Devachan – Eintritt in die geistige Welt

Es ist notwendig, um in das eigentliche Geistgebiet mit dem hellsichtigen Bewußtsein hinaufzukommen und in entsprechender Weise die Schwelle der geistigen Welt zu überschreiten, alles zurückzulassen, was Wahrnehmungen der physischen Welt sind, was auch mit dem gewöhnlichen Denken, Fühlen und Wollen in der physischen Welt unternommen werden kann. Bereit sein muß man, vor Vorgängen und Wesenheiten zu stehen mit Merkmalen, die nichts von dem haben, was in der Sinneswelt beobachtet und erfahren werden kann. Dazu ist aber notwendig, daß man die Seele erst erkraftet, daß man die Fähigkeiten der Seele erst verstärkt. Und diese verstärkten, erkrafteten Fähigkeiten der Seele muß man hinauftragen. Man muß etwas mitbringen, wenn man die Schwelle überschreitet in das Geistgebiet. Alles das, was die sinnliche Welt uns geben kann, die Vorstellungen, die Gefühle, die wir innerhalb der Sinneswelt gewinnen, sind Abbilder des sinnlich Wahrzunehmenden. Alles, was man so gewinnen kann, kann einem nicht helfen in der geistigen Welt. Das aber, was nicht Abbild der Sinneswelt ist (z.B. Sinnbilder), was zunächst nicht Bedeutung hat für die Sinneswelt, was aber angeregt werden kann innerhalb der Sinneswelt, was in freiem, innerem Seelenerleben ausgestaltet werden kann, muß hinaufgetragen werden in die übersinnlichen Welten. [1]

In gewissem Sinne kommt jeder (in die geistige Welt) hinein, der diese Regeln (der Schulung) nur anwendet; aber das zu bemerken, daß man darinnensteht, das Aufmerksamsein darauf ist schwieriger als das Hineinkommen selbst. Und da hindert gar manchen, wenn er auch schon wirklich darinsteht in der geistigen Welt, die Unmöglichkeit, jene feine, intime Aufmerksamkeit anzuwenden auf das, was er nun erlebt, um sich wirklich bewußt zu sein, wie er darinsteht. Man möchte sagen, für jeden, der die Regeln anwendet, die in dem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» (GA 10) gegeben sind, tritt nach verhältnismäßig kurzer Zeit das ein, daß er in der geistigen Welt mit seinem Selbst darinsteht, aber – er bemerkt es nicht. [2]

Man kann nicht in die okkulte Welt das gewöhnliche physische Denken hineinnehmen. Man muß das bewegliche Denken hineinnehmen. Das ganze Denken muß regsam, beweglich werden. Wenn man dies nicht spürt in sich – und wie gesagt, man macht es nur nicht richtig, wenn man es nicht verhältnismäßig bald spürt –, wenn man das nicht beachtet, was ich jetzt gesagt habe, dann kommt man sehr leicht dazu, eben nicht die Eigentümlichkeit der geistigen Welt zu erfassen. Sehen Sie, es ist so schwierig, auf diesem Gebiet zu kämpfen mit der menschlichen Abstraktheit; denn wenn Sie dies Bewegliche des Gedankens erfaßt haben, dann werden Sie auch begreifen, daß ein beweglicher Gedanke nicht in beliebiger Weise da und dort auftreten kann. [3] Man kommt also zu nichts geringerem auf diese Weise, als daß man mit dem Denken ins Leben untertaucht, während man sonst immer (mit den abstrakten Vorstellungen) im Toten lebt. Dadurch aber enthüllt sich einem auch etwas, was man vorher überhaupt nicht hat erkennen können und was auf dem physischen Plane gar nicht zu prüfen ist, nämlich das Entstehen und Vergehen. Auf dem physischen Plane ist ja nichts anderes zu beobachten als das, was entstanden ist. Das Entstehen kann gar nicht beobachtet werden, nur was entstanden ist. Auch das Vergehen kann nicht beobachtet werden, denn wenn der Gegenstand ins Vergehen übergeht, ist er nicht mehr auf dem physischen Plan, oder er geht wenigstens weg vom physischen Plan. [4]

