Apokalypse des Johannes
► 3. Siegelbild

Dieses Siegel stellt die Geheimnisse der sogenannten Sphärenharmonie dar. [1] Der Mensch erlebt diese Geheimnisse in der Zwischenzeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. Doch ist die Darstellung nicht so gegeben, wie sie im Devachan selbst erlebt wird, sondern so, wie die Vorgänge dieses Gebietes sich in die astrale Welt gleichsam hereinspiegeln. Es muß überhaupt festgehalten werden, daß die sämtlichen 7 Siegel Erfahrungen der astralischen Welt sind. Die posaunenblasenden Engel des Bildes stellen die geistigen Urwesen der Welterscheinungen dar; das Buch mit den 7 Siegeln deutet darauf hin, daß sich in den Erlebnissen, die in diesem Bilde veranschaulicht sind, die Rätsel des Daseins «entsiegeln». Die vier apokalyptischen Reiter stellen die menschlichen Entwickelungsstufen durch lange Erdenzyklen hindurch dar. [2]

Der Apokalyptiker hat es also zu tun mit der hellseherischen Anschauung der sieben zukünftigen Zeiträume. Das sind astrale Bilder dessen, was einst sein wird. Die Menschen, welche etwas aufgenommen haben werden von der spirituellen Kultur, werden die niedere Natur überwunden haben; sie werden die menschliche instinktive Natur dann beherrschen. Das, was der Mensch überwunden hat, drückt sich im Siegel in der Pferdegestalt aus. Mit dem, was er aus seiner Seele gemacht haben wird, wird er Sieger sein über seine niedere Natur; er wird sie beherrschen, gleich dem Reiter, der der Herrscher ist über das Pferd. Alles was in unserem Zeitraum seit der altindischen Zeit durchgemacht wird, erscheint wieder nach dem Krieg aller gegen alle. So erscheint in der Wiederholung zuerst der altindische Zeitraum wieder. Damals war den Menschen alles in der physischen Welt Illusion, Maya; damals ist die Seele dazu reif geworden, Sieger zu sein über alles in der sinnlichen Welt. Die Frucht dieser indischen Zeit erscheint dem Apokalyptiker im Bilde als das weiße Pferd. Das ist die Charakteristik dieser Menschenseele, daß das Äußere, die materielle Kultur noch nicht von Händen berührt erscheint; unschuldig wie das helle Sonnenlicht ist der Reiter mit dem Bogen. Wie ein Sieger hat er sich das Recht erworben, nach dem Krieg aller gegen alle Sieger zu sein über die niedere Natur. Aber noch ist sie da, diese niedere Natur; mit ihr ist der Mensch so zusammengewachsen, wie sich das darstellt im dritten Siegel als rotes Pferd. Da ist die Seele nicht mehr im weißen Unschuldskleide. Dadurch kann der Mensch in diesem Zeitraum nicht als der sieghafte Reiter erscheinen; er erscheint uns so, daß er die Früchte des Egoismus mitbringt. Er erscheint nach dem Kriege aller gegen alle nun nicht mehr im weißen Kleide, sondern noch einmal nimmt er den Frieden von der Erde, noch einmal zeigt er sich im Kampf ums Dasein mit dem Schwerte. Der vierte Zeitraum hat sich als griechisch-lateinische Kultur die Schönheit der physischen Welt erobert. Der Grieche idealisiert die Natur in seiner Kunst, er verschönert das Dasein. Aber so lieb hat der Grieche das physisch-sinnliche Dasein gewonnen, daß ihm die geistige Welt dunkel geworden war, und das Licht drang erst wieder in das, was für ihn vollkommener Schatten war, durch das Ereignis von Golgatha. Die Seele war ganz in Fesseln geschlagen worden in diesem vierten Zeitraum. Die niedere Natur aber hat in diesem Zeitraum eine Verschönerung erlebt, hat gewissermaßen eine Decke von Schönheit und Kunst erhalten. Das ist so recht das Charakteristische der Seele in diesem für das Erdenreich schönsten Zeitraum; aber für die Seele selbst ist die Frucht dieses Zeitraums gleichbedeutend mit Tod. Die Seelen werden aus diesem Zeitraum, der ihnen die Herrschaft über die äußere physische Natur gegeben hat, am wenigsten Früchte ziehen. Und nun kommen wir zum fünften Zeitraum, wo das Jahve-Christus-Prinzip den Seelen leuchtet auch zwischen dem Tode und der neuen Geburt. Da werden die Seelen immer lebendiger. (Trotzdem) sehen wir den Materialismus immer mehr überhandnehmen; immer mehr wird die Tendenz dahin gehen, daß die Spiritualisierung der menschlichen Persönlichkeit den Gegensatz bilden muß zum immer mehr überhandnehmenden Materialismus. Das, was da scharf oppositionell ist, wird am Ende unseres Zeitraumes als äußerlich überwundene Menschheit erscheinen. Und die Menschen, die erwürgt wurden um des Wortes willen, werden viel zu leiden haben; aber sie werden eben die wichtigsten Kulturträger sein über den Krieg aller gegen alle hinüber. [3] Und ein sechster Zeitraum bricht an mit der Gemeinde von Philadelphia. Außer diesen spirituellen Menschen ist die übrige Menschheit ganz eingesponnen in das soziale Leben, untergegangen in dem immer mehr sich verstärkenden Materialismus. Aber diese Menschen werden in hohem Grade die Naturkräfte beherrschen, wie wir das schon jetzt in der drahtlosen Telegraphie und der Luftschiffahrt sehen. Es ist nicht gleichgültig, ob der Luftraum angefüllt wird mit spirituellen Gedanken oder mit den Gedanken materieller Bedürfnisse. Das wird unseren ganzen Erdball erfassen. Da sehen wir hinein in einen Zeitraum, wo der Mensch in hohem Maße in den Luft- und Lichtraum eingreifen wird. Was werden die Früchte dieses Zeitraumes sein? In der wahren Gestalt erscheint es für einen gewissen Zeitraum so, daß diese elektrischen Wellen zurückwirken werden auf die Erdenkräfte, und je nach dem Guten und Schlechten werden Erdbeben, Erderschütterungen auftreten als Wirkung der Menschheitstaten. «Und ich sahe, da es das sechste Siegel öffnete, da geschah ein großes Erdbeben, und die Sonne ward schwarz wie ein härener Trauersack.» (Apk. 6, 12) Indem der Mensch seine Empfindungen der Luft mitteilt, ändert er die ganze Natur, und es tritt etwas auf wie ein Meteorregen. So entfesselt der Mensch die Kräfte der Natur, aber nicht ungestraft trift er seine Verrichtungen. Indem wir dieses sehen, erscheint es uns zugleich, daß der Mensch innerhalb dieser entfesselten Naturkräfte seinen Untergang findet. Die aber, die sich mit dem Geist verbinden, die erscheinen als die versiegelten Menschen. [4]

