Lukas – Evangelium

Eine kurze merkwürdige Vorrede geht dem Lukas-Evangelium voraus, daß der Schreiber des Lukas-Evangeliums es unternimmt, dasjenige darzustellen, was – und nun kommen bedeutungsvolle Worte – diejenigen mitzuteilen wissen, die von Anfang an – gewöhnlich wird nun übersetzt – «Augenzeugen und Diener des Wortes waren», besser würden wir das Wort gebrauchen «Selbstseher und Diener des Wortes waren. Im Sinne des Lukas-Evangeliums sind «Selbstseher» solche Menschen, welche die imaginative Erkenntnis haben, die eindringen können in die Welt der Bilder und dort das Christus-Ereignis wahrnehmen, die besonders trainiert sind, durch solche Imaginationen zu schauen, Selbstseher, die genau und deutlich sehen – deren Mitteilungen legt der Schreiber des Lukas-Evangeliums zugrunde – und die zugleich «Diener des Wortes» waren. Er sagt nicht «Besitzer» des Wortes, denn das wären Leute, welche die volle inspirierte Erkenntnis haben. [1]

Es gab eine Zeit in der Entwickelung der Menschheit, da war es in den Mysterien so, daß die zwei Arten von übersinnlichen Erfahrungen der Erkennenden zusammenwirkten. Und weil dadurch, daß ein jeder von ihnen auf die Anschauung des anderen verzichtete, er das, was er vermochte, genauer und deutlicher ausbilden konnte, ergab sich ein wunderschönes Zusammenwirken in gewissen Zeiten innerhalb der Mysterien. Man hatte sozusagen imaginative Hellseher; die hatten sich besonders dazu trainiert, die Welt der Bilder zu schauen. Und man hatte solche, welche die Welt des Imaginativen übersprungen hatten; sie hatten sich besonders dazu trainiert, das innere Wort, was erfahren wird durch die Inspiration, in ihre Seele aufzunehmen. [2] Ihnen, den Dienern, wird mitgeteilt, was der Inspirierte wahrnimmt; sie können es verkünden, weil es ihnen ihre inspirierten Lehrer gesagt haben. So also geht das Lukas-Evangelium zurück auf die Mitteilungen derjenigen, die Selbstseher, Selbsterfahrer sind in den imaginativen Welten, welche gelernt haben, was sie in der imaginativen Welt schauen, mit den Mitteln auszudrücken, welche der inspirierte Mensch hat, die sich also zu Dienern des Wortes gemacht haben. Wiederum haben wir hier ein Beispiel, wie genau in den Evangelien gesprochen ist und wie wir die Worte genau wörtlich verstehen müssen. Alles ist exakt und genau in solchen auf Grundlage der Geisteswissenschaft verfaßten Urkunden; und der moderne Mensch hat oft gar keine Ahnung von der Genauigkeit, von der Exaktheit, mit der die Worte in diesen Urkunden gewählt werden. [3]

Lukas führt auf die Einweihung zurück, welche die Essäer und Therapeuten durchgemacht haben. Daher finden Sie bei ihm den Zug, der einen ärztlichen Charakter hat, der einen Ausgleich der Menschen anstrebt, der sich bemüht, den Unterschied zwischen Mensch und Mensch zu überbrücken und zu verwirklichen, daß vor der geistigen Welt alle Menschen gleich sind. Das Evangelium des Lukas scheint oft wie ein Evangelium für die Bedrückten und Mühseligen. [4]

Es war für die Zeit, in welche das Christus-Ereignis selber hineinfiel, das Matthäus-Evangelium ein gutes Inspirationsbuch. Für unsere Zeit gilt dies insbesondere von dem Markus-Evangelium. Während im fünften Kulturzeitraum die Christus-Wesenheit Gegenstand des Studiums, der Vertiefung, der inneren Versenkung sein wird, werden in der sechsten Kulturperiode die Menschen in ihre ganze Wesenheit die Christus-Wesenheit aufnehmen. Dazu werden sie das besondere Gut nehmen, was wir als die innere Wesenheit des Lukas-Evangeliums kennengelernt haben. Und für den siebenten nachatlantischen Kulturzeitraum bis zur nächsten großen Katastrophe hin wird das Johannes-Evangelium ein Inspirationsbuch sein, während es heute für das geistige Leben des Menschen eine Richtschnur sein kann. [5]

