Kulturepochen
► 1. nachatlantische Kultur: Die Krebskultur Indiens

In diesem ersten nachatlantischen Zeitalter hat der Mensch noch in Beziehung gestanden zu jener Wesenheitsreihe, die wir in den Hierarchien Archai nennen oder Geister der Persönlichkeit. Das geistige Leben offenbarte sich noch in diesen uralten Zeiten der Menschheit, weil eben das Lebensalter (bis zu dem der Mensch entwickelungsfähig blieb) rückläufig in der damaligen Zeit ein solches war, daß wir es vergleichen können mit dem jetzigen Lebensalter zwischen dem sechsundfünfzigsten und achtundvierzigsten Jahr. Der Mensch hatte gewissermaßen die Unterweisung von geistigen Wesenheiten. Wie kamen diese geistigen Wesenheiten an den Menschen heran? In der damaligen Zeit sah der Mensch nicht die Natur so an wie heute. Die Natur ist für den Menschen heute eben so eine Art mechanischer Ordnung. Es kam aus der Natur selber heraus, und nennen möchte ich das, was da aus der Natur herauskam: das lichterfüllte, gestaltete Wort. So wie wir durch unsere Sinne und unseren Verstand heute die Natur sehen, so sahen sie diese Menschen nicht, sondern die Natur entsendete ihnen Lichtgestalten, und diese Lichtgestalten tönten zugleich, sagten etwas, sprachen sich aus über das, was sie sind. Und jeder Mensch konnte in gewissen Zuständen seines Bewußtseins dieses atavistische Hellsehen erfahren, wodurch ihm aus der Natur heraus das lichterfüllte, gestaltete Wort entgegenkam; man könnte auch sagen Worte, denn es kam eine Fülle von solchen Gestalten, die sich aussprachen, heraus aus der Natur. Der Mensch wußte: Auch du gehörst zu dieser Welt, aus der diese lichterfüllten Worte herauskommen. Du gehörst da auch hinein. [1]

Als jene Zeit abgelaufen war, welche als die atlantische Überflutung, als Untergang der Atlantis, unsere nachatlantische Kultur von der atlantischen Kultur trennt, da war als erste nachatlantische Kulturepoche diejenige, welche ihre makrokosmischen Einflüsse dadurch empfing, daß die Kraft, die das Erdenleben durchflutete, diejenige war, welche entspricht dem Aufgang der Sonne im Frühlingspunkte im Zeichen des Krebses. Wir können sie geradezu Krebskultur nennen. Der Krebs entspricht beim Menschen dem Brustkorb. Wenn man diese Kultur mikrokosmisch charakterisieren will, kann man sagen, sie verlief damals, als der Mensch für seine Welterkenntnis, für seine Weltwahrnehmung, für seine Weltenanschauung unter dem Einfluß jener Kräfte stand, die zusammenhängen mit dem, was sich in der Umhüllung seiner Brust, im Brustpanzer im Krebs zum Ausdrucke bringt. Wir haben heute als physische Menschen keine Möglichkeit, durch diejenigen Kräfte, die in unserem Krebs sind, mit der Welt in erkennende Beziehung zu treten. Wir haben keine Möglichkeit dazu heute. Wenn der Mensch diejenigen Kräfte entwickeln kann, die eine intime Verwandtschaft zu seinem Brustkorb haben, wenn er, ich möchte sagen, mit Bezug auf die Kräfte seines Brustkorbes sensitiv ist für alles dasjenige, was in der Natur und im Menschenleben geschieht, dann ist es so, wie wenn der Mensch in einer unmittelbaren Berührung mit der äußeren Welt wäre, mit alledem, was als elementarische Welt an ihn herantritt. Wenn wir nur nehmen das Verhältnis von Mensch zu Mensch, so war es so, daß in dieser alten Zeit der Mensch, indem er dem Menschen entgegentrat, gewissermaßen an der Sensitivität seines Brustkorbes fühlte, wie der andere Mensch war. Indem er in seiner Nähe die Luft des anderen atmete, lernte er ihn erkennen. Gewiß, in mancher Beziehung weiß davon zu dem Heil der Menschheit die moderne Menschheit nichts. Aber in jedes Menschen Nähe atmet natürlich der Mensch anders, denn in jedes Menschen Nähe teilt der Mensch die von dem andern ausgeatmete Luft. Für diese Dinge ist der moderne Mensch sehr unempfindlich geworden. Der Brustkorb (des alten Inders) bewegte sich anders, wenn der Mensch sympathisch oder antipathisch war. Und der Brustkorb war sensitiv genug, diese seine eigene Bewegungen wahrzunehmen. Man nimmt den anderen wahr durch etwas, was in einem selber vorgeht. Das Innere des andern nimmt man in einem Vorgang wahr, den man als körperlich Inneres erlebt. So wurde die ganze Welt betrachtet. So entstand die Weltanschauung, die diese erste nachatlantische Kultur hatte. Der Mensch atmete anders, wenn er die Sonne betrachtete, und danach bildete er sich seine Begriffe. [2]

