Eurythmie

Man muß schon zurückgehen sehr weit, bis zum alten Chinesischen, wenn man in das eurythmisierende Meditieren hineinkommen will. [1]

Die Eurythmie kommt aus den alten griechischen Mysterien. [2] Die Eurythmie ist so, daß sie im physischen Leib das ausführen läßt, was sonst nur der Ätherleib des Menschen ausführt. [3] Was da als eurythmische Kunst auftritt, was also auf der Grundlage einer sichtbaren Sprache erreicht ist, das ist nicht ein gewöhnliches Gebärdenspiel, auch nichts im gewöhnlichen Sinne Mimisches und am allerwenigsten eine Tanzkunst, sondern es ist wirklich sorgfältig studiert dasjenige, was der menschliche Organismus ausführen will, auszuführen tendiert, indem er in der Lautsprache oder dem Gesang sich offenbart. Was der Kehlkopf und die anderen Sprach- und Gesangsorgane an Bewegungen veranlagen, das ist übergeführt nach dem Prinzip der Goetheschen Metamorphose auf den ganzen Menschen, und weil man es zu tun hat mit Bewegungen des Menschen, die auf so naturgemäße elementarische Art aus dem Wesen der menschlichen Organisation selbst herausgeholt sind, wie die Sprache herausgeholt ist naturgemäß, elementarisch aus der Gesetzmäßigkeit des menschlichen Organismus, deshalb ist auch Eurythmie ein Erziehungs-, ein Unterrichtsmittel. Für denjenigen, der mit wirklich intuitiver Anschauung sich zu versetzen weiß in die Gesetzmäßigkeit des menschlichen Organismus, wie für den in der ruhenden menschlichen Form schon jede mögliche Bewegung, zu der der Körper hintendiert, liegt. Wer so schauen kann, der sieht in dem ruhenden Menschen, wie dieser immerfort übergehen will im Organismus in Bewegungen, die schon ihrer Formung nach in der gestaltenden oder in der ruhigen Gestalt ausgedrückt liegen. Man bringt nur die menschliche Gestalt selbst in Bewegung, indem man so übergeht von dem Anschauen der Plastik des menschlichen Organismus zu dieser bewegten Plastik der Eurythmie, die zu gleicher Zeit eine sichtbare Sprache ist. [4]

Und wie der Laut, oder auch beim Singen der Ton, aus dem menschlichen Inneren gesetzmäßig herausquillt, so soll auch dasjenige aus dem menschlichen Inneren, aus dem Inneren der menschlichen Organisation kommen, was als eurythmische Kunst auftritt. Da handelt es sich darum, daß, wie gesagt, in sinnlich-übersinnlichem Schauen sorgfältig studiert werden muß, welche Bewegungsanlagen oder Bewegungstendenzen in den menschlichen Sprach- oder Sing-Organen sich ansetzen, wenn der Mensch sich zum Singen oder Sprechen anschickt. Ich sage ausdrücklich: Bewegungstendenzen, denn dasjenige, was ich damit meine, wird ja nicht eine wirkliche Bewegung, sondern man kann das, was da zu Grunde liegt, eigentlich nur im Entstehen beobachten, gewissermaßen im Status nascendi, denn dasjenige, was als Bewegung sich in den Sing- und Sprechorganen bilden will, das wird ja schon durch den sich betätigenden singenden oder sprechenden Menschen in der Entstehung aufgehalten und umgesetzt in diejenigen Bewegungen, die dann den Ton oder den Laut darstellen können, so daß man dasjenige, was sich in einzelnen Organ-Systemen, in dem Sing- oder Sprech-System beim Menschen an Bewegungsmöglichkeiten ergibt, übertragen nach dem Prinzip der Goetheschen Metamorphosenlehre. [5]