Wir müssen, wenn uns im Lukas-Evangelium die Erzählung von dem Erscheinen des Erzengels Gabriel bei der Maria entgegentritt, deren Ursprung in den wahren Visionen suchen, die auftraten in dem, was sich einst in dem Nerthus-Symbol der alten Nerthus-Mysterien spiegelte. Hinübergezogen war dies nach dem Osten. [6]

In demselben Sinne, wie eine göttliche Kraftwesenheit durchdringen sollte den physischen Leib und den Ätherleib des salomonischen Jesus, sollte ebenfalls eine göttliche Kraftwesenheit durchdringen den Astralleib und das Ich bei jener Persönlichkeit, die wir als den nathanischen Jesus, den Jesus des Lukas-Evangeliums kennen. Und deutlich wird es ja im Lukas-Evangelium gesagt: diese göttliche Kraftwesenheit soll das, was sie ist, dadurch sein, daß durch alle Generationen herunter die Erbfolge in einer geraden Linie von jener Stufe der Menschlichkeit strömt, da der Mensch noch nicht innerhalb des Erdendaseins zum ersten Male in eine irdische, physisch-sinnliche Inkarnation eingetreten ist. Wir sehen ja, wie das Lukas-Evangelium durch, sagen wir, Generationen die Abstammung seines Jesus zurückführt bis auf Adam, bis auf Gott. Wir müssen ja auf diesen Zeitpunkt der lemurischen Zeit hinweisen und ihn festsetzen als denjenigen, wo der Mensch noch nicht inkarniert war in den Elementen des Erdendaseins, sondern wo er noch in einer göttlich-geistigen Sphäre war. Bis hinauf in jene Zeiten, da der Mensch noch göttlicher Natur war und auch noch nicht das auf den Menschen gewirkt hatte, was wir den luziferischen Einfluß nennen, verfolgt tatsächlich das Lukas-Evangelium seinen Jesus. [7]

Es müssen für die alten Zeiten, für die Patriarchenzeiten von Salomo und David aufwärts, längere Zeiten angenommen werden für die Dauer einer Generation als später. Wenn wir nur einigermaßen selbst mit den historischen Daten fertig werden wollen, dürfen wir nicht bei drei Generationen – zum Beispiel Abraham, Isaak und Jakob – das rechnen, was jetzt der Durchschnitt für drei Generationen ergeben würde, sondern wir müssen für diese drei Generationen etwa 215 Jahre festsetzen. Das ergibt auch die okkulte Forschung. Nicht mehr aber sind einzelne Menschen gemeint, wenn wir von Abraham heraufgehen und diejenigen Namen in Betracht ziehen, die das Lukas-Evangelium anführt. Wenn wir also hinter die Zeiten zurückgehen, die in der Bibel als die Zeiten des Abraham bezeichnet werden, wird die ganze Seelenverfassung doch etwas anderes, als sie später war, und namentlich wird das Gedächtnis anders. Es war vor allen Dingen so, daß man sich nicht nur, wie heute, zurückerinnerte an persönliche Erlebnisse des einzelnen Lebens, sondern man erinnerte sich – durch die Geburt hindurch – an das, was der Vater, was der Großvater und so weiter erlebt hatten. Gedächtnis war etwas, was durch das Blut durch eine Reihe von Generationen hindurchrann, und erst später wurde es für einzelne Zeiten und das einzelne Leben zusammengezogen. [8] Der Name war durchaus in alten Zeiten nicht angewendet auf den einzelnen Menschen in seinem persönlichen Leben, sondern auf das, was durch das Gedächtnis zusammengehalten wurde, so daß ein Name so lange gebraucht wurde, als die Erinnerung dauerte. So weit als der Gedächtnisfaden reichte, wurde für eine solche Folge von Menschen der selbe Name gebraucht. In diesem Sinne gebraucht das Lukas-Evangelium selbstverständlich die Namen. [9]

