Krankheit

Gehen Sie zurück ein paar Jahrtausende in der Entwickelung der Menschheit, in ältere Zeiten des Alten Testamentes, so finden Sie überall die Überzeugung: die Krankheit kommt von der Sünde, die Krankheit hat ihre geistige Ursache zu allerletzt in der Sünde. Diese Anschauung ging dahin, daß man sagte: da in einem Menschen, bei dem irgendeine geistige Verfehlung oder Verirrung zugrunde liegt, die in ihm die Erscheinung der Krankheit hervorruft, ist irgend etwas geistig Elementarisches enthalten, was nicht in ihn hineingehört, er ist irgendwie besessen. – Jede Krankheit bedeutet ja eine Besessenheit mit Geistigem als Folge einer geistigen Verirrung oder Verfehlung in älteren Zeiten, und demgemäß war auch die Therapie eingerichtet. [1] Im 13. Jahrhundert sagte man, Krankheiten kommen von Gott, im 15. Jahrhundert sagte man, sie kommen vom Teufel. Später hieß es dann, sie kommen von den Säften (siehe dazu: Humoralmedizin), und heute sagt man, die Krankheiten kommen von den Bazillen (oder Bakterien). [2]

Was ist denn Krankheit und was ist denn der kranke Mensch überhaupt? Selten findet man eigentlich eine andere Erklärung über Krankheit und den kranken Menschen als die – wenn sie auch maskiert ist durch diese oder jene scheinbar sachlichen Einschiebsel –, daß der Krankheitsprozeß eine Abweichung ist vom normalen Lebensprozeß, daß durch gewisse Tatsachen, die auf den Menschen wirken und für die der Mensch in seinem normalen Lebensprozeß zunächst nicht angepaßt ist, Veränderungen in dem normalen Lebensprozeß und in der Organisation hervorgerufen werden und daß die Krankheit in diesen mit den Veränderungen verbundenen, funktionellen Beeinträchtigungen der Körperteile besteht. Nun werden Sie sich aber zugestehen müssen, daß dies nichts weiter ist als eine negative Bestimmung der Krankheit. Es ist ja nicht irgend etwas, was einem helfen kann, wenn man es mit Krankheiten zu tun hat. [3] Was sind denn eigentlich die Krankheiten für Prozesse? Wie unterscheiden sie sich denn von den sogenannten Normalprozessen des menschlichen Organismus? Denn nur mit einer positiven Vorstellung über diese Abweichung kann man doch arbeiten, während die Darstellungen, die man gewöhnlich findet und die gegeben werden in der offiziellen Wissenschaft, eigentlich nur negativ sind. Es wird nur darauf hingewiesen, daß eben solche Abweichungen da sind. Und dann probiert man, wie man etwa die Abweichungen beseitigen könne. Aber eine durchgreifende Anschauung über das Menschenwesen ist ja eigentlich nicht vorhanden. Und an dem Mangel einer solchen durchgreifenden Anschauung über das Menschenwesen krankt im Grunde genommen unsere ganze medizinische Anschauung. Denn was sind denn die Krankheitsprozesse? Sie werden doch nicht umhin können, sich zu sagen, daß es Naturprozesse sind. Sie können doch nicht einen abstrakten Unterschied konstruieren ohne weiteres zwischen irgendeinem Naturprozeß, der draußen verläuft und dessen Folgen Sie verfolgen, und zwischen einem Krankheitsprozesse. Den Naturprozeß, Sie nennen ihn normal, den Krankheits-prozeß nennen Sie abnorm, ohne eigentlich darauf hinzuweisen, warum nun dieser Prozeß im menschlichen Organismus ein abnormer ist. Man kann ja zu keiner Praxis kommen, wenn man nicht wenigstens sich Aufschluß darüber geben kann, warum der Prozeß abnorm ist. Dann erst kann man irgendwie nachforschen danach, wie man ihn aufheben kann. Denn man kann dadurch erst darauf kommen, aus welcher Ecke des Weltendaseins das Hinwegschaffen eines solchen Prozesses möglich ist. [4] Wie kommt man eigentlich damit zurecht, daß die Krankheitsprozesse doch auch Naturprozesse sind? – da sucht man sich so bald wie möglich immer wiederum um die Sache zu drücken. Interessant war mir zum Beispiel ja, daß Ignaz Paul Vital Troxler, der in Bern gelehrt hat, sehr intensiv schon in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts darauf hingewiesen hat, daß man gewissermaßen die Normalität der Krankheit untersuchen müsse und daß man dadurch in einer Richtung geführt wird, die zuletzt landet in der Anerkennung einer gewissen Welt, die mit der unseren verbunden ist und die nur wie durch unberechtigte Löcher sich hereinschiebt in unsere Welt und daß man dadurch auf irgend etwas in bezug auf die Krankheitserscheinungen kommen könne. Denken Sie sich – ich will das jetzt nur gewissermaßen grob schematisch andeuten –, es gäbe so irgendeine Welt im Hintergrunde, die zu ihren Gesetzen die ganz berechtigten Dinge hätte, die bei uns die Krankheitserscheinungen bewirken, dann könnten durch gewisse Löcher, durch die diese Welt hereindringt in unsere, diese Gesetze, die in einer anderen Welt ganz berechtigt sind, bei uns Unheil anrichten. Auf dieses wollte Troxler hinarbeiten. Und so unklar und undeutlich er sich auch in mancher Beziehung ausgesprochen hat, so merkt man doch, wie er auf einem Wege in der Medizin war, der hinarbeitet gerade auf eine gewisse Gesundung der medizinischen Wissenschaft. [5]

