Apokalypse des Johannes als Einweihungsbuch

Außer dem, was wir als Inhaltliches der Apokalypse besprochen haben, ist ja die Apokalypse, so wie sie vor uns steht, auch ein Einweihungsbuch, und zwar durch die Art und Weise, wie sie die Evolution in der Zeit schildert, die aufeinanderfolgenden Stadien, die eben erlebbar sein werden für diejenigen, die Ohren haben zu hören und Augen haben zu sehen, während sie natürlich vorübergehen werden an den ohren- und augenlosen Menschen. Diese verschiedenen Stadien werden uns durch das innere Wesen der Sache so vorgeführt, daß wir die Apokalypse durchaus als Einweihungsbuch ansehen können. Beim erkennenden Hineingehen in die Welt – das immer mehr ein Anschauen werden wird – dasjenige verschwindet, was wir zunächst als den Inhalt des Seelenlebens haben und was im wesentlichen eine Art Spiegelbild der äußeren Natur ist. Also die physisch-sinnliche Welt verschwindet beim erkennenden Voranschreiten und allmählich tritt wie aus dem Hintergrund von der anderen Seite her die geistige Welt hervor. Man kann auf zwei Wegen zur Anschauung der Welt kommen. Der eine Weg ist derjenige, wenn man sich einfach im Sinnlich-Physischen ergeht es nach allen Seiten kennenlernt mit gewisser liebevoller Hingabe an das Sinnlich-Physische. Dann lernt man es immer mehr als das Werk der Götter kennen. Man hat dasjenige vor sich, was man im weitesten Umfange die Natur nennt, wenn man die Natur nicht bloß äußerlich-mechanisch, sondern auch innerlich-geistig betrachtet. Aber man könnte sich vorstellen – und es ist durchaus eine richtige Vorstellung –, daß man denselben Weltinhalt auch auf eine rein geistige Weise, von innen heraus durch die eigene Seele erhält. So daß man durchaus soweit gehen kann, davon zu sprechen, daß derjenige, der genügend innere Kraft hat, sehen kann – auch wenn er gar nichts von historischen Nachrichten hat –, daß an einer bestimmten Stelle des Weltgeschehens irgend etwas geschehen ist, das selbst in einer Naturerscheinung besteht. Man kann durchaus davon sprechen, daß man von innen heraus zu dieser Erkenntnis kommen kann: In irgendeinem Jahre, wo sich für die Menschheit etwas abgespielt hat, haben Erdbeben und so weiter stattgefunden. Diese Empfindung – die ja viele Menschen leise oder laut haben –, daß der Mensch von innen heraus die Welt wirklich in ihren konkreten Einzelheiten kennenlernen kann, ist eine durchaus richtige Empfindung. Nun handelt es sich darum, was eigentlich vorliegt, wenn der Mensch auf diesem Wege der Imagination in die geistige Welt hineinkommt. Wir können das, um was es sich dabei handelt, durchaus im Zusammenhang mit der Apokalypse erörtern, denn in der Apokalypse treten uns die aufeinanderfolgenden verschiedenen Etappen entgegen, in denen der Apokalyptiker etwas sieht, was immer mehr und mehr in die geistige Welt hineinführt. So führt er zunächst vor die Briefe, dann die Siegel, geht dann über zu demjenigen, was sich in der Menschensprache nur ausdrücken läßt durch Hörbares, also zu den Posaunen, und geht dann über zu dem, was ich charakterisiert habe als die göttliche Liebe, deren Widerpart der göttliche Zorn ist. Wenn wir den Apokalyptiker recht verstehen, so will er sagen: Soweit er dasjenige, was Inhalt der Apokalypse ist, durch Briefe gibt, die ihm inspiriert sind, bezieht sich dieser Inhalt auf die physische Welt; in dem Augenblicke, wo er übergeht zu den Siegeln und die Siegel eröffnet, bezieht sich das, was er mit diesen Siegeln zu sagen hat, auf die astralische, die imaginative Welt, auf das, was man die Seelenwelt (siehe: Astralplan) nennen kann; wo er übergeht zu den Posaunenklängen, kommen wir in das Geisterland (siehe: Devachan unteres) hinein, und indem wir erleben göttliche Liebe und göttlichen Zorn, dem Inhalt der Apokalypse gemäß, kommen wir in das eigentliche Innere des Geisterlandes (siehe: Devachan oberes) hinein. Man muß nur bedenken, daß, während der Mensch diesen imaginativen Weg durchmacht, er ja mit seinem Erleben im Grunde genommen in der Welt drinnensteht, so daß sein Erleben Welterleben ist. Das bemerkt er nur nicht in den Anfangsstadien. Im Verlaufe des Initiiertwerdens erfährt er es immer mehr, daß alles, was an ihm, durch ihn, mit ihm, in ihm geschieht, zu gleicher Zeit Weltgeschehen ist. Er fühlt sich immer mehr und mehr hinausgegossen in den objektiven Weltinhalt. Das läßt der Apokalyptiker sehr deutlich durchblicken. So daß wir also schon sagen können: Der Inhalt der Briefe bezieht sich auf die physische Welt. [1]

