Alexander der Große

Alexander ist bei seiner Ausbreitung des Griechentums mustergültig mit dem religiösen Leben verfahren, was uns ja überall entgegentritt, wenn wir die Ausbreitungszüge Alexanders in religiöser Beziehung ins Auge fassen. Da ist kein Überreden der Menschen und da sind keine Dogmen. Da wird einer Volksgemeinschaft alles das gelassen, was sie hat an Kultus, an Überzeugung, und nur soviel wird hineingegossen, wie gerade aufgenommen werden kann. So sind auch die Sendboten Buddhas verfahren, die heraufzogen nach dem babylonischen Gebiete und hinüber nach ägyptischem Gebiete. Nachdem sie gewirkt hatten, konnte man äußerlich im Kultus und im Gebrauch des Wortes im wesentlichen nicht unterscheiden die spätere Zeit von der früheren. Innerlich war sie jedoch gewaltig zu unterscheiden, denn hineingegossen war in das, was dem Gott dieser Völker geheiligt war, alles das, was die besondere Nuance des Kultus, des Opferdienstes, der Überzeugung aufnehmen konnte. [1] Alexander hat vieles von der griechischen Kultur nach Asien hinübergebracht. Das ist jetzt dort drinnen. Das ist sogar auf dem Umweg von Spanien durch die Araber und Juden wiederum nach Europa gekommen. Wodurch ist es dem Alexander gelungen, diese Sachen überhaupt nach Asien hinüberzubringen? Nur dadurch, daß er nicht so vorgegangen ist wie die heutigen Europäer. Diese betrachten sich als die absolut gescheiten Leute. Wenn sie nun irgendwo anders hinkommen, so sagen sie: Die sind ja alle dumm; also müssen wir ihnen unsere Weisheit bringen. Das hat Alexander nicht getan; sondern der ging zunächst ganz auf das ein, was die Leute hatten. Er hat nur ganz langsam, in kleiner Weise in das, was die anderen hatten, etwas hineinfließen lassen, hat geschätzt und geachtet, was die anderen hatten. [2] Das versteht kein Mensch mehr in Europa. Das müßten sich aber die Europäer wieder angewöhnen. [3]

Das Schicksal ergab, daß (die späteren Alexander und Aristoteles) wiederum (zusammen) verkörpert waren als Angehörige des ephesischen Mysteriums. Sie nahmen als Erdenweisheit jetzt durch das Mysterium auf, was ihnen früher (siehe: Gilgamesch) nur im Erlebnis, aber zum großen Teil im unbewußten Erlebnis zugänglich war. Dadurch aber trugen sie in sich ein starkes Bewußtsein der Zusammengehörigkeit des Menschen mit der oberen, mit der geistigen Welt, aber zugleich ein starkes, ein intensives Empfindungsvermögen für alles das, was irdisch ist. Das Leben dieser Persönlichkeiten fiel zum Teil noch in die letzte Zeit, in der Heraklit in Ephesus lebte. [4]

Der Grieche dachte sich, daß er verdankt die Idee der menschlichen Unsterblichkeit, das heißt der Zugehörigkeit des Menschen zum geistig-seelischen Weltenall, dem Einfluß der samothrakischen Kabiren-Mysterien. Und es war im griechischen Bewußtsein, daß dazumal der große Alexander beschlossen hat zu diesem Elternpaar hinunterzutauchen in die Erdenwelt, als sich vor den Kabiren-Göttern Seele an Seele Philipp von Makedonien und Olympias gefunden haben. [5] An dem Tage, an dem Alexander geboren wurde, ist das Heiligtum von Ephesus durch Frevlerhand abgebrannt. [6] Alexander und Aristoteles sind dann nahegekommen dem, was in jener Zeit noch zu verspüren war an den Mysterien von Samothrake. Gerade beim Herantreten an die kabirischen Geheimnisse von Samothrake in der Zeit, als nun schon die alten Mysterien zurückgingen, da war eben ein Moment, wo für Alexander und Aristoteles durch den Einfluß der Kabirenmysterien etwas entstand wie eine Erinnerung an die alte Zeit in Ephesus. 233a.161ff. Für das, was das eigentlich Naturwissenschaftliche war (bei Aristoteles), was in sich noch den Geist trug der chtonischen Mysterien, die dann nur in die eleusinischen eingeflossen waren, was eine Naturwissenschaft war, die nach dem Himmel hinausreichte, die in die Weiten des Kosmos hinausschweifte, um das Irdische zu erklären, für diese Wissenschaft war in Griechenland die Zeit vorbei. Und so viel noch gerettet werden sollte von dieser Naturwissenschaft, so viel konnte nur auf die Art gerettet werden, daß Aristoteles der Lehrer des Alexander wurde, der seine Züge nach Asien hinüber machte, und der alles, was möglich war, einführte nach dem Oriente von aristotelischer Naturwissenschaft, die dann überging in die jüdischen, in die arabischen Schulen, von da aus über Afrika nach Spanien herüberkam und die in filtrierter Weise zum Teil in dasjenige hereinwirkte, was in Mitteleuropa spielte aus den hybernischen Mysterien heraus bei einzelnen einsamen Menschen zum Beispiel in dem in mythischer Form auf die Nachwelt gekommenen Basilius Valentinus. [7]

Zitate:

[1]  GA 346, Seite 66   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[2]  GA 353, Seite 254   (Ausgabe 1968, 308 Seiten)
[3]  GA 353, Seite 257   (Ausgabe 1968, 308 Seiten)
[4]  GA 233, Seite 58f   (Ausgabe 1980, 174 Seiten)
[5]  GA 273, Seite 202   (Ausgabe 1981, 286 Seiten)
[6]  GA 233, Seite 92   (Ausgabe 1980, 174 Seiten)
[7]  GA 232, Seite 161   (Ausgabe 1974, 222 Seiten)

Quellen:

GA 232:  Mysteriengestaltungen (1923)
GA 233:  Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes (1923/1924)
GA 273:  Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band II: Das Faust-Problem. Die romantische und die klassische Walpurgisnacht (1916-1919)
GA 346:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken (1924)
GA 353:  Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker (1924)