Wie man durch 6x7 Stufen zu den Geheimnissen des menschlichen Innern vordringt, so gelangt man durch 12x7, also 84 Stufen hinauf zu den geistigen Geheimnissen des Weltenraumes. Dann kommt man an den Punkt, wo das Labyrinth dieser geistigen Weltenkräfte nicht mehr blendend ist; wo der Mensch wirklich die Ruhe gewonnen hat, sich auszukennen in diesem gewaltigen Labyrinth, wo dieses Labyrinth durchschaut wird. Das lehrten wieder in gewissem Sinne die Essäer. Will der Mensch diesen Weg durchmachen, so braucht er, um anzukommen im Geistigen, 11x7 Stufen, das heißt, es muß der Mensch im astralischen Leibe und Ich 11x7 Stufen durchmachen. Das wird ausgedrückt in der Sternenschrift, indem man die Siebenzahl hernimmt von der Siebenzahl der Planeten, und das, was man durchzumachen hat im Weltenraum, hernimmt von der Zwölfzahl der Sternbilder des Tierkreises. Der Mensch muß sich spiralförmig ausbreiten, indem er sich gleichsam in 7 Spiralwindungen dreht, und jedesmal, wenn er eine Spiralwindung durchmacht, alle 12 Sternbilder passiert, so daß er 7x12 Punkte zu passieren hat. Der Mensch breitet sich allmählich spiralförmig in den Kosmos aus – das alles ist natürlich nur ein Sinnbild für das, was der Mensch erlebt –, und wenn er, so herumkreisend, das 7. Mal die 12 Sternbilder durchmachen würde, wäre er beim Göttlich-Geistigen angelangt. Wenn der Mensch an der 12x7 ankam, war er im Geistigen darinnen. In dieser Weise mußten astralischer Leib und Ich durch 12x7 – beziehungsweise 11x7 Stufen durchgehen, wenn sie zum Göttlichen kommen wollten. Will das Göttliche herunterkommen und ein menschliches Ich geeignet machen, so muß es ebenso durch 11x7 Stufen heruntersteigen. Wenn also das Lukas-Evangelium jene geistigen Kräfte schildern will, die den astralischen Leib und das Ich geeignet machen zum Träger des Christus, dann mußte es schildern, wie die göttlich-geistige Kraft durch 11x7 Stufen heruntersteigt. Das schildert uns wirklich das Lukas-Evangelium. Weil es uns jene andere Persönlichkeit schildert, für welche der astralische Leib und das Ich zubereitet wurden, schildert es uns nicht – wie das Matthäus-Evangelium – 6x7 Generationen, sondern 11x7 Stufenfolgen, durch welche von Gott selber – das wird ausdrücklich im Lukas-Evangelium gesagt – heruntergeleitet wird, was in der Individualität des Jesus des Lukas-Evangeliums wohnte. Zählen Sie die Menschenstufen, die im Lukas-Evangelium angekündigt werden, durch welche die göttliche Kraft heruntergeleitet wird, so bekommen Sie 77 Stufen. [10]

