Astrologie

Das Prinzip der wirklich echten Astrologie liegt darin, daß der Mensch aus dem Weltall herausgeboren, ein Auszug, ein Extrakt des ganzen Weltalls ist. [1] Die Astrologie ist entweder der purste Dilettantismus oder aber, sie kann nur errungen werden als Endglied einer wirklichen Vertiefung in geistes-wissenschaftliche Studien und Erkenntnisse. [2] Wahre Geisteswissenschaft sucht nicht aus Sternenkonstellationen Menschengesetze, sondern aus dem Geistigen sowohl Menschengesetze wie Naturgesetze. [3] Die wirkliche Astrologie ist aber eine ganz intuitive Wissenschaft und erfordert bei dem, der sie ausüben will, die Entwickelung höherer übersinnlicher Erkenntniskräfte, welche heute bei den allerwenigsten Menschen vorhanden sein können. Und schon, wenn man ihren Grundcharakter darlegen will, so ist dazu ein Eingehen auf die höchsten kosmologischen Probleme im geisteswissenschaftlichen Sinne notwendig. Das Sternsystem, zu dem wir Menschen gehören, ist ein Ganzes. Und der Mensch hängt mit allen Kräften dieses Sternsystems zusammen. Aber diese Beziehungen, zwischen den Weltkörpern und den Wesen, welche sie bewohnen, zur klaren wissenschaftlichen Erkenntnis zu erheben, dazu ist die Entwickelung der Kräfte eines ganz hohen übersinnlichen Schauens notwendig. Nur die höchsten, dem Menschen noch erreichbaren Grade der Intuition reichen da heran. Es hat nun in den Geheimschulen Menschen gegeben und gibt noch solche, welche in diesem Sinne Astrologie treiben können. Und was in den zugänglichen Büchern darüber steht, ist auf irgendeine Art doch einmal von solchen Geheimlehrern ausgegangen. Nur ist alles, was über diese Dinge handelt, dem landläufigen Denken auch dann unzugänglich, wenn es in Büchern steht. Denn um diese zu verstehen, gehört selbst wieder eine tiefe Intuition. Und was nun gar den wirklichen Aufstellungen der Lehrer von solchen nachgeschrieben worden ist, die es selbst nicht verstanden haben, das ist natürlich auch nicht gerade geeignet, dem in der gegenwärtigen Vorstellungsart befangenen Menschen eine vorteilhafte Meinung von der Astrologie zu geben. Aber es muß gesagt werden, daß dennoch selbst solche Bücher über Astrologie nicht ganz wertlos sind. Denn die Menschen schreiben um so besser ab, je weniger sie das verstehen, was sie abschreiben. Sie verderben es dann nicht durch ihre eigene Weisheit. So kommt es, daß bei astrologischen Schriften, auch wenn sie noch so dunklen Ursprungs sind, für denjenigen, welcher der Intuition fähig ist, immer Perlen von Wahrheit zu finden sind – allerdings nur für einen solchen. Im allgemeinen sind also astrologische Schriften in ihrer Art heute (1905) sogar besser als die vieler anderer Erkenntniszweige. [4]

Die astrologischen Gesetze beruhen nun allerdings auf solchen Intuitionen, gegenüber denen auch die Erkenntnis von Wiederverkörperung und Karma noch sehr elementar ist. [5] Wenn wir suchen, was noch vorhanden ist an Kräften, die, ich möchte sagen, die «Naturkräfte» der alten Saturnentwickelung waren, so müssen wir zu der Gesetzmäßigkeit unseres persönlichen Karmas gehen. Erst wenn wir lernen, den Kosmos, der in unserem Blickfelde ist, nicht bloß zu betrachten, sondern zu lesen das, was in ihm ist, dann bekommen wir einen Einblick, wie in dem, was um uns herum ist, noch immer die alten Saturngesetze in einer gewissen Weise wirksam sind. Wenn wir die Anordnung und Ausstrahlung der 12 Tierkreiszeichen wie eine kosmische Schrift ins Auge fassen, wenn wir ins Auge fassen, welche Kräfteausstrahlungen sich hineinergießen in das Menschenleben von Widder, Stier, Zwillingen und so weiter, dann denken wir im Sinne derjenigen Kräfte, die Saturnkräfte waren. Und wenn wir versuchen, das persönliche Karma in Zusammenhang zu bringen mit den Konstellationen, die sich auf die Tierkreiszeichen beziehen, dann leben wir ungefähr in der Sphäre der Weltbetrachtung, die angewendet werden müßte auf die Gesetze der alten Saturnepoche. Es ist also zurückgeblieben gewissermaßen nichts, was man sehen kann, sondern etwas Unsichtbares, was aber noch aus den Zeichen des Kosmos zu deuten ist. Derjenige, der glauben würde, der Widder, der Stier, die Zwillinge machen sein Schicksal, der würde in demselben Irrtume leben, wie derjenige, der durch einen gewissen Gesetzesparagraphen verurteilt wird und nun auf diesen Gesetzesparagraphen einen besonderen Haß bekäme und glaubte, daß der ihn ins Gefängnis geschickt habe. So wenig ein einzelner Gesetzesparagraph – das, was auf dem weißen Blatt als Druckschrift steht – einen Menschen verurteilen kann, so wenig kann der Widder, der Stier oder die Zwillinge das Schicksal bewirken. Aber lesen kann man dasjenige aus der Sternenschrift, was aus dem Kosmos heraus mit dem Menschenschicksal zusammenhängt. Wir können also sagen: Das, was so aus der Sternenschrift folgt, ist ein Rest der alten Saturnentwickelung, ist die alte Saturnentwickelung, rein geistig geworden, nur ihre Zeichen zurücklassend in der Sternenschrift des Kosmos. [6]

