Venus

Das hellseherische Bewußtsein lernt eigentlich das, was im Venus-Stern charakterisiert ist, dadurch kennen, daß es in Luzifers Seele hineinschaut und dadurch innerhalb der Erde die tragische Luzifersehnsucht hat, wie ein wunderbares, kosmisches Heimweh nach dem Sterne Phosphoros, Luzifer oder Venus. Denn alles, was Luzifer abgeworfen hat wie eine Schale, was beim alten Mondentod aus dem luziferischen Wesen abgestiebt ist, wie abstiebt von der Menschenseele beim Tode der physische Leib, das glänzt vom Himmel herunter als die Venus. Diese Sehnsucht, die als Luzifers Sehnsucht die griechische Seele empfand, fühlte auch diese selbe Griechenseele als zu der Substanz der Venus hinzugehörig. Nicht den bloßen physischen Planeten sah der Grieche, sondern er sah das, was sich aus der luziferischen Wesenheit abgespaltet hat, wie sich der physische Leib von dem Menschen abspaltet, wenn er durch die Pforte des Todes geht, und wie sich der Erdenleichnam abspalten wird, wenn die Erde am Ziele ihrer Entwickelung angelangt sein wird. Nur mit dem Unterschied, daß der physische Leib des Menschen dazu bestimmt ist, zu zerfallen, der Leib aber eines Luzifer dazu bestimmt ist, wenn er herausfällt aus der Seelenwesenheit, als ein Stern am Himmelsraum zu glänzen. Sterne sind Götterleiber, deren Seelen unabhängig von diesen Leibern in einer anderen Art in der Welt weiterwirken, wie Luzifer unabhängig geworden war von seinem Leibe, der Venus, und in unserer Erdentwickelung weiterlebt. [1]

In alter Zeit wußte man, indem man den Mond und die Sonne ins Auge faßte, kommt man noch aus mit dem, was unmittelbar zur physischen Erde, zum Irdischen, zum Wäßrigen, zum Luftförmigen, zum Feurigen Beziehung hat. Indem man bis zum Monde seine Beobachtungen in geistiger Art ausdehnt, kommt man bis zum Äther. Aber indem man seine Beobachtungen bis zur Venus ausdehnt, kommt man in eine geistige Welt, in eine rein astralische Welt hinein. Das, was als physische Venus erscheint, ist gewissermaßen nur das äußere Merkzeichen für etwas, was lebt und west im Astralischen, respektive im astralischen Lichte. Das physische Licht ist bei der Venus etwas ganz anderes als zum Beispiel das physische Sonnenlicht. Das physische Sonnenlicht hat noch etwas Verwandtschaft mit dem, was auf der Erde als ein auf Erden entstehendes Licht leben kann. Das, was Venuslicht ist – es ist kindisch, es nur für ein reflektiertes Sonnenlicht zu halten –, leuchtet heraus schon aus der geistigen Welt. Und exponiert man diesem Lichte das eigene Seelenwesen, so lernt man erkennen, welche Intelligenzen mit der Venus verknüpft sind. Das sind Intelligenzen, welche in einem fortwährenden Gegensatz, ich möchte sagen, in einer fortwährenden Opposition leben zu den Intelligenzen der Sonne. Und eine große Rolle spielte in den alten Mysterien dieser Gegensatz zwischen den Venusintelligenzen und den Sonnenintelligenzen. Da gab es Ausgangspunkte solcher Kämpfe, in denen die Venusintelligenzen gegen die Sonnenintelligenzen zu kämpfen begannen. Da gab es Steigerungen, Kulminationen, da gab es Katastrophen, Krisen; in dem, was sich da abspielt, hatte man aufeinanderfolgende Phasen. Und kein Mensch kann verstehen, was auf Erden als die inneren Impulse der Geschichte lebt, wenn man nicht weiß, wie der Kampf zwischen der Venus und der Sonne ist. Denn dasjenige, was sich hier auf Erden als Kämpfe, was sich sonst abspielt in der Entwickelung der Zivilisation, das ist ein irdisches Abbild dieses Venus-Sonnen-Kampfes. [2]

Es leben auf der Venus Wesenheiten, die zwischen den Menschen und den Sonnenwesenheiten stehen. Sie bewohnen die Venus und können sogar wirksam werden auf der Erde. Sie werden wirksam im menschlichen Leibe. Diese Wesenheiten nennen wir luziferische Wesenheiten. [3] Geradeso wie wir tragen in unserem Kopfmenschen die Wirkungen des Mondes, am mittleren Menschen (Dinge, die) mit der Sonne zusammenhängen, so hängen mit der Gestalt, die uns entgegentritt, wenn wir die Schwelle der Initiation überschreiten (also den Hüter der Schwelle wahrnehmen), die Einwirkungen der Venus zusammen, und ich bemerke gleich, daß es sich dabei handelt um das Gestirn, das die Astronomen heute Venus nennen. Die Venus ist also das Reich des Luzifer. Zunächst liegt die Sache so, daß wir genau erfahren durch die Initiation, daß der untere Mensch, der Mensch, den wir als den dritten siebengliedrigen Menschen bezeichnet haben (siehe: Gestalt des Menschen 3. Mensch), dasjenige Gebiet von der ganzen menschlichen Natur ist, das durch die oberen Götter dem Reiche des Luzifer zugeteilt ist. [4]

Die Form des Geschlechtlichen rührt von den Geistern der Form her. Aber damit ist nicht auch schon der Zug der beiden Geschlechter für einander, die Neigung derselben zu einander gegeben. Diese kommt davon, daß sich in dem Leben der beiden Geschlechter besondere Wesenheiten verkörpern, welche von einem fremden Schauplatze herabsteigen: von der Venus. Durch sie wird jetzt die Liebe in ihrer untergeordnetsten Form, als Neigung der Geschlechter, der Erde einverleibt. Diese Liebe ist dazu berufen, sich immer mehr zu veredeln, und später die höchsten Formen anzunehmen. So wie nun die Venuswesen das Element der getrennten Geschlechter abgeben, so bewirken sie andrerseits auch, daß der Verstand fruchtbar werden kann. Er erhält die Hälfte der an der Geschlechtskraft ersparten Produktionsfähigkeit. [5] Die Venus ist der physische Ausdruck für die geistigen Kräfte, durch welche der Verstand im Menschen befruchtet wird durch neue Ideen, die über das gewöhnliche Gehirndenken hinausgehen. [6] (Siehe auch: Denken und Geschlecht).

Zitate:

[1]  GA 129, Seite 92f   (Ausgabe 1960, 254 Seiten)
[2]  GA 232, Seite 212   (Ausgabe 1974, 222 Seiten)
[3]  GA 98, Seite 186   (Ausgabe 1983, 272 Seiten)
[4]  GA 137, Seite 165f   (Ausgabe 1973, 216 Seiten)
[5]  GA 262, Seite 83f   (Ausgabe 1967, 355 Seiten)
[6]  GA 266/3, Seite 122   (Ausgabe 0, 0 Seiten)

Quellen:

GA 98:  Natur- und Geistwesen – ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt (1907/1908)
GA 129:  Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen (1911)
GA 137:  Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie (1912)
GA 232:  Mysteriengestaltungen (1923)
GA 262:  Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925 (1901-1925)
GA 266/3:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band III (1913, 1914; 1920 – 1923) (1913-1923)