In das Kind, das dem Elternpaare geboren wurde, das im Lukas-Evangelium Joseph und Maria genannt wird, wurde hineingesenkt eine große individuelle Kraft, die gehegt und gepflegt worden war in der großen Mutterloge, in dem großen Sonnenorakel (der Atlantis). Wenn wir die Individualität, die in das Kind Jesus damals hineingesenkt wurde, kennenlernen wollen, so müssen wir weit zurückgehen, bis in die Zeit vor dem luziferischen Einfluß auf die Menschheit, bevor sich in den Astralleib der Menschen der luziferische Einfluß hineinerstreckt hat. Dieser luziferische Einfluß kam an die Menschen heran in derselben Zeit, als das Urmenschenpaar, das menschliche Hauptpaar die Erde bevölkerte. Dieses menschliche Hauptpaar war zwar stark genug, um die Menschensubstanz sozusagen zu überwinden, so daß es sich verkörpern konnte, aber es war nicht stark genug, um dem luziferischen Einfluß Widerstand zu leisten. Der luziferische Einfluß kam heran, erstreckte seine Wirkungen auch in den astralischen Leib dieses Hauptpaares, und die Folge war, daß es unmöglich war, alle die Kräfte, die in Adam und Eva waren, auch herunterfließen zu lassen in die Nachkommen, von dem Ätherleib behielt man in der Leitung der Menschheit etwas zurück. Es war also in Adam eine gewisse Summe von Kräften, die ihm nach dem Sündenfalle genommen wurden. Dieser noch unschuldige Teil des Adam wurde aufbewahrt in der großen Mutterloge der Menschheit. Sie wurden jetzt als «provisorisches Ich» dahin geleitet, wo dem Joseph und der Maria das Kind geboren wurde; und in den ersten (12) Jahren hatte dieses Jesuskind die Kraft des ursprünglichen Stammvaters der Erdenmenschheit in sich. Wer also lebte auf in dem Kindlein, das dem Paare Joseph und Maria geboren wurde? Der Stammvater der Menschheit, der «alte Adam» als ein «neuer Adam». Das hat schon Paulus gewußt. Und das hat auch Lukas, der Schreiber des Lukas-Evangeliums, der ein Paulus-Schüler war, gewußt. Daher gibt er für Joseph ein Geschlechtsregister, das bis hinauf zu Adam führt, der unmittelbar aus der geistigen Welt selbst hervorgeht, daher in der Redeweise des Lukas von Gott stammt, er ist ein Sohn Gottes. So verband sich mit dem Leibe, der dem Joseph und der Maria geboren wurde, dieser unendlich jugendliche Geist, dieser von allen Erdenschicksalen unberührte Geist, diese jugendliche Seele, deren Kräfte, wenn wir sie suchen wollen, im alten Lemurien gesucht werden müßten. Dieser Geist allein war stark genug, um ganz hineinzustrahlen in den astralischen Mutterleib und, als dieser (bei der Geschlechtsreife) abgestreift wurde, ihm die Kräfte zu überlassen, die er brauchte, um sich in fruchtbarer Weise mit dem Nirmanakaja des Buddha zu vereinigen, (damit) konnte er im 12. Jahre die jugendfrischen Kräfte abgeben, die den (geistigen) Buddhismus verjüngen sollten. [11]

Wir müssen heute zurückschauen auf das, was 6 Jahrhunderte vor unserer Zeitrechnung sich zugetragen hat (das Leben des Buddha), weil wir, wenn wir nicht an der Hand der Akasha-Chronik die Entwickelung von den Ereignissen in Palästina bis zu der Predigt von Benares zurückverfolgen würden, den Weg des Christentums nicht verstehen würden, vor allem nicht denjenigen verstehen würden, der diesen Weg so eminent geschildert hat, den Schreiber des Lukas-Evangeliums. Seitdem der Bodhisattva zum Buddha geworden ist, brauchte er nicht mehr auf die Erde zurückzukehren; seitdem war er eine geistige Wesenheit, die in den geistigen Welten schwebt und von dort aus in alles einzugreifen hatte, was auf der Erde geschah. Und als das wichtigste Ereignis auf der Erde vorbereitet wurde und die Hirten auf dem Felde waren, da erschien ihnen eine Individualität aus den geistigen Höhen und verkündete ihnen das, was eben im Lukas-Evangelium geschildert wird: Und hinzu traten zu dem Engel «himmlische Heerscharen». Was hier den Hirten im Bilde entgegentrat, das war der verklärte Buddha, der Bodhisattva der alten Zeiten, dasjenige Wesen in seiner geistigen Gestalt, das durch Jahrhunderte und Jahrtausende den Menschen die Botschaft der Liebe und des Mitleides gebracht hatte. Jetzt, nachdem es seine letzte Inkarnation auf der Erde hinter sich hatte, schwebte es in geistigen Höhen und erschien in Himmelshöhen den Hirten neben dem Engel, der ihnen das Ereignis von Palästina vorherverkündete. [12]

