Devachan
► 1. Region – das Kontinentalgebiet

Was auf der Erde physische Formen annimmt, so daß es durch physische Organe wahrgenommen werden kann, das wird seiner geistigen Wesenheit nach in dem ersten Gebiet des «Geisterlandes» wahrgenommen. Von einem Kristall zum Beispiel kann da die Kraft wahrgenommen werden, welche seine Form bildet. Nur verhält sich dasjenige, was sich da offenbart, wie ein Gegensatz dessen, was in der Sinnenwelt auftritt. Der Raum, welcher in der letzteren Welt von der Gesteinsmasse ausgefüllt ist, erscheint für den geistigen Blick wie eine Art Hohlraum; aber rings um diesen Hohlraum wird die Kraft gesehen, welche die Form des Steines bildet. [1]

Die erste Region enthält die Urbilder der physischen Welt, insofern diese nicht mit Leben begabt ist. Die Urbilder der Mineralien sind hier zu finden, ferner die der Pflanzen; diese aber nur insofern, als sie rein physisch sind; also insofern man auf das Leben in ihnen keine Rücksicht nimmt. Ebenso trifft man hier die physischen Tier- und Menschenformen an.

Diese Region bildet das Grundgerüst des Devachan. Es kann verglichen werden mit dem festen Land unserer physischen Erde. Es ist die Kontinentalmasse des «Geisterlandes». Seine Beziehung zur physisch körperlichen Welt kann nur vergleichsweise beschrieben werden. Man bekommt eine Vorstellung etwa durch folgendes: Man denke sich irgendeinen begrenzten Raum mit physischen Körpern der mannigfaltigsten Art ausgefüllt. Und nun denke man sich diese physischen Körper weg und an ihrer Stelle Hohlräume in ihren Formen. Die früher leeren Zwischenräume denke man sich aber mit den mannigfaltigsten Formen erfüllt, die zu den früheren Körpern in mannigfachen Beziehungen stehen. In der niedrigsten Region der Urbilderwelt sind die Dinge und Wesen, die in der physischen Welt verkörpert werden, als «Hohlräume» vorhanden. Und in den Zwischenräumen spielt sich die bewegliche Tätigkeit der Urbilder – und der geistigen Musik – statt. Bei der physischen Verkörperung werden nun die Hohlräume gewissermaßen mit physischem Stoffe erfüllt. [2]

Die rhythmische Atmung nach dem Jogasystem (siehe: Atemübungen) ist eines der Mittel, das angewendet wird, um in die Welt des Devachan einzutreten. Das sicherste Zeichen, daß dieser Eintritt stattgefunden hat, ist, daß das Bewußtsein durch eine Erfahrung geht, die in der Vedanta-Philosophie bezeichnet wird durch die Worte: tat tvam asi – das bist du. Der Mensch sieht im Traum seine eigene Körperlichkeit von außen. Er sieht seinen Körper ausgestreckt auf seinem Bett, aber wie eine leere Hülle. Rings um diese hohle Form leuchtet der Astralleib wie ein eiförmiger Lichtschein; er erscheint wie eine Aura, von der man den Körper zurückgezogen haben würde, während der Körper wie eine leere Hohlform erscheint. Man gewöhnt sich an diesen Anblick hinsichtlich aller Dinge. Man sieht gewissermaßen die Seele der Kristalle, der Pflanzen, der Tiere in Form eines Strahlenkranzes, während ihre physische Substanz wie eine Hohlform, ein Leerraum erscheint. Aber nur die Naturgegenstände können so erscheinen, nichts von dem, was durch Menschenhand geschaffen ist. [3] Die vom Menschen künstlich geformten Gegenstände sind im Devachan als Positiv vorhanden. [4] Von einem Kristall kann in dieser Region die Kraft wahrgenommen werden, welche seine Form bildet. Eine Farbe welche der Stein in der Sinneswelt hat, erscheint in der geistigen wie das Erlebnis der Gegenfarbe; also ein rot gefärbter Stein ist vom Devachan aus wie grünlich; ein grüner wie rötlich erlebt und so weiter. Auch die anderen Eigenschaften erscheinen in ihrem Gegensatze. [5] Tiere und Menschen auf diese Weise betrachtet, erscheinen als negative Bilder: das Blut erscheint grün, also in der Komplementärfarbe des Rot. Die ganze stoffliche Welt ist in dieser Weise als Urbild auf dem devachanischen Gebiete anwesend. Bei.60.23Diese Urbilder nehmen sich für den Hellseher aus wie eine Art Negativ, das heißt, man sieht den Raum wie einer Art Schattenfigur, und rings um ihn ist strahlendes Licht. Dieser Schatten ist aber, entsprechend zum Beispiel dem Blut und den Nerven, nicht gleichmäßig, während ein Stein oder ein Mineral im Urbild einen gleichmässig leeren Raum erscheinen läßt, um den herum auch eine Lichtstrahlung zu sehen ist. [6]

