Leib – die Seele – der Geist

Mit Leib ist hier dasjenige gemeint, wodurch sich dem Menschen die Dinge seiner Umwelt offenbaren. Mit dem Worte Seele soll auf das gedeutet werden, wodurch er die Dinge mit seinem eigenen Dasein verbindet, wodurch er Gefallen und Mißfallen, Lust und Unlust, Freude und Schmerz an ihnen empfindet. Als Geist ist das gemeint, was in ihm offenbar wird, wenn er, nach Goethes Ausdruck, die Dinge als «gleichsam göttliches Wesen» ansieht. – In diesem Sinne besteht der Mensch aus Leib, Seele und Geist. Durch seinen Leib vermag sich der Mensch für den Augenblick mit den Dingen in Verbindung zu setzen. Durch seine Seele bewahrt er in sich die Eindrücke, die sie auf ihn machen, und durch seinen Geist offenbart sich ihm das, was sich die Dinge selbst bewahren. Nur wenn man den Menschen nach diesen drei Seiten betrachtet, kann man hoffen, Aufschluß über seine Wesenheit zu erhalten. Denn diese drei Seiten zeigen ihn in dreifach verschiedener Art mit der übrigen Welt verwandt. Durch seinen Leib ist er mit den Dingen verwandt, die sich seinen Sinnen von außen darbieten. Die Stoffe der Außenwelt setzen diesen seinen Leib zusammen; die Kräfte der Außenwelt wirken auch in ihm. Und wie er die Dinge der Außenwelt mit seinen Sinnen betrachtet, so kann er auch sein eigenes leibliches Dasein beobachten. Aber unmöglich ist es, in derselben Art das seelische Dasein zu betrachten. [1]

Der Lebensleib (oder Ätherleib) ist eine Wesenheit, durch welche in jedem Augenblicke während des Lebens der physische Leib vor dem Zerfalle bewahrt wird. – Um diesen Ätherleib zu sehen, ihn an einem anderen Wesen wahrzunehmen, braucht man das erweckte geistige Auge. Ohne dieses kann man aus logischen Gründen seine Existenz annehmen; schauen kann man ihn aber mit dem geistigen Auge, wie man die Farbe mit dem physischen Auge schaut. Nach dem Tode löst sich der physische Leib in der Mineralwelt, der Ätherleib in der Lebenswelt auf. Mit Leib soll bezeichnet werden, was einem Wesen von irgendeiner Art «Gestalt», «Form» gibt. Man sollte den Ausdruck «Leib» nicht mit sinnlicher Körperform verwechseln. In dem in dieser Schrift gemeinten Sinne kann die Bezeichnung «Leib» auch für das gebraucht werden, was sich als Seelisches und Geistiges «gestaltet». [2] Tatsächlich ist alles Leibliche nur ein Fragment, Stück einer anderen Leiblichkeit. [3]

Zitate:

[1]  GA 9, Seite 26f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 38f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[3]  GA 94, Seite 19   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)