Indem der Mensch hier auf der Erde lebt und das entfaltet, was ihm seine Erkenntnisse bringen über die Umwelt, was die Impulse zu seinem Handeln, seinem sozialen Leben sind, erlebt er ja in sich unbewußt noch etwas anderes. Er weiß es nicht, aber geradeso wie er die Nachwirkungen seines vorgeburtlichen Lebens erlebt, erlebt er auch dasjenige, was dann durch die Pforte des Todes schreitet und der Inhalt des Lebens nach dem Tode wird. Das sind die Kräfte, die keimhaft schon vorhanden sind zwischen Geburt und Tod und die erst im nachtodlichen Leben sich zur vollen Blüte entfalten. Diese Kräfte wirkten mit einer großen Intensität im alten instinktiven Hellsehen; und sie wirkten im letzten Rest noch bei den armen Hirten auf dem Felde durch ihre besondere Frömmigkeit. In diesen Kräften leben wir ja insbesondere zwischen dem Einschlafen und dem Aufwachen, wenn unsere Seele aus der Körperlichkeit draußen ist und im äußeren Raume lebt. Dann lebt sie auf solche Art, wie sie bewußt erst wiederum leben wird, wenn sie den äußeren physischen Leib abgelegt hat nach dem Tode. Diese Kräfte, die aus der Traumes-, aus der Schlafenswelt heraus in besonderen Zuständen in das Tagesleben eindringen können, waren da sehr regsam in dem alten instinktiven Hellsehen. Die armen Hirten erlebten diese Kräfte, und in ihnen enthüllte sich dasjenige, was ihnen, von einer anderen Seite als den drei Magiern, das Mysterium von Golgatha ankündigen konnte. Da erfährt man, was im Inneren der Erde geschieht. Da wirken vorzugsweise die tellurischen Kräfte, diejenigen Kräfte, die wir haben durch unseren Leib. Die armen Hirten auf dem Felde empfanden eigentlich die Offenbarung der Erde aus ihrem Leibe, indem sie in einem traumhaften Zustande dasjenige, was geschah, als die Stimme des Engels wahrnahmen. [13]

So lehrt uns die geistige Forschung. Sie zeigt uns schwebend über den Hirten den verklärten Bodhisattva aus den alten Zeiten. Ja, es war so gekommen – das lehrt uns die Akasha-Forschung –, daß in Palästina in der Stadt Davids von einem Elternpaare, das wenigstens dem Vater nach, aus der priesterlichen (nathanischen) Linie des Hauses Davids stammte, ein Kind geboren wurde. Dieses war dazu ausersehen, daß es überleuchtet und durchkraftet wurde von seiner Geburt an von dem, was von dem Buddha ausstrahlen konnte, nachdem er in Geisteshöhen erhoben worden war. So blicken wir mit den Hirten hin auf die Krippe, wo der Jesus von Nazareth geboren worden ist und sehen über dem Kindlein den Glorienschein von Anfang an und wissen, daß in diesem Bilde sich ausdrückt die Kraft des Bodhisattva, der der Buddha geworden ist.

Als der Buddha als Bodhisattva im alten Indien geboren wurde, damals erschaute ein Weiser in der geistigen Welt, was Asita veranlaßte in den Palast des Königs hineinzugehen und das Bodhisattvakindlein aufzusuchen. Als er das Kindlein sah, sagte er seine gewaltige Mission als Buddha voraus. Dann aber fing er an zu weinen; und als er gefragt wurde, ob denn dem Kindlein ein Unglück bevorstünde, antwortete Asita: «Nein. Ich weine, weil ich so alt bin, daß ich den Tag nicht mehr erleben kann, da dieser Heiland, der Bodhisattva, als Buddha auf der Erde wandeln wird.»

