Konstantin der Große

Konstantin war eine außerordentlich bedeutende Persönlichkeit, auch eine geistig bedeutende Persönlichkeit. Er konnte kein rechtes Verhältnis zu der alten Initiation finden. Er schreckte gewissermaßen zurück vor dem, wovor seine Vorfahren und Zeitgenossen nicht zurückgeschreckt sind: die Initiation in die alten Mysterien sich zu erzwingen. Dabei lastete auf seiner Seele das Sibyllinische Orakel, lasteten alle diese Dinge, die man dazumal wußte über den Niedergang Roms, des Römischen Reiches und so weiter. Allerdings, auch das andere wußte er, daß die Christen die Tradition, die These haben, daß Rom sich bis ans Ende der Welt erhalten werden. Über alle diese Dinge wußte er Bescheid. Aber er schreckte zurück vor der Initiation in die alten Mysterien. Er schreckte davor zurück, gewissermaßen in den Mysterien den Kampf mit dem Christentum aufzunehmen. Was Ihnen in der Geschichte nun erzählt wird über den Kaiser Konstantin, das ist ja außerordentlich interessant und zeigt Ihnen, wie Konstantin auf eine andere Weise ein Verhältnis zum Christentum zu gewinnen versuchte, wie er gewissermaßen als der große Protektor des Christentums auftrat, wie er das Römische Reich eigentlich ganz mit dem Christentum, so wie er es verstand, durchsetzte. Aber er konnte nicht recht anknüpfen dieses Christentum an das alte Initiationsprinzip. Da lag auch eine große Schwierigkeit vor; denn die Christen selber und ihre Führer hatten sich gegen das gesträubt und zwar aus dem Grunde, weil sie ein Gefühl dafür hatten, viele auch eine Einsicht hatten, daß durch das Christentum das alte Mysterium, das in den Mysterientempeln verhüllt war, auf den Schauplatz der Weltgeschichte herausgetragen werde und so vor alle Welt hingestellt worden ist. Sie wollten vor alle Welt die Mysterienwahrheiten hinstellen, nicht sie einschließen in die Tempel. Und diese initiierten Cäsaren (vor Konstantin) wollten im Grunde nichts anderes, als das Christentum hereinnehmen wiederum aus der Welt in die Mysterientempel. Dann wären die Leute in das Christentum auf ähnliche Weise initiiert worden, wie sie initiiert worden sind in die Geheimnisse der alten Götterlehre. Aber gegen das, was die Christen selber anstrebten, war es auch für Konstantin schwer durchzudringen, denn die Christen verstanden damals unter dem Impuls, der nach ihrer Meinung bei dieser Weltenwende durch die Welt gehen sollte, einen durchaus geistigen Impuls. Und von diesem Gesichtspunkte eines durchaus geistigen Impulses muß man auch ihre These verstehen: «Das Römische Reich wird fortbestehen.» Diese These, die tritt in einer ganz besonders deutlichen Weise zutage, wenn man, ich möchte sagen, die Geheimlehre der ersten Christen ins Auge faßt. Sie wollten nämlich mit diesem Fortbestehen des Römischen Reiches dasjenige damals schon andeuten, was ja auch geschehen ist. Gewisse Leute, welche die Geheimnisse kennen, sprechen in der Gegenwart davon, daß dasjenige, was bis in unsere Zeit und immer umgehen wird, das Gespenst des alten Römischen Reiches ist, das überall mitten unter uns lebt. Darauf wollten die Christen hinweisen. Aber sie wollten zu gleicher Zeit sagen: In dem, was Christentum ist, wird immer etwas liegen, was dieses Imperium Romanum zu bekämpfen hat. Immer wird das Übersinnliche des Christentums im Kampfe stehen mit dem Sinnlichen des Imperium Romanum. Also es lag in dieser These eine Vorhersage, eine Weissagung. Und jetzt verstehen Sie auch besser, warum die Römischen Senatoren und Cäsaren Angst hatten; denn sie mußten in ihrer Art den Untergang auf das äußere Reich beziehen, und das sahen sie ja Stück für Stück abbröckeln gerade unter dem Einfluß des Christentums. Und unter diesem Eindruck stand ein solcher Mensch wie der Kaiser Konstantin. [1]

