Ausstrahlung des Menschen

Wenn Sie bedenken, daß der Mensch, insofern er ein Sinnesmensch, ein Drüsen-, ein Verdauungsmensch ist, durch diese Tätigkeit keinen Ewigkeitswert hat, werden Sie diesen Gedanken nun leicht verbinden können mit dem allgemeinen Gedanken von der zersprühenden Form. Von dem, was wir allgemein als Zerfallsprozeß der Form oder das Schießen der Form in die Materie ansprechen können, sind das besondere Prozesse, Spezialprozesse. Ganz anders liegt die Sache, wenn wir zur Nerventätigkeit, zur Muskeltätigkeit und zur Knochenwirksamkeit, zum Knochendasein des Menschen gehen. Gewissermaßen liegt im Knochensystem materiell gewordene Imagination, materiell gewordene Bildhaftigkeit, im Muskelsystem materiell gewordene Inspiration in der Beweglichkeit, im Nervensystem materiell gewordene Intuition. Was bleibt (nach dem Tode), wenn das Knochensystem materiell zerfällt, das ist die Imagination, die geht nicht verloren. Die bleibt in denjenigen Substanzen, die wir auch an uns haben, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind und ins Kamaloka oder ins Devachan hineingehen. Wir behalten allerdings eine Bildgestalt an uns zurück, die ja, wenn sie der wirklich geschulte Hellseher betrachtet, nicht gerade ähnlich ist dem Knochensystem, die aber, wenn sie der etwas weniger geschulte Hellseher auf sich wirken läßt, sogar äußerlich in der Bildgestalt etwas Ähnliches hat mit dem menschlichen Knochensystem, weswegen der Tod überhaupt nicht ganz unrichtig unter der Imagination des Knochenskelettes vorgestellt wird. Und beigemischt ist dieser Imagination das, was nun von den Muskeln bleibt, wenn sie stofflich zerfallen: da verbleibt die Inspiration, von der sie eigentlich nur der Ausdruck sind, denn sie sind eigentlich nur stoffdurchtränkte Inspirationen. Die Inspiration bleibt uns, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind. Und ebenso bleibt uns die Intuition von dem Nervensystem. Das sind alles wirkliche Bestandteile unseres astralischen und ätherischen Leibes. [1]

Indem der Mensch dieses Nervensystem durch die Welt trägt, ist eigentlich an den Stellen, wo die Nerven den menschlichen Organismus durchsetzen, fortwährend Intuition, und diese Intuition strömt die Geistigkeit aus, die der Mensch immerfort wie eine Strahlenaura um sich herum hat. Wir strahlen immer in dem Maße Intuition aus, als die Nerven zerfallen. Dadurch hat der Mensch eine große Bedeutung für die Welt. Denn wozu er seine Nerven benützt, davon hängt ab, was für intuitiv erfaßbare Substanzen von ihm ausstrahlen. Und wiederum, indem der Mensch seine Muskeln benützt, strahlen durch Inspiration erfaßbare Substanzen aus. Diese Ausstrahlung ist so, daß sie die Welt fortdauernd mit lauter ungemein fein differenzierten Bewegungsvorgängen bevölkert. Also inspirierte Substanzen strömen aus – die Worte sind nicht ganz glücklich gebildet, aber wir haben keine anderen. Und von seinen Knochen strömt beim Menschen dasjenige aus, was wir nennen können imaginativ zu erfassende Substanz.

Durch diese Ausstrahlung aus den Knochen, wenn sie zerfallen, läßt der Mensch, in gewissem Maße überall, wo er hinkommt, durch Imagination wahrnehmbare Geistesbilder von sich zurück; feine Schattenbilder bleiben überall von uns zurück, wo wir gewesen sind. Auf diesen Imaginationen beruht ja das Unangenehme, das man manchmal empfindet, wenn man in ein Zimmer kommt, das vorher ein anderer, ein unangenehmer Mensch bewohnt hat. Und in dieser Beziehung ist im Erleben ein einigermaßen sensitiver Mensch gar nicht hinter dem Hellseher zurückstehend. Der Hellseher hat nur das voraus, daß er sich in einem imaginativen Bilde veranschaulichen kann, was der andere spürt. Selbst wenn Sie bloß liegen und nur denken, so strahlen Sie intuitiv zu erfassende Substanz aus. Kurz, was Sie in Tätigkeit setzen, das strahlen Sie fortwährend in die Welt aus, das geht fortwährend in die Welt über. [2]

Nun sehen sie, wenn diese Prozesse nicht stattfinden würden, dann würde von unserer Erde, wenn sie am Ziele ihrer Entwickelung angelangt sein wird, nichts vorhanden sein als pulverisierte Materie, die in den allgemeinen Weltenraum als ein Staub übergehen würde. Dasjenige aber, was aus den materiellen Prozessen der Erde gerettet wird durch den Menschen, das lebt in dem allgemeinen Kosmos, in der allgemeinen Welt als das, was entstehen kann durch Intuition, Inspiration und Imagination. Der Mensch gibt auf diese Weise der Welt das, woraus sie als aus den Bausteinen sich wieder neu aufbaut. Der Mensch trägt seine einzelne Seele durch die Pforte des Todes; die Erde trägt das, was geworden ist aus den Intuitionen, Inspirationen und Imaginationen der Menschen, hinüber zum Jupiterdasein

.Der Mensch ist ein Doppelwesen: Der Sinneswahrnehmungen erfassende Mensch, der aus seinen Drüsen absondernde Mensch, der verdauende, sich ernährende Mensch – das ist der Mensch, der für das Zerklüften in der Zeitlichkeit bestimmt ist. Das aber, was erarbeitet wird durch das Vorhandensein des Nerven-, Muskel- und Knochensystems, das wird einverleibt der Erde, damit sie weiter bestehen kann. [3]

Dasjenige, was der Mensch so in seine Umgebung ausstrahlen kann, das gliedert sich deutlich in eine Zweiheit, in etwas, was gern aufgenommen wird vom Kosmos, und in etwas, was er zurückweist, was er sich nicht gefallen läßt, was er dastehen läßt. Das bleibt solange stehen, bis der Mensch kommt und es selber vernichtet durch Ausstrahlungen, die geeignet sind, das zu vernichten. Und es hat kein anderer Mensch in der Regel die Fähigkeit, diese vom Kosmos zurückgeworfenen Ausstrahlungen zu vernichten, als der Mensch, der sie selber ausgestrahlt hat. Und hier haben Sie die Technik des Karma, hier haben Sie den Grund, warum wir alle diejenigen Dinge an Imaginationen, Inspirationen, Intuitionen wiederum im Verlaufe unseres Karma treffen müssen, die vom Kosmos zurückgewiesen sind. Die müssen wir selber vernichten, denn der Kosmos nimmt nur das auf, was denkerisch richtig, gefühlsmäßig schön und moralisch gut ist. Alles übrige weist er zurück. Gericht gehalten von den Mächten des Kosmos wird nicht bloß zu bestimmten Zeiten, sondern im Grunde genommen ist dieses Gerichthalten etwas, was durch die ganze Erdentwickelung durchgeht. [4]

Zitate:

[1]  GA 134, Seite 86ff   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[2]  GA 134, Seite 88ff   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[3]  GA 134, Seite 90   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)
[4]  GA 134, Seite 91f   (Ausgabe 1979, 126 Seiten)

Quellen:

GA 134:  Die Welt der Sinne und die Welt des Geistes (1911/1912)