Somnambulismus

Es gibt nun Mensehen, die nicht in dem Sinne Psychopathen oder Wahnsinnige sind, wie man berechtigt ist, von Psychopathie und Wahnsinn zu sprechen, die aber doch so hinuntertauchen in ihren physischen und ätherischen Leib, daß sie mit den kranken Zuständen, kranken Vorgängen darin eine gewisse Verbindung eingehen, eine wahrnehmbare Verbindung eingehen. Da kommen wir zu jenen Somnambulen, deren Dasein kein Aberglaube ist, was in der Welt oftmals beschrieben worden ist, was jeder Initiat gut kennt, wir kommen zu denjenigen Somnambulen, die in ihrem somnambulen Zustande Beschreibungen ihrer Krankheiten machen. Sie tauchen hinunter in ihren physischen und Ätherleib. Während der gewöhnliche normale Mensch sich so verbindet mit dem physischen und Ätherleib, daß wir, wenn wir pedantisch wissenschaftlich reden wollen, sagen können: Ich und astralischer Leib gehen im Wachen mit physischem und ätherischem Leib eine Verbindung ein, die in ihrer Verbindungsqualität entsprechend die gesättigte Verbindung ist –, können wir bei einem solchen kranken Menschen sagen: Es geht eben nicht im übertragenen Sinne nach der Atomgewichtszahl das Ich und der astralische Leib in den Äther- und physischen Leib hinein, es bleibt vom astralischen Leib und Ich ein Rest, der nicht ganz untertaucht, aber dann wahrnimmt. Nur das vom Ich und astralischen Leib nimmt wahr, was nicht in den Ätherleib und physischen Leib untertaucht. Wenn so etwas innerlich überflüssig ist von Astralleib und Ich, wird innerlich wahrgenommen. Die Somnambulen beschreiben ihre Krankheit. Nun aber, wie denn? Es gibt ja einen anderen Zustand, den ich Ihnen auch beschrieben habe, in gewissen Fällen, wo der normale Zustand nach der Schlafseite hin unterbrochen ist. Dann, wenn das Ich und der astralische Leib heraußen sind aus dem physischen und Ätherleib, und wenn dann in diesem Ich und astralischen Leib Dinge vorgehen, die nun in dieses Geistig-Seelische nicht hineingehören, so wie die anderen Dinge, die ich Ihnen beschrieben habe, in das Physisch-Ätherische nicht hineingehören, wenn zuviel Geistiges vom Ich und astralischen Leib erlebt wird während des Schlafes, wie sonst zuviel vom physischen und Ätherleib von der Natur erlebt werden kann, dann entsteht jenes an das Pathologische angrenzende Hellsehen. Der Mensch trägt dann in den Schlaf hinein eine gewisse Kraft, Geistiges wahrzunehmen. Er trägt wieder hinüber in den Wachzustand Erinnerungen an dieses geistige Wahrnehmen, aber vor allen Dingen fließt dieses geistige Wahrnehmen, das da in abnormer Weise zwischen Einschlafen und Aufwachen vorhanden ist, in die Träume hinein. Es erscheint in lebendigen Träumen, und da merken wir wiederum dasjenige, was jeder Initiat gut weiß: diese Träume sind, wenn sie richtig angesehen werden, erfüllt von Folgendem. Nehmen Sie an, daß der Kranke, der physisch Kranke, so veranlagt ist, wie ich es beschrieben habe. Der taucht mit seinem Geistig-Seelischen hinunter in den physischen und ätherischen Leib. Er erlebt dann die Krankheit so, daß er sie im somnambulen Zustand beschreibt. Er erlebt dasjenige, was an zu starkem Abbauprozeß im physischen und Ätherleib vor sich geht, er erlebt eine Art rückgängigen Prozeß der Natur in seinem physischen und Ätherleib. Nehmen wir nun an, er ist draußen mit seinem astralischen Leib und Ich. Da erlebt er ja im Geistigen der äußeren Natur. Nehmen wir nun an, man erlebt hier drinnen ein krankes Organ, das dadurch krank ist, daß es irgendeinen äußeren Prozeß eben in krankhafter Weise zum Ausdruck bringt. Das wird im somnambulen Zustand erlebt. Der innerliche Prozeß wird da beschrieben. Ist der Mensch im polarischen Zustand, wirkt der Somnambulismus hinein in sein Ich und astralischen Leib, wenn diese mehr außerhalb des physischen und Ätherleibes sind; wenn das, was da erlebt wird unter den elementargeistigen Vorgängen der Natur, wenn das in die Träume hineingeht, erlebt der Mensch dasjenige, was in den Mineralien das Geistige ist, erlebt er den entsprechenden Geist des Minerals; und wovon träumt er? Er träumt von seinem Heilmittel. Sehen Sie, hier haben Sie den Zusammenhang für manches somnambule Leben. Der Somnambule wechselt in zwei Zuständen ab, die ich charakterisiert habe. In dem einen Zustand träumt er von seiner Krankheit, in dem anderen Zustand träumt er von seinem Heilmittel, und vor uns steht die Art und Weise, wie in alten Mysterien überhaupt Pathologie und Therapie gesucht worden ist. [1]