Und so, wie wir hier zwischen physischen Dingen wandeln, wie wir an sie stoßen und sie berühren, so wandeln wir im Geisteslande zwischen den Gedanken. Die Urbilder zu der Sinneswelt sind in der untersten Region des Geisteslandes zu finden. Da sind wir in der «Werkstätte», in welcher die sinnlichen Gegenstände «gemacht» werden. Wir sehen da die Urbilder der physischen Pflanzen-, Tier- und Menschenformen. Wir müssen uns Gedanken über das Gesehene machen. Diese Gedanken halten sich wie ein schattenhafter Schemen im Hintergrunde, und der Mensch glaubt nicht an die Realität der Gedanken, weil sie ein so schattenhaftes Dasein haben. Wie die Uhr so geschaffen ist, wie ihr Erfinder sie zuerst im Kopfe getragen hat, so ist jedes Ding geschaffen nach dem Gedanken, und das Gedankenwesen erscheint uns im Geisteslande.. Unsere eigene Leiblichkeit, der Körper, den wir den unsrigen nennen, erscheint uns als ein Ding unter Dingen; er erscheint uns als der äußeren Wirklichkeit angehörig. Wir sehen, wie er entsteht und vergeht. So erscheint uns das Urbild unseres Leibes als ein Glied innerhalb der äußeren Wirklichkeit; wir fühlen uns ihm gegenüberstehend. Wir sagen nicht mehr zu dem Leibe «Das bin ich», sondern wir wissen, daß er der objektiven Wirklichkeit angehört. Und man lernt einen Satz der höchsten indischen Vedanta-Weisheit kennen, den Satz: Du mußt erkennen, daß du selbst ein Glied des ganzen Großen bist - «Das bist du.» Dasjenige, was unseren Leib aufbaut, sehen wir so, als wenn wir auf einen Felsen treten. Es ist etwas völlig Fremdes. Wir lernen aus der Erfahrung den Satz verstehen: «Das bist du». Man lebt besonders lange in der ersten Region des Devachan. Dies, was aus physischen Verhältnissen stammt, das lernen wir in seinen Urbildern in der ersten Region des Geisteslandes kennen und beurteilen. [7] Auf dieser ersten Stufe des Devachan sieht man also das Astralbild der physischen Welt; es ist das, was man das Festland des Devachan nennt, die Negativform der Täler, der Gebirge, der physischen Kontinente. [8]

Das, was die ersten christlichen Eingeweihten das höhere Äonenlicht nannten, ist dasjenige, was den Menschen organisiert und was ihn in Zusammenhang bringt mit der geistigen Welt. So ist im Devachan der Mensch da nicht vorhanden, wo er im physischen vorhanden ist. Wenn der Seher eintritt in die geistige Welt, sieht er alles dasjenige mit einer höheren Wirklichkeit erfüllt, was dem physischen Auge leer erscheint um die Dinge herum. Das ist dann ausgefüllt mit einem glänzenden und strahlenden Licht. Dieses Licht ist ein ganz anderes Licht als dasjenige, das die seelische Aura zusammensetzt. Diese höhere Aura ist etwas Flammendes, nicht bloß etwas Glimmendes. Sie hat auch eine ganz besondere Eigenschaft, durch die sie sich unterscheidet von der astralen Aura. Das ist die, daß man durch die geistige Aura durchsehen kann, während man durch die astrale Aura nicht durchsehen kann. Jedes geistige Gebiet ist vollständig durchsichtig für dasjenige, was im Devachan ist. [9]

Wenn der Mensch dieses Land zuerst betritt (im nachtodlichen Leben), dann hat er immer einen ganz bestimmten Anblick: das ist der Moment, in dem er das Urbild seines eigenen physischen Leibes erblickt. Da sieht er zuerst klar daliegen seinen eigenen Leib. Denn er selbst ist ja Geist. Das geschieht bei einem normal verlaufenden Erdenleben etwa dreißig Jahre nach dem Tode; und dabei hat man die Grundempfindung: Das bist du. [10]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 112   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 124f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[3]  GA 94, Seite 80   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[4]  GA 94, Seite 145   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[5]  GA 13, Seite 112   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[6]  GA 100, Seite 52   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[7]  GA 88, Seite 121ff   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)
[8]  GA 94, Seite 80f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[9]  GA 53, Seite 151f   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)
[10]  GA 100, Seite 52   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 53:  Ursprung und Ziel des Menschen. Grundbegriffe der Geisteswissenschaft (1904/1905)
GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)