Man kann sagen: entsteht im Innern des Organismus ein Vorgang, der einem solchen der äußeren Natur ähnlich ist, so tritt Erkrankung ein. Ein solcher Vorgang kann den physischen oder den ätherischen Organismus ergreifen. Es muß dann entweder der astralische Leib oder das Ich eine Aufgabe erfüllen, die sie sonst nicht vollbringen. [6]

Gerade wenn man die Krankheitsprozesse studiert, sieht man ein, was der Mensch eigentlich in sich hat. Denn in der Krankheit ist auch alles das in uns, was in einem gesunden Menschen ist, nur zu stark. Kranksein heißt nichts anderes, als daß wir irgend etwas zu stark ausbilden. [7] Der Astralleib muß, wenn wir am Tage unser Ich-Bewußtsein haben, schlafen; wir können nur gesund sein, wenn unser astralischer Leib schläft in uns. Daher können wir das Wesen von Gesundheit und Krankheit in folgender Weise auffassen: Krankheit ist ein abnormes Aufwachen des astralischen Leibes. Er wacht abnormerweise auf; also können wir ein abnormes Bewußtsein erwarten – ein Bewußtsein drückt sich in Erlebnissen aus! Das Bewußtsein, was da auftaucht, drückt sich aus in dem, was wir den Krankheitsschmerz nennen, den wir nicht haben im normalen Wohlbefinden des Wachzustandes, weil da unser astralischer Leib gerade schläft. Schlafen des astralischen Leibes heißt, daß er sich in regelmäßigem Zusammenhang befindet mit physischem Leib und Ätherleib, das bedeutet Schmerzlosigkeit. Der Schmerz ist der Ausdruck dafür, daß der astralische Leib sich so hineinpreßt in den physischen Leib und Ätherleib, wie er nicht drinnen sein soll – und zum Bewußtsein kommt. Das ist der Schmerz. [8] Universell gesprochen ist Ursache der physischen Erkrankung dieses, daß der Leib des Menschen zu geistig wird an irgendeiner Stelle oder im Ganzen. [9]

Ein großer Teil aller Krankheiten rührt davon her, daß die Verkehrtheiten, die Verirrungen im Astralleibe sich auf den Ätherleib fortpflanzen und auf dem Umwege durch den letzteren die an sich vollkommene Harmonie des physischen Leibes zerstören. Es ergibt sich dieser Zusammenhang in den meisten Fällen so, daß eine Schädigung des Astralleibes krankhafte Erscheinungen des physischen Leibes nicht in demselben Lebenslauf nach sich zieht, in dem die Schädigung geschehen ist, sondern erst in einem folgenden (siehe: Karma – Krankheiten). [10] Das ganze Tagesleben besteht durchaus in einer Zerrüttung unseres physischen Leibes. Alle Krankheiten haben ihren Ursprung in Ausschweifungen des Astralleibes. [11] Weil der Mensch nach seinen eigenen, dem Irrtum unterworfenen Vorstellungen sich den Einflüssen der Außenwelt aussetzte (als Folge der Einwirkung Luzifers) weil er nach Begierden und Leidenschaften lebte, welche er nicht nach höheren geistigen Einflüssen regeln ließ, trat die Möglichkeit von Krankheiten auf. [12]

Wenn des Menschen astralischer Leib in sich eine solche Unregelmäßigkeit hat, daß sie sich im Nervensystem, im äußeren Abbild des Astralleibes ausdrückt, dann tritt zunächst physisch zutage eine gewisse Unfähigkeit des Nervensystems, seine Arbeit zu leisten, als Folge können alle möglichen Krankheitssymptome auftreten. Magen, Kopf, Herz können dabei krank werden. Diejenigen Krankheitsformen, die zusammenhängen mit dem Ich selbst und dadurch mit seinem äußeren Ausdruck, dem Blut, äußern sich in der Regel als chronische Krankheiten, die wenn wir physisch sprechen, im Blut, wenn wir geistig sprechen, im Ich ihren Ursprung haben. Das sind vorzugsweise die Krankheiten, die so im rechten Sinne vererbbar sind. [13]

Dann gibt es gewisse Krankheitsformen, welche zum Teil mehr chronischen, zum Teil mehr akuten Charakter annehmen, die aber jetzt zusammenhängen mit dem menschlichen Ätherleib und daher ihren Ausdruck finden in den menschlichen Drüsenorganen. Diese Krankheiten haben in der Regel gar nichts eigentlich mit dem zu tun, was man Vererbung nennt, Generationen-Vererbung, dagegen haben sie viel zu tun mit dem Volkszusammenhang, mit dem Rassen- und Stammeszusammenhang. Die Krankheiten äußern sich dann ganz verschieden. Die okkulte Medizin wendet auf die Konstellation der veschiedenen Organe des Menschen die Bilder der Himmelskörper an: Herz als Sonne, Gehirn als Mond, Milz als Saturn, Leber als Jupiter, Galle als Mars, Nieren als Merkur. Wenn Sie die gegenseitigen Verhältnisse der Gestirne studieren, haben Sie ein Bild für das gegenseitige Verhältnis der Organe des Menschen, soweit sie im Ätherleib liegen. [14] .