Ebenso wie der Vorstellungsorganismus des Menschen in einer gewissen Weise beschaffen sein muß, damit nicht jene Störungen zutage kommen können, die als halluzinierendes und visionäres Leben zu charakterisieren ist, so muß für das in der Sinnenwelt normal ablaufende Leben der Willensmechanismus in einer gewissen Weise beschaffen sein. Wenn der Willensmechanismus gestört wird, aufgehoben, gelähmt wird, in der Katalepsie, in der Lethargie, im Mediumismus kann dadurch der Wille untergraben werden. Der Leib ist zwar nicht geeignet, den Willen unmittelbar hervorzurufen, wenn der Geist auf ihn nicht wirkt, aber der Leib ist geeignet den Willen abzuschwächen, wenn gewisse Organe stillgelegt werden, dann wird der Mensch aus derjenigen Welt herausgehoben, welcher er angehört als geistig-seelisches, als ewiges Wesen, und wird eingeschaltet in die physische Umgebung, die ja auch überall von geistigen Kräften und Entitäten durchsetzt ist. Während sonst der Mensch im normalen Leben nur durch seine Sinne mit der Umwelt in Berührung steht, kommt beim Somnambulen und beim Medium der ganze Mensch durch seinen Willensmechanismus mit der Umwelt in Beziehung. Dadurch können Fernwirkungen eintreten, es können auch räumliche und zeitliche Ferngesichte auftreten und so weiter. [2] (Siehe auch: Medium).

Im alten Griechenland treffen wir die sogenannten Orakelpriesterinnen, welche aus der Tiefe ihrer Seele heraus unter Auslöschung ihres gewöhnlichen Bewußtseinszustandes allerlei Dinge kundgeben wollen, die über gewöhnliches menschliches Wissen hinausgingen. Man schrieb dasjenige, was sie kundtaten, einer göttlichen Inspiration zu. Göttliche Verehrung genossen nicht nur diejenigen, welche in solchen somnambulen Zustand versetzt werden konnten, sondern göttliche Verehrung genoß vor allen Dingen die Offenbarung, die sie machen konnten.

Gehen wir zu dem Ausgang des Mittelalters, so finden wir, wie solche Persönlichkeiten aufgefaßt wurden als im Bunde stehend mit allerlei bösen, teuflischen, dämonischen Mächten. Wir sehen, wie diese Personen als Hexen verfolgt wurden, wie sie verfolgt wurden wegen ihrer «Teufelsbündnisse». Manche von den furchtbaren Grausamkeiten des ausgehenden Mittelalters sind zurückzuführen auf diese Deutung des somnambulen Zustandes. In neuerer Zeit wiederum, als man im Anfang des 19. Jahrhunderts, im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts begann, menschliche Seelenzustände zu studieren, da gab es einige, die glaubten, daß man durch das Studium dieser Zustände geradezu höhere Aufschlüsse über die menschliche Seele gewinnen könne; daß dadurch, daß unser gewöhnliches Gehirnbewußtsein ausgeschaltet ist und die Sinne nicht empfänglich sind für die Außenwelt, der Mensch imstande sei, etwas zu erfahren über geistige Vorgänge und Wesenheiten, die man mit den gewöhnlichen Sinnen nicht wahrnehmen könne. [3]

Unser Bewußtsein ist abgeschlossen von der Wesenheit draußen und kann nur durch die Sinnestore die Wesenheit draußen aufnehmen. Schalten Sie aber das Bewußtsein aus, dann tritt der Kontakt ein, dann leben Sie tatsächlich wiederum in dieser Verbindung mit der Außenwelt; denn der Astralleib ist nicht so wie Ihr Ich, Ihr unmittelbares Bewußtsein von der ganzen übrigen Welt getrennt. Da gehen überall astrale Fäden nach allen Seiten aus, so daß Sie das Leben der ganzen Außenwelt miterleben und nicht nur der physischen Natur, sondern auch jener astralen Vorgänge, die fortwährend um uns sind, der geistigen Vorgänge, die um uns sind. Die nehmen wir dann wahr, wenn unser Bewußtsein ausgeschaltet ist. Was wir erinnern, erdenken und kombinieren, tritt im somnambulen Zustande unmittelbar auf als eine Erscheinung, welche hergeleitet wird von der äußeren Natur, von dem, was außer uns lebt. [4]

Dasjenige, was eine somnambule Persönlichkeit sehen kann mit Ausschaltung des hellen Tagesbewußtseins, ist oftmals dasselbe, was der Hellseher bei seinem vollen Tagesbewußtsein sieht. Aber die Somnambule kann dafür dasjenige, was sie sieht, niemals kontrollieren. Sie kann nicht einmal kontrollieren, ob dasjenige, was sie wahrnimmt, wirklich Wahrheit ist, so wie sie es wahrnimmt. [5]

