Konzil von Konstantinopel, 8. allgemeines Konzil vom Jahre 869

Mit diesem Konzil beginnt dann auch die Dekadenz des kirchlichen Christentums, denn damit war das Hineinwachsen in die Geistigkeit für spätere Jahrhunderte innerhalb der katholischen Kirchenentwickelung durchaus abgeschnitten. [1] Was alle die einzelnen Völkerschaften vor diesem 4. nachchristlichen Jahrhundert – natürlich ist das approximativ, wenn man einen solchen Zeitpunkt angibt – an Lebensansichten, an Erkenntnis und so weiter entwickelt haben, das war ihnen aufgestiegen aus ihrem Blute, wie wir uns noch entwickeln zum Zahnwechsel, den wir auch nicht aus unserer Intelligenz heraus bilden, sondern aus unseren organischen Stoffen, oder wie wir uns bilden zur Geschlechtsreife, schließlich auch aus dem Organismus heraus, und zugleich zur Urteilsreife. So entwickelte sich alles, was diese Völkerschaften in ihren alten, instinktiven Imaginationen, Inspirationen hervorgebracht hatten, aus dem Blute heraus. Das hatte überall einen Rassenursprung. Jetzt aber arbeiteten sich diese südlichen Völker, diese um das Mittelmeer herumsitzenden Völker aus dem Blute heraus. Jetzt arbeiteten sie sich durch zu einem, wenn ich sagen darf, rein Geistigen. Denn in der Sphäre des rein Geistigen mußte die Intelligenz entwickelt werden. Sehen Sie, so wäre der Mensch, wenn er sich weiter entwickelt hätte nur aus diesen Mittelmeervölkern heraus nach dem 4. nachchristlichen Jahrhundert, gewissermaßen ohne Grundlage gewesen. Das Blut gab nichts mehr her. Aus den Rassengrundlagen entwickelte sich nichts mehr an seelischen Fähigkeiten. Der Mensch war gewissermaßen darauf angewiesen, insofern er von diesen Gegenden ausging, sich in einen – bildlich gesprochen – luftleeren Raum hineinzuentwickeln. Diesen luftleeren Raum, das heißt dieses von dem Rassenhaften freie Entwickelungsgebiet, das betraten jetzt die Menschen dieser Mittelmeergegend. Sie mußten etwas anderes haben, woran sie sich anlehnen konnten. Sie mußten gewissermaßen dasjenige, was ihnen früher aus dem Blute kam, von außen empfangen. Und sie empfingen es dadurch, daß berechnende Menschen, die damals durchaus noch aus den alten Weisheitslehren heraus wußten, wie die Dinge eigentlich sind, die alten Staatsanschauungen des Römerreichs auf das Religionsregiment übertragen und die äußere katholische Kirche begründet haben. Diese äußere katholische Kirche, sie konservierte, was früher aus den verschiedenen Rassen an Geistesleben hervorgegangen ist, sie konservierte, was die alten Zeiten aufbewahrt haben, und sie verdichtete es zu Dogmen. Diese Dogmen sollten fortgepflanzt werden. Nichts mehr wurde aus dem Menschen hervorgebracht, aber was da war, wurde zu Dogmen verdichtet. Und damit kam ein unlebendiges Element hinein, aus dem der Mensch wirklich von außen empfangen konnte, was er früher von innen empfangen hatte. Es wurde nämlich die lateinische Sprache als eine tote Sprache fortgepflanzt, und das Erkenntnisleben verlief in der lateinischen Sprache. Wäre nichts anderes gekommen, so hätte dieses tote Element allmählich ersterben müssen. Die ganze sogenannte Kultur hätte ersterben müssen. Man hätte zwar ein Höchstes gehabt, denn es war ein Höchstes, das dazumal sich heraufgelebt hatte. Die katholische Kirche hat selber viele gnostische, manichäische Elemente übernommen, nur hat sie die Terminologie abgestreift. Sie hat die alten Weltanschauungen fortgepflanzt. Sie hat auch die alten Kultformen aufgenommen, aufbewahrt und fortgepflanzt in einer toten Sprache. Was so weiterlebte, war zur Entstehung von irgend etwas, was nun die Zivilisation hätte weiterbringen können, ebenso unfähig, wie zum Beispiel eine Frau allein unfähig ist, ein Kind hervorzubringen. [2] Mit diesem Instinkte durchdrungen, das Alte zu bewahren, den Intellekt zu halten, daß er sich nicht weiterentwickelt, war das achte allgemeine ökumenische Konzil von Konstantinopel 869 einberufen worden, das zum katholischen Dogma machte, was dann mit den Worten ausgedrückt ist: Der Mensch hat «unam animam rationalem et intellectualem», er hat eine Seele, die denkend und geistig ist. Aber über diese Seele hinaus hat er nichts, nichts Geistiges weiter, denn würde man ihm etwas Geistiges zuschreiben, so würde die Bahn frei gewesen sein, sich zu einer neuen Geistigkeit zu entwickeln. – Daher wurde dem dreigliedrigen Menschen nach Leib, Seele und Geist der Geist abgesprochen und seiner Seele nur einzelne geistige Eigenschaften beigelegt. Er habe nicht Leib, Seele und Geist, sondern Leib und Seele, und die Seele habe denkende und geistige Eigenschaften, wäre rationell und intellektuell. Weiter darf es nicht gehen. – Das war nun Dogma geworden. Das war nichts anderes als die Konstatierung dessen, was eigentlich in der Sache gegeben war mit dem Bewahren des Alten, mit dem rationellen Verarbeiten des Alten, womit man zugleich verhindern wollte, daß man auf der Bahn der geistigen Entwickelung weiterschreite. [3]

