Doppelgänger – Spaltung der Persönlichkeit bei der Esoterik

Die Folge des treuen Befolgens der esoterischen Übungen ist die Spaltung der Persönlichkeit, die da auftritt. Der Mensch wird allmählich empfinden so, als ob etwas neben ihm ginge, etwas, das mitdenkt, mithört, ja sogar, wenn der Mensch innerlich nicht sehr stark ist, mitspricht. Es ist ein zweites Ich, das hervortritt, ein Doppelgänger, den man aus sich herausgesetzt hat. Je ernsthafter einer den esoterischen Weg gegangen ist, um so mehr setzt er von seinem alten Menschen aus sich heraus, das heißt, er wirft wie die Schlange eine Haut nach der anderen ab. Diese Häute – vergleichsweise gesprochen – werden zu einem zweiten Leib, einem Doppelgänger, der einen im Leben nicht mehr verläßt. Der Mensch, der seinen Doppelgänger aus sich herausgesetzt hat, wurde in den alten ägyptischen Mysterien der «Kha-Mensch» genannt. Der Doppelgänger ist an den Kha-Menschen gekettet, um ihn fortwährend daran zu erinnern, wie sein früheres Leben war oder wie er noch ist. Das ist nicht immer eine angenehme Empfindung. Aber das Bewußtsein, diesen Doppelgänger immer mit sich zu führen, wird ihm seine Fehler ins Bewußtsein rufen, damit er sich bessern solle. Er soll fortwährend diese Anwesenheit empfinden, sonst würde es gefährlich werden und er über all seinen hohen Idealen und Absichten vergessen, was eigentlich sein Innenleben und was seine Fehler sind. Je stärker der Doppelgänger auftritt, desto besser ist es für unsere Entwicklung, denn sonst würden wir uns großen Illusionen über uns selbst hingeben. [1]

Durch diesen Doppelgänger lernen wir gründlich kennen alles dasjenige, was wir aus uns herausetzen müssen. Er zeigt es uns immer wieder von neuem. Alles, was an Unaufrichtigkeit, Lieblosigkeit, Egoismus und anderen schlechten Eigenschaften in uns ist, das tritt uns durch das Erleben dieses Doppelgängers entgegen. Und daß wir diese Eigenschaften noch mit uns herumschleppen, sie noch nicht abschütteln können, das bewirkt das Gefühl des Unbehagens, das uns der Doppelgänger bereitet. Solange wir diese schlechten Eigenschaften noch in uns hatten, in unserem Unterbewußtsein, gleichsam in der Meerestiefe unserer Seele, kamen sie uns in ihrer ganzen Stärke noch nicht zum Bewußtsein. Wenn aber der geistige Mensch sich entwickelt und immer mehr wächst, wenn er mahnend hinschaut auf diese Eigenschaften unserer Seele, so wirken sie quälend durch ihr Vorhandensein, das dieser geistige Mensch nicht mehr dulden kann. Und deshalb ist es sehr gut, wenn das Gefühl des quälenden Unbehagens sehr stark auftritt, denn dadurch kommen wir am schnellsten von diesem Doppelgänger los. [2]

Zitate:

[1]  GA 266/2, Seite 274f   (Ausgabe 1996, 517 Seiten)
[2]  GA 266/2, Seite 279   (Ausgabe 1996, 517 Seiten)

Quellen:

GA 266/2:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band II (1910-1912)