Jener Asita wurde wiedergeboren als jene Persönlichkeit, die uns im Lukas-Evangelium bei der «Darstellung im Tempel» als der Simeon geschildert wird. Simeon, so heißt es im Lukas-Evangelium, war «vom Geiste beseelt», als ihm das Kindlein gebracht wurde. Und nachdem er (wie) dazumal «mit dem Geiste begabt» war, konnte er bei der Darstellung des Kindleins im Tempel den Glorienschein des verklärten Bodhisattva sehen über dem Jesuskindlein aus dem davidischen Geschlecht. Da sagte er sich: Jetzt brauchst du nicht mehr zu weinen; was du damals nicht gesehen hast, jetzt siehst du es; jetzt siehst du deinen Heiland verklärt über diesem Kindlein: «Herr, laß deinen Diener in Frieden hinsterben.» [14]

Fassen wir jetzt einmal ins Auge, was bei der Geschlechtsreife abgestreift wird. Es wurde mit dem 12. Jahre die astralische Hülle abgestreift; aber sie löste sich nicht in der allgemeinen astralischen Welt auf (wie gewöhnlich), sondern so, wie sie war als schützende astralische Hülle des jungen Knaben, mit all den belebenden Kräften, die zwischen der Zeit des Zahnwechsels und der Geschlechtsreife hineingeflossen waren, strömte sie jetzt zusammen mit dem, was sich als der Nirmanakaja des Buddha heruntergesenkt hatte. Was in der Engelschar herunterscheinend erschienen ist, das vereinigte sich mit dem, was bei dem 12 jährigen Jesusknaben als astralische Hülle sich loslöste, vereinigte sich mit all den jugendlichen Kräften, die einen jugendlich erhalten in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Das nahm er auf, vereinigte sich damit und dadurch verjüngte er sich. Und durch diese Verjüngung war es möglich, daß dasjenige, was er früher der Welt gegeben hatte, jetzt wiedererscheinen konnte in dem Jesuskinde wie in einer kindlichen Einfalt. Damals bei der Darstellung des Jesus im Tempel redete der Knabe deshalb so, daß seine Umgebung überrascht war, weil ihn umschwebte der Nirmanakaja des Buddha, aufgefrischt wie aus einem Jungbrunnen von der astralischen Mutterhülle des Knaben. Das ist etwas, was der Geistesforscher wissen kann und was der Schreiber des Lukas-Evangeliums hineingeheimnißt hat in die merkwürdige Szene des 12 jährigen Jesus im Tempel, wo er plötzlich ein anderer wird. So enthält das Lukas-Evangelium den Buddhismus in einer neuen Gestalt wie aus einem Jungbrunnen heraus, und daher spricht es die Religion des Mitleides und der Liebe für die einfältigsten Gemüter in einer selbstverständlichen Form aus. [15] Nach und nach ist der Menschheit die Herrschaft des Geistig-Seelischen über das Physische hingeschwunden – bis in den vierten Kulturzeitraum hinein, in welchem der Christus erschien und in welchem noch genügend Menschen vorhanden waren, an denen man sehen konnte, wie das Geistige auf das Physische wirkt. Da mußte der Christus erscheinen. Wäre er später erschienen, so hätten alle die Dinge nicht gezeigt werden können, die dann gezeigt worden sind. Es mußte eine solche große Erscheinung in der Welt, aber gerade zur rechten Zeit, hineintreten.

