Manichäer – Lehre

In alten Zeiten ist von den Menschen im atavistischen Hellsehen die geistige Welt so geschaut worden, daß die Schauungen in ihrem Inhalte ähnlich sind den Eindrücken, welche die sinnliche Wahrnehmungswelt macht. Dadurch, daß der Manichäismus solche Vorstellungen, ich möchte sagen, von einem sinnlichen Schein des Übersinnlichen in sich aufgenommen hat, macht er auf viele den Eindruck, als ob er das Geistige vermaterialisierte, als ob er das Geistige in sinnlichen Formen vorstellte. [1]

Derjenige, der der Lehre Manes anhing, der wollte noch durchaus die sinnliche Welt so ansehen, daß in jeder sinnlichen Tatsache, in jedem sinnlichen Ding auch ein Geistiges zu sehen ist, das heißt, in dem Lichte wollte er zugleich die Weisheit und die Güte finden, weil er nicht abtrennen wollte die Natur von der bloßen Geistigkeit. Geist und Natur sollte als eins angesehen werden. Das nannte man später Dualismus – Dualismus, weil man die zwei, Geist und Natur, die man getrennt hatte, nicht wieder vereinigen konnte, während sie vormals als lebendige Einheit angesehen wurden. Einen großen Eindruck hat diese Anschauungsweise noch auf den jugendlichen Augustinus gemacht, aber er konnte sich nicht mehr zu ihr durchringen; die Zeit war nicht mehr fähig, sich zu den Vorstellungen aufzuschwingen, die durch eine ältere, instinktive Erkenntnis errungen waren, aus Erkenntnisvorgängen, über die die Menschheit eben schon hinausgewachsen war. Und so sehen wir denn ein inneres tragisches Ringen bei Augustinus. [2]

Der christliche Okkultismus geht zu einem bedeutenden Teil auf die Manichäer zurück, deren Überlieferung lebendig geblieben ist. Für die landläufige Anschauung bildet das Gute und das Böse zwei absolute, miteinander unvereinbare Gegensätze, von denen das eine das andere ausschließt. Dagegen ist das Böse nach der Ansicht der Manichäer ein integrierender Bestandteil des Kosmos, es arbeitet an dessen Evolution mit und muß zuletzt durch das Gute absorbiert, verwandelt werden. Den Sinn von Gut und Böse, von Lust und Schmerz in der Welt zu studieren, ist die große, einzigartige Mission der Manichäer. [3] Dem Manichäismus ist vor allen Dingen eigentümlich, daß für ihn die Zweiteilung des menschlichen Erlebens als geistige Seite und als materielle Seite noch gar keinen Sinn hat. Der Manichäismus sieht in dem, was den Sinnen materiell erscheint, Geistiges und erhebt sich nicht über dasjenige, was sich den Sinnen darbietet, wenn er vom Geistigen spricht. Es ist in einem viel intensiveren Maße, als man gewöhnlich denkt, wo die Welt so abstrakt und intellektualistisch geworden ist, für den Manichäismus das der Fall, daß er in der Tat in den Sternen und in ihrem Gange geistige Erscheinungen, geistige Tatsachen sieht, was als Geistiges, als Spirituelles hier auf der Erde sich vollzieht. Für ihn ist das, was geistig ist, zugleich materiell sich offenbarend, und dasjenige, was sich materiell offenbart, ist für ihn das Geistige. Daher ist es für den Manichäismus ganz selbstverständlich, daß er von Astronomischem, von Welterscheinungen so spricht, wie er auch von Moralischem und von Geschehnissen innerhalb der Menschheitsentwickelung spricht. So ist für den Manichäismus viel mehr als man denkt jener Gegensatz, den er in die Weltanschauung hineinsetzt – Licht und Finsternis, etwas Altpersisches nachahmend –, er ist für ihn zugleich durchaus ein selbstverständliches Geistiges.

