Gewissen

Es wurde der Impuls für das Gewissen durch Buddha gegeben. [1] Wir sind herausgetreten (aus der geistigen Welt) durch die Sinnespforte. Aber wir haben nicht alles verloren, was sich in unserer Seele entwickelt hat an Zusammengehörigkeitsgefühl mit den Wesen der höheren Hierarchien. Wir tragen einen unterbewußten Rest mit. Neben vielem anderen ist dieser unterbewußte Rest auch die Grundlage des Gewissens. Das Gewissen ist durchaus noch ein Vermächtnis der geistigen Welt. [2] Solch eine Neigung wie das Gewissen haftet auch am Ätherleibe: indem der Astralleib sich so und so oft überzeugt hat, daß dieses oder jenes nicht geht, bildet sich diese Neigung im Ätherleibe als eine bleibende Eigenschaft aus. [3]

In Nordeuropa haben sich zuerst in der Menschheitsentwickelung die Empfindungsseele und das Ich-Bewußtsein durchdrungen. Was war dadurch geschehen, daß sich bei den europäischen Völkern in der Empfindungsseele schon das Ich-Bewußtsein festgesetzt hatte, bevor Christus in die Menschheits-entwickelung eingetreten war, und bevor sie aufgenommen hatten was sich in Asien entwickelt hatte? Dadurch war mit der Empfindungsseele eine Kraft der menschlichen Seele entwickelt worden, die sich nur dadurch hatte entwickeln können, daß die Empfindungsseele, die noch ganz jungfräulich war und unbeeinflußt von anderen Kulturen, sich durchdrungen hatte mit dem Ich-Gefühl. Und diese Seelenkraft ist das Gewissen geworden. Daher das merkwürdig Unschuldige des Gewissens! Das Gewissen spricht in dem einfachsten, naivsten Menschen wie in der kompliziertesten Seele. Es sagt unmittelbar: Das ist recht! Das ist unrecht! – Ohne irgendeine Lehre, ohne eine Theorie. Mit der Gewalt eines Triebes, eines Instinktes wirkt das, was uns sagt: Das ist recht! Das ist unrecht! [4]

Das Gewissen gibt an, ob wir zurückschrecken werden, oder ob wir beseligt sein werden, wenn wir im Devachan unsere Handlungen werden schauen können (siehe: Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt). So ist das Gewissen ein Vorgefühl prophetischer Art, wie wir unsere Taten nach dem Tode erleben werden. [5]

In Griechenland kommt etwa im fünften Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung zu allererst das Wort Gewissen auf. Das Wort Gewissen kommt davon her, daß die Leute vergessen haben das vorgeburtliche Leben, das vorirdische Leben, und dem, was sie aber trotzdem gespürt haben in sich, dem haben sie ein Wort gegeben, Gewissen. Und dann kam später die Kirche, die verwaltete nun das Gewissen. [6]

Es läßt sich geschichtlich nachweisen, daß einmal die Menschen angefangen haben, vom Gewissen zu reden. Sie liegt zwischen den beiden griechischen Tragiker, Äschylos, der im 6. Jahrhundert geboren worden ist, und Euripides, der im 5. Jahrhundert geboren worden ist. Vorher werden Sie nicht finden, daß vom Gewissen die Rede ist. Auch bei Äschylos gibt es noch nicht das, was wir die innere Stimme bezeichnen, sondern bei ihm tritt noch das auf, was eine astralische Bilderscheinung für den Menschen ist: Es treten solche Erscheinungen auf, die sich als rächende Wesen heranmachen an den Menschen, Furien oder Erinnyen. Es trat eben der Zeitpunkt einmal ein, wo die astralische Wahrnehmung der Furien ersetzt wurde durch die innere Stimme des Gewissens. In einem zukünftigen Menschheitszyklus werden wieder andere Fähigkeiten und andere Formen des Auslebens der Seele vorhanden sein. [7]

Zitate:

[1]  GA 116, Seite 24   (Ausgabe 1982, 174 Seiten)
[2]  GA 170, Seite 217   (Ausgabe 1964, 276 Seiten)
[3]  GA 95, Seite 71   (Ausgabe 1978, 164 Seiten)
[4]  GA 116, Seite 139f   (Ausgabe 1982, 174 Seiten)
[5]  GA 143, Seite 69   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[6]  GA 350, Seite 234f   (Ausgabe 1962, 314 Seiten)
[7]  GA 116, Seite 14f   (Ausgabe 1982, 174 Seiten)

Quellen:

GA 95:  Vor dem Tore der Theosophie (1906)
GA 116:  Der Christus-Impuls und die Entwickelung des Ich-Bewußtseins (1909/1910)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 170:  Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte (1916)
GA 350:  Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? (1923)