Urlehrer

Wie wir heute als Kinder die Sprache lernen, nachahmend die älteren Menschen, ohne daß da ein besonderer Unterricht stattfindet, wie wir überhaupt vieles so entwickeln, als wenn es aus unserem Inneren herauswächst, so war in jenen Zeiten ein geheimnisvoller Einfluß der Urlehrer auf diese älteren Menschen vorhanden, nicht ein abstrakter Unterricht, so daß der Mensch sich einfach in einem bestimmten Lebensalter wissend wußte. So wie der Mensch heute in einem bestimmten Lebensalter Zähne bekommt oder geschlechtsreif wird, so ging damals auch das Wissen den Menschen in dieser Weise auf. Aber es war ein ganz anderes Wissen als das heutige. Es war ein Wissen, das organische Kraft im Menschen war, das mit der Wachstumskraft und so weiter zusammenhing. Wenn ich nun das, was die Menschen durchwoben hat während der Zeit der alten Urweisheit, schildern will, so ist es gemischt aus dem geistig ganz Reinen und dem physisch Animalischen. [1]

Wie hat diese Urweisheit gelebt? So studieren, wie wir heute studieren, indem wir uns hinsetzen, uns Bücher einprägen und dergleichen und dadurch uns allmählich hinaufwinden, etwas zu wissen, so geschah es ja nicht in der Sphäre der Urweisheit. Jeder, der zu einer bestimmten Einsicht gekommen war zu dieser Epoche, hat gewußt, was Inspiration ist, hat zu lesen verstanden in der Welt – nicht in Büchern –, wenn er sich in die nötige Seelenverfassung versetzte. Er wußte, dann kommt es über ihn, dann wird er innerlich erleuchtet. Dieses Innerlich-Erleuchtetwerden, das wurde so real genommen, wie wir heute das Lesen in Büchern real nehmen. Der Mensch erlangte ein Verhältnis zum Geistigen in der Welt dadurch, daß er in den alten Mysterien durch den Einweihungspriester dazu gebracht worden ist, die Erleuchtung in sich erleben zu können. Der Unterricht in den Mysterien bestand ja darin., den Menschen dahin zu bringen, diese innerliche Erleuchtung erleben zu lernen. So wußte derjenige, der zur Erleuchtung kam: Da sind Wesen auf der Erde, die nicht zur physischen Verkörperung kommen, sondern durch die Erleuchtung die großen Lehrer der Menschheit sind. – Der Mensch war sich bewußt: er ist in Fleisch und Blut, er geht herum unter Menschenwesen, die nicht in Fleisch und Blut sind, die aber einen ätherischen Leib haben, die ätherische Wesen sind, die dazu da sind, um die Erleuchtung zu geben, die Inhalt der Urweisheit war. So wußte man: Die Erde wird nicht nur bevölkert von Menschen in Fleisch und Blut, sondern auch von anderen Wesen, die einen ätherischen Leib haben. [2]

Diese Lehrer für die ältesten Zeiten nahmen nicht einen festen, dichten, fleischlichen physischen Körper an, sondern wirkten auf die Menschen in ihren ätherischen Leibern. So daß die ältesten Lehrer der Menschen in den Mysterien, die obersten Lehrer, diejenigen, deren Diener nur die physisch verkörperten Menschen waren, ätherisch göttliche Lehrer waren. Diese Wesenheiten waren in einer älteren Epoche der Menschheitsentwickelung Mitbewohner der Erde unter den Menschen. So daß wir wirklich in allem realen Sinn sagen können: Es gab eine alte Epoche der irdischen Weltentwickelung, in der mit den Menschen auf der Erde göttlich-geistige Wesen wohnten, die sich zwar nicht zeigten, wenn man, nun, ich will sagen, spazieren ging, die sich aber zeigten, wenn man in der richtigen Weise durch die Tempeldiener in den Mysterien herangeführt wurde an diese göttlich-geistigen Wesenheiten. Sie zeigten sich nur in den Mysterien; aber da zeigten sie sich. Und durch diese Mysterien wurden sie Mitbewohner der Menschen auf Erden. [3] Sie waren in feinen ätherischen Körpern, konnten nun allerdings in Luft sich verkörpern. Sie unterrichteten die Menschen auf dem Wege der Inspiration. [4] Die Urlehrer bevölkerten als eine Art zweites, ätherisch vorhandenes Menschengeschlecht die Erde. [5] Und jene Wesenheiten machten während der Mondenzeit (wie die Angeloi) ihre Menschheit schon zum Teil durch, sie hatten nur einiges von dieser Menschheit noch zu vollenden während des Erdendaseins. [6]

