Manichäer

Die mittelalterlichen Albigenser, Waldenser und Katharer sind die Fortsetzung dieser manichäischen Geistesströmung, zu der auch der Templerorden und ebenso – durch eine merkwürdige Verkettung der Verhältnisse – das Freimaurertum gehören. Hier hinein gehört das Freimaurertum eigentlich, obgleich es sich mit anderen Strömungen, zum Beispiel dem Rosenkreuzertum verbunden hat. [1] Wir sehen auch die Lehre der Manichäer sich ausbreiten von Osten nach Westen, eine Lehre, welche auf der einen Seite noch hinblickt zu dem göttlichen Geiste, der herniedersteigt, hinblickt auf alles dasjenige, was die alte Weltanschauung hatte: das Durchdrungensein der Welt nicht nur mit dem physischen Wesen, das sich dem menschlichen Sinnesdasein bietet, sondern auch mit dem Wesen, das mit dem Sternenweben durch das Weltenall zieht. Andererseits durchdrang das Zusammenketten des menschlichen Schicksals, des menschlichen Lebens mit diesem kosmischen Leben die Seele des Manichäers. Tief wurzelte sich in ihm ein die Frage: Wie ist vereinbar das Böse, das im Menschenleben waltet, mit der Wirkung des guten Gottes? Tief, tief hineingeschaut in das Rätsel des Bösen hat das Manichäertum. [2]

Das Geheimnis der Manichäer bestand darin, daß sie erkannt hatten, daß es in der Zukunft zwei Gruppen Menschen geben wird, die Bösen und die Guten. In der 5. Runde wird es kein Mineralreich mehr geben, aber dafür ein Reich der Bösen. Die Manichäer haben das gewußt. Sie haben es sich darum zur Aufgabe gemacht, jetzt schon Menschen dazu zu erziehen, daß sie später Erzieher der bösen Menschen werden können. [3] Nicht der ist der Stärkere, der die Guten beherrscht und vielleicht ein wenig besser macht, sondern der ist der Stärkere, dem es gelingt die Bösen in Gute umzuwandeln. [4] Innerhalb der Strömung des Rosenkreuzertums wird die Initiation des Manes als ein höherer Grad angesehen, die in der wahren Erkenntnis von der Funktion des Bösen besteht. [5] Diese Initiation muß mit ihren Hintergründen noch für lange vor der Menge ganz verborgen bleiben. Denn wo von ihr auch nur ein ganz kleiner Lichtstrahl in die Literatur eingeflossen ist, da hat er Unheil angerichtet. [6]

