Kulturepochen
► 5. nachatlantische Kultur: Die Fischekultur der Gegenwart

Bedenken Sie den großen Umschwung, der nun kommt mit dem 15. Jahrhundert, indem die Widderkultur übergeht in die Kultur der Fische. Das was jene Kräfte (der Fische) geworden sind im Makrokosmos, sind im Menschen die Kräfte, die mit den Füßen zusammenhängen. Vom Kopf geht es hinunter zu den Füßen. Der Umschwung ist ein gewaltiger. Was der Mensch vorher vom Himmel empfangen hat, empfängt er nun von der Erde aus. Und das hängt zusammen mit dem Aufgange der materiellen, der materialistischen Zeit. Die Gedanken verlieren die Kraft, die Gedanken können leicht zur Phrase werden in diesen Zeiten. Jupiter hat sein Haus in den Fischen. Und Jupiter hängt zusammen mit der menschlichen Stirnesentwickelung, mit der menschlichen Vorderhirnentwickelung. Groß kann der Mensch mit dieser Erdenkultur werden in diesem fünften nachatlantischen Zeitraum, weil er gerade in selbständiger menschlicher Weise, durch die Kräfte seines Hauptes veredeln und fassen kann dasjenige, was ihm von der entgegengesetzten Seite zugeführt wird gegenüber der früheren nachatlantischen Periode. Was groß machen kann diese Epoche, das muß durch die Kräfte des geistigen Lebens, der Welterkenntnis, der Weltanschauung geltend gemacht werden. Der Mensch ist abgeschlossen von den himmlischen Kräften; er ist in das materialistische Zeitalter gebannt. Aber er hat in diesem 5. nachatlantischen Zeitalter die größte Möglichkeit, sich zu vergeistigen. Keines war der Geistigkeit so günstig, wie dieser Zeitraum. [1]

Die Dekane während unserer Zeit, während des Zeitalters der Fische, sehr charakteristisch, also diejenigen Kräfte, die uns gewissermaßen nach der Himmelsuhr wiederum besonders dienen können: Saturn, Jupiter, Mars. Mars hier nicht in demselben Dienst, den er hatte, als er in seinem Haus war, wenn er durch den Widder durchgeht, sondern Mars jetzt als repräsentative Kraft für die menschliche Stärke. Aber Sie sehen in den äußeren Planeten: Saturn, Jupiter, Mars dasjenige, was zusammenhängt mit dem menschlichen Haupte, mit dem menschlichen Antlitz, mit dem menschlichen Wortbilden. [2] Was vom Weltenall auf die heutige Menschheit den größten Einfluß hat, das sind die Impulse des Marsdaseins. [3]

In der griechisch-lateinischen Epoche waren es vorzugsweise die Kräfte des physischen Planes, die in die Menschenseelen eingegriffen haben, während in unserer Zeit die Kräfte der astralischen Welt in die Menschenseelen eingreifen. [4]

Die Entwickelung der Verstandesfähigkeiten schreitet fort und entfaltet sich zu gewaltiger Blüte und wird sich über die Gegenwart in die Zukunft hinein sich weiter entfalten. Langsam bereitete sich das vor von dem 12., 13. Jahrhundert an, um immer schneller und schneller in dem Fortgange zu werden vom 16. Jahrhundert an bis in die gegenwärtige Zeit. Unter diesen Einflüssen, wurde die Entwickelungszeit des 5. Zeitraumes eine solche, welche die Pflege der Verstandeskräfte immer mehr sich angelegen sein ließ, wogegen das vertrauende Wissen von ehemals, die überlieferte Erkenntnis, immer mehr an Kraft über die Menschenseele verlor. Aber es entwickelte sich dafür auch in dieser Zeit dasjenige, was ein immer stärkeres Einfließen der Erkenntnisse neuzeitlichen übersinnlichen Bewußtseins in die Menschenseelen genannt werden kann. Das «verborgene Wissen» fließt, wenn auch anfangs unmerklich, in die Vorstellungsweisen der Menschen dieses Zeitraumes ein. Es ist nur selbstverständlich, daß sich, bis in die Gegenwart herein, die Verstandeskräfte ablehnend verhalten gegen diese Erkenntnisse. [5]

Durch den 5. Zeitraum hindurch werden die Erkenntnisse der übersinnlichen Welten in das menschliche Bewußtsein einfließen; und wenn der sechste beginnen wird, kann die Menschheit auf einer höheren Stufe das wieder erlangt haben, was sie in einer noch dämmerhaften Art von nicht sinnlichem Schauen in einem früheren Zeitabschnitte besessen hat. Doch wird der neue Besitz eine ganz andere Form haben als der alte. Was die Seele in alten Zeiten von höheren Welten wußte, war in ihr nicht durchdrungen von ihrer eigenen Verstandes- und Gefühlskraft. Sie wußte es als Eingebung. In der Zukunft wird sie nicht bloß Eingebungen haben, sondern diese begreifen und als dasjenige empfinden, was Wesen von ihrem eigenen Wesen ist.