Das seiner selbst bewußte Ich, wird es sein, das sich wieder alles zurückerobert, was der Menschheit verlorengegangen ist durch die Zeiträume hindurch. Aber genau ebenso, wie der achtgliedrige Pfad durch den Buddha zuerst hingestellt werden mußte, so mußte zuerst einmal vor Ablauf der alten Zeiten die Herrschaft dieses Ich-Prinzips über alles, was in der Welt an Vorgängen der äußeren Leiblichkeit vorhanden sein kann, sichtbarlich hingestellt werden. In unserer Zeit würde es nicht mehr möglich sein, daß, indem das Christus-Prinzip in die Welt hereinträte, auf die Umgebung jene gewaltige Heilwirkungen ausgehen könnten, die in der damaligen Zeit ausgegangen sind. Dazu war jene Zeit notwendig, in der es noch Menschen gab, die so weit ihre Ätherleiber heraus hatten, daß sie durch das bloße Wort, durch die bloße Berührung so gewaltige Wirkungen empfangen konnten, von denen heute höchstens schwache Nachklänge vorhanden sein können. An den letzten Exemplaren der Menschheit aus der Vorzeit mußte gezeigt werden, wie das Ich, das jetzt voll in einem Menschen vorhanden war, in dem Christus Jesus, so, wie es am Ende der Erdenzeit einst in den übrigen Menschen sein wird, auf allen Gebieten mächtig auf die Menschen der damaligen Zeit wirkte. Das stellt der Schreiber des Lukas-Evangeliums dar, um uns zu zeigen: jetzt trägt der Christus in die Welt hinein ein Ich, das den menschlichen physischen Leib, den Ätherleib und Astralleib in der Art durchdringt, daß es Wirkungen ausüben kann, welche die ganze Organisation der Leiblichkeit beeinflussen können, sie auch gesundend beeinflussen können. [16]

Weil die Seele heute nicht jene Herrschaft über den Leib hat, die sie zur Zeit des Christus Jesus hatte, so wird nicht leicht jede Sünde auch zu einer äußeren Krankheit. Nach und nach nähern wir uns schon jenem Zustande wieder, wo der Ätherleib wieder herausrückt (aus dem physischen Leib). Daher beginnt für die Menschheit eine Epoche, wo gar sehr darauf geachtet werden muß, daß die seelischen Untugenden in moralischer und intellektueller Beziehung sich nicht als Krankheiten physisch äußern. Diese Zeit fängt jetzt schon an. Und viele von jenen Krankheiten, die halb als seelische, halb als körperliche Krankheiten – als die nervösen Erkrankungen unserer Zeit – hingestellt werden, bezeichnen den Anfang dieser Epoche.