Der Mensch, der aus sich heraustritt durch eine höhere Entwickelung (Schulung), der zurückblickt auf seinen eigenen Leib, der die Prozesse seines physischen Leibes vollständig erkennen lernt, der lernt in der Tat in der Blutzirkulation mit der Herztätigkeit ein Spiegelbild der geheimnisvollen Kräfte des Sonnensystems kennen, und er lernt in den Vorgängen des Gehirns, die er dann geistig von außen anschaut, den Kosmos in seinen Geheimnissen kennen. In einer gewissen Beziehung ist sogar die Struktur des Gehirns eine Art Spiegelbild der Stellung der Himmelskörper, die bei der menschlichen Geburt vorhanden ist für denjenigen Punkt der Erde, an dem der Mensch geboren wird. Der Mensch ist durch sein Hirn gleichsam ein Angehöriger des ganzen Sternenhimmels, durch sein Herz mit all dem, was dazugehört, ein Angehöriger der Sonne, durch sein Verdauungssystem und alles was dazugehört (Gliedmaßen, Sexus), im andern Sinn, ein Erdenwesen. [7]

Es haben (mit ihrem Weltsystem) beide, Kopernikus und Ptolemäus recht; es kommt nur auf den Standpunkt an, von dem aus man die Sonne und die Erde betrachtet. Sieht man unser Sonnensystem nicht vom physischen, sondern vom astralen Plan aus, so ist das Ptolemäische System das richtige. Da steht die Erde im Mittelpunkt, und es verhält sich so, wie es die alte Welt beschrieben hat. Man braucht sich ja nur zu erinnern, daß auf dem Astralplan alles umgekehrt erscheint. Das Ptolemäische System gilt also für den astralen, das Kopernikanische für den physischen Plan. In Zukunft wird noch ein ganz anderes Weltbild kommen. Gewöhnlich wird betont, daß Kopernikus zwei Bewegungen gelehrt habe: daß die Erde sich um ihre Achse bewege (Tagesbewegung) und daß sich die Erde um die Sonne bewege (Jahresbewegung). Man beachtet es gar nicht, daß er noch eine dritte Bewegung gelehrt hat, (siehe: Astronomie-Kopernikanismus). Das ganze System bewegt sich nämlich in einer Spirale fort. [8]

Jedes Mal, wenn wir nach einem Tode irgendeinen der Weltenkörper – Mars, Venus oder Merkur – betreten (siehe: Leben zwischen Tod und einer neuen Geburt), treffen wir andere Verhältnisse, damit nehmen wir auch andere Erlebnisse, andere Impulse aus diesen Weltenkörpern auf, die wir dann durch die Geburt wieder ins Dasein zurückbringen. Wir bringen, weil die anderen Weltenkörper auch ihre Evolutionen durchmachen, jedes Mal (zur Inkarnation) andere innere Kräfte der Seele mit. [9]

Wenn wir zunächst vom menschlichen Standpunkt aus über das Weltenall sprechen, sprechen wir vom Inneren des Weltenalls. Wir stehen eben an irgendeinem Punkte im Inneren. Von diesem Punkte aus bietet uns das Weltenall seinen sinnlichen Aspekt. Der Mensch bietet uns seinen sinnlichen Aspekt, wenn wir ihn von außen betrachten, er bietet uns seinen geistig-seelischen Aspekt, wenn wir ihn von innen betrachten. Das Weltenall bietet uns seinen seelisch-geistigen Aspekt, wenn wir es von außen betrachten. [10] Der Mensch wechselt zwischen den Zuständen, in denen er innerhalb von Geburt und Tod lebt, und denen, die er erlebt zwischen dem Tode und einer neuen Geburt, und es ist tatsächlich der Anblick des Weltenalls, des Kosmos von außen gegeben in den Zuständen zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Wenigstens in den mittleren Stadien zwischen dem Tode und der neuen Geburt ist man jenseits der Grenze des sinnlich-physischen Kosmos. Man kann nur sagen: Die Grenze des sinnlich-physischen Kosmos liegt eben in der Mitte desjenigen, was man hier vom irdischen Standpunkte aus sieht, und dessen, was man sieht in dem Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. [11]

Zitate:

[1]  GA 137, Seite 176   (Ausgabe 1973, 216 Seiten)
[2]  GA 162, Seite 20   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[3]  GA 277a, Seite 159   (Ausgabe 0, 0 Seiten)
[4]  GA 34, Seite 396ff   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[5]  GA 34, Seite 399   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[6]  GA 161, Seite 28f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[7]  GA 145, Seite 41f   (Ausgabe 1976, 188 Seiten)
[8]  GA 95, Seite 105   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[9]  GA 141, Seite 97   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[10]  GA 213, Seite 62f   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)
[11]  GA 213, Seite 64f   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)

Quellen:

GA 34:  Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908)
GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 137:  Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie (1912)
GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)
GA 145:  Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst? (1913)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 213:  Menschenfragen und Weltenantworten (1922)
GA 277a:  Die Entstehung und Entwickelung der Eurythmie (1912/1915)