Spaltung der Persönlichkeit während der Geistesschulung

Nicht bloß in der Aneignung des Hellsehertums besteht die Höherentwickelung, sondern in der Aneignung einer bestimmten Seelenverfassung, einer bestimmten Seelenstimmung, eines bestimmten Verhältnisses zu den Wesen der höheren Welt. Wir müssen unter allen Umständen lernen, nicht nur das Schauen in der höheren Welt, sondern das Lesen in der höheren Welt, das Lesen nicht pedantisch gemeint wie etwas, was man elementar erlernen kann, sondern wie etwas, in das man sich hineinlebt, indem man Umwandlungen seiner Gefühle und Empfindungen durchmacht. Daher ist es wichtig, wirklich festzuhalten, daß in dem Augenblick, wo das Hellsehen beginnt und man dadurch zur Offenbarung höherer Welten hinaufsteigt, wirklich eine Art Spaltung der Persönlichkeit stattfindet. Die eine Persönlichkeit, die man auf dem physischen Plan ist, die läßt man zurück. Man ist nun eine andere Persönlichkeit, indem man hinaufsteigt in eine höhere Welt. Und so wie wir angeschaut werden in der höheren Welt von den Wesenheiten der höheren Hierarchien, wie wir wahrgenommen werden von den Wesen der höheren Hierarchien, so schauen wir unsere gewöhnliche Persönlichkeit von unserem höheren Gesichtspunkt aus selbst an. Wir schauen, indem wir mit dem höheren Wesen aus dem niederen Wesen herausgegangen sind, als höheres Wesen unser niederes Wesen an. So daß wir gut tun, wenn wir irgend etwas Gültiges für die höheren Welten aussprechen wollen, zu warten, bis wir in die Lage kommen, zu sagen: Das bist du, den du selbst da siehst in deinem hellsichtigen Felde. Dieses «Das bis du» entspricht auf dem höheren Plane dem «Das bin ich» auf dem physischen Plane.

Sobald man von dem physischen Plan in die höhere Welt hinaufkommt, wird der Augenblick, in dem wir unmittelbar jetzt leben, sogleich eine Erinnerung. Man schaut auf das, was man auf dem physischen Plan jetzt ist und auf das, was man noch werden kann in dem Rest seines physischen Lebens, so zurück, wie Sie zurückschauen von dem jetzigen Gesichtspunkt aus auf die Erlebnisse im 8., 13., 15. Jahr. Es ist durchaus wahr: Was wir fühlen, was wir denken, was wir vorstellen, was wir handeln auf dem physischen Plan, in dem Augenblick, wo wir die höhere Welt betreten, ist das alles, was wir zusammenfassen unter unserem Selbst auf dem physischen Plan, eine Erinnerung. Wir schauen herunter auf den physischen Plan und sind uns, sobald wir in der höheren Welt leben, eine Erinnerung geworden. Und wie wir auseinanderhalten einen gegenwärtigen Standpunkt unseres Erlebens von einem längst verflossenen, so müssen wir auseinanderhalten dasjenige, was wir erleben in höheren Welten und dasjenige, was wir erleben auf dem physischen Plan. [1]

Zitate:

[1]  GA 154, Seite 97ff   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)

Quellen:

GA 154:  Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?. Das Einfließen geistiger Impulse aus der Welt der Verstorbenen (1914)