Jesuitismus

Der Weg der jesuitischen Geistesströmung war so, daß man zuerst die Evangelien hatte und dann das darin Dargestellte erlebte (in Imaginationen). Wenn man sich (dagegen) auf den Pfad des geistigen Lebens begibt, erlebt (man) das okkult, was mit unserem eigenen Leben zusammenhängt, und kann dadurch die Bilder, die Imaginationen der Evangelien durch sich selbst erleben. [1]

Der Jesuitismus ist deshalb nicht leicht zu nehmen, nicht bloß exoterisch, sondern auch esoterisch, weil er im Esoterischen wurzelt. Aber er wurzelt nicht im Geistesleben, das ausgegossen ist durch das Symbol der Pfingstfeier, sondern er will unmittelbar wurzeln in dem Jesus-Element des Sohnes, das heißt in dem Willen. [2]

Man kann das Jesus-Element überspannen, indem man den Jesus zu einem König dieser Welt macht, indem man ihn zu dem macht, was er geworden wäre, wenn er dem Versucher nicht widerstanden hätte, der ihm geben wollte «alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeiten». Dann hätte der Jesus von Nazareth ein König werden müssen, der zum Unterschiede von den anderen Königen, die alle nur ein Stück der Erde besitzen, die ganze Erde zu seinem Wirkungsbereich gehabt hätte. Das sind die stärkenden Imaginationen für den Willen, die vor die Seele des Jesuitenzöglings geführt werden. Das ist das, was seinen Willen ganz und gar verwandelt, was ihn so macht, daß in der Tat in diesem Willen – weil er auf okkulte Weise heranerzogen ist – ein Absehen von allem Übrigen ist, und ein Hingegebensein an die Idee: Der König Jesus muß zum Herrscher auf der Erde werden! Und wir, die wir zu seinem Heere gehören, wir haben alles anzuwenden, was ihn zum Herrscher auf Erden macht. Das geloben wir, die wir zu dem Heere gehören, das auf der Ebene von Jerusalem versammelt ist, gegenüber dem Heere des Luzifer auf der Ebene von Babylon. Und die größte Schande für einen Soldaten des Königs Jesus ist es, die Fahne zu verlassen! Das in einen einzigen Willensentschluß zusammengefaßt, ist etwas, was allerdings dem Willen eine gewaltige Stärke geben kann. Das Element, das (bei einer esoterischen Schulung) als das unmittelbar heilige gelten soll, wo man nicht hineingreifen soll, das Willenselement ist in dem Seelenleben unmittelbar angegriffen worden. Indem der (vorgestellte) Jesus ganz eingreift in das Willenselement, insofern ist der Begriff des Jesustums in der gefährlichsten Weise überspannt, – gefährlich deshalb, weil dadurch der Wille so stark wird, daß er auch unmittelbar auf den Willen des anderen wirken kann. Daher auch alle die übrigen okkulten Wege, zu denen ein solcher Wille seine Zuflucht nehmen kann. [3]

Mit den Symbolen, mit dem Sakramentalismus, mit der Kultushandlung wirkt man aber tiefer hinein (in den Menschen), bis in den Ätherleib. Das heißt, man beeinflußt direkt die ganze Anlage der Denkrichtung des Menschen. [4] Der Orden der Jesuiten beruht durchaus auf Okkultismen. Die Übungen die der Jesuitenschüler zu machen hat, bewirken nun, daß der Mensch, der mitteilt oder Kultushandlungen bewirkt, statt in den Ätherleib des Menschen einzugreifen, in den Astralleib eingreift. Alle Schulung des Jesuitismus geht darauf hinaus, dem Jesuiten Kraft zu geben, seine Worte so zu stellen, die Art und Weise, wie er redet, so zu fügen, daß dasjenige, was er vorbringt oder was er tut, sich hineinstiehlt, möchte ich sagen, in die astralischen Impulse des Menschen (der zuhört oder zusieht). [5]

Diejenige Bestrebung in der Kulturentwickelung, welche es sich zur Aufgabe gesetzt hat, kein Verständnis des Christus aufkommen zu lassen, das Verständnis des Christus vollständig zu untergraben, das ist der Jesuitismus. Der Jesuitismus strebt danach, allmählich jede Möglichkeit eines Christus-Verständnisses auszurotten.

(In alten Zeiten) sah man den Christus im Kosmos, man sah den Christus im Universum. Aber nun denken Sie: Vom 7., 8. vorchristlichen Jahrhundert ab haben wir Menschen die Möglichkeit verloren, in das Universum hinauszuschauen. In dem historischen Zeitmomente, wo die Menschen nicht mehr den Christus im Kosmos schauen konnten, kam der Christus auf die Erde herunter, verband sich mit dem Jesus. Von da ab, war es des Menschen Aufgabe, den Christus in dem Menschen zu erfassen. Tief begründet ist es, daß wir von einem Christus Jesus sprechen. Denn der Christus entspricht dem Kosmischen; aber dieses Kosmische ist auf die Erde heruntergekommen und hat in dem Jesus Wohnung genommen, und der Jesus entspricht dem Irdischen mit der ganzen irdischen Zukunft. Will man den Menschen abschließen vom Geistigen, so nimmt man ihm den Christus. Dann hat man die Möglichkeit, den Jesus so zu benützen, daß die Erde nur in ihrem irdischen Aspekt vorhanden bleibt. Sie werden daher beim Jesuitismus eine fortwährende Bekämpfung der Christologie finden, dagegen ein scharfes Betonen dessen, daß man ein Heer ist, eine Armee für den Jesus. [6] Und begreifen muß man, welchen Haß sich ausbildete innerhalb derjenigen Kreise, die gar kein Verständnis mehr hatten für das Mysterium von Golgatha, die ein nur traditionell durch Autorität Fortgepflanztes hatten, denen angst und bange war vor dem Bekanntwerden des Evangeliums unter der großen Masse, begreifen muß man den Haß, der eigentlich immer stärker und stärker wurde und besonders innerhalb des Jesuitismus dann zum vollständigsten System ausgebildet worden ist: der Haß auf dasjenige, was die Gnosis war. Die katholische Kirche kämpft eben nur für ihre Autorität mit Ausschluß alles Geistigen weiter, verleumdet alles, was über ihre dialektisch-juristische Denkweise hinausragt, verleumdet alles, was sich nicht in das soziale Autoritätsprinzip einfügen lassen will. [7]

Zitate:

[1]  GA 131, Seite 74   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[2]  GA 131, Seite 51   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[3]  GA 131, Seite 54ff   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[4]  GA 167, Seite 209   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[5]  GA 167, Seite 210   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[6]  GA 183, Seite 53ff   (Ausgabe 1967, 195 Seiten)
[7]  GA 200, Seite 112f   (Ausgabe 1970, 154 Seiten)

Quellen:

GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 167:  Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916)
GA 183:  Die Wissenschaft vom Werden des Menschen (1918)
GA 200:  Die neue Geistigkeit und das Christus-Erlebnis des zwanzigsten Jahrhunderts (1920)