Der Ätherleib des Menschen hat seine bestimmte Gliederung, und eine Teilgliederung entspricht dem Kehlkopf und was damit zusammenhängt. In ganz bestimmte, gesetzmäßige Bewegungen kommt der Ätherleib des Kehlkopfes und was dazu gehört, Zunge, Gaumen und so weiter, beim Sprechen, so daß man dieses Glied des Ätherleibes in bestimmten Bewegungen sieht, wenn der Mensch spricht. Nun kann alles, was an einem Teile zum Ausdruck kommt, auch durch den ganzen Menschen ausgedrückt werden. Das andere kann zurückgehalten werden, und die Gesamtkraft, welche der Mensch beim Sprechen aufbringt, kann besonders zum Ausdruck gebracht werden. In Bewegungen des ganzen Menschen kann man jene Bewegungen ausdrücken, die diesem Gliede des Ätherleibes zugrunde liegen. Das wurde bei der Eurythmie getan. Dazu kommt aber noch, außer den Kehlkopfbewegungen und so weiter, was Wirkungen in der Lunge und in den anderen Organen sind. Das wirkt fein mit, gibt Timbre, Grundton, Gefühlsinhalt der Sprache. Das sind zurückgehaltene Bewegungen. Das geschieht durch das ganze Bewegen des Eurythmisten, eines einzelnen oder auch einer Gruppe, eines Chores. In Gruppenbewegungen lösen wir auf, was sonst zurückgehaltene Bewegungen sind. Das liegt zunächst der Eurythmie zugrunde. [6]

In unserer geistig-spirituellen Umgebung liegt schon von demjenigen, was wir später aufnehmen werden, auch der Lebensgeist, Buddhi. Dieser wird einmal eingesenkt werden in das Geistselbst, Manas. Man kann ahnen, daß es einmal in großer Vollkommenheit eine Kunst geben wird, welche gewissermaßen über die Dichtung hinausragt, etwas, was wir nur in den allerersten Andeutungen haben können: die Eurythmie. [7]

Eurythmie läuft zuletzt darauf hinaus, daß man, wenn man sie versteht, eurythmisierend, von Eurythmie ablesen kann genau ebenso ein Wort, einen Satz, wie durch die bloße Lautsprache. Sie ist entstanden dadurch, daß – wenn ich den Goetheschen Ausdruck gebrauchen darf – durch sinnlich-übersinnliches Schauen die Bewegungstendenzen des Kehlkopfes, des Gaumens, der Lippen studiert sind, und daß nach dem Goetheschen Metamorphosenprinzip die Bewegung eines Organs übertragen ist auf den ganzen Menschen. Bei Goethe herrschte die Anschauung, daß die ganze Pflanze nur ein kompliziertes Blatt sei. Wir sagen: Alles das, was der Mensch an Bewegungen nach seinem Willen vollziehen kann, ist ein Nachbilden dessen, was nicht die wirklichen Bewegungen, aber die Bewegungstendenzen sind in den Sprachorganen, so daß immer der ganze Mensch zu einem lebendig bewegten Kehlkopf wird. [8] Diese Bewegungstendenzen (des Kehlkopfes) setzen sich dann beim wirklichen Sprechen um durch die Laute, in die Zitterbewegung, in die Schwingungsbewegung der Luft. [9] Wir haben ja ein Organ, durch das der Ätherleib unmittelbar in Aktion tritt, so daß das Physische ein Abbild des Ätherischen wird. Das ist der Fall, wenn wir sprechen. Aber es wird nicht das ganze Physische, sondern die Luft ein Abbild des Ätherischen. Das tönende Wort in der Luft, die Art, wie die Luft schwingt, ist unmittelbar ein Ausdruck des Ätherischen. Wenn man dasjenige, was im Laut, im Wort lebt, nun ergreift und es auf den ganzen Ätherleib ausdehnt und dann Hände und Füße und alles am Menschen sich so bewegen läßt, wie ganz naturgemäß im Sprechen und im Gesang die Luft im Ätherleib bewegt wird, dann hat man die Eurythmie. [10]

Wenn der Mensch singt oder spricht, dann kommt im Tone und in der Vokalisierung eigentlich immer ein Spektrum des ganzen Menschen zum Vorschein. Das, was man hört, ist der Ton, ist der Vokal. Dasjenige, was aber alles zum Vorschein kommt für das hellseherische Bewußtsein, das ist im Grunde genommen ein ganzer Mensch, der ganze Mensch in einer Bewegungsform. Dadurch daß Ahriman in die Welt gekommen ist, ist der menschliche Ätherleib so verhärtet worden, daß er die Eurythmie nicht als natürliche Gabe entwickeln konnte. [11]

