Logoi – die drei Logoi

Der Vatergott liegt dem Dauernden und der Sohnesgott, der Christus als der schöpferische Logos demjenigen zugrunde liegt, was das Werdende ist, und was das Werden ist. Deshalb muß man auch das Verständnis für den Vatergott suchen vor dem Entstandenen und das Wirken des Christus in dem Entstanden. [1]

Die Menschen fragen gewöhnlich zuerst: Wie ist alles entstanden? – Dies ist wohl die schwierigste Frage, die aber oft gestellt wird. Man kann davon nur eine annähernde Vorstellung geben. Vor allem muß man sich einmal klarmachen, daß es unser Verstand ist, der da fragt, wie die Dinge entstanden sind und sich ungefähr plausibel macht, wie man selbst die Welt geschaffen hätte, wenn man der Schöpfer gewesen wäre. Der Menschenverstand gehört aber schon zu denjenigen Dingen, die vom Logos stammen, und es ist klar, daß das Bewußtsein des Logos ein weit größeres ist; daher können wir den Logos nicht mit dem menschlichen Verstand beurteilen. Darum kann die Frage nicht so gestellt werden: Warum mußte die Welt aus dem Logos hervorgehen? –, sondern man kann nur fragen, wie sich das Hervorgehen der Welt aus dem Logos verhält, wie die Dinge entstanden sind, nicht warum – weil das Warum einen Zwang in sich schließen würde. Das Hervorgehen der Welt aus dem Logos muß eine freie Tat des Logos sein, nicht eine Tat der Notwendigkeit. Durch ein Bild nur kann das Schöpferische des Logos bezeichnet werden, indem man sich ein Wesen und sein Spiegelbild vorstellt. Man muß sich sagen: In dem Spiegelbild ist alles das enthalten, was in dem Wesen selbst vorhanden ist. Es sieht genauso aus, aber es ist nicht lebendig, es enthält nicht das Lebensprinzip. Wollen wir begreifen, wie das Spiegelbild dem Wesen gleich werden kann, so müssen wir uns denken, es ist nur dadurch möglich, daß das Wesen sein Leben, seine Existenz, dem Spiegelbild abgibt – dann hat man den Begriff des ersten Opfers. Die Hingabe der eigenen Existenz, die Übertragung des eigenen Lebens an das Spiegelbild, das ist das ursprüngliche Opfer. Genauso verhält es sich mit dem Logos. Der erste Logos verhält sich zum zweiten, wie wenn wir, vor dem Spiegelbild stehend, uns vornehmen, unser eigenes Leben an das Spiegelbild abzugeben. Die Hingabe des Lebens ist das ursprüngliche Opfer in freier Tat. Das ist die Tat des ersten Logos. Der zweite Logos ist genau dasselbe wie der erste Logos, nur daß er seine Existenz durch ein Opfer erhalten hat. Wenn man nun die Wirkung des zweiten Logos studiert, so findet man, daß das Wesen des zweiten Logos darin besteht, daß er das Wesen des ersten Logos nach dem ersten Logos hinstrahlt, zurückstrahlt. So ist der zweite Logos eine Wider­spiegelung des ersten Logos, von dem er sein eigenes Leben erhalten hat, das Leben, welches vom ersten Logos ausströmte. Zuerst spiegelt sich der erste Logos wider, dann gibt er dem Spiegelbild sein Leben. Während im ersten Logos alles sich nach außen richtet, die Existenz nach außen wirkt, hat der zweite Logos erstens die Existenz, die er erhalten hat und zweitens die Eigenschaft, seinen Inhalt zurückzustrahlen auf den ersten Logos. Damit haben wir nun im zweiten Logos eine Zweiheit. Das Leben und der Inhalt des zweiten Logos sind zweierlei. Der Inhalt ist dasselbe wie bei dem ersten Logos, aber das Leben ist etwas anderes als im ersten Logos: Dies würde als solches noch kein Weltsystem ergeben können, denn hier würde sich nur der eine Logos zum andern verhalten; eine Mannigfaltigkeit würde da nicht hineinkommen. Mannigfaltigkeit kann nur hineinkommen durch ein weiteres Opfer. Eine nochmalige Spiegelung muß stattfinden: das Verhältnis, das die beiden zueinander haben, muß sich auch spiegeln. Erstens spiegelt sich der erste Logos noch einmal zweitens spiegelt sich die Spiegelung. Dadurch entsteht dann der dritte Logos als die Widerspiegelung der zwei andern Logoi. Es enthält also der dritte Logos:

