Der Künstler kann nicht einmal bei dem, was er heute schafft, sich nach dem richten, was er gestern geschaffen hat: Er muß in jedem Augenblick bestrebt sein, schöpferisch, ursprünglich zu sein. [1] Die Kunst, die notwendig ist, um aus dem Ätherleib heraus den physischen Leib zu formen, die ist viel größer als irgendeine Kunst, die der Mensch auf der Erde ausübt. Der Mensch ist schon das größte Kunstprodukt. Und alle die Impulse, um den physischen Menschenleib zu formen, die stecken (schon) in dem Ätherleib darinnen. Auch der Künstler bringt sie aus seinem ätherischen Leib heraus, wenn er künstlerisch schafft. [2] (Wenn wir) fühlend leben, da sind wir nicht voll wach, sondern da sind wir träumend wach. Wie erleben wir denn eigentlich das, was wir da im träumenden Wachzustande fühlend durchmachen? Das erleben wir tatsächlich in dem, was man immer genannt hat Inspirationen, unbewußt inspirierte Vorstellungen. Da ist der Herd von alledem, was aus den Gefühlen beim Künstler hinaufsteigt in das wache Bewußtsein. Dort wird es zuerst durchgemacht. Dort wird auch alles das durchgemacht, was beim wachen Menschen oftmals als Einfälle hinaufsteigt ins Wachbewußtsein und dann zu Bildern wird. [3]
Dasjenige, was der Künstler hineinschafft in den Stoff, der Materie einprägt, das ist die Erinnerung daran, was in der geistigen Welt in ihm angeregt worden ist. [4] Dasjenige, was den Künstler bekräftigt, Kunstwerke hervorzubringen oder sie zu reproduzieren, kann auch nicht aus den gewöhnlich bewußten Kräften der Seele stammen, sondern es brodelt aus dem Unterbewußtsein herauf und kommt erst in das Bewußtsein hinein. Daher ist es ja beim Künstler so, daß für ihn eher störend ist alles dasjenige, was Regeln sind, nach denen er sich richten soll. Er muß sich richten nach dem, was elementar in seiner Seele beflügelt die Kräfte, die er braucht. Er kann sogar vielleicht erst hinterher sich einlassen auf eine gewisse Erklärung desjenigen, was dem zugrunde liegt, was in seiner Seele schafft. [5]
Die Künstler, die mehr luziferische Neigungen hatten, sie wurden Expressionisten; die, welche mehr ahrimanische Neigungen hatten, wurden Impressionisten. [6]
Derjenige Künstler schafft ganz gewiß nicht das Höchste, was er nach seinen Anlagen schaffen kann, der nur immer geschäftig und geschäftig sein will und nur immer die Dinge vorwärts und vorwärts bringen will, sondern der Künstler wird das Höchste schaffen, der die Augenblicke der Begnadung abzuwarten in der Lage ist und der auch schweigen kann, wenn sozusagen der Geist nicht zu ihm spricht. [7] Weiteres siehe: Künstlertum).
[1] | GA 199, Seite 266 | (Ausgabe 1985, 318 Seiten) |
[2] | GA 168, Seite 47 | (Ausgabe 1968, 230 Seiten) |
[3] | GA 293, Seite 100 | (Ausgabe 1980, 216 Seiten) |
[4] | GA 56, Seite 99 | (Ausgabe 1965, 372 Seiten) |
[5] | GA 167, Seite 141 | (Ausgabe 1962, 312 Seiten) |
[6] | GA 191, Seite 219 | (Ausgabe 1983, 296 Seiten) |
[7] | GA 141, Seite 19 | (Ausgabe 1983, 200 Seiten) |
GA 56: | Die Erkenntnis der Seele und des Geistes (1907/1908) |
GA 141: | Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913) |
GA 167: | Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916) |
GA 168: | Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten (1916) |
GA 191: | Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919) |
GA 199: | Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung (1920) |
GA 293: | Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919) |