Es wiederholt sich in einer gewissen Art in dem 5. Zeitraum dasjenige, was der dritte, der ägyptisch-chaldäische, der Menschheitsentwickelung gebracht hat. Es werden die übersinnlichen Tatsachen, welche in dem 3. Zeitraum in dämmerhaftem Bewußtsein geschaut wurden, wieder offenbar, doch nunmehr durchdrungen mit den Verstandes- und persönlichen Gefühlskräften der Menschen. Sie werden durchdrungen mit dem auch, was durch die Erkenntnis des Christus-Geheimnisses der Seele zuteil werden kann. [6] Nicht etwa eine einfache Wiederholung der chaldäisch-ägyptischen Kultur haben wir, sondern wir haben in unserer Zeit eine solche Wiederholung dieser Kulturepoche, daß alles getaucht ist in das, was der Christus auf die Erde gebracht hat. [7]

Die griechisch-lateinische Kultur war im wesentlichen, wenn auch in einer ganz anderen Ausgestaltung, als ein Nachklang, eine auf einer höheren Stufe zutage tretende Wiederholung desjenigen, was auch schon in der alten Atlantis gelebt hat. Wenn es dort auch noch anders lebte, in der vierten nachatlantischen Kulturperiode ist eine Art Wiederholung davon eingetreten. Die 5. nachatlantische Kulturperiode, in der wir stehen, ist eine Neuformation, ist etwas völlig Neues, was zu dem bisherigen Entwickelungsgang der Menschheit hinzugekommen ist. Wir sollen uns klar darüber sein, daß in der Erdentwickelung noch lange Zeiten werden ablaufen müssen, bis alles das aus den Herzen und Seelen der Menschen herausgekommen ist, was die göttliche Weltenordnung durch diese Kulturperiode der Erdenmenschheit zu geben hat. (Unserer) Kulturperiode obliegt es, mit voller Geist-Erkenntnis, mit vollem Verständnis allmählich dem Mysterium von Golgatha entgegenzukommen, mit all den Erkenntniskräften der Seele; nicht nur mit den Kräften des Verstandes, den Kräften der bloß gefühlsmäßigen Frömmigkeit. [8] Und die 5. Kulturepoche wird nicht zu Ende gehen, bevor eine gewisse Summe hellsichtigen Wissens einen verhältnismäßig großen Teil der Menschheit ergriffen hat. [9] In vieler Beziehung ist der ganze Lebensgang der Menschheitsentwickelung ähnlich dem Lebensgange des einzelnen Menschen. Was der Mensch bewußt durchmacht, wenn er in der geistigen Welt zum Schauen kommen will, das Überschreiten der Schwelle, das muß in diesem 5. nachatlantischen Zeitraum die ganze Menschheit unbewußt durchmachen. Sie hat darin keine Wahl, sie macht es unbewußt durch. Nicht der einzelne Mensch, sondern die Menschheit und der einzelne Mensch mit der Menschheit. Die Menschheit macht dieses Überschreiten der Schwelle so durch, daß die Gebiete des Denkens, Fühlens und Wollens auseinandergehen. Die Forderung der Dreigliederung hängt mit dem Geheimnis der Menschheitswerdung in diesem Zeitalter zusammen. [10]