Die physische Welt ist ja nur scheinbar das, als was sie uns entgegentritt. Denn diese physische Welt würde uns nicht die Mannigfaltigkeit ihrer Farbennuancen, ihrer Wärmenuancen und alles desjenigen, was von allen Seiten der Weltumgebung auf den Menschen einfließt, so darbieten, wenn wir bei all dem, wie die Welt uns jetzt in diesem gegenwärtigen Zeitalter erscheint, nur an den physischen Inhalt denken und dabei eben übersehen würden, daß dasjenige, was uns physisch erscheint, eigentlich geistig ist. Wenn wir uns in die Seele einer solchen Menschenwesenheit versetzen, wie der Apokalyptiker ist, müssen wir uns, ich möchte sagen, die Seelensprache einer solchen Menschenwesenheit aneignen, und diese Seelensprache muß uns für unseren eigenen persönlichen spirituellen Gebrauch so zu eigen werden, daß man mit einem trivialen Ausdruck sagen kann: sie muß uns in Fleisch und Blut übergehen. So möchte ich Ihnen solche Teile der inneren Seelensprache eines Initiierten geben, die er exoterisch nach außen nicht immer gebraucht, die aber eigentlich sein Mittel ist, um seine Vorstellungen, sein besonderes Miterleben der geistigen Welt innerlich zu formen. Da ist zum Beispiel dieses: Dämpfe den Blitz und du begreifst die Farbe. – Das ist Initiiertensprache. Was heißt das? Der Initiierte sieht den Blitz in seiner Erscheinung, er sieht dieses aus dem Weltall herauskommende Aufflammen, er betrachtet es als das Aufglimmen des Geistes innerhalb des Weltenraumes, und er denkt diesen Blitz abgedämpft und immer abgedämpfter, also immer milder und milder, und bekommt die Abdämpfung, die milde Ausgestaltung des Farbigen; der Blitz verbreitet sich gewissermaßen und wird zur farbigen Fläche. Das ist die Vorstellung eines Initiierten. Oder der Initiierte sagt: Lasse den Donner leiser werden, immer leiser und leiser und höre sein Modulieren, und das Musikalische ersteht. –Und so sieht der Initiierte dasjenige, was sich gewissermaßen als Sinnenteppich ausbreitet, als die Offenbarung nach der einen Seite hin, und es ist für ihn eine durchaus reale Vorstellung, wenn man so denkt: Man hat den Weltinhalt in seiner kolorierten Mannigfaltigkeit – das, was ich aufzeichne, könnte ebensogut wie es Farbe ist, auch Tönendes sein –, und wie der Weltinhalt an unsere Sinne herantritt, das ist wie der sinnlich-physische Schleier, der sich ausbreitet als unsere Wahrnehmungswelt, in die wir zunächst unsere abstrakten, scheinhaften Gedanken verweben. Hinter alldem sieht der Initiierte – also die einfallenden Blitze. Die sind dahinter, und dasjenige, was man ab und zu als wirklichen Blitz sieht, bricht einfach durch diesen Sinnenteppich von rückwärts aus der geistigen Welt durch. In jeder Erscheinung des Blitzes ist ein Hereinstrahlen der geistigen Welt. Und schauen wir uns diesen Blitz an, wie er gemildert und gedämpft ist zum gleichmäßig Farbigen auf der Erde, so haben wir eben die Erde in ihrem Farbenkolorit vor uns. Schauen wir zum Himmel und nach den Sternen, so haben wir in den Sternen Punkte, die uns ebenfalls erscheinen wie aus dem Geistigen herauskommend, nur in dauernd lebender Offenbarung des Blitzenden. Aber in alldem sieht ja der Initiierte die äußere Offenbarung desjenigen, was dahinter ist, und er sagt sich: Eigentlich mußt du sehen – und er sieht es auch, wenn seine Seele immer aktiver und aktiver wird – die rote Rose. Sie beginnt ihr Rot nach oben und unten wie in leisen Blitzen zu verspritzen, und während das Vordere sich abstumpft, greift nach rückwärts das Rot ein in die Sphäre der Seraphim, ebenso wie alles Tonliche eingreift in die Sphäre der Cherubim, und wie alles, was wir tasten, eingreift in die Sphäre der Throne. Und wenn man die Natur um sich sieht, hat man eigentlich in der physischen Welt alles als Illusion vor sich, denn in Wahrheit sind es die abgedämpften Werke der Seraphim, Cherubim und Throne. Schauen wir, die farbige Welt, so wie sie erscheint, so ist sie nur die gleichmäßig abgetönte Blitzwirkung der Seraphim. Das ist eigentlich dasjenige, was in uralten Zeiten der Maya-Charakter der sinnlich-physischen Welt genannt worden ist, daß man nicht weiß, daß da in Wirklichkeit überall Seraphim, Cherubim, Throne da sind. Nun gehen wir etwas weiter in der Initiation. [2]