Beim Eintritte in die Geisteswelt muß man alles gewissermaßen hinter sich lassen, worauf sinnliche Vorstellungen anwendbar sind. Vorstellungen aber, welche man sich in der Sinneswelt so gebildet hat, daß sie keinem sinnlichen Dinge oder Vorgange entsprechen, die sind in der Seele auch noch anwesend, wenn sie die geistige Welt betritt. Naturgemäß können unter diesen Vorstellungen solche sein, welche irrtümlich gebildet sind. Wenn diese beim Eintritte in die geistige Welt vorhanden sind, so erweisen sie sich durch ihr eigenes Dasein als nicht hingehörig. Sie wirken so, daß sie der Seele den Drang einprägen, zurückzukehren in die Sinnes- oder die elementarische Welt (Astralplan), um dort an die Stelle der irrtümlichen Vorstellungen die richtigen zu setzen.Was aber die Seele an richtigen Vorstellungen in die geistige Welt hineinbringt, dem strebt in dieser Welt ein Verwandtes entgegen; die Seele erfühlt in der geistigen Welt, daß dort Wesen vorhanden sind, welche mit ihrem ganzen Innensein so sind, wie innerhalb ihrer selbst nur die Gedanken sind. Diese Wesenheiten haben einen Leib, den man Gedankenleib nennen kann. In diesem Gedankenleib erleben sich diese Wesen als selbständig, wie der Mensch sich innerhalb der Sinneswelt selbständig erlebt.

Von den Vorstellungen, welche sich der Mensch erwirbt, sind zunächst gewisse mit Gefühlen durchtränkte Gedanken geeignet, das Seelenleben so zu verstärken, daß es von den Wesenheiten der geistigen Welt einen Eindruck erhalten kann. Wenn das Gefühl der Hingabe, wie es für die Verwandlungsfähigkeit in der elementarischen Welt entwickelt werden muß, so verschärft wird, daß in dieser Hingabe das fremde Wesen, in das man sich verwandelt, nicht nur sympathisch oder antipathisch erfühlt wird, sondern so, daß es mit seiner Eigenart in der Seele, die sich hingibt, aufleben kann, dann tritt die Wahrnehmungsfähigkeit für die geistige Welt ein. Es spricht dann gewissermaßen das eine geistige Wesen in dieser, das andere in einer anderen Weise zur Seele. Und es entsteht ein geistiger Verkehr, der in einer Gedankensprache besteht. Man erlebt Gedanken; aber man weiß, daß man in den Gedanken Wesen erlebt. In Wesen zu leben, die in Gedanken sich nicht bloß ausdrücken, sondern die mit ihrem Eigensein in den Gedanken anwesend sind, heißt mit der Seele in der geistigen Welt leben. Gegenüber den Wesenheiten der elementarischen Welt (Astralplan) hat die Seele das Gefühl, daß diese Wesenheiten die Weltgedanken in ihr Eigensein hereinstrahlend haben, und daß sie sich wollen in Gemäßheit dieses in sie einstrahlenden Weltendenkens.

Gegenüber den Wesenheiten (des Devachans) hat die Menschenseele das Gefühl, daß diese Wesenheiten ganz aus Gedankensubstanz bestehen, daß die Weltengedanken in sie nicht nur einstrahlen, sondern daß die Wesen selbst mit ihrem Eigensein in diesem Gedankenweben leben. Sie lassen völlig die Weltgedanken in sich lebend denken. Ihr Leben verläuft in dem Wahrnehmen der Weltgedankensprache. Und ihr Wollen besteht darin, daß sie sich gedankenhaft zum Ausdrucke bringen können. Und dieses ihr Gedankensein wirkt wesenhaft auf die Welt zurück. Gedanken, welche Wesen sind, sprechen mit anderen Gedanken, welche auch Wesen sind. Das menschliche Gedankenleben ist das Spiegelbild dieses geistigen Gedankenwesenlebens. [5]