Wir, die Menschen der 5. nachatlantischen Zeit – und wir stehen ja im Grunde genommen ziemlich am Anfange; 1413 hat diese Epoche begonnen, 2160 Jahre dauert eine solche Epoche (also bis zum Jahre 3573) – haben zu lösen im weitesten Umfange lebenskräftig dasjenige Gebiet, was man nennen kann das Problem des Bösen. Das Faust-Drama ist wirklich hervorgeholt aus den tiefsten Interessen des Gegenwarts-Zeitalters. [11] In unserem Zeitraum werden die Menschen so elementar zu ringen haben mit dem Bösen, wie elementar in der atlantischen Zeit gerungen worden ist mit Geburt und Tod. Da werden namentlich durch die Beherrschung der verschiedenen Naturkräfte die Antriebe und Impulse zum Bösen in einer großartigen Weise, in gigantischer Weise, in die Welt hineinwirken. Und im Widerstand, den die Menschen aus geistigen Untergründen heraus werden bringen müssen, werden die entgegengesetzten Kräfte, die Kräfte des Guten zu wachsen haben. Insbesondere wird es schon während des 5. Zeitraums sein, wo durch die Ausbeutung der elektrischen Kraft, die noch ganz andere Dimensionen annehmen wird, als sie bisher angenommen hat, es den Menschen möglich sein wird, Böses über die Erde zu bringen, wo aber auch direkt aus der Kraft der Elektrizität selber heraus Böses über die Erde kommt. [12]

Welche Fähigkeiten sollten die Menschen unseres Zeitraums besonders entwickeln? Wir wissen ja, daß es sich um die Entwickelung der Bewußtseinsseele handelt, allein diese muß sich wiederum zusammensetzen aus einer Reihe von Kräften, Seelenkräften, körperlichen Kräften. Das erste, was entwickelt werden muß, wenn der Mensch richtig auf der Erde bleiben soll, das ist ein wirkliches reines Anschauen der Sinnenwelt. Ein solches reines Anschauen der Sinnenwelt war in den früheren Zeiträumen nicht da, weil immer in das menschliche Seelenleben das Visionäre, das Imaginative hereinspielte, bei den Griechen noch die Phantasie. Die andere Aufgabe der Menschenseele ist diese: neben der reinen Anschauung der Wirklichkeit zu entwickeln freie Imagination, in einer Beziehung eine Art Wiederholung der ägyptisch-chaldäischen Zeit. Darinnen ist dieser Zeitraum noch nicht sehr weit. Freie Imaginationen müssen entwickelt werden, wie sie gesucht werden durch die Geisteswissenschaft, also nicht gebundene Imaginationen, wie sie der dritte Zeitraum hatte, nicht zur Phantasie destillierte Imaginationen, sondern freie Imaginationen, in denen man sich so frei bewegt, wie sich der Mensch sonst nur in seinem Verstande frei bewegt. Daraus, daß diese zwei Fähigkeiten entwickelt werden, wird sich ergeben das rechte Entwickeln der Bewußtseinsseele des fünften nachatlantischen Zeitraums. [13] Es soll der ganze Zeitraum durch 2160 Jahre ungefähr dazu verwendet werden, um diese Kräfte, die freie Imagination und urphänomenale Arbeit nach und nach zu entwickeln. Stoßweise, mit allen möglichen widerstrebenden Kräften, wirken nun die luziferischen und ahrimanischen Mächte dagegen. [14] In unserer Kulturepoche werden sich die intellektuellen Kräfte dann so verdichten, daß der Mensch fähig wird, den Christus als Äthergestalt zu sehen. [15]

Das Seelenleben des 5. Zeitraumes muß geschützt werden vor dem unmittelbaren Schauen der ahrimanischen Kräfte. Man muß lernen, in ihr Reich zu kommen durch Geisteswissenschaft; aber das äußere Leben muß geschützt werden. Unter dem gewöhnlichen normalen Bewußtsein, da wirken diese Kräfte. [16] Durch das Zusammenwirken der ahrimanischen Kräfte und der regulär fortschreitenden Kräfte hat das menschliche Leben eine gewisse Färbung erhalten. Dadurch ist es namentlich auf zwei Probleme gelenkt worden, die man bezeichnen könnte als das Triebproblem und das Geburtsproblem. Der Sinn wird auf die Triebe gelenkt; und daraus entwickelt sich allmählich eine gewisse Lebensgesinnung unter dem Einflusse des Triebproblems. Man kann sagen: es wandelt sich das Triebproblem um in das Glücksproblem. Daher sehen Sie an den verschiedenen Stellen, insbesondere in der westlichen Kultur, Sinnen und Trachten nach dem Glücksproblem gerichtet, nach dem Schaffen des Glückes im Leben. Herstellung des Erdenglückes, das wird ein Ideal. Aber eine bestimmte Färbung bekam es unter Ahrimans Einwirkung durch einen rein teuflischen Satz: «Das Gute ist das Glück der größtmöglichen Menschenanzahl auf der Erde.»