Die Krankheit ist in den meisten Fällen nicht der Feind, sondern gerade der Freund des Organismus. Dasjenige, was der Feind des Organismus ist, geht in den meisten Fällen der Krankheit voran, entwickelt sich im Menschen, bevor die äußerlich sichtbare Krankheit zum Ausbruch gekommen ist. Da sind einander widerstrebende Kräfte im Organismus darin, und die Krankheit, die zu irgendeiner Zeit ausbricht, ist der Versuch des Organismus, sich zu retten vor den einander widerstrebenden Kräften, die vorher nicht bemerkt worden sind. Die Krankheit ist das, was der Organismus unternimmt, um die feindlichen Einflüsse, die der Krankheit vorangehen, zu bekämpfen. Wir haben die Krankheit anzusehen als etwas, was ein Sich-zur-Wehr-Setzen des Organismus ist gegen die Dinge, die ausgetrieben werden sollen. [15]

Die Krankheit ist in vielen Fällen das einzige Mittel der guten Mächte, den Menschen vor den Fängen von Ahriman zu retten. Und wenn Luzifer einen Sieg erringt in der menschlichen Natur, wenn also über die ahrimanischen Mächte, die den Menschen verhärten möchten, die ihn herunterziehen möchten in ihr Geschlecht von bloßen irdischen oder Wasserwesen, luziferische Mächte einen Sieg erringen, so verfällt der Mensch in die empfindlichen katarrhalischen Krankheiten oder in irrsinnige Zustände. Wiederum wird dadurch dem Luzifer sein Sieg streitig gemacht. [16]

Krankheiten, die im Alter auftreten, sind oft nur die Folge von Erziehungsfehlern, die im allerkindlichsten Alter gemacht werden. [17]

Die heutigen Krankheiten, welche man gewöhnlich in unserer heutigen Pathologie diagnostiziert, sind die gröberen Krankheiten. Die feineren Krankheiten sind der Histologie (dem Studium der Körpergewebe) nicht eigentlich zugänglich, liegen in dem flüssigen Teile, der ein Organ, zum Beispiel die Leber, durchzieht, in der Bewegung der Flüssigkeit oder sogar in der Bewegung des Gasförmigen, das die Leber durchzieht. Auch die Durchwärmung eines solchen Organs ist von ganz besonderer Bedeutung. [18]

Zitate:

[1]  GA 318, Seite 81   (Ausgabe 1984, 200 Seiten)
[2]  GA 120, Seite 106   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[3]  GA 312, Seite 15   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[4]  GA 312, Seite 25   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[5]  GA 312, Seite 33f   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[6]  GA 27, Seite 81   (Ausgabe 1984, 142 Seiten)
[7]  GA 347, Seite 53   (Ausgabe 1976, 192 Seiten)
[8]  GA 120, Seite 124f   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[9]  GA 316, Seite 207   (Ausgabe 1980, 246 Seiten)
[10]  GA 13, Seite 154   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[11]  GA 94, Seite 74   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[12]  GA 13, Seite 250   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[13]  GA 107, Seite 104   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[14]  GA 107, Seite 108ff   (Ausgabe 1973, 328 Seiten)
[15]  GA 159, Seite 178   (Ausgabe 1980, 388 Seiten)
[16]  GA 218, Seite 154f   (Ausgabe 1976, 336 Seiten)
[17]  GA 310, Seite 50   (Ausgabe 1965, 184 Seiten)
[18]  GA 317, Seite 19   (Ausgabe 1979, 200 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 27:  Grundlegendes für eine Erweiterung der Heilkunst nach geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen. Von Dr. Rudolf Steiner und Dr. Ita Wegman (1925)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 107:  Geisteswissenschaftliche Menschenkunde (1908/1909)
GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)
GA 159:  Das Geheimnis des Todes. Wesen und Bedeutung Mitteleuropas und die europäischen Volksgeister (1915)
GA 218:  Geistige Zusammenhänge in der Gestaltung des menschlichen Organismus (1922)
GA 310:  Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik (1924)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 316:  Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst (1924)
GA 317:  Heilpädagogischer Kurs (1924)
GA 318:  Das Zusammenwirken von Ärzten und Seelsorgern. Pastoral-Medizinischer Kurs (1924)
GA 347:  Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und Geist. Über frühe Erdzustände (1922)