Wenn wir irdische Jahreszahlen brauchen, so müssen wir sagen, daß diese Mondenbevölkerung im Erdendasein vor reichlich mehr als 15 000 Jahren dasjenige durchgemacht hat, was die Menschheit noch durchzumachen hat. [7] Wenn der Mensch unterrichtet wurde von ihnen, so vernahm er das innerlich. [8] Der Mensch, dem sie Führer wurden, der fühlte ihre Nähe in seiner Seele. Er fühlte in seine Seele etwas hineinkommen, was wie eine Inspiration war, wie ein innerliches Aufleuchten von Wahrheiten, auch von Anschauungen. Auf eine geistige Weise lehrten sie. Und man hatte auch nicht etwa äußerlich Anschauungen von diesen Urlehrern; man begegnete ihnen im geistigen Schauen. Diese Urlehrer haben der Menschheit die ursprünglichen großen Weistümer gegeben, die nur im Nachklang erhalten sind selbst in solchen Schöpfungen, wie es die Veden sind und die Verdantaphilosophie. Selbst diese großen Lehren des Orients sind doch nur Nachklänge.

Da war einmal eine Urweisheit über die Menschheit der Erde ausgebreitet, die dann zugrunde gegangen ist, damit die Menschen aus sich selber heraus in freiem Wollen sich wieder hinaufarbeiten können zum Geist. Freiheit des Menschen wäre nicht möglich gewesen, wenn die Urlehrer dageblieben wären. Diese waren daher eine verhältnismäßig kurze Zeit, nachdem der Mond sich getrennt hatte von der Erde, dem Monde gefolgt und haben ihren Wohnplatz in dieser Weltenkolonie des Mondes aufgeschlagen. [9] Sie leben nun wie in einer kosmischen Festung, für das irdische Dasein unwahrnehmbar, im Innern des Mondendaseins. [10] Sie sind wichtigste Bewohner dieser Mondenkolonie seit jener Zeit geworden, seit der sie sich von der Erde getrennt und die Menschen sich selber überlassen haben. Aber wenn wir auch seit jener Zeit diesen großen Urlehrern nicht mehr hier auf der Erde begegnen, begegnen wir ihnen doch als Menschen, die von Erdenleben zu Erdenleben gehen, in unserem Leben nach dem Tode, und zwar sehr bald, nachdem wir durch die Pforte des Todes gegangen sind (siehe: übernächster Artikel). [11]