Wenn man die ersten Jahrhunderte der christlichen Entwickelung wirklich genau betrachtet, dann findet man, daß vieles, was gewöhnlich anders erklärt wird, dadurch sich im rechten Lichte darstellt, daß man weiß: Es ist dem römisch werdenden Christentum immer mehr und mehr darum zu tun, den Begriff des Geistes völlig verschwinden zu lassen. Unendlich viele Gewissensfragen, Erkenntnisfragen, gewinnen erst dadurch das rechte Licht, wenn man auf dieses Bedürfnis des europäisch gewordenen Christentums eingeht, den Geist abzusetzen. Und diese Entwickelung führt ja zuletzt dahin, daß in dem 8. ökumenischen Konzil in Konstantinopel 869 eine Formel, ein Dogma aufgestellt wird, das vielleicht in seinem Wortlaut noch nicht so klar spricht, das aber dann dazu geführt hat, so ausgelegt zu werden, daß es unchristlich sei, von Leib, Seele und Geist zu sprechen; daß es einzig und allein christlich sei, nur zu sagen, der Mensch bestehe aus Leib und Seele. Das 8. ökumenische Konzil hat zunächst die Sache nur so dargestellt, daß die Formel lautete: Der Mensch hat eine denkende und eine geistige Seele. Um vom Geiste nicht als besonderer Wesenheit sprechen zu müssen, wurde die Formel geprägt: Der Mensch hat eine vorstellende und eine geistige Seele. Aber alles lief darauf hinaus, den Geist herauszudrängen aus der Weltanschauung. [4]

Man verlor nach und nach ganz den Begriff des Geistes. Allerdings hängt das ja zusammen damit, daß gegen die fünfte nachatlantische Kulturperiode herauf der Mensch eine Zeitlang von der Anschauung des Geistes ausgeschlossen sein sollte. Gegenüber dieser Wahrheit ist dasjenige, was da geschah, man möchte sagen, das an der Oberfläche sich abspiegelnde Spiegelbild. Aber man muß doch dasjenige, was in diesem Spiegelbild liegt, durchschauen, wenn man zu einer gültigen wirklichkeitsgesättigten Anschauung kommen will. Nun ist die Entwickelung nicht abgeschlossen, welche ein wichtiges Moment in der dogmatischen Festsetzung hatte, daß es keinen Geist gibt, daß der Mensch nur aus Leib und Seele besteht. Die christlichen Theologen des Mittelalters, die noch mitten drinnen lebten in den fortlaufenden Traditionen – denn eigentlich war es nur rechtgläubige Kirchenlehre, daß der Mensch aus Leib und Seele besteht, während die Alchimisten und die anderen Leute, die noch mit den alten Traditionen vertraut waren, selbstverständlich wußten, daß der Mensch aus Leib, Seele und Geist besteht –, sie wußten außerordentlich schwer den Weg zu finden, rechtgläubig zu sein auf der einen Seite und auf der anderen Seite doch anerkennen zu müssen, daß hinter den ketzerischen Lehren, die überall lebten von der Gliederung des Menschen in Leib, Seele und Geist, etwas steckt. Wir sehen überall, wie sich gerade die christlichen Theologen des Mittelalters wenden und drehen und nicht zurechtkommen, um, wie sie sagten, die sogenannte Trichotomie, die Gliederung des Menschen in drei Teile, zu vermeiden. Wer die christliche Theologie des Mittelalters nicht auf diese Schwierigkeiten hin, welche die Theologie hatte, die Trichotomie zu vermeiden, studiert, der kann sie überhaupt gar nicht verstehen. [5]