In der Zeit, als der Christus auf der Erde erschien, waren zahlreiche Menschen in seiner Umgebung, bei denen die Sünde, namentlich aber Charakterversündigung von aus früherer Zeit herrührenden schlechten Eigenschaften, sich in Krankheiten äußerten. Das, was im Grunde genommen im Astralleib als Versündigung liegt und als Krankheit erscheint, das wird im Lukas-Evangelium Besessenheit genannt, wo der Mensch fremde Geister in seinen Astralleib hereinzieht, wo er nicht durch seine besseren Qualitäten Herr ist über seine ganze Menschlichkeit. – Nun zeigt uns das Lukas-Evangelium, wie solche Menschen durch die Nähe und den Zuspruch jener Individualität, die in dem Christus Jesus war, geheilt wurden, wie das, was als Böses wirkte, aus solchen Individualitäten herausgetrieben wurde. Das wird als ein Vorbild dafür hingestellt, wie die guten Eigenschaften am Ende der Erdenzeit auf alle Eigenschaften gesundend wirken werden. Man merkt das Feinere gewöhnlich nicht, was sich hinter manchem verbirgt, so daß auch da noch die Rede ist von ganz anderen Erkrankungen, wie sie uns in dem Kapitel geschildert werden, das gewöhnlich genannt wird die «Heilung des Gichtbrüchigen». Eigentlich sollte es heißen die «Heilung eines Gelähmten», denn im griechischen Texte steht an dieser Stelle das Wort «paralelymenos»; das bedeutet einen, der an seinen Gliedern gelähmt ist. Von diesen Krankheitsformen wußte man in jenen Zeiten noch, daß sie von den Eigenschaften des Ätherleibes herrühren. Und indem uns geschildert wird, daß der Christus Jesus auch solche heilt, die gelähmt sind, wird uns gesagt, daß durch die Kräfte seiner Individualität nicht nur Wirkungen bis in die Astralleiber hinein erzielt werden, sondern bis in die Ätherleiber. Gerade, wo der Christus von dem spricht, was als «tiefe Sünde» bis in den Ätherleib hinein sitzt, da gebraucht er einen besonderen Ausdruck. Das weist ersichtlich darauf hin, daß das krankmachende Geistige erst weggeschafft werden muß; denn er spricht nicht gleich zu dem Gelähmten: «Stehe auf und wandle», sondern er geht auf die Ursache, die als Krankheit bis in den Ätherleib hinein wirkt, und sagt: «Deine Sünden sind dir vergeben.» Das heißt: was sich als Sünde in den Ätherleib hineingefressen hat, das muß erst fort. Christus hatte Einfluß auf die Geheimnisse des Astralleibes und auch auf die des Ätherleibes. Ja, er hatte sogar auf die Geheimnisse des physischen Leibes Einfluß [17] Der Christus Jesus zeigt, daß er durchschauen kann durch die physische Leiblichkeit und bis in dieselbe hinein wirken kann. Das wird dadurch gezeigt, daß er auch durch seine Kraft auf diejenigen Krankheiten heilend wirken kann, die im physischen Leibe wurzeln. Dazu muß man die geheimnisvollen Wirkungen kennen, die vom physischen Leibe des einen Menschen auf den physischen Leib des anderen Menschen hin wirken. Lesen Sie im 8. Kapitel des Lukas: Christus Jesus soll das 12 jährige Töchterchen des Jairus heilen, denn es ist nahe am Tode. Wie kann es nur geheilt werden? Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, wie seine physische Krankheit zusammenhängt mit einer anderen Erscheinung bei einem anderen Menschen, und daß es nicht geheilt werden kann, ohne daß man die andere Erscheinung ins Auge faßt. Denn als das jetzt 12 jährige Mädchen geboren wurde, da gab es eine gewisse Beziehung zu einer anderen Persönlichkeit, die tief im Karma begründet war. Deshalb wird uns jetzt erzählt, daß sich von hinten an den Christus Jesus heran ein Weib drängte, das seit 12 Jahren an einer gewissen Krankheit litt, und den Saum seines Kleides berührte. Warum wird dieses Weib hier erwähnt? Weil sie in ihrem Karma verknüpft war mit diesem Kinde des Jairus. Dieses 12 jährige Mädchen und die seit 12 Jahren kranke Frau hängen zusammen. Diese Frau wird geheilt; und jetzt erst konnte Christus Jesus in das Haus des Jairus hineingehen, und nun konnte das 12 jährige Mädchen geheilt werden, das schon für tot gehalten wurde. [18]

So werden wir in anschaulicher Weise darauf hingewiesen, wie auf alle übrigen Glieder des Menschen die Ich-Wesenheit des Christus wirkte. Lukas hat gleichsam das große Ideal der Menschheitsentwickelung hingestellt: Sehet hin auf eure Zukunft; heute ist euer Ich, wie es sich herausentwickelt hat, noch schwach; es hat noch wenig Herrschaft. Aber es wird nach und nach Herr werden über den Astralleib, über den Ätherleib und über den physischen Leib und wird dieselben umgestalten. [19]

Zitate:

[1]  GA 114, Seite 25f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[2]  GA 114, Seite 24   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[3]  GA 114, Seite 26   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[4]  GA 96, Seite 312   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[5]  GA 124, Seite 161f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[6]  GA 173, Seite 236   (Ausgabe 1966, 396 Seiten)
[7]  GA 123, Seite 112f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[8]  GA 123, Seite 114f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[9]  GA 123, Seite 116f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[10]  GA 123, Seite 109ff   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[11]  GA 114, Seite 97ff   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[12]  GA 114, Seite 57f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[13]  GA 203, Seite 24f   (Ausgabe 1978, 342 Seiten)
[14]  GA 114, Seite 58ff   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[15]  GA 114, Seite 82f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[16]  GA 114, Seite 174f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[17]  GA 114, Seite 176f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[18]  GA 114, Seite 178f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[19]  GA 114, Seite 180   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)

Quellen:

GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 114:  Das Lukas-Evangelium (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 173:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Erster Teil (1916)
GA 203:  Die Verantwortung des Menschen für die Weltentwickelung durch seinen geistigen Zusammenhang mit dem Erdplaneten und der Sternenwelt (1921)