Böhme, Jakob

Er war als Schusterlehrling allein im Laden, da kam eine Persönlichkeit zu ihm, die einen tiefen Eindruck auf ihn machte. Es blieb eine geheime Anziehung zwischen ihm und jener Persönlichkeit, die ein großer Eingeweihter war. Von ihm stammen die mächtigen Inspirationen Böhmes. [1] Aus ganz derselben Quelle, aus der die Inspiration Bacon und Shakespeare stammt, stammen für Mitteleuropa, sogar von derselben Initiiertenpersönlichkeit ausgehend, die Geistesströmungen von Jakob Böhme und von dem Süddeutschen Jacobus Baldus (lebte in Ingoldstadt). Und viel mehr, als man glaubt, lebt in dem mitteleuropäischen Geistesleben das drinnen, was von Jakob Böhme stammt. Ein gutes Stück der Goetheschen Metamorphosenlehre rührt von Jakob Böhme her, ebenso die Organik. [2]

Jakob Böhme hat, durch die ganze Art seines Seelenlebens, sehr stark es dahin gebracht, nicht gestört zu werden durch die luziferischen und ahrimanischen Anstürme und (damit) den geraden Weg der Evolution zu gehen. [3] Jakob Böhme und Gichtel kannten solche Zustände des Bewußtseins, wo sie weder schliefen noch bloß träumten, sondern wo das Bewußtsein angefüllt war mit Einsichten über wirkliche Weltengeheimnisse, die hinter der sinnlichen Welt verborgen sind. Und die schätzten sie höher als das, was sich für ihre Sinne und für den Verstand ergab. Das bloße Denken, das war für diese Menschen noch nichts Bedeutsames. Aber auch das Gegenbild war für sie vorhanden, nämlich das Bewußtsein, daß der Mensch wahrnehmen kann ohne seinen Körper. Denn in solchen Bewußtseinszuständen, die weder Schlafen noch Träumen waren, wußten sie zugleich, daß der eigentliche Mensch sich zum großen Teil von seinem Körper losgerissen hat, aber sich mitgenommen hat die Kraft des Blutes, mitgenommen hat die Kraft des Atmens. [4]

Jakob Böhme konnte, wenn er sich innerlich nach einer gewissen Richtung hin einen Ruck gab, dann konnte er das physische Sonnenlicht auslöschen, und er sah eigentlich in die Finsternis hinein. Und indem er so schauen konnte, sah er die Dinge wie in der Finsternis sich spiegeln, und sie gaben seinem Seelenauge dasjenige zurück, was sie innerlich geistig hatten. Jakob Böhme war ein Sonnenmensch. [5] So etwas, nicht wie ein persönliches Zurückschauen, aber ein Zurückschauen auf die Art, wie man in der geistigen Welt vor dem irdischen Dasein angeschaut hat, das trat atavistisch bei Jakob Böhme und bei Paracelsus hervor. Dadurch haben solche Menschen mehr Beziehung zu den Elementargeistern der Natur als zu dem, was die Naturdinge äußerlich an ihrer Oberfläche darstellen. [6]

Jakob Böhme war so geartet als ganzer Mensch, daß er wie durch ein natürliches Schicksal, Karma, in gewissen Momenten seines Lebens vor sich haben konnte in völlig wachendem Zustande statt der sonnendurchhellten Welt die finstere Räumlichkeit. Jakob Böhme konnte in gewissen Zuständen seines Lebens vor sich haben statt des Hellen das Finstere, statt der Töne, die die Welt erzeugt, das Schweigsame, das Ruhige, statt des Warmen das Gleichgültige gegenüber dem Warmen oder sogar das Kalte, das man das Anti-Warme nennen könnte Solche Menschen, die das erleben können, ohne daß sie sich dessen bewußt werden, so daß sie in einem leisen Schlafe durchaus noch sich fühlen innerhalb der sonnendurchhellten Welt, solche Menschen haben dasjenige, was man die Deuteroskopie oder second sight nennt. Und Jakob Bohme hatte das eben im höchsten Maße, was man eben second sight nennt. Es war bei ihm nur so ausgebildet, daß er es weniger auf einzelnes Irdisches bezog, sondern mehr auf die Konstitution der ganzen Erde. Wie war dadurch sein Anschauen? Jakob Böhme hatte also dort vor sich die Finsternis, das Schweigen der Sinne. Stellen Sie sich das lebhaft vor, man habe vor sich die Finsternis. Es entspricht das ganz genau einem sinnlichen Bilde. Wenn Sie einen Spiegel vor sich haben – Sie sehen nicht, was hinter dem Spiegel ist, Sie sehen nur, was vor dem Spiegel ist. So ist es geistig bei jemandem, der so sieht wie Jakob Böhme. Da entsteht vorne dadurch, daß die Finsternis dahinter ist, etwas wie eine Spiegelwand, und man sieht das, was geistig dahinter ist, die Erdenwelt in ihrer Geistigkeit, sich spiegeln. Sie schauen also, wenn Sie dem Jakob Böhme-Typus angehören würden, in gewissen Augenblicken Ihres Lebens hinein in die Finsternis, und dadurch, daß die Finsternis Ihnen zurückstrahlt dasjenige, was geistig im Erdendasein lebt, sehen Sie die geistige Konstitution der Erde, dasjenige, was im Erdendasein vorkommt. [7]