Der Manichäismus sieht auf den Menschen hin, und dieser Mensch erscheint ihm keineswegs schon als dasjenige, als was uns heute der Mensch erscheint. Uns erscheint der Mensch wie eine Art Krone der Erdenschöpfung. Mag man nun mehr oder weniger materialistisch oder spiritualistisch denken, es erscheint dem Menschen heute der Mensch wie eine Art Krone der Schöpfung, das Menschenreich wie das höchste Reich, oder wenigstens wie die Krönung des Tierreiches. Das kann der Manichäismus nicht zugeben. Für ihn ist das, was als Mensch auf der Erde gewandelt hat und eigentlich zu seiner Zeit noch wandelte, eigentlich nur ein spärlicher Rest desjenigen, was auf der Erde durch das göttliche Lichtwesen hätte Mensch werden sollen. Etwas ganz anderes hätte Mensch werden sollen als das, was jetzt als Mensch auf der Erde herumwandelt, der dadurch entstanden ist, daß der ursprüngliche Mensch, den sich das Lichtwesen zur Verstärkung seines Kampfes gegen die Dämonen der Finsternis geschaffen hat, diesen Kampf gegen die Dämonen der Finsternis verloren hat, aber durch die guten Mächte in die Sonne versetzt worden ist, also aufgenommen worden ist von dem Lichtreiche selbst. Aber die Dämonen haben es doch zuwege gebracht, gewissermaßen ein Stück dieses Urmenschen dem in die Sonne entfliehenden wirklichen Menschen zu entreißen und daraus zu bilden, was das Menschen-Erdengeschlecht ist. Um wieder zurückzuführen den Menschen, der in dieser Weise wie eine schlechtere Auflage auf der Erde erschien, zu seiner ursprünglichen Bestimmung, ist dann die Christus-Wesenheit erschienen, und durch ihre Tätigkeit soll die Wirkung des Dämonischen von der Erde weggenommen werden. [4] Der Manichäismus ist nur eine nachchristliche Ausgestaltung – mit orientalischer Nuance – desjenigen, was im Griechentum war. [5]

Eine Legende des Manichäismus erzählt, daß einstmals die Geister der Finsternis anstürmen wollten gegen das Lichtreich. Sie kamen in der Tat bis an die Grenze des Lichtreiches und wollten das Lichtreich erobern. Sie vermochten aber nichts gegen das Lichtreich. Nun sollten sie – und hier liegt ein besonders tiefer Zug, den ich zu beachten bitte –, nun sollten sie bestraft werden von dem Lichtreich. Aber in dem Lichtreich gab es nichts irgendwie Böses, sondern nur Gutes. Also hätten die Dämonen der Finsternis nur mit etwas Gutem bestraft werden können. Es geschah folgendes. Die Geister des Lichtreiches nahmen einen Teil ihres eigenen Reiches und mischten diesen in das materielle Reich der Finsternis hinein. Dadurch, daß nun ein Teil des Lichtreiches vermischt wurde mit dem Reich der Finsternis, dadurch sei in das Reich der Finsternis gleichsam ein Sauerteig, ein Gärungsstoff entstanden, der das Reich der Finsternis in einen chaotischen Wirbeltanz versetzte, wodurch es ein neues Element bekommen hat, nämlich den Tod. So daß es sich fortwährend selbst aufzehrt und so den Keim zu seiner eigenen Vernichtung in sich trägt. Weiter wird erzählt, daß dadurch, daß dies geschehen ist, gerade das Menschengeschlecht entstanden sei. Der Urmensch sei eben gerade das, was vom Lichtreich her gesendet worden sei, um sich mit dem Reich der Finsternis zu vermischen und das, was in dem Reich der Finsternis nicht sein soll, zu überwinden durch den Tod; es in sich selbst zu überwinden.