  1. das Spiegelbild des ersten Logos
  2. das Spiegelbild dessen, was der erste Logos im zweiten Logos bewirkt hat, nämlich sein Leben
  3. das Spiegelbild davon, was der zweite Logos zum ersten zurückstrahlt

Stellen wir uns nun vor: Der erste Logos ist gespiegelt in a. Wenn der erste Logos die nach außen strebende, schöpferische Tätigkeit ist, so ist sein Spiegelbild im dritten Logos gerade die umgekehrte Tätigkeit des ersten Logos. Im ersten Logos ist a das höchste geistige Weltlicht; im dritten Logos ist a die äußerste geistige Finsternis. Ist im zweiten Logos das Leben, das der zweite Logos vom ersten Logos erhalten hat. Es ist nicht das Leben, das sich hinopfert, sondern dasjenige, das angenommen worden ist. Das Leben, das sich im ersten Logos hinopfert, ist die Liebe. Das Gegenteil davon im dritten Logos ist das absolute Verlangen, Sehnsucht, Streben nach Logos. b ist also im dritten Logos das absolute Verlangen. c ist im zweiten Logos das Spiegelbild des ersten Logos, welches der zweite Logos zurückstrahlt. Dies entspricht im dritten Logos den drei Teilen: a die geistige Finsternis = Tamas, b das absolute Verlangen = Rajas, c das einfache Spiegelbild des ersten Logos = Sattwa. Tamas, Rajas, Sattwa sind die drei Gunas, die drei Teile des dritten Logos. [2]

Zunächst sind a, b und c vorhanden. Wenn a allein vorhanden ist, ist es eben Tamas. Wenn a – die geistige Finsternis oder Tamas – sich kombiniert mit b – Rajas, dem absoluten Verlangen -, kombiniert sich Finsternis mit Verlangen, und es ist ein Hinstreben nach dem ersten Logos. Wenn a und c – Tamas und Sattwa – kombiniert werden, haben wir das Bild des ersten Logos, aus der Finsternis heraus geschaffen. Ebenso können wir b mit c kombinieren. Es kann jedes für sich auftreten und mit einem der andern kombiniert werden. Alle drei miteinander kombiniert, sind, was der erste Logos selbst ist. Wir haben sieben mögliche Kombinationen der drei Gunas:

1. Logos 2. Logos 3. Logos
a ab abc
a = Weltlicht b = das Verlangen a = geistige Finsternis b = das Verlangen c = das getreue Bild des 1. Logos

1 2 3 4 5 6 7
a b c ab ac bc abc

Dies sind also die sieben verschiedenen Kombinationen der Gunas. Man stelle sich diese sieben möglichen Kombinationen vor als das nächste weltschöpferische Prinzip, das aus den drei Gunas hervorgehen kann. Diese sieben Wesenheiten existieren wirklich. Es sind die sogenannten sieben schöpferischen Geister vor dem Throne Gottes, nach den drei Logoi die sieben nächsten schöpferischen Kräfte: Aus diesen sieben schöpferischen Kräften geht dasjenige hervor, was wir als die Prajapatis bezeichnen. Indem jeder wieder diese Tatsache genau wiederholen kann auf untergeordneten Stufen des Bewußtseins, des Lebens und der Form, bekommen wir überall drei: dreimal a, dreimal b, dreimal c, dreimal ab, dreimal ac, dreimal bc, dreimal abc, also zusammen dreimal sieben = 21 Prajapatis. Sie verhalten sich selbst jeder wie ein ursprünglicher Logos. Schöpfer eines bestimmten Sonnensystems. [3]

