Karmische Reihen
► Hölderlin und Hamerling

Wenden wir unseren Blick zurück in die Zeit, in der es in Griechenland die Platonische Schule gegeben hat: Plato, umgeben von einer Anzahl von Schülern. Diese Schüler Platos waren wahrhaftig von den verschiedensten Charakteren. Nun waren zwei Persönlichkeiten da in dieser Platonischen Schule, die in sehr voneinander verschiedener Art aufnahmen, was in einer so grandiosen Weise weltdurchleuchtend vom Munde Platos zu seinen Schülern kam und sich auch in Gesprächen mit den Schülern entwickelte. Die eine dieser zwei Persönlichkeiten war eine fein ausziselierte Persönlichkeit, die insbesondere für alles zugänglich war, wodurch Plato, durch seine Lehre von den Ideen, das Menschengemüt veranlaßte, sich von der Erde hinwegzuheben. Da war nun einer der Schüler, der mit ganzer Inbrunst und Hingabe eigentlich immer diesem Himmelsfluge im Platonismus folgte, der in bezug auf seine geistigen Anschauungen eigentlich nur mitkonnte in diesem Himmelsfluge, in diesem Hinaufgehen, in diesem Sich-Erheben über die Erde, und der wirklich, ich möchte sagen, in süß-reifen Worten in der Platonischen Schule sprach von der Erhabenheit der über den einzelnen Dingen lebenden und schwebenden Ideen. Es war bei dieser Persönlichkeit ein gewisser Zwiespalt vorhanden zwischen dem Gemütsleben den lebendigen Menschen gegenüber und dem Aufschauen der Seele zu den ewigen Ideen im platonischen Sinne, wenn dieser Schüler in der Akademie den Worten Platos lauschte oder wenn er mit seinen süß-reifen Worten selber formulierte, was der Platonismus ihm im Aufschauen ergab. Es war etwas merkwürdig Sensitives in diese Persönlichkeit hereingekommen. Und nun war diese Persönlichkeit mit einer anderen aus dem Schülerkreise der Platonischen Schule innig befreundet. Nicht etwa, weil die Liebe erkaltete, sondern weil sie mit ihrer ganzen Geistesart auseinanderwuchsen, brachte sie das Leben auseinander. Jenes intensive Gemütsinteresse an zahlreichen Menschen, das der eine hatte, das hatte der andere nicht. Dagegen interessierte sich der andere in der allerintensivsten Weise für die alten Göttermythen, Göttersagen, die im Volke lebten, die ihm bekannt wurden. Diese beiden Persönlichkeiten – sie wurden noch in der Zeit der Renaissance in Italien als Frauen geboren –, sie kamen in der jetzigen Zeit so wieder, daß der eine, der erste, den ich beschrieben habe, eigentlich zu früh, und der zweite, den ich beschrieben habe, etwas zu spät auf die Erde herunterkamen. Es hängt das eben mit dem starken Entschluß zusammen, den man dazu braucht. Bei dem ersten, war er so, daß er, als er durch die Pforte des Todes gegangen war, weil er mit seinem Geiste immer ins Überirdische hinaufging, aber ohne den ganzen, vollen Menschen, den er nur im Gemüte erfaßte –, deshalb zwischen dem Tod und einer neuen Geburt wohl alles das erfassen konnte, was da lebte, sagen wir, in der ersten Hierarchie, Seraphim, Cherubim und Throne, auch noch einiges von der zweiten Hierarchie, aber nicht die dem Menschen nächste Hierarchie, durch die man begreift, wie der menschliche Körper hier auf der Erde organisiert wird. Eine Persönlichkeit entwickelte sich, die wenig Einsicht, vorirdische Einsicht in den menschlichen Körper entwickelte, die daher, als sie wieder geboren wurde, sogar die letzten Impulse nicht mehr aufnahm, unvollständig herunterstieg in den menschlichen Körper, nicht vollständig untertauchte, sondern eigentlich immer etwas heraußen schweben blieb. Der Freund aus der Platonischen Schule wartete mit der Inkarnation. Das Warten geschah aus dem Grunde, weil beide eigentlich, wenn sie zusammengekommen wären, wenn sie unmittelbare Zeitgenossen geworden wären, sich nicht ertragen hätten. Aber dennoch: es mußte derjenige, der unendlich viel von seinen Zusammenkünften mit Menschen dem andern erzählt hatte, welcher nicht unter Menschen gegangen war, sondern sich nur mit Mythen und Göttersagen beschäftigt hatte, und dem er so lebendig mit reif-süßer Stimme erzählte, der mußte dennoch einen bedeutenden Eindruck auf den anderen machen, mußte ihm vorangehen, der andere ihm nachfolgen. Der andere nun, weil er schon auf Erden in Imaginationen, in den Götter-Imaginationen lebte, hatte es zu einem starken Erfassen, ich möchte sagen, dessen, was am Menschen und im Menschen ist, gebracht. Deshalb wollte er, über seine Zeit hinausgehend, Impulse sammeln, um den menschlichen Leib ganz tief zu ergreifen. Da passierte es ihm, daß er zu tief ergriff, zu tief hinein sich versenkte. Und so sehen wir, daß bei zwei verschiedenen Schicksalsgestaltungen von zwei Angehörigen der Platonischen Schule der eine zu wenig seinen Körper ergreift bei der zweiten Wiederverkörperung, der andere ihn zu stark ergreift. Der eine kann nicht in seinen Köper vollständig hinein, wird nur in seiner Jugend hineingetrieben, wird dann bald hinausgetrieben (er wurde umnachtet) und muß draußen bleiben: Hölderlin. Der andere wird zu tief in seinen Körper hineingetragen, hineingetaucht durch die besondere Art, wie er damals war, daß er zu stark untertauchte in seine Organe und fast lebenslänglich krank wird: Hamerling. [1]

Zitate:

[1]  GA 236, Seite 76uf   (Ausgabe 1988, 310 Seiten)

Quellen:

GA 236:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Zweiter Band (1924)