Dadurch, daß ein Teil des Lichtes hineingeht in das Böse, wird das Böse selbst überwunden. [6] öf Das letzte Wort der manichäischen Lehre kann heute leider noch nicht ausgesprochen werden. Aus einer genialen Intuition heraus liegt in der Wiedererweckung des Faust durch Goethe auch etwas von der Wiedererweckung des Manichäismus. [7]

Die Manichäerlehre bildete nicht abstrakte Begriffe, bildete nicht Begriffe, welche gewissermaßen das Gedachte abtrennen von dem übrigen Wirklichen. Solche Begriffe zu bilden, war in der Manichäerlehre, wie übrigens auch schon bei den Eingeweihten der eleusinischen Mysterien, unmöglich. Es ist im Sinne der Manichäerlehre, Vorstellungen zu bilden, welche nicht bloß gedacht sind, sondern welche mächtig genug sind, um in die wirkliche äußere Natur einzugreifen, um in der äußeren Natur auch eine Rolle zu spielen. Aber wenn man sich frägt, ob dasjenige, was in der christlichen Dogmatik dem Christus und seiner Wirksamkeit zugeschrieben wird, auch wirklich zu etwas führen kann, – wenn man eindringlich, ernst und aufrichtig und wahrheitsliebend ist, so kann man diese Frage nicht bejahen. Denn wenn die menschlichen Begriffe nicht stark genug sind, um eine solche Erde zu denken, die nicht ein Grab der Menschheit ist, sondern die die Menschheit zu einer neuen Gestaltung hinüberträgt, wenn man nicht stark genug ist, die Entwickelung der Erde anders zu denken als so, wie sie heute die Naturforscher beschreiben: daß die Erde einmal aufhören wird, nicht wahr, etwas hervorzubringen, daß das Menschengeschlecht erlöschen wird – dann hilft alle Vorstellung von dem Christus Jesus doch eigentlich nichts. Denn wenn er auch für die Erde eine gewisse Wirksamkeit entfaltet hat – die Vorstellung, die man sich davon macht, ist nicht so stark, um gewissermaßen die Materie so weit zu heben, daß diese Materie so in Wirksamkeit gedacht werden kann, daß sie herüberkommt aus dem Zustand der Erde in einen künftigen Zustand. Es bedarf aber viel stärkerer Begriffe, als da gebildet werden können, um mit diesen Begriffen die Erde aufzufangen, so daß sie hinüberlebt zu einem neuen Dasein. [8]

Es ist ein Unterschied zwischen dem, was man im Mittelalter «mystische Hochzeit» genannt hat, und dem, was man die «chymische Hochzeit» genannt hat im Sinne des Christian Rosenkreutz. Die mystische Hochzeit ist nur ein innerer Prozeß. So wie es früher viele Theosophen gesagt haben, jetzt vielleicht auch noch: Wenn man sich so recht sehr in sein Inneres vertieft, so findet man die Identität mit dem göttlichen Wesen! Das wurde so schön den Menschen vorgemalt, daß diejenigen, die, nachdem sie einen solchen einstündigen Vortrag gehört hatten, hinausgingen mit dem Bewußtsein: Wenn du dich recht sehr in deinem Inneren erfassest, dann kannst du dich so recht schon als eine Art Gott fühlen! – Die chymische Hochzeit des Christian Rosenkreutz, die allerdings denkt sich solche Kräfte im Menschen wirksam, welche den ganzen Menschen ergreifen, welche wirklich umgestalten das Menschenwesen so, daß es, wenn die Materie als Schlacke einmal abfällt, hinübergetragen wird in die Jupiter-, Venus-, Vulkanzeit. Bezwingung des Bösen, Bezwingung der Materie mit dem Begriff, das lag im Manichäismus. [9]