«Und da es das dritte Siegel auftat, hörte ich das dritte Tier sagen: Komm! Und ich sah, und siehe, ein schwarzes Pferd. Und der darauf saß, hatte eine Waage in seiner Hand.» (Apk. 6, 5) Was heißt das? Das heißt, es wird im Bilde ein Zukunftszustand der Menschen dargestellt, der hervorgeht aus der Entwickelung des dritten Gliedes der menschlichen Natur, des Astralleibes, wo also das Ich an diesem Astralleib arbeitet und ihn läutert. Der ungeläuter Astralleib ist der, der nur sich kennt, dem alles das ein Antipathisches ist, was ihm nicht gehört, und der 3. Siegelbild geläuterte ist der, dem alles mit der rechten Waage erteilt sein soll. Läutern wir den Astralleib in der richtigen Weise, so kommen wir dazu, daß ein Organ sich ausbilden wird, das bildlich ausgedrückt wird dadurch, daß ein Reiter mit der Waage dargestellt wird. [5]

Zitate:

[1]  GA 284, Seite 93   (Ausgabe 1993, 208 Seiten)
[2]  GA 34, Seite 598   (Ausgabe 1960, 627 Seiten)
[3]  GA 104a, Seite 110uf   (Ausgabe 1991, 144 Seiten)
[4]  GA 104a, Seite 113f   (Ausgabe 1991, 144 Seiten)
[5]  GA 104a, Seite 53   (Ausgabe 1991, 144 Seiten)

Quellen:

GA 34:  Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908)
GA 104a:  Aus der Bilderschrift der Apokalypse des Johannes (1907/1909)
GA 284:  Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen (1907)