In der Sonnenentwickelung war es normal, daß die Menschen überall in die Finsternis hinein wie in einen Spiegel gesehen haben, so daß sich ihnen alles Geistige zurückgestrahlt hat. Es wird einstmals wiederkommen. Dann wird der Mensch es bei völlig wachem Zustande so halten können, daß er mit völligem Bewußtsein hineinstrahlt die Finsternis in seine Umgebung, dadurch sich selber das Spiegelbild der ganzen Welt entwirft – die Venusentwickelung [8]

Wenn man nun wiederum dasjenige, was so als verborgene Sonnenkräfte im Menschen leben kann, in bewußter Weise beherrschen lernt, so daß man die Finsternis, die sich ausbreitet, nicht benützt, um Spiegelbilder zu sehen, sondern sie benützt, um jenes innere Licht, das man durch Meditation und Konzentration und so weiter in sich geistig-seelisch anzündet (siehe: Kundalinilicht), wenn man dieses Licht nun hineinträgt in die Finsternis, so daß man den sonst von der äußeren physischen Sonne erhellten Raum nunmehr mit den inneren verborgenen Sonnenkräften auszufüllen vermag, so daß man selbst leuchtend wird geistig-seelisch und sich dasjenige, was da ist, beleuchten kann, dann entsteht eben die bewußte Imagination. Und diese bewußte Imagination, die ist dann dasjenige, was in voller Bewußtheit, so wie man sonst in der Erkenntnis gewohnt ist, das heraufbringt, was in einer gewissen Unbewußtheit, weil er ein Sonnenmensch war, Jakob Böhme in seinen Schriften, aber auch mit einer gewissen geringeren Beherrschung der Ideenwelt und so weiter, niedergeschrieben hat. [9]

Böhme sah das, was den Dingen geistig zugrunde liegt, an der Finsternis gespiegelt. Er sah sie im Scheine der Sonnenwirkungen, wobei aber die physische Lichtwirkung und auch die physische Wärmewirkung ausgeschlossen war. Während die Somnambulen ihren Willen hineinbringen in die Mondenwirkungen und dadurch, daß sie nun für Augenblicke weniger der Erdenschwere unterworfen sind, mehr den Mondenwirkungen ausgesetzt sind, während also die gewöhnlichen Somnambulen mit ihren Willensorganen mehr den Monden Wirkungen folgen, konnte Böhme mit seinem Erkenntnisorgan den Sonnenwirkungen folgen, war also ein Sonnenmensch, gewissermaßen ein Sonnensüchtiger im Gegensatz zu den Mondsüchtigen. [10]

Durch eine innere Anlage geht ihm auf an (geschriebenen) Werken, die buntestes Zeug in der äußeren Darstellung repräsentieren, daß das auf einen Ursinn zurückgeht. Und er stellt wiederum, ich möchte sagen, unter ungeheuren inneren Hemmnissen, wodurch die Sache eben ungeschickt wird, diese Urweisheit, die er von noch ungeschickteren, unzulänglichen Überlieferungen übernommen hatte, dar. Er konnte aber zurückgehen zu einer früheren Stufe infolge seiner inneren Erleuchtung. So entstand 1612 sein erstes Werk «Die Morgenröte im Aufgange», später «Aurora» betitelt. Er sagt von ihr, daß er sie nicht mit seinem gewöhnlichen Ich niedergeschrieben habe, sondern daß sie ihm Wort für Wort eingegeben war, daß er gegenüber seinem gewöhnlichen Ich in einem Wesen lebte, welches ein umfassendes, überall in die Welt hineinreichendes sich in dieselbe versenkendes gewesen sei. [11]

Das Beste aber, das in Jakob Böhmes Schriften auf so ungelehrte Art pulsiert, ist volkstümlicher Erkenntnisweg, ist ein Ergebnis des Volksgemütes selber. Und Schelling hat heraufgehoben in die Art der denkerischen Betrachtung, was dieses Volksgemüt in Jakob Böhmes ungelehrter, aber erleuchteter Seele erschaut hat. [12] Im menschlichen Geiste findet Jakob Böhme das, was der Tinktura verwandt ist, die Imagination. Imagination ist eine Kraft der Seele, die mitten drinnen steht zwischen der Kraft des Gedankens und der Kraft des Willens. Wer seine Begriffe zuerst bildlich zu machen versteht und sie dann sich veranschaulicht im Geiste, so daß nicht vor ihm steht ein abstraktes Bild der Pflanze, sondern eine Pflanze wie mit sinnlicher Schaubarkeit, dem wird ein solcher anschaubarer Begriff wie durchtränkt mit wirklichem Leben von innen heraus. Wer das kann, der hat Imagination. Die kann so gesteigert werden, daß der Mensch schöpferisch wirkt und Einfluß gewinnt auf das, was in den Dingen als Tinktura lebt. Hier beginnt für Jakob Böhme die Alchimie, die auf die Materie, die Tinktura, zurückzuwirken vermag und von da auch auf die sinnlichen Dinge. So vermag der imaginative Mensch ein Magier zu werden. [13] Die Vorstellung der sinnlichen Wahrnehmung ist es, welche den Menschen aus dem alten Tinkturamenschen zum materiellen Menschen machte. Er wird ein materieller Mensch durch seine eigene, der materiellen Welt entnommene Vorstellung, so daß der Mensch von Innen heraus durch seine eigene Imagination des Sinnlichen selbst ein sinnlicher Mensch geworden ist. [14] Jakob Böhme brachte den Denkprozeß, den Vorgang, durch den man die Welt vorstellt in Bildern, mit dem Salzprozeß, mit dem Auflösungsprozesse und dem Wieder-gestaltungsprozesse des Aufgelösten zusammen. Das war sein Salzprozeß. [15]

