Blavatsky, Helena Petrowna

(Frau) Blavatsky geb. Hahn, hatte in der Zeit, als sie die «Entschleierte Isis» schrieb, eine Art rosenkreuzerischeInspiration. Darin stehen – bis auf die Fehler des Rosenkreuzertums – ganz große rosenkreuzerische Wahrheiten. Ich sagte, bis auf die Fehler des Rosenkreuzertums, denn das Rosenkreuzertum hatte die Wahrheit über Reinkarnation und Karma nicht. Frau Blavatsky wurde dann später eingefangen von einer orientalisierenden Theosophie. Daraus ist dann die «Geheimlehre» hervorgegangen, die in bezug auf alles, was nicht christlich (und jüdisch) ist, große Wahrheiten enthält. [1]

Die äußere Persönlichkeit von H. P. Blavatsky, insofern sie in ihrem physischen Leibe verkörpert war, mit ihrem Intellekt, auch mit ihren persönlichen Eigenschaften, ihrer Sympathie und Antipathie, sie zeigt uns in der Art, wie die «Entschleierte Isis» geschrieben ist, daß sie durchaus nicht aus ihrer Persönlichkeit, aus ihrer eigenen Seele hat hervorbringen können dasjenige, was sie der Welt zu geben hatte. Sie teilt Dinge mit, die sie selbst gar nicht hat verstehen können, und wenn man diesen Gedankengang weiter verfolgt, dann ist er ein Beweis dafür, daß höhere, spirituelle Individualitäten den Leib und die Persönlichkeit von H. P. Blavatsky benutzt haben, um dasjenige, was notwendig war, was einfließen mußte in die Menschheit, mitzuteilen. [2]

Es brauchte die ganz sonderbare, auf der einen Seite selbstlose, fast entselbstete, und auf der anderen Seite wiederum radikal selbstische, egoistische Natur von Helena Petrowna Blavatsky, um das geschehen zu lassen durch höhere geistige Mächte, was geschehen ist. Die selbstlose Natur aus dem Grunde, weil jedes westeuropäische Gemüt in die eigenen Denkformen, in den eigenen Intellekt das gebracht hätte, was geoffenbart worden ist. Und es brauchte die ganz selbstische, egoistische Art, weil in der damaligen grobklotzigen materialistischen Lebensart Westeuropas keine Möglichkeit geboten war, anders als aus einer solch radikalen Gemütsart heraus wie, man möchte sagen, Eisenfäuste zu machen über die zarten Hände, welche zu hegen und zu pflegen hatten den Okkultismus der neueren Zeit. [3]

Das erste Bewußtsein übersinnlicher Art, davon erlebt der Mensch ein Surrogat, eine Andeutung in jenem erhobenen Traumbewußtsein, das nicht bloß willkürliche Traumbilder liefert, sondern das sich erstreckt bis zu Wahrnehmungen von Wirklichkeiten, die allerdings einer höheren Welt angehören. Und es bedarf eigentlich nur einer systematischen höheren Ausbildung des Traumbewußtseins, dann kommt der Mensch zu dem ersten Bewußtsein übersinnlicher Art, das kann schon Aufschluß geben über wichtige Verhältnisse, die sich auf dem alten Monde zugetragen haben. Aus diesem Bewußtsein, das bis zum alten Monde zurückgeht, ist auch zum überwiegend größten Teil alles das geschöpft, was in der «Secret Doctrine» von Helena Petrowna Blavatsky gegeben ist. [4] Sie war im ausgesprochensten Maße medial. Sie war ganz besonders geeignet, durch gewisse unterbewußte Glieder ihres Organismus viel, sehr viel aus der geistigen Welt herauszuholen. Und jetzt entstand ein wirkliches Ringen um diese Persönlichkeit, auf der einen Seite in der ehrlichen Absicht, vieles, was die Eingeweihten wußten, bestätigt zu finden, auf der anderen Seite um mächtiger Sonderzwecke willen. Sie war nicht bloß ein passives Medium, sie hatte eine ungeheuer starke Erinnerung für alles, was sich ihr aus den höheren Welten kundgab –, so mußten allerdings doch gewisse Persönlichkeiten auf sie einen Einfluß haben, wenn sie Kundgebungen aus der geistigen Welt hervorrufen wollte, deshalb beruft sie sich immer auf die Mahatmas, was eigentlich wegbleiben müßte. [5]