In der Zeit, welche für die menschliche Seele zwischen dem Tode und einer neuen Geburt verläuft, ist sie in dieses Gedankenwesenleben so einverwoben, wie sie in der Sinneswelt in das physische Dasein einverwoben ist. Tritt die Seele durch die Empfängnis in das Sinnessein, so wirkt die Gedanken-Dauer-Wesenheit (siehe: Selbst, höheres) der Seele so, daß sie das Schicksal dieser Seele ausgestaltet, inspiriert. In dem menschlichen Schicksale wirkt dasjenige, was aus den der Gegenwart vorangegangenen Erdenleben von der Seele verblieben ist, so, wie die reinen Gedankenlebewesen in der Welt wirken. Wenn das übersinnliche Bewußtsein in diese – geistige – Welt der Gedankenlebewesen eintritt, so fühlt es sich gegenüber der Sinneswelt in vollständig neuen Verhältnissen. Diese Sinneswelt steht ihr in der geistigen Welt als eine «andere Welt» gegenüber, so, wie ihr die geistige Welt in der Sinneswelt als eine andere gegenübersteht. Aber es hat diese Sinneswelt für die Geistesschau alles verloren, was von ihr innerhalb des Sinnesseins wahrgenommen werden kann. Wie verschwunden sind alle Eigenschaften, welche durch Sinne oder den an die Sinne gebundenen Verstand aufgefaßt werden. Dagegen zeigt sich von dem Gesichtspunkte der geistigen Welt aus, daß die wahre, die ureigene Natur der Sinneswelt selbst geistig ist. Es treten für den Seelenblick, der von der geistigen Welt aus schaut, statt der früheren Sinneswelt geistige Wesen auf, die ihre Wirksamkeiten entfalten, und zwar so, daß durch das Zusammenströmen dieser Wirksamkeiten die Welt entsteht, welche, durch Sinne angesehen, eben zu der Welt wird, welche der Mensch in seinem eigenen Sinnessein vor sich hat. 17.77Von der Geisteswelt aus gesehen, verschwinden die Eigenschaften, Kräfte, Stoffe und so weiter der Sinneswelt; sie enthüllen sich als bloßer Schein (siehe: Maya). Man hat von dieser Welt aus nur noch Wesenheiten vor sich. In diesen Wesenheiten liegt die wahre Wirklichkeit. Ähnlich ist es mit der elementarischen Welt. Auch aus dieser entschwindet für den Blick von der geistigen Welt her alles, was nicht Wesenheit selbst ist. Ein wesentlicher Teil des Einlebens in die übersinnlichen Welten besteht darin, daß an die Stelle der Zustände und Eigenschaften, welche das Bewußtsein in der Sinneswelt um sich hat, Wesenheiten treten; und was außer diesen Wesenheiten noch vorhanden ist, (offenbart sich) als Ausdruck der Taten dieser Wesenheiten. Aber auch die Sinneswelt und die elementarische Welt (Astralplan) erscheinen als die Taten der geistigen Wesenheiten. 17.78Es ist in der geistigen Welt genau so (wie in der Sinneswelt), daß man Schritt für Schritt sich das aneignen muß, was aus der geistigen Welt heraus gefaßt werden soll, und es ist Naivität, wenn man glaubt, daß dort nicht auch alles erst Schritt für Schritt angeschaut werden muß. Nun ist es in der geistigen Welt noch anders als hier in der physischen Welt, wenn man also, ich will sagen, noch niemals in Heidelberg war und nun Heidelberg beschreiben will, so fährt man hin, man setzt sich in Bewegung. In der geistigen Welt müssen die Dinge zu uns kommen, da müssen wir in der Seele die Wartekraft, die innere Erlebenskraft entwickeln. Die Dinge treten in unseren Gesichtskreis herein, wenn wir uns fähig dazu gemacht haben. Das Heidelberg der geistigen Welt muß zu uns kommen, wir müssen unsere Seele bereitmachen dazu. Es ist immer in gewissem Sinn von dem abhängig, womit wir begnadet werden, ob wir über dieses und jenes in der geistigen Welt etwas erfahren können. [6]

Zitate:

[1]  GA 147, Seite 101   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[2]  GA 159, Seite 347   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[3]  GA 164, Seite 40f   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[4]  GA 164, Seite 43   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[5]  GA 17, Seite 75ff   (Ausgabe 1956, 102 Seiten)
[6]  GA 174a, Seite 93f   (Ausgabe 1982, 308 Seiten)

Quellen:

GA 17:  Die Schwelle der geistigen Welt (1913)
GA 147:  Die Geheimnisse der Schwelle (1913)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 164:  Der Wert des Denkens für eine den Menschen befriedigende Erkenntnis. Das Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft (1915)
GA 174a:  Mitteleuropa zwischen Ost und West (1914-1918)