Dauer – Region der Dauer

Besonders schwierig wird es dem Gegenwarts-bewußtsein wohl, sich damit abzufinden, wenn gesagt werden muß, daß mit dem Saturnwärmezustand (siehe: Saturnentwickelung) auch zuerst dasjenige auftritt, was man die «Zeit» nennt. Die vorhergehenden Zustände sind nämlich gar nicht zeitlich. Sie gehören derjenigen Region an, die man in der Geisteswissenschaft die «Dauer» nennen kann. Für die menschliche Sprache kann, was der «Zeit» gewissermaßen vorangeht, auch nur mit Ausdrücken charakterisiert werden, welche die Zeitvorstellung enthalten. Muß man sich doch auch bewußt sein, daß, obgleich der erste, zweite und dritte Saturnzustand sich gar nicht «nacheinander» im gegenwärtigen Sinne abspielten, man doch nicht umhin kann, sie nacheinander zu schildern. Auch hängen sie ja trotz ihrer «Dauer» oder Gleichzeitigkeit so voneinander ab, daß sich diese Abhängigkeit mit einer zeitlichen Abfolge vergleichen läßt. [1]

In dem Augenblick, wo man in die geistige Welt hineinschaut, ist es, wenn man in das Vergangene hineinsieht, so, daß das Vergangene wie stehen geblieben ist. Das ist noch da. Die Zeit wird zum Raume. Das Vergangene hört auf, unmittelbar Vergangenes zu sein. Dann hört der Begriff der Notwendigkeit auch auf einen Sinn zu haben. Man hat nicht ein Vergangenes, ein Gegenwärtiges, ein Zukünftiges, sondern man hat ein Dauerndes.

Luzifer (beispielsweise) ist in der Mondenentwickelung so stehen geblieben, wie einer stehen bleibt, der mit einem anderen gegangen ist, und während der andere weitergeht, bleibt er, weil er zu bequem geworden ist, oder weil er wunde Füße bekommen hat, stehen. So wenig derjenige, der da stehengeblieben ist, mit dem Ort etwas zu tun hat, an dem der andere angekommen ist nach einiger Zeit, so wenig hat Luzifer direkt mit unserem Erdendasein etwas zu tun. Er ist eben im Mondendasein stehengeblieben. Da steht er heute noch. In der geistigen Welt können wir nicht sprechen von einem vergangenen, sondern nur von einem dauernden Dinge. [2]

In bezug auf alles dasjenige, was zu der ureigenen Menschennatur gehört, sind wir als Fünfzigjähriger ein anderer Mensch, als wir als Zwanzigjähriger sind; wir entwickeln uns. Mit Bezug auf alles dasjenige, in dem wir uns nicht entwickeln, gehören wir nicht unserer Leiblichkeit, sondern dem Geistig-Seelischen an und hängen zusammen mit dem Reich der Dauer. Diesem Reich der Dauer gehören nun an alle geistigen Wesenskräfte der höheren Hierarchien, die wir kennen, mit einziger Ausnahme der Geister der Form, Exusiai. Die spielen herein in das Reich der zeitlichen Entwickelung.

Aber sie schaffen herein – indem sie gewissermaßen ihr Leben zwischen der Raumlosigkeit und Räumlichkeit zubringen – die Gestalten aus dem Raumlosen ins Räumliche. Das unterliegt einem Zeitprozesse, es spielt ihr Leben in die Zeit hinein. Aber die anderen Wesenheiten, die in der Hierarchienordnung höher hinauf liegen als die Geister der Form, Exusiai, die sind rein der Dauer angehörige Wesenheiten. Es gibt (allerdings solche) Wesenheiten die in die Zeit eintreten. Das sind die luziferischen Wesenheiten, die eigentlich in der Hierarchienordnung zu den Geistern der Weisheit, Kyriotetes gehören, aber als Geister der Form, Exusiai wirken, weil sie in der Zeit wirken. [3] Diese luziferischen Kräfte haben in sich die Möglichkeit, dasjenige, was sonst für unsere menschliche Anschauung uns rein geistig dauerhaft erscheinen würde, gewissermaßen in die Zeit zu übersetzen, ihm den Schein des zeitlichen Verlaufs zu geben. Und durch diesen Schein des zeitlichen Verlaufes gewisser Erscheinungen in uns selbst kommt einzig und allein die Behauptung des Menschen, daß seine geistige Betätigung zusammenhinge mit stofflichen Vorgängen. Dieser Schein, daß Geistiges aus dem Stofflichen stammen könne, das ist im wesentlichen luziferischer Schein. Und man kann sagen: Der, welcher behauptet, Geistiges sei stoffliches Produkt, erklärt, wenn er es auch nicht ausspricht, Luzifer zu seinem Gott.