Sie hatte einen gewissen Grundzug im Wesen, der zum Medialen neigenden Persönlichkeiten besonders eigen ist: nämlich eine Ungleichartigkeit in ihrem äußeren Auftreten. Sie hatte also Momente, wo sie sehr frech werden konnte. [6]

Aus dem russischen Volkstum ist zum großen Teil hervorgewachsen diese H. P. Blavatsky. Daraus wird es verständlich, daß bei ihr in einem ungeheuren Maße der Ätherleib in seiner Tätigkeit alle physische Tätigkeit, insofern sie Erkenntnistätigkeit ist, überwog. Sie kann in ihrem Ätherleibe unendlich vieles erleben. Es fehlte ihr alle Möglichkeit, logisch zu denken, ihre Erkenntnisse logisch zu gruppieren, irgendwie zwei Dinge so nacheinander zu sagen, daß das eine aus dem anderen folgte. Aber das hindert nicht, daß dasjenige, was sich bei ihr durchdrängte durch den Ätherleib, was bei ihr durch ihre ätherische Erkenntnisfähigkeit in ungeordneter Weise auftrat, selbstverständlich bedeutsame Offenbarungen enthalten kann aus der geistigen Welt. [7]

Es gab ja immer eine Tradition über solche Lehren, die auf alte Mysterien-Schulen zurückgehen. Diese Tradition wird in allerlei Gesellschaften gepflegt, die streng darüber wachen, daß von den Lehren aus den Gesellschaften nichts hinausdringe. Aber von irgend einer Seite wurde es für angemessen gehalten, an H. P. Blavatsky solche Lehren mitzuteilen. Sie verband dann, was sie da erhielt, mit Offenbarungen, die Ihr im eigenen Innern aufgingen. Denn sie war eine menschliche Individualität, in der das Geistige durch einen merkwürdigen Atavismus wirkte, wie es einst bei den Mysterien-Leitern gewirkt hat, in einem Bewußtseinszustand, der gegenüber dem modernen von der Bewußseinsseele durchleuchteten ein ins Traumhafte herabgestimmter war. So erneuerte sich in dem «Menschen Blavatsky» etwas, das in uralter Zeit in den Mysterien heimisch war. [8]

Den ganz gescheiten Leuten, die nichts wissen vom Okkultismus, denen ist natürlich die Blavatsky eine Persönlichkeit, die ein wenig barock, ein wenig abnorm ist. Aber das ist sie nicht für die Okkultisten, wenn es auch Okkultisten der ahrimanischen Linie sind. [9] Die Okkultisten wußten, daß man es mit einer bedeutsamen Individualität zu tun hatte. [10] Es entstand in den sechziger und Anfang der siebziger Jahre (1870) die Tendenz bei den okkulten Verbrüderungen des Westens, die Blavatsky dazu zu benützen, vor die Welt geistige Wahrheiten hinzustellen. Die Absicht war also, vor die Welt hinzustellen eine neue okkulte Wissenschaft, die aber den westlichen Bruderschaften geeignet erschien für dasjenige, was sie als ihre Spezialzwecke wollten. [11] Sie trat ein in einen Hochgrad-Orden in Paris, der aber abhängig war von britisch-okkultistischen Strömungen. Sie bekam doch in gewissem Sinne Geschmack daran, nun eine ganz allererste okkulte Rolle zu spielen. Aber sie wollte nicht bloß ein höheres Medium sein, sie wollte die ganze Sache selber dirigieren. Und da kam es dann dazu, daß sie in einen amerikanischen Orden eintrat. Jetzt gab es eine Persönlichkeit, die unendlich viel von dem wußte, was man als das okkulte Wissen geheimer Orden bis dahin gut verwahrt hatte. Nun machte sie aber in Amerika etwas, was unmöglich machte, daß sie in dem Orden drinnen geblieben wäre oder weiter gewirkt hätte. Da griff man zu einem Mittel, welches wirklich sehr, sehr selten angewendet wird, und das ein sehr bedenkliches Mittel ist. Man griff zum Mittel, die gute, arme Blavatsky – die also, wie Sie sehen, ein Spielball der verschiedensten Mächte war, die auf sie einwirkten –, wie man sagt, in okkulte Gefangenschaft zu setzen. Diese besteht darinnen – man erreicht das durch gewisse Mittel zeremonieller Magie –, daß man bewirkt, daß alles dasjenige, was die betreffende Seele entwickelt, nur bis zu einer gewissen Sphäre geht und dann zurückgeworfen wird. So daß der Betreffende alles dasjenige, was er in sich entwickelt, nur selber sieht, daß er es nicht irgendwie der Außenwelt mitzuteilen vermag, daß er es ganz nur in sich selber verarbeiten kann. 1879, auf einer von Okkultisten der verschiedensten Ländern besuchten okkultistischen Versammlung wurde dies beschlossen und über die Blavatsky verhängt. [12]