Der Gang der Entwickelung in der Welt tritt uns in drei Stufen entgegen: in Bewußtsein, Leben und Form. Versetzen wir uns an den Uranfang einer solchen planetarischen Entwickelung, ganz an den Anfang der Saturnentwickelung. Da ist von unserer Planetenkette noch gar nichts vorhanden; wohl aber die Frucht der vorhergehenden Planetenkette ist da, so ähnlich, wie wenn wir am Morgen aufwachen, noch nichts getan haben und lediglich die Erinnerung an das, was wir am vorherigen Tage getan haben, in unserem Geiste enthalten ist. So haben wir – wenn wir uns so ganz in den Anfang der Saturnentwickelung versetzen – in den sich offenbarenden Geistern die Erinnerung an eine vorherige Planetenkette, an das, was vorher gewesen ist. Nun versetzen wir uns an das Ende der Planetenkette, in die Zeit, da die Vulkanstufe zu Ende geht. Während der Planetenkette ist nach und nach als Schöpfung zutage getreten, was an Anlage am Anfange vorhanden war. Wir haben also zuerst einen Ausfluß des Bewußtseins; aus dem Inhalt des Früheren heraus, aus der Erinnerung heraus schafft das Bewußtsein das Neue. Es ist am Ende also etwas da, was am Anfange nicht da war: nämlich alle Erfahrungen. Was am Anfange da war, ist herausgeflossen in lauter Dinge und Wesenheiten. Ein neues Bewußtsein ist am Ende entstanden mit einem neuen Inhalt, ein neuer Bewußtseinsinhalt. Es ist etwas, was aus dem Nichts hervorgegangen ist, aus Erfahrungen. Wenn wir das Erneuern im Leben betrachten, müssen wir uns sagen, es muß ein Same da sein, der das möglich macht. Aber der neue Bewußtseinsinhalt am Ende einer planetarischen Entwickelung ist tatsächlich aus dem Nichts hervorgegangen, aus Erfahrungen; dazu braucht man keine Grundlagen, es schafft etwas, was aus dem Nichts entsteht. Man kann (beispielsweise) nicht sagen, wenn eine Persönlichkeit die andere anschaut, sie habe der anderen etwas entzogen, wenn sie in der Folge die Erinnerung an die andere Persönlichkeit in sich trägt. Diese Erinnerung ist aus dem Nichts hervorgegangen. Das ist eine dritte Art des Schaffens: aus dem Nichts heraus. Die drei Arten des Schaffens sind also folgende: 1. Schaffen aus dem Nichts heraus (Bewußtsein); 2. Hervorgehenlassen neuer Gebilde mit neuem Lebensinhalt aus vorhandener Grundlage (Leben); 3. Kombinieren der vorhandenen Teile (Form). Es sind dies drei Definitionen von Wesenheiten, die eine Planetenkette hervorbringen, einer planetarischen Kette zugrunde liegen. Man nennt sie die drei Logoi. Der dritte Logos bringt aus der Kombination hervor. Wenn aus einer Substanz etwas anderes hervorgeht mit neuem Leben, so ist das der zweite Logos, der hervorbringt. Überall aber, wo wir ein Hervorgehen haben aus dem Nichts, da haben wir den ersten Logos. Daher nennt man den ersten Logos oft auch das in den Dingen selbst Verborgene, den zweiten Logos die in den Dingen ruhende Substanz, die Lebendiges aus Lebendigem schafft, den dritten Logos den, der alles Vorhandene kombiniert, aus den Dingen die Welt zusammensetzt. Diese drei Logoi gehen in der Welt immer durch- und ineinander. Indem man die Welt betrachtet, sieht man fortwährend die drei Logoi ineinanderwirken. [4] Der Mensch auf dem Saturn erhält das, was Form in ihm ist, von dem dritten Logos. Der Mensch auf der (alten) Sonne erhält das, was Leben in ihm ist, von dem zweiten Logos. Der Mensch auf der Erde erhält das, was Bewußtsein in ihm wird, von dem ersten Logos. [5]

In der Imagination empfindet man die drei Logoi nicht mehr als Quantität, sondern als Qualität. Dann empfindet man den dritten Logos als etwas, was die Welt durchtönt, den zweiten, insofern er als astralische Projektion auftritt, als flutendes Licht: und den ersten Logos als Weltenaroma; als durch die Welt fliegendes, bis zur vollkommenen Reinheit geläutertes Aroma. [6]