Wenn der Mensch sein höheres (Alltags-) Bewußtsein herabdämpft, wenn er in Hypnose, im Somnambulismus oder im atavistischen Hellsehen ist, dann taucht er unter in ein viel tieferes Bewußtsein und nimmt die großen Weltgesetze wahr, in einer traumartigen Form, nur viel klarer und heller als in den hellsten Träumen des gewöhnlichen Schlafes. Der Mensch hat dann die Tätigkeit des Gehirns, und bei tiefstem Somnambulismus auch diejenige des Rückenmarkes unterdrückt; er erlebt die Tätigkeit seines sympathischen Nervensystems, das heißt in einer dumpfen, dämmerhaften Form das Leben im ganzen Kosmos. In einem solchen Falle bringt dann das Blut nicht mehr die Bilder des Innenlebens zum Ausdruck, die durch das Gehirn vermittelt sind, sondern dasjenige, was die Außenwelt in ihn hineingebaut hat. Nun aber haben an ihm gebaut die Kräfte seiner Vorfahren. Er empfindet so bei gedämpftem Bewußtsein seine Vorfahren in sich, wie er die durch die Sinne erzeugten Bilder der Außenwelt bei wachem Bewußtsein empfindet. Das heißt: seine Vorfahren rumoren in seinem Blute. Er lebt dann noch das Leben seiner Vorfahren dumpf mit. [6]

Es ist so, daß, wenn der Mensch im normal-gesundem Zustande lebt, dieses Ich wie gefesselt ist im Sonnengeflechte und allem, was damit zusammenhängt. Was heißt das? Dieses menschliche Ich, das dem Menschen im Verlaufe der Erdenevolution als eine Gabe der Geister der Form, Exusiai zugekommen ist, war ja, wie wir wissen, der luziferischen Versuchung ausgesetzt. So wie der Mensch dieses Ich hat, würde es eigentlich, da es infiziert ist von luziferischen Kräften, der Träger böser Kräfte sein. Von Kräften, welche durch die luziferische Infektion geneigt sind, dasjenige, was das Gedankenleben des Ich bedeutet, ins Böse zu verzerren. Das Ich hat durch seine luziferische Infektion fortwährend die Tendenz, sich tückisch, lügenhaft zu gebärden, sich selbst ins Licht, das andere in den Schatten zu stellen; aber es wird gefesselt durch das Nervensystem des Unterleibes. Da muß es parieren. Durch das Nervensystem des Unterleibes zwingen die regelrecht fortschreitenden Mächte, die durch Saturn-, Sonnen- und Mondenentwickelung heraufgekommen sind, das Ich, nicht ein Dämon im bösen Sinne des Wortes zu sein. So daß wir also unser Ich so in uns tragen, daß es gefesselt ist an die Unterleibsorgane. Bei weitaus den meisten Fällen des Somnambulismus wird das Gangliensystem mit seiner Funktion im Unterleibe so präpariert, sei es durch die Natur selber, sei es durch allerlei Einflüsse magnetischer Art (also durch Magnetiseure), daß es das Ich nicht voll in seiner Gewalt halten kann. Dann kommt das Ich dazu, in freierer Weise mit der Umgebung zu korrespondieren. Es ist dann nicht eingelagert in das Gangliensystem und kann daher jene Verbindungskanäle mit der Welt benützen, die es ihm möglich machen, im Raum und in der Zeit allerlei von ferne zu sehen, was normalerweise in das Ich, in das Gangliensystem eingebettet ist, wodurch diese Prozesse nicht wahrgenommen werden können. Es ist wichtig zu wissen: Es besteht eine gewisse Verwandtschaft zwischen dem Somnambulismus, der nur eben, ich möchte sagen, in einer milden Form die gewöhnliche Tätigkeit der wachend an das Gangliensystem gebundenen Prozesse ausschaltet, und gewissen Formen des Wahnsinns, der hervorgerufen wird, wenn die Ausschaltung durch Deformierung, durch Erkrankung gewisser Organe des Unterleibes stattfindet. Deshalb aber treten bei gewissen Formen des Wahnsinns gerade die Eigenschaften der Tücke, der Lügenhaftigkeit, der Verschmitztheit, der Listigkeit auf, alles, was von luziferischen Infektionen kommt – das Bedürfnis, sich selbst ins Licht und alles andere in den Schatten zu stellen und dergleichen. [7]

Zitate:

[1]  GA 318, Seite 124ff   (Ausgabe 1984, 200 Seiten)
[2]  GA 67, Seite 243   (Ausgabe 1962, 367 Seiten)
[3]  GA 52, Seite 243f   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[4]  GA 52, Seite 264f   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[5]  GA 52, Seite 268   (Ausgabe 1972, 442 Seiten)
[6]  GA 55, Seite 58f   (Ausgabe 1959, 278 Seiten)
[7]  GA 174, Seite 128f   (Ausgabe 1966, 320 Seiten)

Quellen:

GA 52:  Spirituelle Seelenlehre und Weltbetrachtung (1903/1904)
GA 55:  Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben (1906/1907)
GA 67:  Das Ewige in der Menschenseele. Unsterblichkeit und Freiheit (1918)
GA 174:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Zweiter Teil (1917)
GA 318:  Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern. Pastoral-Medizinischer Kurs (1924)