Gewisse indische Okkultisten, die nun wiederum ihrerseits das Bestreben hatten, sie vor dem britischen Wesen zu retten, wendeten nun ihrerseits gewisse Mittel an, um die okkulte Gefangenschaft aufzulösen. Das wurde sogar durchaus im Einklange mit denjenigen gemacht, die früher die okkulte Gefangenschaft über die Blavatsky verhängt hatten. Und für die Blavatsky war die Folge davon, daß gewissermaßen in ihre Seele jetzt alles hereinströmte, was nur mit indischem Okkultismus zusammenhing. Ich muß immer wieder betonen: Man hat es wirklich mit sich offenbarenden Geheimnissen der geistigen Welt zu tun, die nur, ich möchte sagen, in allerlei verzerrten Bildern und Karikaturen zum Vorschein kommen, die man aber nicht so ansprechen darf, als ob nicht große okkulte Geheimnisse durch sie zutage treten. Selbstverständlich kamen jetzt mit den ungeheuren Kräften, die in der Blavatsky walteten schon durch ihre Anlagen und dann durch alles das, was sie noch durchgemacht hatte, die indischen okkulten Wahrheiten in einem ganz besonderen Maße durch sie zum Vorschein. [13] Durch eine solche Seele spielen diejenigen Kräfte hindurch, die in der geistigen Welt wirken und sich in der physischen Welt nur offenbaren, und daß bei einer solchen Seele ganz besonders zu beobachten ist, wie sie mitgenommen wird von einem, ich möchte sagen, unter dem Niveau, das den physischen Plan bedeutet, Spielenden, wie sie von einer solchen Strömung mitgerissen wird und zeigt, welche Kräfte im historischen Werden drinnen sind. [14]

Die in formelhaftes Gewand gekleideten alten Überlieferungen, die in den okkulten Bruderschaften, oftmals ohne daß die Mitglieder sie verstehen, aufbewahrt werden, entzündeten in der Seele der Blavatsky bedeutsame Erkenntnisse, die sie wohl kaum durch bloße Eigenentwickelung hätte erlangen können. Dadurch wurde eine große Summe von Wissen in ihr entzündet. [15] Ihr Intellekt war niemals geeignet, hinunterzuschauen in dasjenige, was ihr überliefert worden ist von Personen, die nicht immer ehrliche Personen waren, die aber gerade durch die Blavatsky wirken konnten, die das in egoistischem Sinne durch den medialen Intellekt der Blavatsky zusammengezimmert haben zu etwas, was dann in einer suggestiven Weise auf die Menschen wirkte. [16]

Es war durch diese «Geheimlehre» eine große Summe von uralten, in der Vorgeschichte der Menschheit durch atavistisches Hellsehen gewonnene Wahrheiten ausgesprochen. Ich möchte sagen: Es war eine Art Wiederauf-erweckung von uralten Kulturen. Dazwischen Partien der unglaublichsten Art, die einen immer wieder staunen machten, weil das Buch lotterig, dilettantisch gearbeitet ist in bezug auf jede wissenschaftliche Denkweise, unsinnig mit Bezug auf manches Abergläubische und so weiter. Überhaupt ein ganz merkwürdiges Buch, diese Blavatskysche «Geheimlehre»: große Wahrheiten neben schauderhaftem Zeug. [17]

