Apokalypse des Johannes
► Anfangsworte

Versetzen Sie sich in eine Zeit, welche ganz lebhaft weste in diesen Elementen der Laute und ganz lebhaft empfand das Wunderbare, das darin liegt, aus dem Erleben dieser 32 Lautelemente heraus eine Welt gestalten zu können. Man empfand wirklich in der Sprach-Gestaltung, in der bildenden Gestaltung des Wortes, das Weben eines Geistigen, das man miterlebt im Sprechen. Man erlebte, daß in den Lauten Götter leben. Wenn Sie diese 32 Laute nehmen, dann werden Sie sich leicht ausrechnen können, daß dabei etwa 24 Laute auf die Konsonanten und etwa sieben auf die Vokale kommen – natürlich sind die Dinge immer approximativ –, und Sie können jetzt im Sinne des Anfanges des Johannes-Evangeliums «Im Urbeginne war das Wort» ein Licht fallen lassen auf jenes Bild, das ja auch als apokalyptisches Bild gedacht werden kann: Das Alpha und das Omega ist umgeben von den sieben Engeln – den Vokalen – und von den 24 Ältesten – den Konsonanten. Und so empfand man auch, daß das Geheimnis des Weltenalls ganz in dem webte und lebte – mit der Bedeutung, die ich schon auseinandergesetzt habe –, was man in der heiligen Sprache des Kultus intonierte. Überhaupt muß wiederum von der Menschheit gefühlt werden, wo gerade von der Mysterienweisheit die Götter gesucht worden sind. Sie sind nicht in einem so Fernen, Transzendenten gesucht worden, wie man sich das heute vorstellt. Ihre Verleiblichung hat man in so etwas gesucht wie in den Lauten; und wenn man vom «Weltenwort» gesprochen hat, so hat man eben von demjenigen gesprochen, was wirklich durch die Welt webt und an dem der Mensch mit seiner Sprache teilnimmt. [1]

Es ist nichts Geringeres in diesem Dokument enthalten als ein großer Teil der Mysterien des Christentums, es ist darin enthalten das Tiefste von dem, was wir als das esoterische Christentum zu bezeichnen haben. Kein Wunder daher, daß von allen christlichen Dokumenten auch gerade dieses Dokument am allermeisten mißverstanden worden ist, von allen denen, die nicht zu den eigentlichen christlichen Eingeweihten gehörten. [2] Die Schilderung einer christlichen Einweihung haben wir in der Apokalypse des Johannes vor uns. [3] Zuerst nehmen wir (in den höheren Welten) wahr die Bilder, dann die Töne, dann die Wesen und endlich das Leben dieser Wesen. So nimmt der Mensch erst eine Bilderwelt wahr als den symbolischen Ausdruck der geistigen Welt, dann eine Welt der Sphärenharmonie als den symbolischen Ausdruck einer höheren geistigen Sphäre, dann eine Welt von geistigen Wesenheiten, von denen er heute nur dadurch sich eine Vorstellung machen kann, daß er sie mit dem Innersten seines eigenen Wesens vergleicht, mit dem, was in ihm wirkt im Sinne der guten Kräfte oder aber im Sinne der bösen geistigen Kräfte. Diese Stufen macht der Einzuweihende durch und diese Stufen sind getreulich abgebildet in der Apokalypse des Johannes.

Ausgegangen wird da von der physischen Welt. Gesagt wird dasjenige, was zunächst zu sagen ist mit den Mitteln der physischen Welt, in den 7 Briefen. Nach den 7 Briefen kommt die Welt der 7 Siegel, die Welt der Bilder, der ersten Stufe der Einweihung. Dann kommt die Welt der Sphärenharmonie, die Welt, wie sie derjenige wahrnimmt, der geistig hören kann. Sie ist dargestellt in den Posaunen. Die nächste Welt, wo der Eingeweihte Wesenheiten wahrnimmt, ist dargestellt durch das, was als Wesenheiten auf dieser Stufe auftritt und was abstreift die Schalen der Kräfte, die den guten gegenteilig sind. Das Gegenteil der göttlichen Liebe ist der göttliche Zorn. Die wahre Gestalt der göttlichen Liebe, die die Welt vorwärts bringt, wird in dieser dritten Sphäre wahrgenommen von denen, die für die physische Welt abgestreift haben die 7 Zornesschalen. So wird der Einzuweihende stufenweise hinaufgeführt. In den 7 Briefen haben wir das, was den 7 Kategorien der physischen Welt gehört, in den 7 Siegeln, was der astralisch-imaginativen Welt gehört, und in den 7 Posaunen das, was der devachanischen höheren Welt gehört, und in den 7 Zornesschalen das, was abgeworfen werden muß, wenn der Mensch sich erheben will in das höchste Geistige, das zunächst für unsere Welt zu erreichen ist, weil dieses höchste Geistige noch mit unserer Welt zusammenhängt. [4] Was sich nun von Zeitraum zu Zeitraum in der nachatlantischen Kultur entwickelt, das stellt sich der Apokalyptiker so vor, daß es sich ausdrückt in kleineren Gemeinschaften, die auf der äußeren Erde im Raum verteilt sind, zu Repräsentanten dieser Kulturepochen.