Die Fähigkeit des eigenen Sprechens ist dadurch zustande gekommen, daß mit unserem uns ursprünglich verliehenen Bewegungsorganismus die ahrimanische Macht während der atlantischen Zeit eine Veränderung vorgenommen hat. Die ahrimanische Macht ist es, der wir verdanken, daß wir sprechen können, daß wir die Gabe der Sprache haben. So daß wir sagen müssen: Wir sind eigentlich als Menschen wirklich ursprünglich veranlagt gewesen, anders Sprache wahrzunehmen, als wir jetzt wahrnehmen. Wir sind veranlagt gewesen, mehr oder weniger den ganzen Menschen wahrzunehmen in Gebärden und Gesten, in stummen Ausdrucksmitteln, und diese selbst mit unserem Bewegungsapparat nachzuahmen und uns so ohne die physisch hörbare Sprache zu verständigen. Viel geistiger uns zu verständigen waren wir veranlagt.

In diese mehr geistige Verständigungsart hat Ahriman eingegriffen, hat unseren Organismus spezialisiert, das Kehlkopfsystem geeignet gemacht, tönende Worte hervorzubringen. Und das, was dann übriggeblieben ist vom Kehlkopfsystem, geeignet gemacht zu haben, tönende Worte zu verstehen, das ist also eine ahrimanische Gabe. [12]

Im menschlichen Organismus beruht alles darauf, daß ein Bewußtes auf ein Unbewußtes zurückgeht. Eurythmie beruht darauf, daß der Mensch, wenn er auf die Welt kommt und sich ausleben will, ihm nicht eine Sprache als solche fehlt, sondern das Ausleben im Gebrauche der Gliederbewegungen. Das wird zurückgeschlagen, er darf es nicht tun und kann es nicht tun. Heute wird das nicht bemerkt, dieses Zurückgeschlagene, weil es schon durch die Vererbung zurückgeschlagen ist. Alles das gliedert sich ein, metamorphosiert sich um, kommt an die Luft gebunden heraus und lebt sich in die Sprache ein. Weiß man, wie das sich in die Sprache hineingelebt hat, weiß man daß das der Ursprung der Sprache ist, so gelangt man zu den Bewegungen von der Sprache zurück, umgekehrt bewußt. [13]

Indem man die Bewegungsmöglichkeiten des ätherischen Leibes studiert, kann man den physischen Leib so weit trainieren, daß er kein hemmender Sack mehr ist, sondern daß er diesen Bewegungen des ätherischen Leibes folgt. [14] Wenn die Arme bewegt werden, ist das die Ausführung der Kehlkopfbewegungen. Das was im Raume vollführt wird, wo der ganze Organismus sich im Raume bewegt, wo sich Gruppen bewegen, schließt das ein, was sonst verhalten wird, (denn) wir sprechen niemals bloß mit unserer Kehle, wir sprechen uns mit dem ganzen Organismus, wenigstens im Rumpforganismus, physisch aus. [15] Man könnte die Sache auch noch anders ausdrücken. Wenn wir einem Menschen zuhören, steckt in uns immer eine innere übersinnliche Nachahmungskunst. Wir halten sie zurück, und wahr ist es einfach, daß wir zuhören, indem wir gewisse mit den Schwingungen des Sprechens mitschwingende übersinnliche Bewegungen in unserem Organismus zurückhalten. Der in Bewegung geratene Zuhörer, der gleichsam überall das Spiegelbild desjenigen zeigt in seinem Zuhören, was gesprochen wird, das ist der Eurythmist. [16]

Wenn die Menschen Eurythmie treiben, so ist es so, daß Eurythmisten und Zuschauern im Leben gedient wird; beide haben etwas Wesentliches davon. Bei denen, die selbst Eurythmisten sind, wird der physische Organismus durch die Bewegungen der Eurythmie zu einem geeigneten Aufnahmeorgan für die geistige Welt gemacht, weil die Bewegungen herunterwollen aus der geistigen Welt. Es werden gewissermaßen die Eurythmisten Aufnahmeorgane für Vorgänge der geistigen Welt, indem sie ihren Körper dazu vorbereiten.