Gehen wir über zu dem, wo der Apokalyptiker den Hauptwert auf das Siegel-Eröffnen legt. Ja, was geschieht denn da? Da löst sich ab das Farbige der Welt, das Wärmeartige löst sich ab, und immer mehr und mehr treten Wirkungen auf, die geistig sind und die schon ähnlich werden den wahren Gestalten des Blitzartigen, die sich formen. Statt das Zickzack-Hervorbrechen der Blitze zu sehen, sehen wir beim Durchbrechen durch den Sinnesteppich dasjenige, was dahinter ist als geistige Welt; wir sehen dahinter sanftverlaufende Blitze. Wir wissen, daß darin zunächst diejenigen Wesen leben, die die Diener sind der Seraphim, der Cherubim und der Throne. Ähnlich ist es mit dem Tonlichen, ähnlich ist es mit dem Wärmehaften, ähnlich ist es mit dem Faßbaren, Tastbaren. Und so, wie dasjenige verlöscht, was ja zunächst uns als der irdische Sinnenteppich erscheint und dahinter diese Welt von solchen blitzartigen Gebilden erscheint und solche in sich geschlossene Figuren aus dem Astralfeuer bildet und sich immer mehr und mehr erweitert, in demselben Maße beginnen die Sterne herunterzustrahlen; so daß wir so wie Fäden des Lichtes dasjenige verfolgen, was sie sind, und es mischen sich in die Dinge, die elementar wirken, Sternenfäden, Sternenstrahlungen, Lichter hinein. Es verbindet sich das Irdische mit dem Himmlischen, und wir wissen, wir kommen in den ersten Zustand der zweiten Welt hinein, wo alles noch naturhaft leuchtend ist, wo wir nur ahnen, daß dahinter Wesenheiten sind. Wir gewahren höchstens Elementarwesenhaftes, aber wir sehen in diesen Elementarwesenheiten gewissermaßen die Wirkungsorgane von starken, bedeutsamen, erhabenen Wesenheiten. Wir kommen sozusagen in den ersten Bezirk der Kyriotetes, Dynamis, Exusiai. Die sind gleichsam noch dahinter, aber sie treten herein diese Wesenheiten, und wir kommen, indem wir weiter auf dem Initiationswege kommen, allmählich dazu, daß diese Wesen Kyriotetes, Dynamis, Exusiai sich allmählich immer mehr in ihrer eigenen Wesenheit enthüllen. Das ist verknüpft damit, daß die weltentönende Sphärenharmonie hereintritt, aber die einzelnen Töne dieser Weltenharmonie, die jetzt erklingen und die sich eigentlich nur in großen Zeiträumen zu Harmonien und zu Melodien zusammensetzen, die sich auch in der Zeit nur zu Harmonien bilden, wenn die Zeit eine Einheit wird, die führt der Apokalyptiker als Posaunenklänge an, so daß wir in den Tönen der Posaunen das reine Leben der zweiten Hierarchie haben, während die erste Hierarchie in ganz großer Mächtigkeit dem eigentlichen Sinnenerleben zugrundeliegt. Wir sind (also) dazu gelangt, wie in letzten Residuen der Sinneswahrnehmung alles, was in Kyriotetes, Dynamis, Exusiai im Weltenall wirkt, so zu erkennen, daß diese Wesenheiten wie innerlich gebunden sind an die wahre Substantialität der Sterne. Die Sternenwelt hat sich uns in die Wesenheiten der Hierarchien verwandelt. Wir leben, statt daß wir im Sinnenscheine aufblicken zu den Sternen, in der Welt der Hierarchien. Da sind die Hierarchien noch durchtränkt mit dem, was ich nennen möchte verspritzte und aufgelöste Sinneserkenntnis. Jetzt gelangen wir in den dritten Bezirk, wo wir nicht mehr sinnlich alles Irdische wahrnehmen, wo wir das Seelisch-Übersinnliche wahrnehmen müssen ohne den Einschlag des Sinnlichen; wir gelangen in den Bezirk der eigentlichen geistigen Welt und lernen sie zuerst kennen in Angeloi, Archangeloi, Archai. Diese Wesenheiten kann man in ihrer Geistigkeit erkennen, und man muß wissen, wenn man ihnen als Maler und dergleichen Gestalt gibt, daß sie diese sinnliche Gestalt nur dadurch haben, daß sie in die seelisch-geistigen Elemente eingewoben sind, in die Wesenheit der höheren Hierarchien. Wir müssen wissen, wenn wir ihnen zum Beispiel Flügel malen, daß diese Flügel von den Wesenheiten der zweiten Hierarchie sind, die ihnen ihre Substantialität leihen, daß sie aber ein Haupt von der ersten Hierarchie erhalten, die ihnen diese Gestaltung und deren Inhalt leihen. Wir müssen uns nur durchaus bewußt sein, daß wir das, was innerhalb der dritten Hierarchie ist – Angeloi, Archangeloi, Archai –, nur im Geiste erblicken können. [3]