Die ganze Entwickelung des Menschen geht durch eine Umbildung der Organe hindurch. Was bei ihm den höheren Stand erreicht hat, ist das Resultat des verwandelten Niedrigsten. Das Fortpflanzungsorgan, die Zeugungskraft, und das stimmliche Organ, das schöpferische Wort, bildeten einst ein Ganzes. Der dritte Logos ist die schöpferische Macht des Wortes, wie sie zu Beginn des Johannes-Evangeliums zum Ausdruck kommt. Sein Widerhall ist das menschliche Wort. In den alten Mythen und Legenden hat diese Tatsache einen tiefen Ausdruck gefunden in der Beschreibung des hinkenden Vulkan. Seine Aufgabe war das Feuer zu hüten. Er hinkt, weil der Mensch bei der Einweihung etwas von seinem physischen Körper einbüßen muß – der untere Teil des Köpers kommt aus der Vergangenheit, die verschwinden muß. [7]

Die Macht, die dem menschlichen und planetarischen Leben übergeordnet ist, ist der Logos. Worin unterscheidet sich das gesamte menschliche und planetarische Leben vom Leben des Logos? Es gibt in unserer Welt analoge Phänomene, die uns die Schöpfermacht des Logos begreifen oder wenigstens erfühlen lassen können. Wir können uns zu einer anderen Bewußtseinsstufe erheben als diejenige ist, die nur die Verstandeserfahrungen reproduziert. Es gibt gewisse Zustände einer schöpferischen Aktivität, wo der menschliche Geist zum Schöpfer wird und Neues, noch niemals Gesehenes schaffen kann. Solcherart ist zum Beispiel der Seelenzustand des Bildhauers im Moment der Konzeption, wo er blitzartig vor seinem Geist die Form einer Statue sieht, deren Vorbild er niemals gesehen hat, sondern die er erschafft. Solcherart ist auch der Seelenzustand des Dichters, der in einem Entwurf, in einer schöpferischen Vision seines Geistes ein Werk konzipiert. Diese Schaffenskraft empfängt ihre Inspiration nicht von einer verstandesmäßigen Vorstellung, Idee, sondern von einem spirituell inspirierten Gefühl. Betrachten wir die Henne, die ihr Ei bebrütet und dabei ein Wohlgefühl erlebt. Dieses Wohlgefühl des Schaffens findet sich auf allen Stufen der kosmischen Entwickelung, und überall entbindet es eine entsprechende Wärme. Wenn man sich die kosmische Intelligenz vorstellt als die Welt der Gedanken, die dem höheren Ich (Manas) zugänglich sind, bemerkt man sofort diese Kraft der Wärme, die das Universum durchdringt, gleichsam hervorgehend aus der schöpferischen Quelle allen Lebens (Lebensgeist, Buddhi). Und durch sie kann man vorfühlen diese Welt der Schöpferkraft, die vor der unsrigen war und sie einhüllt. Man erhebt sich alsdann von Manas zu Buddhi und von Buddhi zu Atma. Das Wort, welches das Ich im Menschen, dem Mikrokosmos, entzündet, ist der dritte Logos. Man stelle sich in der Folge die Kraft des höheren Ich im Menschen, des Manas vor, ausgedehnt auf das ganze Universum wie eine Wärmequelle, die das Leben entzündet, und man gelangt zum zweiten Logos, der das makrokosmische Leben entzündet und von dem die menschliche Seele einen Widerschein empfängt in ihren schöpferischen Aktivitäten (Buddhi). Ihre gemeinsame Quelle ist der erste Logos, die unergründliche Gottheit, das Zentrum jeder Manifestation. [8]

Zitate:

[1]  GA 342, Seite 147   (Ausgabe 1993, 164 Seiten)
[2]  GA 89, Seite 194ff   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[3]  GA 89, Seite 197f   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[4]  GA 93a, Seite 213f   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[5]  GA 93a, Seite 216   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[6]  GA 284, Seite 49   (Ausgabe 1993, 208 Seiten)
[7]  GA 94, Seite 70f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[8]  GA 94, Seite 91f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)

Quellen:

GA 89:  Bewußtsein – Leben – Form. Grundprinzipien der geisteswissenschaftlichen Kosmologie (1903-1906)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 284:  Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen (1907)
GA 342:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, I. Anthroposophische Grundlagen für ein erneuertes christlich-religiöses Wirken (1921)