Bei denen, die Zuschauer der Eurythmie sind, wird gewissermaßen, was an Bewegungen in bezug auf ihren astralischen Leib und ihr Ich lebt, durch die Bewegungen der Eurythmie intensiviert. [17] Wenn man daher den bewegten Menschen oder die Menschengruppen auf der Bühne sieht in der Eurythmie, so sieht man sie immer in einer gewissen Bewegung, und in dieser Bewegung wiederum in einer gewissen Haltung. Wenn man Bewegung sieht, so ist darinnen das Konsonantische der Nachahmung der Außenwelt. Wenn man Haltung sieht, was namentlich im eurythmischen Ausdruck der Vokale der Fall ist, so ist darinnen dasjenige, was aus dem Blutleben des Menschen kommt. Aber es ist dabei so, daß Eurythmie das volle Gegenbild ist zu dem, was der Mensch innerlich ruhig beim bloßen Betrachten der Welt entwickelt. Während dort der Nerv die Hauptsache ist und das Blut nur, ich möchte sagen, als der Ausdruck des Willens in feineren Strömungen in Betracht kommt, insofern er sich in das Nervenleben ergießt, ist hier bei dem Eurythmisieren dasjenige die Hauptsache, was der Körper vollbringt in Bewegung und Haltung, indem er aus dem im Blute verankerten Willen heraus das alles vollführt. Da ist es so, daß in der Eurythmie vorzugsweise der Blutorganismus in Tätigkeit ist und der Nerv insoferne, als er der Blutzirkulation, also dem innersten Rhythmus des Menschen eigentlich dient. [18]

Es fließt zusammen in dem Sprechen die Vorstellungstätigkeit und die Willenstätigkeit. Die vorstellende Tätigkeit, die in unseren zivilisierten Sprachen zum größten Teile eine sehr abstrakte ist, die wird nun gelassen bei der Eurythmie, und es fließt alles aus dem ganzen Menschen aus dem Willen heraus, so daß der Wille eigentlich bei der Eurythmie in Anspruch genommen wird. Eurythmie ist das Gegenteil vom Träumen. Träumen bringt den Menschen in das Erleben der Vorstellungswelt. Er liegt ruhig da, und die Bewegungen, die er sich vorstellt, die sind nicht in Wirklichkeit da. Er mag große Landpartien unternehmen im Traume – er bewegt sich in der Wirklichkeit nicht. Das ist alles in seiner Vorstellung vorhanden. Bei der Eurythmie ist das Umgekehrte da. Beim Traum ist der Mensch halb eingeschlafen, bei der Eurythmie stärker aufgewacht, als er im gewöhnlichen Leben aufgewacht ist. Er führt dasjenige aus, was gerade im Traume unterschlagen wird; er unterdrückt dasjenige, was im Traume die Hauptsache ist; er führt für alles, was Vorstellen ist, zugleich eine Bewegung aus. [19] Man muß sagen, daß zum Beispiel in der Begleitung des Musikalischen die Eurythmie nicht ein Tanz wird, sondern ein sichtbares Singen wird. [20] (Dagegen) können Sie nicht eurythmisieren, wenn gesungen wird. Denn denken Sie nur, wenn Sie das Gesungene noch eurythmisieren, so illustrieren Sie ja bloß den Gesang in seinem musikalischen Inhalte. Das ist aber etwas eminent unkünstlerisches. [21] Die zwei Klippen des Mimischen und des Tanzartigen muß die Eurythmie vermeiden, (muß) das als ihre beiden Grenzgebiete betrachten, sonst verfällt sie in das Unkeusche (der Mimik) oder in das Brutale (Leidenschaftliche des Tanzes). [22]

