Knochen

Denken Sie einmal: der Mensch macht einen Spaziergang und er bewegt mit Hilfe der Knochenmechanik seine Glieder vorwärts; er denkt, daß er das zu seinem Vergnügen mache. Daß das geschehen kann, daß es Kräfte gibt, durch die wir uns vorwärtsbewegen können mit unserer Knochenmechanik, dazu mußte die ganze Welt da sein, und die ganze Welt von göttlich-geistigen Kräften durchwellt sein. In jedem unserer Schritte lebt der göttlich-geistige Kosmos mit, und während wir glauben, daß wir es sind, die unsere Füße vorwärtssetzen, könnten wir das nicht, wenn wir nicht lebten in dem geistigen Kosmos, in der göttlichen Welt. Wir richten, solange wir im physischen Leibe sind, unsere Blicke rings um uns herum. Da sehen wir die Wesen des mineralischen, des pflanzlichen, des tierischen Reiches, sehen Berge, Flüsse, Meere, Seen, Wolken, sehen Sterne, Sonne, Mond; was wir da äußerlich sehen, hat ein Inneres, und in dieses Innere treten wir selber ein, wenn wir außerhalb unseres Leibes (durch spirituelle Entwickelung) leben. Wenn wir da drinnen leben, wissen wir: Was in ihnen geistig ist, was sich verbirgt hinter der strahlenden Sonne, hinter den glänzenden Sternen, hinter den Bergen, Flüssen, Meeren, Seen, Wolken, das lebt in unserer Knochenmechanik, wenn wir sie bewegen. So wie unser Wille mit unserer Knochenmechanik im innigen Zusammenhang steht, stehen unsere Gefühle im innigen Zusammenhang mit unserem Muskelsystem. So wie unsere Muskeln gebaut sind, so wie unsere Muskeln uns gestatten, sich zu verkürzen und zu verlängern, um dadurch wiederum die Knochenmechanik hervorzurufen, so ist dazu das Planetensystem notwendig, das wir erkunden, wenn wir uns in unserem astralischen Leib befinden. In unserem Muskelsystem lebt das ganze Planetensystem, wie der ganze Kosmos in unserer Knochenmechanik. [1]

Der Knochen ist, wenn er von der Ich-Organisation geformt ist, ein Organ, das von dieser aus ihrem Bereich entlassen wird. Er kommt in einen Zustand, in dem er nicht mehr innerlich ergriffen wird von der Ich-Organisation, sondern nur noch äußerlich. Er ist aus dem Wachstums- und Organisationsbereich herausgeführt und dient noch mechanisch der Ich-Organisation bei Ausführung der Körperbewegung. Nur ein Rest von innerer Tätigkeit der Ich-Organisation durchsetzt ihn die ganze Lebenszeit hindurch, weil er ja doch auch Organisationsglied innerhalb des Organismus bleiben muß und aus dem Leben nicht herausfallen darf. [2]

Durch den kohlensauren Kalk erhält der Knochen die Eigentümlichkeit, der Erde zu unterliegen. Wäre die Knochensubstanz nicht überall durchsetzt von kohlensaurem Kalk, könnte die Erde (mit ihren Kräften) nicht an den Knochen heran. Der kohlensaure Kalk bildet für die Erde den substantiellen Angriffspunkt, um nach ihren Bildungskräften den Knochen zu formen. Der phosphorsaure Kalk bildet für den Kosmos den Angriffspunkt, um den Knochen zu formen. [3]

Die physischen Kräfte der Erdentwickelung würden niemals unsere Muskeln erzeugen; die mußten schon durch die physischen Kräfte der Mondenentwickelung erzeugt werden, sie würden niemals unsere Nerven und so weiter erzeugen. Aber während der Erdentwickelung durch die Impulse des Ich sind allerdings die Knochen zustande gekommen, die Knochen sogar erst während der atlantischen Entwickelung; durch die Salzablagerungen im Atlantischen Meere sind zustande gekommen die Bänder, die Sehnen. Das alles ist eingegliedert nur durch die Erdenkräfte. Da tragen wir die Erde in uns, in unseren Knochen, Sehnen und Bändern. Darinnen lebt der Geist der Erde. Darinnen leben dieselben Kräfte, die in allem mineralischen Natur- oder technischem Walten der Erde vorhanden sind. Man soll nur ja nicht glauben, daß man schon erschöpft hat dasjenige, was von uns übrig bleibt, wenn man sagt: nun, der physische Leib fällt ab von uns, und unser Seelisches geht weiter in die geistigen Welten (nach dem Tode). Nein, es sind geheime spirituelle Kräfte im ganzen physischen Leib, die der Erde verbleiben. Nur kann die Erde nicht halten dasjenige, was sie nicht selbst erzeugt hat, sondern nur die Kräfte aus Knochen, Sehnen und Bändern, die behält sie. Das, was wir wieder zurückgeben im Tode, das geht immer auf einem geheimnisvollen Wege in die späteren Menschenkörper hinein. Rachitisch würden sonst die Menschen geboren werden; denn die Erde hat nur einen gewissen Fonds von der Kraft, die in unseren Knochenbewegungen und Sehnenentwickelung liegt. [4]