Wir können auch nach dem Gegenpol fragen. Eine luziferische Vorspiegelung ist diese, daß der Spiegel, das Stoffliche, ein Geistiges aus sich herausströmen lasse. Der Gegenpol ist der, daß auch die Täuschung beim Menschen vorhanden ist, als ob das, was in der sinnenfälligen Welt ist, jemals auf das menschliche Innere wirklich wirken könnte. Wäre nicht die ahrimanische Illusion da, die durch Kräfte entsteht, welche aus dem Raumlosen in das Räumliche eintreten, dann würde der Mensch durchschauen, wie niemals auf seine Wesenheit die Kräfte Einfluß gewinnen können, die im Stofflichen verankert sind, in Energien verankert sind, die im Menschen weiterwirken können. Diese Behauptung ist eine rein ahrimanische, und der sie tut, erklärt Ahriman zu seinem Gott, auch wenn er es nicht ausspricht. [4]

Der Tod ist ja nicht nur die einmalige Erscheinung, denn der Mensch beginnt eigentlich zu sterben, indem er geboren wird. Alles was an Kräfteimpulsen zum Tode führt, das sind zugleich diejenigen Kräfte, welche das Gleichgewicht herstellen mit den luziferischen Kräften, denn durch den Tod wird der Mensch aus dem Zeitlichen hinausgeführt in das Reich der Dauer. Das Luziferische trägt die Dauer in die Zeit herein; der Tod trägt die Zeit in die Dauer hinaus. [5]

Wir können niemals in unserer Seele etwas wollen oder denken, ohne daß wir uns in Regionen versetzen, in denen geistige Kämpfe stattfinden oder geistige Kämpfe zur Ruhe kommen, oder geistige Kämpfe schon ausgefochten worden sind und wir uns in das Ergebnis des Ausfechtens versetzen und so weiter. In Wirklichkeit steckt hinter unseren geistig-seelischen Vorgängen das eben Geschilderte; es offenbart sich für den Menschen im Abglanz so, daß es ihm erscheint als Denken, Fühlen und Wollen. Und sobald wir den Menschen betrachten, wie er geistig-seelisch ist, findet der Begriff der Entwickelung, der Evolution, keine Anwendung. In der geistigen Region entwickelt sich in dieser Weise nichts, sondern wir können nur sagen, wenn wir beim Kinde sehen, daß es anders vorstellt, fühlt und will als der Greis, so ist das Kind eben versetzt in eine andere geistige Region, wo die Kämpfe zwischen den verschiedenen Wesenheiten sich anders abspielen.

In dieser geistigen Region verstehen wir das Vergangene nur, wenn wir sagen, das Kampfbild, das Beziehungsbild, das Bild von den Wechselverhältnissen der Wesenheiten, die wir unter den höheren Hierarchien suchen, dieses Bild ist ein anderes als das Bild, das wir in dem Wechselspiel der Hierarchien haben, wenn wir von der Gegenwart reden. Und wiederum kommt ein anderes Bild heraus, wenn wir von der Zukunft reden. Und ein Unding wäre es, zu sagen, das Kampfesbild der Zukunft entwickle sich aus dem Kampfesbild der Vergangenheit. Diese Dinge sind in der Region des Geistigen in einer gewissen Beziehung nebeneinander, nicht nacheinander. Daher kann auch nicht von Entwickelung gesprochen werden, sondern nur von einer geistigen Perspektive. Das, was in der Region des Leiblich-Seelischen als Evolution, als Entwickelung erscheint, das ist gebunden an ein Geistig-Seelisches, in dem von Entwickelung nicht gesprochen werden kann, sondern nur von dem Übergehen, im Wechselverhältnis zwischen den Wesen der höheren Hierarchien, von einem Bilde zu einem anderen.

In der Sphäre der höheren Hierarchien dauert alles. Da verlaufen die Dinge nicht in der Zeit, da haben wir es nur zu tun mit Perspektiven. [6] 8ff

Die Wissenschaft des Eingeweihten hat die Aufgabe, dasjenige, was sich vermischt, auseinanderzuhalten, denn nur im Auseinanderhalten kann es verständlich werden. Sie hat immer dasjenige, was in der Region der Dauer ist, das Obere, dasjenige, was in der Region des Vergänglichen ist, das Untere genannt. Aber indem der Mensch hier auf der Erde lebt, ist er für seine Anschauung eine Vermischung des Oberen und des Unteren, und er kann niemals zu irgendeinem Verständnisse seines eigenen Wesens kommen, wenn er dasjenige anschaut, was sich hier vermischt hat. [7]

Die menschliche soziale Ordnung ist gelenkt und geleitet von den Wesenheiten der höheren Hierarchien. Und wenn Sie nur die geringfügigste Beziehung eingehen von Mensch zu Mensch – und unser ganzes Leben besteht in Beziehungen zwischen Mensch und Mensch – und es fließt dasjenige, was in diese Beziehungen hineinströmt, nicht aus dem Bewußtsein des Drinnenstehens in der geistigen Region, der Region der Dauer, dann verderben Sie das soziale Zusammensein. Eine soziale oder politische Anschauung, welche nicht vom Geistigen ausgehen würde, wirkt vernichtend, zerstörerisch. Lebendig auf das Werdende wirkt nur eine Anschauung, welche mit der Region der Dauer rechnet im politischen, im sozialen, überhaupt im menschlichen Zusammenleben. Und die Zeichen der Zeit sprechen heute so, daß eben die Zeit abgelaufen ist, in welcher wie bis zum Jahre 333 höhere Wesenheiten übersinnlichen Unterricht erteilten, an dem der Mensch nicht bewußt teilzunehmen brauchte, weil ihm dieser Unterricht zum großen Teil im Schlafe oder im Dämmerzustand erteilt worden ist. Jetzt muß der Mensch das, was er so zu erhalten notwendig hat, als Mensch unter Menschen erfahren. [8]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 170   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 163, Seite 89f   (Ausgabe 1975, 152 Seiten)
[3]  GA 184, Seite 210f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[4]  GA 184, Seite 212f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[5]  GA 184, Seite 215   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[6]  GA 184, Seite 12   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[7]  GA 184, Seite 131   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[8]  GA 184, Seite 143f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 163:  Zufall, Notwendigkeit und Vorsehung. Imaginative Erkenntnis und Vorgänge nach dem Tode (1915)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)