So wie aber der Mensch an das Geistige sich verliert in dem Sprechen oder auch in dem Singen, so verliert es sich in das Natürliche, wenn er in die Pantomime, in den Tanz übergeht. Auch da hört das ästhetische Gewissen auf. Und es tritt etwas ein, was zuletzt, wenn Pantomimisches gerade immer mehr und mehr nach der einen Seite zu einer gewissen Vollkommenheit ausgearbeitet wird, an dem Menschen erscheinen läßt, wie wenn er von Drähten gezogen würde, also eingegliedert würde in ein unmenschliches oder außermenschliches System. Wenn er in Tanz übergeht, so gerät er hart an die Ekstase, also wiederum an ein Unkünstlerisches heran. [23]

Die Bewegung des Eurythmisierenden wird erst seelenvoll wirken, wenn er sich bewegt und er das Gefühl hat, da ruht etwas ganz leicht ihn Berührendes und Drückendes, oder auch es zieht etwas. – Wenn wir uns das darstellen in einer expressionistischen Form etwa, so können wir das so darstellen, daß wir hier einen Schleier gestalten. Dann sieht der Zuschauer, was der Eurythmisierende fühlt, wenn dieser nun geschickt den Schleier so gestaltet, so legt, daß man sieht, der Eurythmisierende verspürt hier einen leisen Druck und hier einen leisen Zug. Und man kann alles Fühlen beim eurythmisierenden Bewegen in die Form des Schleiers gießen. Der Schleier ist im wesentlichen ein Unterstützungsmittel für den Zuschauer, um das auch wirklich äußerlich in bewegter Plastik zu sehen, was das fluktuierende Fühlen beim Eurythmisierenden ist. Am Gewand wird im wesentlichen die Bewegung zum Ausdrucke kommen, wenn am Schleier das Gefühl sichtbar ist. [24] Der Dichter versucht, dasjenige, was das Wort in der Verbannung ist, zurückzuführen zu dem Wort im Geiste. Das kann nur geschehen durch Rhythmus, durch Sprachbehandlung und so weiter. Und lernt man auf diese Weise die menschliche Organisation und ihr Verhältnis zur Welt auf den verschiedensten Gebieten kennen, dann bildet man sich allmählich eine Anschauung, eine intuitive Anschauung von der menschlichen Gesamtorganisation, und dann versucht man hinunter­zudringen zu jener zentralen Macht, welche zugrunde liegt aller menschlichen Lebensäußerung und auch der Sinnesäußerung. Und dieses Hinunterdringen zu dieser zentralen Macht, welche der Wille ist, dieses Hinunterdringen wird versucht durch die Kunst der Eurythmie, durch jene Kunst, welche den ganzen Menschen als ein Willenswesen zur unmittelbar sinnlichen Anschauung bringen will. Dasjenige, was der Mensch innerlich erlebt, es kann bis in die geringsten Details hinein in seinen äußeren Bewegungen zum Ausdruck gebracht werden. Und wenn Kunst ihr Ideal darin suchen muß, in der Anschauung des Sinnlichen zu gleicher Zeit ein Geistiges anzuschauen, und das Geistige niemals in Abstraktion anzuschauen, sondern es immer in sinnlicher Offenbarung vor sich zu haben, dann kommt diese Offenbarung gerade der Kunst der Eurythmie am allerintensivsten entgegen. Denn dasjenige, was vor uns steht, der geistig-seelische Mensch, alles dasjenige, was in dem Momente seines Auftretens als Eurythmist den geistig-seelischen Menschen erfüllt, was geistig-seelisch in seiner Seele lebt, das soll übergehen in äußere sinnlich wahrnehmbare Bewegung. Das Geistige und Seelische, das Unanschauliche, soll ganz anschaulich werden. [25]

Ein dreifaches Wollen liegt hinter dieser Eurythmie.

Erstens ein ästhetisches Element, ein Element, das man als das Element der Schönheit bezeichnen könnte. Schönheit ist ein unmittelbarer Ausdruck desjenigen, was in den höheren Welten bewegungsmäßig vorgeht, verstärkte Bewegung der höheren Welt. Also, ein künstlerisches Element, aber damit soll sich zugleich verbinden als

Zweites ein pädagogisch-didaktisches Element. Die menschliche Seele, in ihrer Verbindung mit dem Leiblichen, wird zu einer Entfaltung kommen, die angemessen ist ihrer ganzen Verbindung mit den Welten, zu denen sie gehört, mit den Vokalismen und Konsonantismen, die durch die Welt strömen als Weltenwort, umgesetzt in sichtbare Bewegung des physischen Leibes. Dadurch wird etwas ganz anderes erreicht werden als durch gewöhnliches Turnen und ähnliche Übungen, die in der Jetztzeit gemacht werden und die aufgebaut sind nur auf physiologischen Gesetzen.