Wie die Finsternis sich zum Licht verhält, indem das Licht in die Finsternis hineinscheint und dadurch erst sichtbar wird, so wird das Gute erst wirksam, indem es in das Böse hineinwirkt und sich zu dem Bösen verhält wie Licht zu Finsternis, das sich zu den verschiedenen Farben abstuft und nicht als Licht erscheinen könnte, wenn ihm nicht Finsternis entgegenstünde, so kann das Gute nur seine Weltenfunktion verrichten, indem es sich selber an seinem Gegenwurfe, an dem Schlechten erlebt. So sieht Jakob Böhme in die Welt hinein, sieht das Gute so wirksam, daß es das Böse sich gegenübergestellt findet, aber das Böse in sein Gebiet hineinstellt, gleichsam aufsaugt. So erscheint für Jakob Böhme ein vorirdisches Ereignis so, daß er sich sagt: Die Gottheit hat sich einstmals andere geistige Wesenheiten gegenübergestellt. Diese waren, wie unsere jetzige Natur auf einer späteren Stufe, ein Gegenwurf der Gottheit. So waren diese Wesenheiten schon ein Gegenwurf der Gottheit, wodurch sich die Gottheit zum Bewußtsein brachte. Aber sie verhielten sich zu der Gottheit wie die Glieder, die sich gegen den eigenen Leib wenden. Dadurch entstand für Jakob Böhme die Wesenheit Luzifer. Für ihn ist Luzifer die Wesenheit, welche, nachdem der Gegenwurf geschaffen war, die Schiedlichkeit, die Mannigfaltigkeit dazu benutzte, um als selbständiger Gegenwurf sich gegen ihren Schöpfer aufzulehnen. So findet Jakob Böhme in den miteinander differierenden, kämpfenden Kräften der Welt dasjenige, was da sein muß, was aber doch zur Gesamtevolution beiträgt, indem es im Laufe der Entwickelung aufgesogen wird, und daß das Sichausleben der Gottheit nur um so glorreicher wird durch die Kräfte, welche der Widersacher entwickelt. [16]

Zitate:

[1]  GA 95, Seite 9   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[2]  GA 196, Seite 148   (Ausgabe 1966, 305 Seiten)
[3]  GA 171, Seite 43   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[4]  GA 221, Seite 31   (Ausgabe 1966, 142 Seiten)
[5]  GA 225, Seite 178f   (Ausgabe 1990, 192 Seiten)
[6]  GA 225, Seite 180   (Ausgabe 1990, 192 Seiten)
[7]  GA 227, Seite 172f   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[8]  GA 227, Seite 175   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[9]  GA 227, Seite 178   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[10]  GA 225, Seite 209   (Ausgabe 1990, 192 Seiten)
[11]  GA 326, Seite 125   (Ausgabe 1977, 196 Seiten)
[12]  GA 20, Seite 43   (Ausgabe 1957, 212 Seiten)
[13]  GA 54, Seite 508   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[14]  GA 54, Seite 509f   (Ausgabe 1966, 540 Seiten)
[15]  GA 220, Seite 76   (Ausgabe 1966, 214 Seiten)
[16]  GA 62, Seite 241f   (Ausgabe 1960, 499 Seiten)

Quellen:

GA 20:  Vom Menschenrätsel. Ausgesprochenes und Unausgesprochenes im Denken, Schauen, Sinnen einer Reihe deutscher und österreichischer Persönlichkeiten (1916)
GA 54:  Die Welträtsel und die Anthroposophie (1905/1906)
GA 62:  Ergebnisse der Geistesforschung (1912/1913)
GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 196:  Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung (1920)
GA 220:  Lebendiges Naturerkennen. Intellektueller Sündenfall und spirituelle Sündenerhebung (1923)
GA 221:  Erdenwissen und Himmelserkenntnis (1923)
GA 225:  Drei Perspektiven der Anthroposophie. Kulturphänomene, geisteswissenschaftlich betrachtet (1923)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 326:  Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung (1922/1923)