Dialektik

Dialektik ist die Kunst, die Begriffe, die sich der Mensch von den Dingen macht, in Beziehungen zu setzen. Dadurch werden die Beziehungen und Unterschiede der Dinge aufgeklärt. In diesem Sinne hat Plato die Dialektik betrieben. Da ein Ding von verschiedenen Gesichtspunkten aus angesehen werden kann, können verschiedene, ja entgegengesetzte Begriffe von einer und derselben Sache gebildet werden. In der Gegenüberstellung solcher entgegengesetzter Begriffe liegt die Möglichkeit ein Ding zu begreifen das heißt von anderen zu unterscheiden. Da die Welt nicht nur die Verwirklichung des Vernünftigen ist, sondern in ihr auch der Zufall herrscht, so unterliegt alles der Beleuchtung von zwei Seiten das heißt dem Widerspruch. 1e.356Anm.. Man kann sagen: Im Oriente drüben, in den alten Theokratien war das, was die Menschen als Geistiges über die übersinnlichen Welten wissen sollten, alles selbstverständliche Theosophie. Theo-Sophia ist die konkrete Weisheit, die empfangen wurde durch Inspiration. Als der Strom nach Europa herübergeht, stellt sich neben ihn die Jurisprudenz. Die Jurisprudenz kann keine Sophia mehr sein, denn sie handelt nicht von etwas, was einem eingegeben wird, sondern von etwas, was der Mensch selbst immer mehr und mehr im Verkehr von Mensch zu Mensch entwickelt. Da wird das Urteil maßgebend. Da tritt an der Stelle der Sophia die Logik auf, und die Jurisprudenz, in die jetzt alle soziale Struktur hineingegossen wird, wird vorzugsweise logisch. Die Logik, die Dialektik entwickeln ihre Triumphe, nicht etwa in der Naturwissenschaft, sondern gerade in dem juristischen Leben, und alles menschliche Leben wird in diesen zweiten Strom, in die Logik hineingezwängt. Begriff des Eigentums, Begriff des persönlichen Rechtes, all das sind ja realisierte logische Kategorien. Und die Sache hat eine so starke Kraft in dieser zweiten Strömung, daß diese Kraft auf die erste Strömung abfärbt. Aus der Theosophia wird eine Theologia. Der erste Strom wird also durchaus beeinflußt von dem zweiten Strom. Und wir haben jetzt nebeneinander ein Altbewahrtes, eine alte Theosophia, die, indem sie weniger lebendig, etwas dürrer, etwas magerer auch geworden ist, als sie in ihrer Jugend war, nun Theologia wird, und daneben die Jurisprudentia, die eigentlich in dieser Art alles umfaßt bis ins 15., 16., 17. .Jahrhundert hinein, was in den verschiedenen Masken auftritt, die auch noch wirkt in dem gesamten wirtschaftlichen Leben der Menschheit. [1]

Zitate:

[1]  GA 305, Seite 191   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)

Quellen:

GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)