Eines gab es in der menschlichen Natur, bis zu dem die Gewalt eines vorchristlichen Eingeweihten nicht drang. Und das waren die feinen physikalisch-chemischen Vorgänge im Knochensystem. Es gab bis zu der Johannestaufe des ChristusJesus niemals innerhalb der Erdentwickelung – unter Eingeweihten nicht und unter Uneingeweihten nicht eine menschliche Individualität, welche bis in die chemisch-physikalischen Vorgänge des Knochensystems hinein mächtig gewesen wäre. Durch das Hineinfahren des Christus in den Leib des Jesus von Nazareth wurde die jetzige Ichheit des Christus Herrscher bis in das Knochensystem hinein. Und die Folge davon war, daß einmal auf der Erde ein Leib gelebt hat, welcher imstande war, seine Kräfte so zu beherrschen, daß er die Form des Knochensystems, die geistige Form des Knochensystems der Erdenentwickelung einverleiben konnte. Nichts würde von dem, was der Mensch innerhalb der Erdentwickelung durchmacht, zurückbleiben, wenn der Mensch nicht die edle Form seines Knochensystems als Gesetz der Erdentwickelung einverleiben könnte, wenn er nicht nach und nach Herr würde über dieses Gesetz des Knochensystems. Die Willkür des Christus, sein freier Wille, drang mit seiner Herrschaft hinein in das Knochensystem, so daß er sozusagen zum ersten Male hineinwirken konnte in dieses Knochensystem. Die Bedeutung dieser Tatsache aber läßt sich so schildern: Der Mensch hat sich die Form, die er heute durch sein Knochensystem hat, auf der Erde erobert, nicht auf einer früheren Verkörperung unseres Planeten. Aber er würde sie verlieren, wenn nicht jene geistige Macht gekommen wäre, die wir den Christus nennen. Der Mensch würde nichts als Ernte und Frucht von der Erde mit hinüber in die Zukunft nehmen, wenn nicht jene Herrschaft des Christus über das Knochensystem eingetreten wäre. [5] Damit war in die Erde etwas verpflanzt, was man nennen kann die Oberherrschaft über den Tod, denn mit den Knochen ist der Tod erst in die Welt gekommen. [6] Denn die Knochen sind schuld an dem Tode des Menschen; dadurch, daß der Mensch so gestaltet wurde, daß er die feste Knochenmasse sich eingliederte, verstrickte er sich mit dem Mineralischen der Erde. Dadurch wurde ihm der Tod eingeboren, und nicht umsonst wird der Tod durch das Skelett dargestellt. Bis in die Knochen hinein erstreckte sich die Wirkung, als durchglüht und durchfeuert wurde der Leib des Jesus von Nazareth von der Christus-Individualität, von dem hohen Sonnengeiste.

Wenn Sie einen Knochen verbrennen, dann verbrennt die Knorpelmasse, und die Knochenasche bleibt zurück. Es ist etwas, was Ihnen dadurch anschaulich wird, daß sozusagen durch die dem Feuer entgegengesetzte, aber daher auch mit ihm verbundene Macht zusammengehalten wird Knochenmineralmasse und Knorpelmasse. Das ist heute vollständig der Willkür des Menschen entzogen; das wurde aber in die Willkür dessen gestellt, der später das Ereignis von Golgatha durchmachen sollte. Herrschaft über die Kraft, die Knorpelmasse und Knochenasche zusammenhalten, erhielt als einziger Leib, den es je auf der Erde gegeben hat, der Leib des Jesus von Nazareth durch die Intuition des Christus. Das ist die lebendige Kraft, die in der Lage ist, die Knochen einst wiederum zurückzuverwandeln, das heißt, allmählich in die Geistigkeit zu führen, was in der künftigen Mission der Erdentwickelung geschehen wird. Daher durfte auch keine fremde physische Macht eingreifen in dieses Knochengewebe: Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen! Den anderen, die ans Kreuz gehängt wurden, wurden die Beine zerbrochen. An ihm mußte sich das Prophetenwort erfüllen: «es soll ihm kein Bein zerbrochen werden», damit dasjenige, was als ein großer, gewaltiger Zentrumsimpuls der Erde mitgeteilt worden war, nicht zerstört würde durch einen fremden Einfluß. So wirkte damals in dem Mysterium, das sich bei der Johannes-Taufe vollzog, der hohe Sonnengeist, der durch seine Trennung von der Erde die Menschheit in die physische Materie kommen ließ, der sie erst in die Verknöcherung gebracht hatte: so wirkte er, daß sie nun den Impuls bekam, diese Verknöcherung aufzuheben, zu vergeistigen. [7]

Zitate:

[1]  GA 153, Seite 88f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[2]  GA 27, Seite 68   (Ausgabe 1984, 142 Seiten)
[3]  GA 316, Seite 49   (Ausgabe 1980, 246 Seiten)
[4]  GA 272, Seite 239ff   (Ausgabe 1981, 336 Seiten)
[5]  GA 112, Seite 182f   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[6]  GA 106, Seite 135   (Ausgabe 1978, 180 Seiten)
[7]  GA 105, Seite 175f   (Ausgabe 1983, 208 Seiten)

Quellen:

GA 27:  Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. Von Dr. Rudolf Steiner und Dr. Ita Wegman (1925)
GA 105:  Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur (1908)
GA 106:  Ägyptische Mythen und Mysterien im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart (1908)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 153:  Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt (1914)
GA 272:  Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band I: Faust, der strebende Mensch (1910-1915)
GA 316:  Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst (1924)