Mysterien rosenkreuzerische

Zuerst war der historische Christus da, dann haben durch das Werk des historischen Christus sich solche Wirkungen auf die menschliche Seele herausgebildet, daß ein mystischer Christus innerhalb der Menschheit möglich geworden ist. So können wir für die neuere Zeit auch sprechen von einem innerlichen mystischen Christus-Erleben; aber man muß die Sache so fassen, daß der Christus ein kosmischer war vor seinem Eintritt in die Erde. Hat man sich damals in das innere Seelenleben versenkt, dann hat man nicht den Christus gefunden, sondern den Dionysos. Heute findet man, wenn man in der entsprechenden Weise sich entwickelt hat, eine innere Christus-Wesenheit. Der Christus ist von einer außerseelischen Göttlichkeit zu einer innerseelischen Göttlichkeit geworden, die immer mehr die Menschenseele ergreifen wird, je mehr diese mit ihren Seelenerlebnissen diesem Christus sich nähern wird. Also wurde der äußere Gott allmählich ein innerer. Weil aber alles das, was in der äußeren physischen Welt geschieht, eine Wirkung ist des Geistigen, so stellt sich auch eine Wirkung dieser Verchristlichung der Seele für das andere Leben heraus. Zuerst wird sich diese Wirkung zeigen in den Mysterien und hat sich zum Teil schon gezeigt seit der Begründung der abendländischen Mysterienschulen des Rosenkreuzes. Wenn man durch die Schulung der alten Mysterien in die Seele hinein sich vertieft hatte und zu den unteren Göttern gestiegen ist, so hat man Dionysos gefunden, was nur ein anderer Name ist für die weite Welt der luziferischen Gottheiten. Aber auch das schauende Bewußtsein, wenn es nicht bis zu den höchsten Graden gestiegen ist, verschwand ins Dunkle, während der Christus in seiner Glorie der Erde sich näherte; es verschwand das luziferische Wesen. Nur den höchsten Eingeweihten war es noch möglich, hinunterzusteigen zu den luziferischen Göttern. Den anderen Menschen mußte man sagen: Wenn ihr ungereinigt und unreif hinuntersteigt, dann erscheinen euch diese luziferischen Wesenheiten nur als wilde Dämonen in ihren Zerrbildern, die euch in euren verwandelten Eigenschaften zu allem Schlimmen verleiten. Daher alle die schrecklichen Beschreibungen, die von diesem unterirdischen Reiche gegeben werden, daher die Furcht schon vor dem Namen Luzifer in einer gewissen Zeit. Und weil sich alles vererbt für die Menschen, die nicht mit der Entwickelung fortschreiten, lebt diese Furcht noch heute bei denjenigen, die diese Empfindungen ererbt haben, die Furcht vor dem Namen Luzifer. Aber die Sache ist so, daß zuerst für den schauenden Menschen wieder die luziferische Welt auftaucht, nachdem eine Zeitlang das Christus-Prinzip die Seele durchchristet hat. Hat der Christus eine Weile in der Seele gewirkt, dann wird diese Seele dadurch, daß sie von der Christus-Substanz durchdrungen wird, durch ihre Christianisierung reif, wiederum hineinzudringen in das Reich der luziferischen Wesenheiten. Zuerst konnten das die Eingeweihten des Rosenkreuzes, und nach und nach werden diese Eingeweihten des Rosenkreuzes heraustragen das, was sie erleben können über das luziferische Prinzip, und werden jene große geistige Ehe über die Welt ausgießen, die darin besteht, daß der Christus, der sich als Substanz hineinergossen hat in die menschliche Seele, nunmehr begriffen wird mit denjenigen geistigen Fähigkeiten, die heranreifen durch das Einströmen des luziferischen Prinzips in einer neuen Weise in den Geist der einzelnen Menschen. Ein solcher Eingeweihter des Rosenkreuzes, der bereitet sich zunächst dadurch vor, daß er in seiner Seele Gefühle, Empfindungen, Gedanken hinlenkt zu der großen Zentralgestalt des Christus, daß er zunächst zum Beispiel das Johannes-Evangelium auf sich wirken läßt; jene monumentale, ungeheuer bedeutsame Gestalt, die uns von dem Christus im Johannes-Evangelium geschildert wird, auf seine Seele wirken läßt und sich dadurch veredelt und läutert (siehe: Katharsis). Dann macht man sich dadurch reif, als Eingeweihter des Rosenkreuzes schauend eingeführt zu werden in jene Welten, die in den alten Zeiten die dionysischen, die jetzt die luziferischen Welten genannt werden konnten. Was haben diese Einführungen in die luziferischen Welten für den heutigen Eingeweihten des Rosenkreuzes für eine Wirkung? Wird das Gemüt warm und von Enthusiasmus erfüllt für das Göttliche, wenn es verchristet wird, so werden auf der anderen Seite unsere anderen geistigen Fähigkeiten, durch welche wir die Welt verstehen und begreifen, erfassen und einsehen, durchleuchtet, durchströmt und durchkraftet von dem luziferischen Prinzip. So steigt der Eingeweihte des Rosenkreuzes zu dem luziferischen Prinzipe aufwärts. Indem er das tut, werden durch die Einweihung seine geistigen Fähigkeiten geschärft, ausgearbeitet, so daß er den Christus nicht nur mystisch in seiner Seele fühlen kann, sondern daß er ihn beschreiben kann, daß er erzählen kann, wie er ist, daß er ihn in Gedankenbilder, in geistige Bilder fassen kann. [1]