Drittens, das hygienische Element. Indem der menschliche Leib angemessen wird der Welt der Bewegung und hineingegossen wird in die Didaktik die durchaus gesunde Beweglichkeit des Menschen, wird auch in gesunder Weise auf den menschlichen Organismus und auf die menschliche Seelenverfassung gewirkt werden können. Denn vieles, was unhygienisch ist heute in der äußeren Welt, das rührt davon her, daß so wenig Harmonie ist zwischen dem, was der physische Leib in Anpassung an die äußere Welt tut, und dem, was eigentlich der Ätherleib durch seine innere Beweglichkeit von dem physischen Leibe verlangt. Dieses Nicht-Zusammenstimmen möchten wir aufheben durch eine Bewegungsfähigkeit des physischen Leibes, die dem Ätherleib entspricht. Und so wäre es schön, wenn namentlich unsere Jugend bis zum sechzigsten, siebzigsten Lebensjahre Verständnis sich erwerben würde für diese Eurythmie, welche immer in einer anderen Weise die geistige Welt auf den physischen Plan heruntertragen möchte. [26]

Zitate:

[1]  GA 278, Seite 83   (Ausgabe 1984, 150 Seiten)
[2]  Er, Seite 123   (Ausgabe 1979, 0 Seiten)
[3]  GA 73a, Seite 470   (Ausgabe 2005, 583 Seiten)
[4]  GA 77b, Seite 136ff   (Ausgabe 1996, 232 Seiten)
[5]  GA 77b, Seite 143f   (Ausgabe 1996, 232 Seiten)
[6]  GA 277, Seite 28f   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[7]  GA 275, Seite 46f   (Ausgabe 1980, 182 Seiten)
[8]  GA 301, Seite 94   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[9]  GA 301, Seite 250   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[10]  GA 159, Seite 147f   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[11]  GA 161, Seite 16   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[12]  GA 170, Seite 246f   (Ausgabe 1964, 276 Seiten)
[13]  GA 314, Seite 320   (Ausgabe 1975, 328 Seiten)
[14]  GA 277, Seite 346   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[15]  GA 277, Seite 25   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[16]  GA 277, Seite 74   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[17]  GA 302a, Seite 50   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)
[18]  GA 277, Seite 317f   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[19]  GA 301, Seite 94f   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[20]  GA 277, Seite 323   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[21]  GA 277, Seite 417   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[22]  GA 277, Seite 337   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[23]  GA 277, Seite 238   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[24]  GA 279, Seite 14f   (Ausgabe 1979, 276 Seiten)
[25]  GA 77b, Seite 46f   (Ausgabe 1996, 232 Seiten)
[26]  Stra, Seite 137f   (Ausgabe 1947, 0 Seiten)

Quellen:

Er:  E.Beltle & K.Vierl [Hrsg]: Erinnerungen an Rudolf Steiner (1979)
GA 73a:  Fachwissenschaften und Anthroposophie (1920/1921)
GA 77b:  Kunst und Anthroposophie. Der Goetheanum-Impuls (1921)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 170:  Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte (1916)
GA 275:  Kunst im Lichte der Mysterienweisheit (1914/1915)
GA 277:  Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele. Eine Fortbildung der Goetheschen Metamorphosenanschauung im Bereich der menschlichen Bewegung (1918-1924)
GA 278:  Eurythmie als sichtbarer Gesang (Ton-Eurythmie-Kurs) (1924)
GA 279:  Eurythmie als sichtbare Sprache (Laut-Eurythmie-Kurs) (1924)
GA 301:  Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft (1920)
GA 302a:  Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (1920-1923)
GA 314:  Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene (1920/1924)
Stra:  Alexander Strakosch: Lebenswege mit Rudolf Steiner (1947)