Es liegt durchaus im Wesen des Mysteriums und in der Art, wie man aus dem Mysterium heraus spricht und vorstellt, daß dann im weiteren der Verfasser der Apokalypse auch selber als der Briefschreiber aufgefaßt wird. Denn im Wesen des Mysteriums war es so, daß der Schreiber eines solchen Dokumentes sich durchaus nicht als dessen Verfasser fühlte in dem Sinne, wie wir heute den Verfasser eines Werkes auffassen, sondern er fühlte sich gewissermaßen als das Werkzeug des geistigen Schreibers. Er fühlte, daß in dem unmittelbaren Aufschreiben nichts Persönliches mehr enthalten sei. Deshalb darf Johannes nun durchaus weiter so handeln, wie wenn er das, was er zu schreiben hat, unter göttlichem Befehl als eine göttliche Botschaft schriebe. [5]

Johannes schreibt in göttlichem Auftrage, unter göttlicher Inspiration, an die Engel der sieben Gemeinden. Er fühlt sich also in demjenigen Zustand, in dem er da schreibt, durchaus als derjenige, der den Engeln der sieben Gemeinden Rat, Mahnung, Mission und so weiter geben soll. Wie ist das konkret vorzustellen? Auf wen hat man deuten müssen, wenn zum Beispiel von dem Engel der Gemeinde von Ephesus oder von Sardes oder von Philadelphia die Rede war? Auf wen hat man deuten müssen? So wenig das dem heutigen Menschen verständlich ist, damals gab es durchaus Menschen, welche man heute gebildete Menschen nennt, es gab damals durchaus einen Kern von Menschen, die verstanden, was das heißt: Es schreibt eine prophetische Natur, eine weissagende Natur wie die des Johannes, der, indem er in dieser Seelenverfassung ist, in der er schreibt, höher steht als die Engel; er schreibt an die Engel der Gemeinden. Auf der einen Seite waren sie sich durchaus klar darüber, daß der eigentliche Leiter der Gemeinde der übersinnliche Angelos ist, auf der anderen Seite würden sie gedeutet haben auf den Bischof, den kanonischen Verwalter der Gemeinde. Denn es war die damalige Vorstellung, daß jemand, der der Verwalter einer solchen Gemeinde wie die zu Sardes, zu Ephesus, zu Philadelphia war, als Würdenträger der wirkliche Träger der übersinnlichen Angelos-Wesenheit ist. So daß also tatsächlich Johannes, indem er schreibt, sich innerlich erfaßt fühlt von einem höheren Wesen als es der Angelos ist. Er schreibt an die Bischöfe der sieben Gemeinden als an Menschen, die durchdrungen sind nicht nur von ihrem eigenen Engel – das ist ja jeder –, sondern die durchdrungen sind von dem leitenden, führenden Engel der Gemeinde. [6]

Sieben Briefe werden gerichtet an sieben gesonderte geographische Bezirke, in denen besondere Rücksicht genommen wurde auf einen der sieben Teile der menschlichen Wesenheit. Der erste Brief ist gerichtet an die Epheser. Bei ihnen wurde starkes Gewicht gelegt auf die Ausbildung des physischen Leibes. Bei den Phrygiern, in Smyrna, wurde besonders berücksichtigt der Ätherleib, in Pergamon der Astralleib. [7] (Eine Zuteilung dieser 7 Gemeinden der Apokalypse an die Erzengelherrschaften und deren Planetensphären findet man in dem Artikel: Archangeloiherrschaften und Planetensphären).

Zitate:

[1]  GA 346, Seite 88f   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[2]  GA 104, Seite 37f   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[3]  GA 104, Seite 43   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[4]  GA 104, Seite 49f   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[5]  GA 346, Seite 58   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[6]  GA 346, Seite 61f   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[7]  GA 104a, Seite 40   (Ausgabe 1991, 144 Seiten)

Quellen:

GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 104a:  Aus der Bilderschrift der Apokalypse des Johannes (1907/1909)
GA 346:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken (1924)