Karmische Reihen
► Ibsen

Da gab es einen Eingeweihten, auf dessen Mysterienweisheit und auf dessen Mysterienempfindung diese Frage ganz besonders tiefen Eindruck machte: Was wird nun aus dem Mysterium von Golgatha, wie werden diese schwachen Menschenseelen das aufnehmen können? Und sehen Sie, dieser Eingeweihte, mit der brennenden Frage nach dem Schicksal des Christentums in seiner Seele behaftet, er erging sich eines Tages im weiteren Umkreise von seiner Mysterienstätte, und er erlebte etwas mit, was einen ungeheuer erschütternden Eindruck auf ihn machte. Er erlebte mit, als Eingeweihter sozusagen sehend, wie Julian Apostata von einem Menschen meuchlings ermordet wurde. Mit Eingeweihten-Wissen machte er es mit. Er wußte, daß Julian bis zu einem gewissen Grade in die alten Mysterien eingeweiht war, daß er dasjenige, was man in den alten Mysterien pflegte und was dort lebte, auf geistige Art der Menschheit forterhalten wollte, fortpflanzen wollte, daß er das Christentum vereinigen wollte mit der alten Mysterienweisheit, daß er verkündete im Sinne der alten Mysterienweisheit: Es gibt neben der physischen Sonne eine geistige Sonne, und wer die geistige Sonne kennt, kennt Christus. Aber das war etwas, was nun schon als etwas sehr Schlimmes betrachtet wurde in der Zeit, als Julian lebte, und was dazu führte, daß Julian auf dem Perserzuge meuchlings ermordet wurde. Das machte jener Eingeweihte mit: dieses bedeutungsvolle Symptom der Weltgeschichte. Das erlebte nun dieser Eingeweihte, bei dem, ich möchte sagen, die ganze Einweihungswissenschaft, die er in sich aufgenommen hatte in einer vorderasiatischen Mysterienstätte, überstrahlt und übertönt war von der Frage: Was wird aus dem Christentum? Und durch dieses Symptom stand nun vor seiner Seele ganz hell und klar: Es wird eine Zeit kommen, da wird das Christentum zunächst mißverstanden werden, da wird das Christentum nur in Traditionen leben, man wird nichts wissen von der Erhabenheit des Sonnengeistes Christus, der in dem Jesus von Nazareth gelebt hat. Das alles lud sich ab auf die Seele dieses Menschen. Und er bekam für den Rest seines damaligen Lebens etwas wie eine Gemütslage, die traurig und elegisch wurde mit Hinsicht auf die Entwickelung des Christentums. Mit jener Bestürzung, mit der so etwas auf einen Eingeweihten wirkt, wirkte dieses Symptom bestürzend auf ihn. Er wurde als Frau wiederum verkörpert, eigentlich noch vor der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Er (er)lebte mit einiges von dem, was von seiten des Rosenkreuzertums das Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges korrigieren wollte. [1] Und dann kam das 19. Jahrhundert. Und jetzt ergoß sie alles das, was auch noch verinnerlicht war durch die weibliche Inkarnation, ergoß alles das, was sie dazumal, nicht an Initiationsweisheit, aber an erschütterndem Gemütsinhalt in sich hatte, über dieses Symptom, das auf die initiierte Seele gewirkt hatte. Das alles ergoß sie nun im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in eine eigentümliche Art der Weltbetrachtung, in eine tief in die Diskrepanzen des Menschendaseins hineingehende Weltenbetrachtung. Das lebte sich aus in der Persönlichkeit Ibsens. [2]

Zitate:

[1]  GA 236, Seite 70f   (Ausgabe 1988, 310 Seiten)
[2]  GA 236, Seite 72   (Ausgabe 1988, 310 Seiten)

Quellen:

GA 236:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Zweiter Band (1924)