Wie es dazumal (in der Atlantis) mit der fünften Rasse gegangen ist, daß sie die Bildungsfähigen geliefert hat, und mit der sechsten und siebenten, daß sie in den Niedergang kamen, so wird es auch in unserer Zeit sein. Da wird die sechste Kulturstufe die Grundlage sein für das, was nach dem großen Krieg aller gegen alle als neue Kulturen aufgehen wird, ebenso wie nach der atlantischen Zeit unsere Kulturen aufgegangen sind. Dagegen wird die siebente Kulturstufe durch die Lauen repräsentiert werden. Diese siebente wird so hinüberleben in die neue Zeit, wie die sechste und siebente Rasse der atlantischen Zeit als verhärtete und sich versteifende Rassen in unsere Epoche herübergelebt hat. Nach dem Krieg aller gegen alle wird es zwei Strömungen unter den Menschen geben: auf der einen Seite die von Philadelphia mit dem Prinzip des Fortschrittes, der inneren Freiheit, der Bruderliebe, ein kleines Häuflein, aus allen Stämmen und Nationen sich zusammensetzend, und auf der anderen Seite die große Masse derer, die da lau sein werden, die Überbleibsel derer, die jetzt lau sein werden, die Strömung von Laodizea. Und es wird sich nach dem großen Kriege aller gegen alle darum handeln, daß nach und nach durch die gute Rasse, durch die gute Strömung die böse Strömung hinübergeführt wird zum Guten. Das wird eine der Hauptaufgaben sein nach dem großen Kriege aller gegen alle: zu retten, was zu retten ist aus denjenigen, die nach dem großen Kriege nur das Bestreben haben werden, einander zu bekämpfen, das Ich ausleben zu lassen im äußersten Egoismus. Innerhalb der Sphäre des Okkultismus wird für alle solche Dinge immer vorgesorgt in der Welt. Betrachten Sie es nicht als eine Härte des Schöpfungsplanes, daß also die Menschheit gespalten wird, (sondern) betrachten Sie es vielmehr als etwas, was im höchsten Grade weise im Schöpfungsplane ist. Denn bedenken Sie nur einmal, daß gerade dadurch, daß so das Böse sich von dem Guten trennt, das Gute seine Hauptstärke im Guten erhalten wird, denn es wird das Gute sich nach dem großen Kriege aller gegen alle jede nur mögliche Anstrengung geben müssen, um die Bösen in dem Zeitraum, in dem es noch möglich sein wird, wieder herüberzuziehen. Das wird nicht eine Erziehungsaufgabe sein, sondern da werden okkulte Kräfte mitwirken, denn die Menschen werden in diesem nächsten Zeitraum okkulte Kräfte in Bewegung zu setzen verstehen. Die Guten werden die Aufgabe haben, auf ihre Mitbrüder der bösen Strömung zu wirken. Und in den okkulten Weltenströmungen wird dieses alles vorbereitet. Nur versteht man die(se) tiefste aller okkulten Weltenströmungen am allerwenigsten. Sie sagt folgendes zu ihren Schülern: Da reden die Menschen von Gut und Böse, und sie wissen nicht, daß es im Weltenplan notwendig ist, daß das Böse auch zu seiner Spitze kommt, damit diejenigen, die dieses Böse überwinden müssen, gerade in der Überwindung des Bösen die Kraft so nützen, daß ein um so größeres Gutes herauskommt. – Aber es müssen die auserlesensten Menschen darauf vorbereitet werden, daß sie hinüberleben über das Zeitalter des großen Krieges aller gegen alle, wo Menschen ihnen entgegenstehen werden, die in ihrem Antlitz haben werden die Zeichen des Bösen, sie müssen vorbereitet werden darauf, daß soviel als möglich gute Kraft einfließen muß in die Menschheit. Es wird noch möglich sein, daß die bis zu einem gewissen Grade weichen Leiber nach dem großen Kriege aller gegen alle umgeformt werden durch die bekehrten Seelen, durch die Seelen, die noch in diesem letzten Zeitraum zu dem Guten hinübergeführt werden. Damit wird viel erreicht werden. Das Gute würde nicht ein so großes Gutes sein, wenn es nicht also wachsen würde durch die Überwindung des Bösen. Diejenigen, die vorbereitet werden in ihren Seelen durch solche Lehren, damit sie einstmals diese große Erziehungsaufgabe lösen können, das sind die Schüler jener Geistesrichtung, die man nennt das Manichäertum. [10]

Zitate:

[1]  GA 184, Seite 10f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[2]  GA 325, Seite 33f   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[3]  GA 94, Seite 23   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[4]  GA 74, Seite 14ff   (Ausgabe 1967, 117 Seiten)
[5]  GA 74, Seite 21   (Ausgabe 1967, 117 Seiten)
[6]  GA 93, Seite 7   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[7]  GA 175, Seite 302   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[8]  GA 175, Seite 304f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[9]  GA 175, Seite 306f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[10]  GA 104, Seite 160ff   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)

Quellen:

GA 74:  Die Philosophie des Thomas von Aquino (1920)
GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende. als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 325:  Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum (1921)