Matthäus – Evangelium

Das Matthäus-Evangelium ist die allgemein-menschlichste dieser vier Urkunden. Es schildert uns den ChristusJesus am meisten als Menschen, so daß er uns, wenn wir ihn als Matthäus-Christus Jesus auf uns wirken lassen, in allen seinen Gliedern, in allen seinen Taten menschlich nahe steht. Es ist das Matthäus-Evangelium in gewisser Beziehung etwas wie ein Kommentar für die drei übrigen Evangelien. Was uns in den drei anderen zuweilen zu groß ist, als daß wir es überschauen könnten, es wird uns im kleineren Maßstabe durch das Matthäus-Evangelium klar. Und wenn wir dieses begreifen, wird uns ein bedeutungsvolles Licht auf die drei anderen Evangelien fallen können. [1]

Eine ältere Tradition bringt den Schreiber des Evangeliums nach Matthäus mit dem Menschen-Geist zusammen. Das rührt davon her, weil der Schreiber des Matthäus-Evangeliums sozusagen als seinen eigenen Ausgangspunkt gekannt hat die Einweihung zum Menschen-Mysterium. Denn in den Zeiten der Evangelien-schreibung war es noch nicht üblich, Biographien zu schreiben, wie man es heute tut. Damals erschien es den Leuten als das Wesentlichste, daß ein hoher Eingeweihter da war, der den Christus in sich aufgenommen hatte. Wie man ein Eingeweihter wird, was man durchzumachen hat als Eingeweihter, das war ihnen das Wichtigste. Matthäus beschreibt es nach der Art der Eingeweihten, die in den Menschen-Geist eingeweiht waren. Diese Einweihung stand der ägyptischen Weisheit nahe.112.149f

Dem Matthäus-Evangelium liegt zugrunde das, was als Einweihungs-urkunde kannten die ebionitischen Gnostiker. Da wurde der Wert gelegt auf den Eingeweihten Jesus von Nazareth. [2] Ein Jahrhundert vor dem Mysterium von Golgatha (lebte) `Jeschua ben Pandira, dessen Hauptmission es war, auf den Christus vorzubereiten. Er hatte einen Schüler Mathai, dessen Namen sich später übertrug auf seinen Nachfolger, der zur Zeit des Jesus von Nazareth lebte. Das wichtigste, was dieser Jeschua ben Pandira getan hat, bestand darin, daß er vorbereitet hat das Matthäus-Evangelium. Das, was sich darauf bezieht, ist einem Einweihungs-Ritual alter Zeiten entnommen. Die Niederschrift ist so verfaßt, daß der Inhalt herübergenommen wurde aus alten Mysterien, so zum Beispiel was sich bezog auf die Versuchung und anderes. Alle diese innerhalb der Menschheitsentwickelung vorgehenden Vorgänge sollten sich auch auf dem physischen Plan abspielen. Das wurde dann skizzenhaft aufgeschrieben von seinem Schüler. Für einige Bekenner blieb – wenn auch tief verborgen – dieses Urkundenbuch erhalten. Was nun später damit geschehen ist, wird uns am besten klar dadurch, daß wir wissen, was Hieronymus, der große Kirchenvater selbst darüber erzählt hat: er habe das Matthäus-Evangelium aus einer christlichen Sekte erhalten. Es hat damals einen kleinen Kreis gegeben, in welchem das Buch geheimgehalten wurde, und durch besondere Verhältnisse kam es an Hieronymus. Dieser erhielt von seinem Bischof den Auftrag es zu übersetzen. Er erzählt das selbst. Er sagte aber auch zugleich, es sei so geschrieben, daß es nicht an die außenstehenden Menschen kommen sollte. Er wolle es trotzdem so übersetzen, daß das darin Verhüllte, weiter verhüllt bleibe. Ferner sagt er, daß er es auch nicht verstehe. – Dasjenige, was in dieser Weise zustande kam, war in solchen Charakteren geschrieben, daß der eine es so, der andere es anders in profaner Sprache ausdrücken konnte. Es ist auch in dieser Art auf die Nachwelt herübergekommen. Es verhält sich also damit so, daß die Welt eigentlich die Evangelien noch gar nicht hat. So ist es denn wohl berechtigt, wenn heute aus der Geistesforschung heraus die Evangelien neu erklärt werden, wenn auf die Akasha-Chronik zurückgegangen wird, weil dort allein ihre ursprüngliche Gestalt zu finden ist. [3]

Man kann selbst philologisch nachweisen, daß alles, was von einer späteren Konzeption des Matthäus-Evangeliums gesagt wird nicht richtig ist; denn wir können nachweisen, daß bereits im Jahre 71 – also verhältnismäßig kurze Zeit nach dem Ereignis von Palästina – eine aramäische Urschrift des Matthäus-Evangeliums vorhanden war. In der talmudischen Literatur finden wir eine Angabe, daß Rabbi Gamaliel II. mit seiner Schwester in einen Erbschaftsstreit verwickelt war. Dort wurde eine Stelle aus dem Matthäus-Evangelium in aramäischer Sprache zitiert. So sehen wir, daß wir auch äußerlich auf einem recht guten Boden stehen, wenn man das Matthäus-Evangelium verhältnismäßig früh ansetzt. [4]

Ein jeder dieser vier Schreiber der Evangelien ist gewissermaßen gezwungen, sich an seinen Ausgangspunkt zu halten; denn davon hat er seinen hellseherischen Blick erlangt, um diese komplizierte Wesenheit überhaupt beschreiben zu können. Matthäus ist gezwungen, den Blick hinzurichten auf die Geburt des salomonischen Jesus und zu verfolgen, wie die Kräfte des physischen Leibes und des Ätherleibes zubereitet werden, wie dann diese Hüllen von Zarathustra abgeworfen werden, und wie von ihm hinübergetragen wird in den Jesus des Lukas-Evangeliums (siehe: Jesus nathanischer), was er sich errungen hat im physischen Leibe und Ätherleibe des salomonischen Jesus. Matthäus schildert mehr den Hüllen-Charakter und macht besonders aufmerksam, wie sich in späteren Jahren die Eigenschaften zeigen, welche schon in den ersten Jahren aufgenommen waren; und er beschreibt es auch so, daß man sieht, wie diese Eigenschaften besonders wirken. [5]

In Anknüpfung an das Matthäus-Evangelium tritt uns die Gestalt des Christus Jesus ganz menschlich, als der einzelne Erdenmensch entgegen. Ein Bild von der Persönlichkeit des Christus kann erst eine Betrachtung geben, die anknüpft an das Matthäus-Evangelium. [6] Sie müssen die Quellen und Elemente für das Matthäus-Evangelium suchen in der Geheimlehre nicht nur der Essäer, sondern überhaupt in der ganzen alt-hebräischen und griechischen Welt. [7]

Das Matthäus-Evangelium ist von seinem Verfasser geschrieben in der Absicht, volle Gegnerschaft gegen das herkömmliche Judentum zu entwickeln. Der Verfasser nimmt es auf mit dem ganzen herkömmlichen Judentum und erklärt, daß es der Wille des Christus Jesus war, das herkömmliche Judentum voll zu unterbinden. [8]

Zitate:

[1]  GA 123, Seite 19   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[2]  GA 112, Seite 257   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[3]  GA 130, Seite 157f   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[4]  GA 123, Seite 88ff   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[5]  GA 123, Seite 244f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[6]  GA 117, Seite 34   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[7]  GA 123, Seite 165   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[8]  GA 175, Seite 212   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)

Quellen:

GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 130:  Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit (1911/1912)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)