So sehen wir, daß der Christus, der von einem Gott, der in der Außenwelt gelebt hat, zum mystischen Christus geworden ist, durch seine Veredelung der menschlichen Seele diese wieder hineingebracht hat in jenes Gebiet, das für eine Weile verschlossen bleiben mußte, das man genannt hat das dionysische in alten Zeiten, und welches wieder erobert wird in den Zeiten, denen die Menschheit in der Zukunft entgegengeht. Die Erklärung des Christus durch die an Luzifer gesteigerten und erleuchteten Geistesfähigkeiten, das ist das Innere, der Wesenskern der Geistesströmung, die im Abendlande erfließen muß. Das ist gegenüber der Zukunft die Sendung des Rosenkreuzes. Früher fand man Christus als kosmische Wesenheit, den Luzifer als innermenschliche Wesenheit. Sie durchkreuzten ihren Weg. Der Christus zieht in die menschliche Seele ein, er wird zum planetarischen Erdengeiste, er wird immer mehr und mehr der mystische Christus in den Menschenseelen, er wird durch die inneren Erlebnisse vertieft und erkannt. Die Seele wird dadurch immer fähiger, wiederum zu schauen die andere Wesenheit, die den umgekehrten Weg gemacht hat, von dem Inneren in das Äußere hin. Der Luzifer wird aus einer innermenschlichen Wesenheit, einer rein irdischen Wesenheit, wo er gesucht worden ist in den Mysterien, die in das Unterreich führten, ein kosmischer Gott. Immer mehr wird er aufleuchten draußen in der Welt, die wir erblicken, wenn wir durchsehen durch den Teppich der Sinneswelt. So haben wir eine völlige Umkehr der menschlichen Erkenntnisverhältnisse im Laufe der menschlichen Entwickelung zu verzeichnen.

Und will der Mensch in der Zukunft wiederum aufsteigen zu der äußeren geistigen Welt, die hinter dem Schleier der Sinneswelt verborgen ist, will er nicht bei dem stehenbleiben, was äußerlich, nur grobstofflich ist, dann muß er durch die Dinge der Sinneswelt hindurchdringen in die geistige Welt; er muß sich in das Licht tragen lassen durch den «Licht-Träger». Und keine Fähigkeiten, da einzudringen, werden dem Menschen erstehen, wenn er diese Fähigkeiten nicht schafft aus den Kräften, die uns zufließen von Luzifers Reich. Die Menschheit würde in Materialismus versinken, immerfort in dem Glauben verharren, daß alles nur äußere materielle Welt ist, wenn sie nicht aufstiege zur Inspiration durch das luziferische Prinzip. Ist das Christus-Prinzip dazu berufen, unser Inneres stärker und stärker zu machen, so ist das luziferische Prinzip dazu berufen, unsere Fähigkeiten, die eindringen sollten in die Welt in vollem Umfange, zu schärfen, auszubilden. Immer stärker und stärker für das Begreifen und Erkennen der Welt wird uns Luzifer machen, immer stärker und stärker im Innern wird uns Christus machen.113.126ff (Weiteres siehe: Rosenkreuzer).

Zitate:

[1]  GA 113, Seite 120uf   (Ausgabe 1982, 228 Seiten)

Quellen:

GA 113:  Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi (1909)