Der Krebs ist besonders dem Mond als zugehörig anzusehen. Man sagt: der Mond hat sein Haus im Krebs; dort sind seine Kräfte, ganz besonders kommen sie dort zur Entwickelung. So wie nun dem Krebs der Brustkorb am Menschen entspricht, so entspricht dem planetarischen Mond am Menschen die Sexualsphäre. Und in der Tat, man kann sagen, während auf der einen Seite der Mensch so empfänglich und empfindlich, so sensitiv war in der ersten nachatlantischen Zeit, hing gerade in dieser ersten nachatlantischen Zeit alles dasjenige, was an intimen Begriffen der nachatlantischen Weltanschauung zutage gefördert worden ist, mit der Sexualsphäre zusammen – damals mit Recht, denn es war jene Naivität vorhanden, die in späteren, verdorbenen Zeiten nicht mehr vorhanden war. [3]

Diejenigen, welche die Konstellation der Sterne durchschaut haben, sie haben auch immer gewußt, daß besondere Hilfen wiederum kommen von den besonderen Planeten für die einzelnen Abschnitte im Gang der Sonne. Man hat ihr drei Dekane zugeteilt. Diese drei Dekane stellen diejenigen Planeten dar, welche den Beruf haben, während der betreffenden Konstellationen (der Sonne in einem Zeichen, hier Krebs) ganz besonders einzugreifen in das Geschick, während die anderen unwirksamer sind. So sind die Dekane der ersten nachatlantischen Zeit, der Krebszeit: Venus, Merkur, Mond. [4]

Die großen Urlehrer der Menschheit sind aus dem Erdendasein hinausgegangen in die kosmischen Welten, in die kosmische Kolonie des Mondes. Aber einzelne Menschen, Initiierte in den Mysterien, hatten auch nachher noch ein recht lebhaftes inneres Hören und Schauen für das, was bei diesen Ur-Initiierten einmal auf der Erde da war. So war in der urindischen Zeit noch ein ganz lebendiges Wissen in den Mysterien vorhanden von den Weisheiten der Monden-Initiierten. Gerade das, was heute noch bewundert werden kann in den Nachklängen der urindischen Weisheit, ist auf diese Art zustande gekommen. [5] (Siehe auch: Indische Kultur; Rishis).

Zitate:

[1]  GA 174b, Seite 239   (Ausgabe 1974, 398 Seiten)
[2]  GA 180, Seite 192ff   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[3]  GA 180, Seite 195   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[4]  GA 180, Seite 200   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[5]  GA 231, Seite 108   (Ausgabe 1962, 160 Seiten)

Quellen:

GA 174b:  Die geistigen Hintergründe des Ersten Weltkrieges (1914-1921)
GA 180:  Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung (1917/1918)
GA 231:  Der übersinnliche Mensch, anthroposophisch erfaßt (1923)