Ohne initiiert zu sein, wußte er folgendes: Es gab eine Urweisheit der Menschheit; sie war dann auf spätere Zeiten übertragen worden, war bewahrt worden von den Priestern, war allmählich korrumpiert worden, aber sie war da, diese Urweisheit. Auch wir Römer, sagte sich Konstantin, haben eigentlich in unserer sozialen Ordnung etwas, was mit den Institutionen dieser Urweisheit zusammenhängt, nur haben wir es begraben unter der auf das äußere sinnliche Reich gebauten sozialen Ordnung. – Das drückte sich aus in einem bedeutsamen Symbolum, das eine Imagination ist, aber nicht nur eine Imagination, sondern auch eine weltgeschichtliche Kulthandlung, wie diese Imaginationen sehr häufig in Kulthandlungen sich ausdrückten; das drückte sich darin aus, daß man sagte: Die Weisheit war früher nicht von den Menschen erdacht gewesen, sondern aus der geistigen Welt heraus geoffenbart. So haben sie auch unsere allerersten urväterlichen Priester gehabt, allerdings nicht in Rom, sondern drüben in Ilion, in Troja, wo unsere urväterlichen Priester waren. Und das drückte sich aus in der Sage von dem Palladium, dem so genannten Bildnis der Athene; das Palladium, das vom Himmel gefallen war in Troja, das in einem Heiligtum aufbewahrt wurde, das dann nach Rom gekommen war und unter einer Porphyr-Säule begraben war. Konstantin fühlte, daß ihm die späteren Mysterien, wenn er auch in sie initiiert worden wäre, nicht viel helfen würden; sie würden ihn nicht führen zu dem Palladium, zu der alten Urweisheit. Und da beschloß denn Konstantin, auf seine Art aufzunehmen gewissermaßen den Kampf mit den Weltenmächten; auf seine Art etwas zu tun, um gewissermaßen das Prinzip des Imperium Romanum zu retten. Natürlich war er nicht so töricht zu glauben, daß das nicht geschehen müsse im Sinne, in der Strömung gewisser Welten-Impulse.

Da beschloß er denn zuerst, Rom wiederum zurückzuverlegen nach Troja, das vergrabene Palladium ausgraben zu lassen und es wiederum nach Troja zurückbringen zu lassen. Die Sache vereitelte sich. Aus dem Plane, in Troja ein neues Rom aufzurichten, entstand der andere, Konstantinopel zu gründen und ihm zu übertragen die Kraft, das untergehende Rom für eine Zukunft zu retten. 326 wurde das ausgeführt. Daß er diese Begründung im Zusammenhang dachte mit den großen Weltenwende-Ereignissen, das entnehmen Sie einfach daraus, daß er, als er gewissermaßen den Grundstein legte, dazu den Zeitpunkt wählte, da die Sonne im Schützen stand und der Krebs die Tagesstunde regierte. Er wollte den ewigen Impuls der ewigen Roma auf Konstantinopel (heute Istanbul) übertragen. Daher ließ er auch die Porphyrsäule herüberverfrachten nach Konstantinopel, die nur später die Stürme (der Geschichte) zerstört haben. Und er ließ das Palladium ausgraben und unter diese Porphyrsäule legen. Er hatte Überreste des Kreuzes von Golgatha, auch Überreste der Nägel, mit denen es beschlagen war. Die Überreste des Kreuzes verwendete er dazu, eine Art Umrahmung zu machen für eine besonders wertvolle Apollo-Statue, und die Nägel des Kreuzes, um Apollo eine Strahlenkrone aufzusetzen. Das wurde auf die Porphyrsäule gesetzt, die ja später zerstört worden ist. Und eine Inschrift war da zu lesen, die ungefähr besagte: Dasjenige, was hier wirkt, soll ewig wirken wie die Sonne, und soll die Macht seines Gründers Konstantin in die Ewigkeit tragen! – Die Dinge alle sind natürlich mehr oder weniger auch imaginativ zu nehmen; aber mit der Einschränkung, daß sie imaginativ zu nehmen sind, bedeuten sie durchaus strikte historische Ereignisse. [2]

Zitate:

[1]  GA 175, Seite 287ff   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[2]  GA 175, Seite 290f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)

Quellen:

GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)