Autorität

Diejenigen, welche die allermeisten instinktiven Erinnerungen hatten an das Erleben vor der Geburt oder vor der Empfängnis, die waren (im Altertum) die geeignetsten Mysterienschüler. Der Mensch wurde so hineingestellt in die soziale Ordnung, wie die Mysterien erkannten, daß er von den Göttern selber da hineingestellt war. Die Autorität, welche vor allen Dingen die römischen Päpste für sich in Anspruch nahmen, diese Autorität war es, welche an die Stelle dessen trat, was erkennend die alten Mysterienpriester schauten als das von den geistigen Welten herübergebrachte. [1]

Systematisch diese Autoritätskraft, diese Autoritätsgesinnung auszubilden, das ist eigentlich das Prinzip des Jesuitismus. Und der Jesuitismus der katholischen Religion ist nur eine Spezialleistung von Leistungen, die auf anderen Gebieten ebenso auftreten, wo man es nur nicht so merkt. Er hat begonnen auf kirchlich-dogmatischem Gebiete, mit der Tendenz, die Macht des Papsttums, die aus der vierten Kulturperiode herüberragte in die fünfte, für die sie nicht mehr taugt, aufrechtzuerhalten. Aber dasselbe jesuitische Prinzip wird sich nach und nach übertragen auf andere Gebiete des Lebens. Heute sehen wir bereits im Arzttum einen Jesuitismus heraufragen, der kaum anders ist als der Jesuitismus auf dem Gebiete der dogmatischen Religion. Wir sehen, wie gestrebt wird aus einer gewissen medizinischen Dogmatik heraus nach einer Erhöhung der Macht des Ärztestandes. Und das ist das Wesentliche des jesuitischen Strebens auch auf verschiedenen anderen Gebieten. Dies wird immer stärker und stärker werden und die Menschen werden immer mehr und mehr eingeschnürt werden in das, was die Autorität über sie verhängt. Und das Heil unseres fünften Zeitraumes wird darin bestehen, gegen diese ahrimanischen Widerstände geltend zu machen das Recht der Bewußtseinsseele, die sich entwickeln will. [2]

Wir müssen in die Lage kommen, die Autorität schaffen zu lassen, aber die Autorität beurteilen zu können. [3] Die von dem anderen Wissenschaftlichen verschiedene Art des Begriffebildens, des Vorstellungenbildens, die notwendig ist für die Geisteswissenschaft, die befähigt uns nicht, eine Autorität auf diesem oder jenem Gebiete zu werden, aber urteilsfähig zu werden. Und warum das so ist, man wird es immer mehr und mehr einsehen; denn es bestehen geheimnisvolle Kräfte in der menschlichen Seele, und diese Mysterienkräfte werden zusammenbinden die Menschenseele mit der geistigen Welt und werden durch dieses Band uns im einzelnen Falle, wenn wir der Autorität gegenüberstehen, urteilsfähig erscheinen lassen. Wir werden nicht dasjenige wissen, was die Autorität wissen kann; aber wenn die Autorität etwas weiß und im einzelnen Fall dies oder jenes tut, werden wir urteilsfähig dazu sein. [4] Die geistigen Wesen, die die geistige Welt außer uns bewohnen blicken mit Wohlgefallen, mit Befriedigung, mit Genugtuung hin auf die Gedanken, die wir uns über ihre Welt machen können. Stehen wir also den Autoritäten fernerhin gegenüber in der fünften nachatlantischen Periode, dann ist es für uns heilsam, wenn wir hinter uns haben nicht bloß unseren eigenen menschlichen Verstand, sondern das, was die geistigen Wesen in unserem Verstande zu wirken vermögen, wenn wir von ihnen wissen. Die befähigen uns zum Urteilen gegenüber der Autorität. Die geistige Welt hilft uns. [5]

Zitate:

[1]  GA 200, Seite 107   (Ausgabe 1970, 154 Seiten)
[2]  GA 168, Seite 106   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[3]  GA 168, Seite 109   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[4]  GA 168, Seite 110   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[5]  GA 168, Seite 112   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)

Quellen:

GA 168:  Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten (1916)
GA 200:  Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts (1920)