Das zweite neben dem Triebproblem ist hier das Sinnensein. Es soll ja im 5. Zeitraum die Sinneskultur veredelt werden. Aber die ahrimanischen Mächte wollen diese Sinneskultur für sich in Anspruch nehmen, und daher wollen sie die Gesinnung erzeugen, daß die Wahrheit einzig und allein im Sinnensein zu finden ist. Das Sinnenproblem hängt innig zusammen mit dem Geburtsproblem. Um zu rechtfertigen das Sinnensein und durch einen Instinkt die ganze Evolution rein sinnlich zu betrachten, wurde das Menschenwerden in der Geburt unmittelbar angegliedert an die Evolution der Tiere. [17]

Ganz im Sinne der regulären Mächte wäre das Triebproblem zu machen zum Problem des Moralisch-Guten, das heißt die Vergeistigung des Triebproblems zu finden. Das ist die reguläre Aufgabe dieses Zeitalters. Das wird in mächtigen Imaginationen entwickelt werden müssen, zu denen der Ansatz in solchen Imaginationen liegt, wie Sie im «Faust» sie finden. Dadurch, daß auf der einen Seite ahrimanische Mächte einströmen, auf der anderen Seite luziferische, wird das Streben spezialisiert. Sonst würden in der 5. nachatlantischen Kultur vier große Dinge auftreten, die alles Arbeiten, alles Schaffen bis zum Bodenbebauen des Bauern, bis in die Einzelheiten hinein durchdringen würden in den Empfindungen. Das erste ist eben das Triebproblem, das zweite das Geburtsproblem, das dritte ist das Todesproblem, das heißt, nicht nur zu finden, wie der Mensch hereingestellt ist auf die Erde durch die Geburt, sondern auch, wie er wiederum hinausschreitet durch die Pforte des Todes. Und das vierte Problem ist das Problem des Bösen. Das russische Geistesleben ist im wesentlichen so beherrscht von dem Todesproblem und von dem Problem des Bösen, wie das westliche Geistesleben von dem Triebproblem und dem Geburtsproblem. Aber es ist zu gleicher Zeit dieses Problem des Bösen und das Problem der Sünde von luziferischen Mächten benützt, um die Seelen durch das Hinlenken der Gesinnung auf die Sünde und auf das irdisch-leibliche Fleisches-Sündenleben zu entfremden von dem Erdenleben, während im Westen Ahriman alle Anstrengungen darauf richtet, den Menschen in das Sinnensein zu verstricken. [18]

Wie die germanischen Völker den Kern des Christentums in ihrer Art empfangen haben, wie sie nichts aus ihrem jungen Blute hätten entwickeln können, wenn nicht von Süden her das Geheimnis von Golgatha erschienen wäre, so muß aus diesem Mitteleuropa das entgegenleuchten der von Osten kommenden Kultur, was wir selbst aus einem neuen Geistesleben entwickeln. [19]

Zitate:

[1]  GA 180, Seite 199f   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[2]  GA 180, Seite 201   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[3]  GA 231, Seite 109   (Ausgabe 1962, 160 Seiten)
[4]  GA 130, Seite 44   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[5]  GA 13, Seite 406   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[6]  GA 13, Seite 408f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[7]  GA 113, Seite 154   (Ausgabe 1982, 228 Seiten)
[8]  GA 159, Seite 101   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[9]  GA 159, Seite 134   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[10]  GA 193, Seite 118   (Ausgabe 1977, 208 Seiten)
[11]  GA 273, Seite 95f   (Ausgabe 1981, 286 Seiten)
[12]  GA 273, Seite 109   (Ausgabe 1981, 286 Seiten)
[13]  GA 171, Seite 34f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[14]  GA 171, Seite 38   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[15]  GA 130, Seite 48   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[16]  GA 171, Seite 106   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[17]  GA 171, Seite 108f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[18]  GA 171, Seite 110f   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)
[19]  GA 335, Seite 233   (Ausgabe 2005, 498 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 113:  Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi (1909)
GA 130:  Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit (1911/1912)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 180:  Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung (1917/1918)
GA 193:  Der innere Aspekt des sozialen Rätsels. Luziferische Vergangenheit und ahrimanische Zukunft (1919)
GA 231:  Der übersinnliche Mensch, anthroposophisch erfaßt (1923)
GA 273:  Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band II: Das Faust-Problem. Die romantische und die klassische Walpurgisnacht (1916-1919)
GA 335:  Die Krisis der Gegenwart und der Weg zu gesundem Denken (1920)