Unter diesen Wesenheiten sind solche, die, ich möchte sagen, mit einer großen Erhabenheit auftreten, die die Vollendetsten derselben sind, die Besonnensten, die von innerlicher geistiger Größe Durchdrungenen. Von ihnen ist sehr viel zu lernen in bezug auf die Geheimnisse des Kosmos. Sie haben ein Wissen, das weit über das dem Menschen mit dem heutigen Bewußtsein mögliche Wissen hinausgeht. Aber sie können dieses Wissen nicht ausdrücken in abstrakten Gedanken. Ich möchte sagen, die dichten einen an, wenn man in ihre Nähe kommt, sie drücken alles in poetischen Formen, in künstlerischen Bildern aus; sie zaubern vor einen hin in ihrer Art Großartigeres, als Homer geschrieben hat, als die alten indischen Dichtungen enthalten, die der Welt bekannt geworden sind. Aber es ist eine tiefe Weisheit in dem enthalten, was diese Wesen vor einen hinzaubern. Nun sind unter diesen Wesen auch unvollkommenere. Wie es ja auf Erden auch Menschen gibt, die sozusagen sympathische Zeitgenossen und solche, die unsympathische Zeitgenossen sind, so gibt es auch unter diesen Wesenheiten schon solche, die nicht die Größe und Vollkommenheit ihrer Genossen erreicht haben, aber dennoch bis zu einem Punkte gekommen sind, schon dadurch, daß sie Schüler, auch wohl die Diener der anderen waren, die schon dazu gekommen sind, die Erde verlassen zu können, in der Mondensphäre zu leben, weiterzuwirken. Bei diesen Wesenheiten fällt einem sogleich auf – wenn ich mich trivial ausdrücken darf –, wenn man ihre Bekanntschaft macht, sie haben ein brennendes Interesse für irdische Angelegenheiten, aber sie interessieren sich dafür auf ganz andere Art. Sie müssen sich unter ihnen, unter diesen Wesen, nicht gleich unsympathische, schreckliche Gestalten vorstellen. Sie sind durchaus, trotzdem sie unvollkommen sind gegenüber ihren Zeitgenossen, weit über das Maß desjenigen hinaus, was an Vornehmheit, an Gescheitheit, an Einsicht der heutige Erdenmensch erreichen kann mit dem gewöhnlichen Bewußtsein. Aber sie haben durchaus eben die Gewohnheiten ihrer Genossen, andere Gewohnheiten, andere Neigungen, als heute ein gewöhnlicher Erdenbewohner hat. [12] Und diese Wesen haben ja auch in der geistigen Welt, von der ich hier spreche, nun wiederum ihren Geistanhang; allerlei geistige Wesen, die auch nicht auf Erden sind, die niedriger sind als Erdenwesen, auch höher zuweilen, aber die nicht auf der Erde sind. Die leiten sie nicht an, sinnhaft das Irdische auszudrücken, sondern sie leiten sie an, die Schreibbewegungen zu machen, dasjenige, was sich die Menschen da an Schreibbewegungen nach der Zeit angeeignet haben, wo sie selber auf der Erde waren. Aber nun kam dazu, was da war von der Erde, und was geblieben ist, aber von dem Menschen dann weniger bemerkt worden war. [13] Und da ist mancherlei da ist also erstens, wenn ich das gleich dazu zähle, was ich eben auseinandergesetzt habe, dasjenige, was der Mensch an Bewegungen ausstrahlt. Also vom Menschen ausgestrahlte Bewegungen, das ist es, was da mit diesen Wesenheiten ganz besonders verhandelt werden kann. Nun ist das aber zunächst etwas, was noch nicht auf das eigentliche Gebiet dieser Wesenheiten leitet, denn es war eben zu ihrer Erdenzeit noch nicht da. Dagegen liegt schon etwas – im guten, nicht im schlechten Sinne – Menschenverachtendes darinnen, wenn sie von den geringen Anlagen der gegenwärtigen Menschen für die Erkenntnis dessen, was von dem Menschen an Ausdünstung, an Ausstrahlung des Flüssigen zustandekommt. Dafür haben sie ein ganz besonderes Verständnis; das beachtet der gegenwärtige Mensch nicht. Also Ausstrahlung des Flüssigen, Hautausstrahlung des Flüssigen, das ist es, was in dem Zeitalter dieser Wesenheiten ganz besonders wichtig und wesentlich war. Man lernte den Menschen erkennen an dem, was man später nicht beachtete, an dem, was er um sich herum dunstend verbreitete.

