Goetheanum und Mysterientempel von Ephesus

Wenn der Einzuweihende den Tempel von Ephesus betrat, dann wurde sein Blick gelenkt auf jene Statue, von der ich in diesen Tagen gesprochen habe, auf jene Statue, die ihm eigentlich die Worte in Herzenssprache zurief: Vereinige dich mit dem Weltenäther, und du schaust das Irdische aus Ätherhöhen. – So hat mancher Schüler von Ephesus das Irdische aus Ätherhöhen geschaut. Und ein gewisses Göttergeschlecht wurde neidisch. Aber gegen den Neid der Götter haben Jahrhunderte vor dem Mysterium von Golgatha dennoch mutvolle Menschen die Möglichkeit gefunden, fortzupflanzen – wenn auch in Abschwächung, so doch nur in der Abschwächung, in der es fortwirken konnte – dasjenige, was aus uralt-heiligen Menschheits-Entwickelungsjahren bis zum Brande von Ephesus gewirkt hat. Und wäre unser Goetheanum ganz fertig geworden, dann wäre auch vom Eintritte im Westen der Blick gefallen auf jene Statue, in der der Mensch die Aufforderung gefunden hätte, sich selber als kosmisches Wesen zu wissen, hineingestellt zwischen die Mächte des Luziferischen und die Mächte des Ahrimanischen, in innerer, gottgetragener Wesensausgleichung. Und blickte man auf die Formen der Säulen, der Architrave, so sprach das eine Sprache, eine Sprache, welche die Fortsetzung der vom Podium aus in Ideen Geistiges wie interpretierenden Sprache war. Die Worte klangen weiter entlang den Formen, die plastisch ausgestaltet waren. Und oben in der Kuppel waren zu sehen jene Szenen, welche die Menschheitsentwickelung dem geistigen Blicke nahebringen konnten. Es war schon in diesem Goetheanum für den, der empfinden konnte, eine Erinnerung an den Tempel von Ephesus zu sehen. Aber die Erinnerung wurde furchtbar schmerzlich, als auf eine gar nicht unähnliche, der alten nicht unähnlichen Weise gerade in dem Punkte der Entwickelung, in dem das Goetheanum hätte übergehen sollen durch es selbst, der Träger der Erneuerung des spirituellen Lebens zu werden, in dem Zeitpunkte nun auch die Brandfackel in dieses Goetheanum geworfen wurde. [1] [2]

Schaut man hin auf die Flammen, die aus Ephesus aufsteigen, so erscheint in die Flammen hineingeschrieben der Neid der Götter in einer Zeit, in der die Menschen noch unfrei mehr dem Willen guter und böser Götter folgen mußten. In unserer Zeit sind die Menschen organisiert zur Freiheit hin. Und vor einem Jahre, in der Silvesternacht, schauten wir hin auf die verzehrenden Flammen. Die rote Lohe ging gegen den Himmel. Dunkelbläuliche, rötlich-gelbe Flammenlinien züngelten durch das allgemeine Feuermeer, von den metallischen Instrumenten herrührend, die das Goetheanum barg, ein Riesenfeuermeer mit den mannigfaltigsten farbigen Inhalten. Und man mußte, wenn man in dieses Flammenmeer sah mit den farbigen Linien darinnen, sprechend zum Schmerze der Seele, lesen: der Neid der Menschen. (In diesem Artikel findet sich die verborgene Ursache der Brandkatastrophe). [3]

Zitate:

[1]  GA 260, Seite 233   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[2]  GA 233, Seite 143   (Ausgabe 1980, 174 Seiten)
[3]  GA 233, Seite 144   (Ausgabe 1980, 174 Seiten)

Quellen:

GA 233:  Die Weltgeschichte in anthroposophischer Beleuchtung und als Grundlage der Erkenntnis des Menschengeistes (1923/1924)
GA 260:  Die Weihnachtstagung zur Begründung der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft (1923/1924)