In der Sekte der Manichäer haben von Zeit zu Zeit immer wieder große Vertiefungen stattgefunden. [7] In den Geistesweisheiten der Europäer ist außer allem andern auch ein synthetischer Zusammenschluß aller Lehren enthalten, die der Welt gegeben worden sind durch die drei großen Schüler des Manes und den Manes selbst. Wenn man auch nicht verstanden hat den Manes, es wird eine Zeit kommen, wo die europäische Kultur sich so gestalten wird, daß man wieder einen Sinn verbinden wird mit den Namen Skythianos, Buddha und Zarathustra. Sie werden den Menschen das Lehrmaterial geben, um den Christus zu verstehen besser und besser werden die Menschen durch sie den Christus verstehen. Angefangen hat das Mittelalter allerdings mit einer sonderbaren Verehrung und Anbetung gegenüber dem Skythianos, gegenüber dem Buddha und gegenüber dem Zarathustra, als ihre Namen ein wenig durchgesickert waren; angefangen hat es damit, daß derjenige, der sich in gewissen christlichen Religionsgemeinschaften als ein echter Christ bekennen wollte, die Formel sprechen mußte: «Ich verfluche Skythianos, ich verfluche Buddha, ich verfluche Zaratas!» Das war eine über viele Gebiete des christlichen Zeitalters verbreitete Formel, durch die man sich als rechter Christ bekannte. Was man aber damals glaubte verfluchen zu müssen, das wird das Kollegium der Lehrer sein, die der Menschheit den Christus am allerbesten verständlich machen werden, zu denen die Menschheit emporblicken wird als zu den großen Bodhisattvas, durch die der Christus wird begriffen werden. Heute kann kaum die Menschheit als das wenigste zweierlei entgegenbringen diesen großen Lehrern des Rosenkreuzes, zweierlei, was nur einen Anfang bedeuten kann von dem, was in der Zukunft groß und mächtig als Verständnis des Christentums dastehen soll. Das soll gemacht werden durch die heutige Geisteswissenschaft; sie soll beginnen, die Lehren des Skythianos, des Zarathustra und des Gautama Buddha in die Welt zu bringen, nicht in ihrer alten, sondern in einer durchaus neuen, heute aus sich selbst erforschbaren Form. Wir beginnen damit, daß wir zunächst das Elementare, welches wir von ihnen lernen können, der Kultur einverleiben. Von dem Buddha hat das Christentum hinzuzulernen die Lehre von der Wiederverkörperung und dem Karma wenn auch nicht in einer alten, heute nicht mehr zeitgemäßen Art. Warum fließen heute in das Christentum die Lehren von der Wiederverkörperung und dem Karma? Sie fließen ein, weil sie die Eingeweihten verstehen lernen können im Sinne unserer Zeit, wie sie Buddha, der große Lehrer der Wiederverkörperung in seiner Art verstanden hat. So wird man auch anfangen den Skythianos zu verstehen, der nicht nur die Wiederverkörperung des Menschen zu lehren hat, sondern der das zu lehren hat, was von Ewigkeit zu Ewigkeit waltet. So wird immer mehr und mehr das Wesen der Welt, immer mehr und mehr das Wesen des Zentrums unserer Erdenwelt, das Wesen des Christus begriffen werden. So fließen immer mehr und mehr die Lehren der Initiierten in die Menschheit hinein. Heute kann der angehende Geistesforscher nur zweierlei als Elementaranfang zu demjenigen bringen, was die beiden Elemente sein müssen der zukünftigen Geistesentwickelung der Menschheit. Was sich ins Innere hineinsenkt als das Christus-Leben, wird das erste Element sein; was in umfassender Weise als die geistige Kosmologie Verständnis bringen wird für den Christus, das wird das zweite sein. Christus-Leben im Innern des Herzens, Weltverständnis, das zu Christus-Verständnis führt, das werden die beiden Elemente sein. Und wir machen den Anfang damit, daß wir die elementaren Zusammenhänge unserer Erdenentwickelung lehren, daß wir erneut suchen dasjenige, was von Skythianos, Zarathustra und Buddha stammt, daß wir es nehmen so, wie sie es lehren können in unserer Zeit, so wie diese Lehrer selbst es wissen, nachdem sie sich entwickelt haben bis in unsere Zeit herein. Wir sind so weit, daß wir anfangen, die elementaren Lehren der Einweihung zu verbreiten. [8]

Zitate:

[1]  GA 93, Seite 69   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[2]  GA 156, Seite 194   (Ausgabe 1967, 183 Seiten)
[3]  GA 93a, Seite 102   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[4]  GA 113, Seite 65   (Ausgabe 1982, 228 Seiten)
[5]  GA 93, Seite 318   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[6]  GA 262, Seite 15   (Ausgabe 1967, 355 Seiten)
[7]  GA 93a, Seite 103   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[8]  GA 113, Seite 194ff   (Ausgabe 1982, 228 Seiten)

Quellen:

GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende. als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 113:  Der Orient im Lichte des Okzidents. Die Kinder des Luzifer und die Brüder Christi (1909)
GA 156:  Okkultes Lesen und okkultes Hören (1914)
GA 262:  Rudolf Steiner / Marie Steiner-von Sivers: Briefwechsel und Dokumente 1901–1925 (1901-1925)