Das dritte, wofür diese Wesenheiten besonders empfänglich sind, ist die Hautausatmung, also das Luftförmige, das der Mensch aus sich herausstrahlt. Für alle diese Ausstrahlungen der physischen Natur, die aber durchaus einen halb geistigen Charakter gewinnen können, für alle diese Ausstrahlungen des Menschen, im Festen im Schreiben, im Flüssigen in der Hautausdünstung, im Luftförmigen in der Hautausatmung – der Mensch atmet ja durch die Haut auch fortwährend aus –, sind diese Wesenheiten besonders empfänglich. Dann viertens in der Wärmeausstrahlung. Alle diese Dinge, insofern sie auf Erden vorhanden sind, sind diesen Mondenwesen noch von ganz besonderer Wichtigkeit, und sie beurteilen den Menschen eben nach der Konfiguration seiner Bewegungen im Schreiben, nach der besonderen Art seiner Ausstrahlungen. Dann kommt dazu noch fünftens die Lichtausstrahlung, die durchaus auch vorhanden ist. Jeder Mensch ist nicht nur in seiner Aura, sondern auch in bezug auf den physischen Organismus und den Ätherorganismus leuchtend, lichtausstrahlend. Und diese Lichtausstrahlung, die so schwach ist, daß sie unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht gesehen werden kann, die aber zum Beispiel heute schon von Naturforschern wie Moriz Benedikt in besonders hergerichteter Dunkelkammer sichtbar gemacht wird. Dann gibt es eine sechste Ausstrahlung, das ist die Ausstrahlung chemischer Kräfte. Diese spielt in den seltenen Fällen eine Rolle, und zwar in den Fällen, wo die schwarze Magie angewendet wird. Wenn also Menschen sich ihrer chemischen Ausstrahlung bewußt werden und diese anwenden, dann kommt auf Erden die schwarze Magie zustande. Eine siebente Art von Ausstrahlung ist direkt die unmittelbar geistige Lebensausstrahlung. Ebenso wie die schwarze Magie, in der fast immer die chemischen Ausstrahlungen entarten in unserer Zeit, ebenso wie die schwarze Magie etwas Verwerfliches, Böses ist, ebenso bedeutend ist die Ausstrahlung des Lebens. Denn diese Mondenwesen können ihrerseits, in gutem Sinne aber, denn sie sind keine schwarzen Magier – schwarze Magier sind unter Umständen diejenigen, die auf Erden das tun und in das Böse verfallen –, diese Mondenwesen können immer mit den Kräften, die in dieser chemischen Ausstrahlung liegen, rechnen und arbeiten. Aber nur dann wenn Vollmond ist, wenn der Mond von der Sonne beschienen wird und sie sich in das Gebiet des Sonnenscheins begeben können, dann können sie unter der Einwirkung des Sonnenlichtes mit den Lebensausstrahlungen rechnen. Und diese Lebensausstrahlungen, sehen Sie, das sind diejenigen, die nun im Gegensatze zu allem Verwerflichen gerade als etwas Gutes in unser Zeitalter hereinkommen müssen; denn mit all den Impulsen, welche im Michael-Zeitalter gegeben werden sollen, soll nach und nach diese Beherrschung der Lebensausstrahlung, der vitalen Ausstrahlung verbunden sein. [14] Das soll hauptsächlich gelernt werden, nicht tot zu wirken mit dem, was aus der geistigen Welt kommt, sondern unmittelbar lebendig zu wirken mit dem, was aus der geistigen Welt kommt. Lebendige Ideen, lebendige Begriffe, lebendige Anschauungen, lebendige Empfindungen, nicht tote Theorien zu finden, das ist die Aufgabe des Zeitalters. Das kommt unmittelbar von den Gestalten, die mit dem Wesen, das wir als Michael bezeichnen, vereinigt sind. [15] (Siehe auch: Mond als erstes Auge der Götter).

Zitate:

[1]  GA 223, Seite 141   (Ausgabe 1980, 168 Seiten)
[2]  GA 239, Seite 17f   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[3]  GA 227, Seite 199   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[4]  GA 243, Seite 179   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[5]  GA 239, Seite 139   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[6]  GA 232, Seite 131   (Ausgabe 1974, 222 Seiten)
[7]  GA 227, Seite 207   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[8]  GA 239, Seite 86   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[9]  GA 239, Seite 130f   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[10]  GA 227, Seite 200   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[11]  GA 239, Seite 131   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[12]  GA 243, Seite 144f   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[13]  GA 243, Seite 146f   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[14]  GA 243, Seite 146ff   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)
[15]  GA 243, Seite 149   (Ausgabe 1983, 246 Seiten)

Quellen:

GA 223:  Der Jahreskreislauf als Atmungsvorgang der Erde und die vier großen Festeszeiten. Die Anthroposophie und das menschliche Gemüt (1923)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 232:  Mysteriengestaltungen (1923)
GA 239:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Fünfter Band (1924)
GA 243:  Das Initiaten-Bewußtsein. Die wahren und die falschen Wege der geistigen Forschung (1924)