Das, was ich jetzt auseinandersetze, hat eine ungeheuer große historische Bedeutung, weil Sie, wenn Sie Schriften aus alter Zeit übernehmen, die sozusagen intim von diesen geistigen Welten handeln, diese überhaupt nicht lesen können, ohne sich des Umstandes bewußt zu sein, daß durch das Hineinleben in die geistige Welt wir zunächst gewissermaßen die niedrigste Hierarchie auf geistige Art wahrnehmen, während wir die höheren Hierarchien noch mit den Ingredienzien der Sinneswelt wahrnehmen. Und Sie müssen sich bewußt sein, daß durch die alte Initiationsweisheit, die das durchaus ganz richtig so geschildert hat, wie ich es jetzt schildere, allmählich in den Zeiten der Dekadenz des Spirituellen in allerlei Mißverständnisse hineingekommen ist. So finden wir bei den mehr weltlich gearteten Initiierten des Mittelalters die Sache immer so geschildert, daß der Erde nahestehen als die niedrigsten Hierarchien die Seraphim, Cherubim, Throne, und daß man aufsteigt durch Exusiai, Dynamis, Kyriotetes zu den Engeln, Erzengeln und Urkräften. Sehen Sie sich nur einmal mittelalterliche Bücher an, die illustriert sind, so werden Sie sich nicht auskennen und werden fragen, warum die Engel über den Seraphim sitzen. Das ist, weil man diese Vorgänge nicht mehr genau intim kannte und nicht mehr ganz organisch sich vorstellte. Der Irrtum entstand namentlich, als die ursprünglich ganz reine Lehre schon während der Zeit der (babylonischen Gefangenschaft der Juden) in der vorchristlichen Zeit durch die Berührung der Juden mit den Babyloniern sich verunreinigt hat an den Symbolen der Babylonier, und durch die Kabbala, durch die mittelalterliche jüdische Mystik, hat dieser Irrtum von der Rangordnung der geistigen Hierarchien sich weiter ausgebreitet. So kommen wir hinaus in die geistige Welt. Die ersten Wesenheiten, die uns im wirklich Geistigen entgegentreten, sind eigentlich die der dritten Hierarchie. Der Apokalyptiker zeigt, wie er intim vertraut ist mit alledem, denn immer mehr ist sein Bestreben ein solches, daß er für alles, was er nun schildert, Engel erscheinen läßt, die die Erscheinungen tragen. Das ganz Phänomenale ist, daß Erdgebiete etwas widerspiegeln können, was die Engel als Boten der höheren Hierarchien hereintragen, und namentlich kommen wir mit diesem Engelerscheinen hinein in das Gebiet, wo wir wirklich erblicken, wie da durchaus die göttliche Liebe waltet als die eigentliche Ingredienz der Welt, zu der wir Menschen gehören. Denn zunächst gewahren wir, wie die gewissermaßen normalen Angeloi, Arch-angeloi, Archai etwas sind wie die Verleiblichung der höheren Hierarchien. So wie wir, wenn wir Hände, Arme, Füße, Beine und den übrigen Leib des Menschen anschauen, die Empfindung haben: Das ist der Leib des Seelisch-Geistigen –, so bekommt man, indem man aufsteigt in die Welt der dritten Hierarchie, den Eindruck: Das sind Engel, aber sie sind wie Glieder, eigentlich wie die Leiblichkeit der höheren göttlichen Geister; sie sind geistig-seelische Leiblichkeit. So daß man empfindet, man ist in reiner Geistigkeit, aber mit dieser Geistigkeit in der Leiblichkeit Gottes. Das ist das, zu dem man aufsteigt. [4]

Zitate:

[1]  GA 346, Seite 242ff   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[2]  GA 346, Seite 244ff   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[3]  GA 346, Seite 246ff   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[4]  GA 346, Seite 242ff   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)

Quellen:

GA 346:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken (1924)