der Imagination nicht, daß hinter ihr etwas steckt. Dieser Prozeß wird sich im Laufe des 5. nachatlantischen Kulturzeitraumes, insbesondere bei der englisch sprechenden Bevölkerung, auf die Sprache selbst ausdehnen. Nicht nur, daß die Bilder als Ausdrucksmittel entwertet wurden, sondern das Wort als solches wird entwertet. Wie man heute vom materialistischen Bewußtsein aus das Bild bekämpft, so wird man in Zukunft das Wort bekämpfen. Man wird sagen, das Wort sei nicht geeignet, durch sich selbst überhaupt etwas Wahres auszudrücken. [25] Die Menschen haben früher durch den Sprachgenius viel gelernt und sie dachten eigentlich nicht selbst sehr viel, sie ließen die Sprache für sich denken. Heute kommt der Mensch nur weiter, wenn er sich mit seinem Denken und Empfinden von der Sprache emanzipieren kann. Die Sprache läuft gewissermaßen heute wie ein Mechanismus, in dem wir drinnenstehen, und statt unser lebt eigentlich immer mehr und mehr der Ahriman in der Sprachentwickelung drinnen. Ahriman redet eigentlich heute, wenn die Menschen reden. Und die Menschen müssen sich nach und nach gewöhnen, aus ganz anderem heraus sich zu verstehen als aus dem bloßen Wortlaut der Sprachen. Man muß viel tiefer drinnenstehen im Leben, um heute den anderen Menschen zu verstehen, als in dem Zeitalter, wo auf den Flügeln der Sprache noch das erhalten war, was die Menschen miteinander ausgetauscht hatten.196.80 Im Osten ist der Mensch mit seiner Sprache aber ganz verwachsen. Da lebt das Geistig-Seelische, lebt in der Sprache. Der Mensch des Westens lebt ja in seiner Sprache wie in einem Kleide; der Mensch des Ostens lebt in seiner Sprache wie in sich selbst. Daher konnte der Mensch des Westens die naturwissenschaftliche Lebensauffassung annehmen, hineingießen in seine Sprache, die ja nur ein Gefäß ist. Im Orient wird die naturwissenschaftliche Weltanschauung des Westens niemals Fuß fassen, denn sie kann gar nicht untertauchen in die Sprachen des Orients. [26] Je weiter wir nach Osten kommen, desto reicher ist die Sprache, je weiter nach Westen desto ärmer. Amerika ist darum am ärmsten; es hat den geringsten Wortschatz in seiner Sprache.

Die Gebete der alten Sprachen verlieren ihre alte Kraft, wenn sie in neuere Sprachen übertragen werden. In den lateinischen Worten des Pater noster liegt viel mehr Kraft als im Vaterunser. Die Sprache des alten Vaterunser ist die aramäische. Wer es sprach in der aramäischen Sprache, hat Zauberkraft empfunden. [27] Wenn das Kind griechisch spricht, so spricht es eigentlich nur mit dem Kehlkopf und der Brust; wenn es lateinisch spricht, so tönt immer etwas mit vom ganzen Menschen. Das Französische ist dem Lateinischen sehr ähnlich. Wenn es englisch spricht, spuckt es die Buchstaben fast aus; da ist die Brust weniger daran beteiligt als beim Französischsprechen, da wird viel, viel abgeworfen. Das Wort erstirbt gegen sein Ende hin gerade in der englischen Sprache. [28]

Wir haben uns in einer gewissen Weise von dem inneren Gehalt der Sprache – das ist eine charakteristische soziale Erscheinung der Gegenwart –, wir haben uns von dem Inhalt der Sprache so weit entfernt, daß wir mit denselben Worten und Satzfügungen das eine und auch das Gegenteil, das andere, aussagen können. [29]

Zitate:

[1]  GA 28, Seite 438f   (Ausgabe 1962, 520 Seiten)
[2]  GA 275, Seite 32   (Ausgabe 1980, 182 Seiten)
[3]  GA 162, Seite 132   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[4]  GA 93a, Seite 133   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[5]  GA 96, Seite 280ff   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[6]  GA 82, Seite 129   (Ausgabe 1994, 264 Seiten)
[7]  GA 161, Seite 16   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[8]  GA 162, Seite 135   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[9]  GA 162, Seite 148   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[10]  GA 162, Seite 135f   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[11]  GA 162, Seite 137   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[12]  GA 115, Seite 45ff   (Ausgabe 1965, 318 Seiten)
[13]  GA 115, Seite 47f   (Ausgabe 1965, 318 Seiten)
[14]  GA 11, Seite 34ff   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[15]  GA 172, Seite 189   (Ausgabe 1964, 240 Seiten)
[16]  GA 171, Seite 190   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[17]  GA 127, Seite 215   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[18]  GA 224, Seite 176ff   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[19]  GA 224, Seite 178f   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[20]  GA 224, Seite 181f   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[21]  GA 224, Seite 183f   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[22]  GA 224, Seite 185   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[23]  GA 127, Seite 94   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[24]  GA 122, Seite 59   (Ausgabe 1961, 200 Seiten)
[25]  GA 181, Seite 213   (Ausgabe 1967, 480 Seiten)
[26]  GA 200, Seite 59   (Ausgabe 1970, 154 Seiten)
[27]  GA 97, Seite 99   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[28]  GA 294, Seite 182   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[29]  GA 192, Seite 277   (Ausgabe 1964, 403 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 28:  Mein Lebensgang (1923-1925)
GA 82:  Damit der Mensch ganz Mensch werde. Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart (1922)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 115:  Anthroposophie – Psychosophie – Pneumatosophie (1909/1911)
GA 122:  Die Geheimnisse der biblischen Schöpfungsgeschichte. Das Sechstagewerk im 1. Buch Moses (1910)
GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 172:  Das Karma des Berufes des Menschen in Anknüpfung an Goethes Leben (1916)
GA 181:  Erdensterben und Weltenleben. Anthroposophische Lebensgaben. Bewußtseins-Notwendigkeiten für Gegenwart und Zukunft (1918)
GA 192:  Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen (1919)
GA 200:  Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts (1920)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)
GA 275:  Kunst im Lichte der Mysterienweisheit (1914/1915)
GA 294:  Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (1919)