Die Menschen wären nie Materialisten geworden, wenn die Kirche nicht abgeschafft hätte die Erkenntnis vom Geist. [6] Eine ganze Anzahl von Philosophen reden heute davon, der Mensch müsse zusammengesetzt gedacht werden aus Leib und Seele. Selbst die weltberühmte Wundtsche Philosophie spricht von Leib und Seele und gibt sich der Meinung hin, daß sie vorurteilslos sei. Aber in Wirklichkeit ist sie nur die Ausführung desjenigen, was das 8. allgemeine Konzil im Jahre 869 beschlossen hat. Nun behaupte ich durchaus nicht, daß dasjenige, was heute gelehrt wird, eine direkte Folge oder Wirkung jenes Konzilsbeschlusses ist; sondern was dazumal dogmatisiert wurde das war als Dogma auch wiederum nur der gedankliche Ausfluß von tieferen Geschehnissen, die unter der Oberfläche der Dinge verborgen sind und die auch heute noch fortlaufen. Und alles dasjenige, was dogmatisieren will – gleichgültig, ob es die braven Philosophen des Konzils von Konstantinopel gemacht haben oder die braven Professoren der heutigen Universitäten –, alle diese Begriffsgespinste sind im Grunde genommen nur begriffliche Halluzinationen, welche aufsteigen in dem Menschen und zu dünn sind, möchte ich sagen, an Realitätsgehalt, um die Wirklichkeit, die darunter waltet, wirklich zu erfassen. Weil der heutige Mensch seiner Seelenkonstitution nach gewissermaßen pendelt zwischen dem Halluzinatorischen seiner Begriffswelt und dem Illusorischen seiner Naturanschauung, deshalb liegt für ihn die Gefahr des Dualismus vor. [7] Damals, im Jahre 869, als bestimmt wurde, daß man an den Geist im Menschen nicht glauben dürfe, damals zog der luziferische Hang in die europäische Zivilisation ein. Und heute haben wir die Erfüllung davon. [8]

Man kann nicht irgend etwas in Selbsttätigkeit oder in erzieherischer oder in kulturfördernder Tätigkeit in den menschlichen individuellen Fähigkeiten und Kräften tun, ohne daß man mit den luziferischen Kräften in Berührung kommt. In denjenigen Regionen, die der Mensch durchlaufen hat, bevor er durch die Geburt oder Empfängnis ins physische Dasein eingetreten ist, da konnte die luziferische Macht nicht an die menschlichen Fähigkeiten und Kräfte unmittelbar heran. Die Einkörperung in die physische menschliche Leiblichkeit, das ist das Mittel, durch das die luziferischen Mächte an die menschlichen Fähigkeiten und Kräfte herankommen können. Nur dadurch, daß man dieser Tatsache unbefangen ins Auge schaut, kommt man zu einer richtigen Stellung im Leben zu all dem, was als individuelle Fähigkeiten und Kräfte aus der menschlichen Natur hervorquillt. Wenn man das Luziferische nicht sehen will, wenn man es ableugnet, dann verfällt man ihm. Dann aber gerät man gerade in jene Seelenstimmung, welche sich durchaus an etwas Zwingendes im Inneren überliefern möchte, um da durch allerlei mystische oder religiöse Kräfte sich zu entlasten von der Notwendigkeit, an das freie Selbst des Menschen zu appellieren und in der (freien) Entfaltung des eigenen freien Selbstes in der Welt das Göttliche zu suchen. Die Menschen möchten nicht selber denken, sie möchten, daß eine unbestimmte Kraft in ihrem Innern sich äußere, nach der sie logisch beweisen können. Damit aber, daß die Menschen an diesen inneren Zwang appellieren, an diese innere Macht, damit liefern sich die Menschen den luziferischen Mächten aus. Das Mittel, das man ergreifen kann, damit die Menschen also an diesen Zwang appellieren, damit sie sich nicht erheben zum freien Drinnenstehen in der geistigen Welt, das ist, daß man sie zwingt zu denken, daß es keine drei Glieder der menschlichen Natur gibt, wenn man es abschafft, sich mit dem Geiste zu beschäftigen. Das sind die inneren Zusammenhänge, die heute nicht mehr übersehen werden dürfen, die heute klar und unbefangen ins Auge gefaßt werden müssen. [9]

Zitate:

[1]  GA 346, Seite 102   (Ausgabe 1995, 343 Seiten)
[2]  GA 325, Seite 146f   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[3]  GA 325, Seite 151f   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[4]  GA 175, Seite 172f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[5]  GA 175, Seite 174   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[6]  GA 350, Seite 233   (Ausgabe 1962, 314 Seiten)
[7]  GA 184, Seite 83f   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[8]  GA 195, Seite 77   (Ausgabe 1962, 91 Seiten)
[9]  GA 195, Seite 76f   (Ausgabe 1962, 91 Seiten)

Quellen:

GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 195:  Weltsilvester und Neujahrsgedanken (1919/1920)
GA 325:  Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum (1921)
GA 346:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, V. Apokalypse und Priesterwirken (1924)
GA 350:  Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? (1923)