Ein tiefgründiges Wissen und Erkennen über geistige Dinge findet sich in diesem Buche, aber die ganze Art der Darstellung ist so chaotisch, so untermischt mit naturwissenschaftlichem Dilettantismus, der sich namentlich in der Bekämpfung naturwissenschaftlicher Theorien und Hypothesen dartut, daß der naturwissenschaftlich Erzogene mit diesem Buche durchaus nicht mitgehen kann. [18] Man muß nur das Richtige vom Unrichtigen unterscheiden können; dann sind aber großartige Wahrheiten in dieser «Secret Doctrine» (Geheimlehre). Aber es ist der Weg, welcher hinaufgeht durch das Mondenastrallicht, in dem Helena Petrowna Blavatsky in wunderbarer Weise leben konnte, und in dem ihr für ihre Interpretationen der Merkurbote ein ganz wunderbarer Führer geworden ist. [19]

Derjenige, der an die Stelle des Meisters Koot Hoomi getreten ist, steht als Betrüger da, indem er eine einseitige Weltanschauung verpflanzt hat in die Blavatsky. Es war möglich, daß man nicht einsah, daß hinter ihr ein grauer Magier stand, der im Solde war einer engbegrenzten menschlichen Gesellschaft und eine bestimmte menschliche Weltanschauung propagieren wollte. [20]

Am Widerstand der Welt ist selbst diese starke Natur fast zerschellt. Gerade weil ihr so viel Unverständnis und falsche Autorität gegenüberstanden, können wir angesichts der Empfänglichkeit und Sensibilität ihrer okkulten Kräfte verstehen, daß sie als eine in gewisser Weise gebrochene Persönlichkeit an ihrem Lebensabend anlangte. Aber was sie der Welt gebracht hat, soll in der Menschheit Leben und Zukunft haben. [21]

Zitate:

[1]  GA 133, Seite 16f   (Ausgabe 1964, 175 Seiten)
[2]  GA 143, Seite 170   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[3]  GA 158, Seite 195   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)
[4]  GA 137, Seite 193f   (Ausgabe 1973, 216 Seiten)
[5]  GA 254, Seite 31f   (Ausgabe 1969, 279 Seiten)
[6]  GA 254, Seite 33   (Ausgabe 1969, 279 Seiten)
[7]  GA 167, Seite 60   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[8]  GA 28, Seite 424f   (Ausgabe 1962, 520 Seiten)
[9]  GA 167, Seite 69   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[10]  GA 173, Seite 300   (Ausgabe 1966, 396 Seiten)
[11]  GA 167, Seite 70f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[12]  GA 167, Seite 72f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[13]  GA 167, Seite 74   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[14]  GA 167, Seite 76   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[15]  GA 173, Seite 299   (Ausgabe 1966, 396 Seiten)
[16]  GA 162, Seite 232   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[17]  GA 258, Seite 32   (Ausgabe 1959, 196 Seiten)
[18]  GA 62, Seite 198   (Ausgabe 1960, 499 Seiten)
[19]  GA 243, Seite 216   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[20]  GA 162, Seite 239   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[21]  GA 96, Seite 58   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)

Quellen:

GA 28:  Mein Lebensgang (1923-1925)
GA 62:  Ergebnisse der Geistesforschung (1912/1913)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 133:  Der irdische und der kosmische Mensch (1911/1912)
GA 137:  Der Mensch im Lichte von Okkultismus, Theosophie und Philosophie (1912)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 167:  Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916)
GA 173:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Erster Teil (1916)
GA 243:  Das Initiaten-Bewußtsein. Die wahren und die falschen Wege der geistigen Forschung (1924)
GA 254:  Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur. Bedeutsames aus dem äußeren Geistesleben um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (1915)
GA 258:  Die Geschichte und die Bedingungen der anthroposophischen Bewegung im Verhältnis zur Anthroposophischen Gesellschaft. Eine Anregung zur Selbstbesinnung (1923)