Kohlenstoff

Man hat Diamant, Graphit, Anthrazit oder Steinkohle: alles ist Kohle, aber doch so verschieden. Würden die Menschen wirklich eingehen können auf dasjenige, was nicht bloß die chemische Beschaffenheit, sondern was im alten Sinne die Signatur ist, so würden sie anfangen zu verstehen, was für ein Unterschied ist zwischen Steinkohle und Graphit. Steinkohle ist während des Erdprozesses entstanden. Graphit während des Mondprozesses, des der Erde vorangehenden planetarischen Prozesses, und Diamant während des Sonnenprozesses. Und sie bekommen da, wenn Sie die Dinge kosmisch betrachten, auch einen Einblick dahinein, daß es wiederum nicht auf die Substanz ankommt, sondern daß es darauf ankommt, unter welchen Umständen und Zeiten eine Substanz eine gewisse, also eine feste Form angenommen hat. [1] Dieser Kohlenstoff galt nämlich bis vor einer verhältnismäßig sehr kurzen Zeit, bis vor ein paar Jahrhunderten, als dasjenige, was man mit einem sehr edlen Namen bezeichnete, mit dem Namen des «Steins der Weisen».

Wenn man absieht von der zerbröckelten Form, in der wir durch gewisse Vorgänge, durch die er durchgegangen ist, den Kohlenstoff in der Natur haben als Steinkohle oder auch als Graphit, wenn wir den Kohlenstoff auffassen in seiner lebendigen Tätigkeit, wie er durchgeht durch den Menschen, durch den Tierkörper, wie er aufbaut aus seinen Verhältnissen heraus den Pflanzenkörper, so erscheint uns das Amorphe, Gestaltlose, das man sich als Kohlenstoff vorstellt, nur als der letzte Ausläufer, als der Leichnam desjenigen, was der Kohlenstoff im Haushalte der Natur eigentlich ist.

Der Kohlenstoff ist nämlich der Träger aller Gestaltungsprozesse in der Natur. Was auch gestaltet werden mag, ob die verhältnismäßig kurz bleibende Gestalt der Pflanze, ob die in ewigem Wechsel begriffene Gestalt des tierischen Organismus ins Auge gefaßt wird, der Kohlenstoff ist da der große Plastiker, der nicht bloß seine schwarze Substantialität in sich trägt, sondern der, wenn er in voller Tätigkeit, in innerer Beweglichkeit ist, die gestaltenden Weltenbilder, die großen Weltenimaginationen überall in sich trägt, aus denen alles dasjenige, was in der Natur gestaltet wird, eben hervorgehen muß. Ein geheimer Plastiker waltet in dem Kohlenstoff, und indem dieser die verschiedensten Formen aufbaut, die in der Natur aufgebaut werden, bedient sich dabei des Schwefels. So daß wir anschauen müssen, wenn wir auf den Kohlenstoff in der Natur hinschauen wollen im richtigen Sinne, wie die Geisttätigkeit des Weltenalls sozusagen sich mit dem Schwefel befeuchtet, als Plastiker tätig ist, und mit Hilfe des Kohlenstoffs die festere Pflanzenform aufbaut, dann aber auch wiederum die im Entstehen schon vergehende Form des Menschen aufbaut, der gerade dadurch Mensch ist, nicht Pflanze, daß er die eben entstehende Form immer wiederum sogleich vernichten kann, indem er den Kohlenstoff, als Kohlensäure an den Sauerstoff gebunden, absondert. Eben weil der Kohlenstoff im menschlichen Körper uns Menschen zu steif, zu fest formt, wie eine Palme macht – es schickt sich an, uns so fest zu machen –, da baut die Atmung sogleich ab, reißt diesen Kohlenstoff aus der Festigkeit heraus und wir werden so gestaltet in einer Beweglichkeit, die wir als Menschenwesen brauchen. [2]

Eigentlich ist es der webende, waltende, sich gestaltende und seine Gestalt wieder auflösende Kohlenstoff, auf dessen Bahnen, befeuchtet mit dem Schwefel, das Geistige des Menschen im Blute sich bewegt, das wir Ich nennen, und so wie das menschliche Ich als der eigentliche Geist des Menschen im Kohlenstoff lebt, so lebt wiederum gewissermaßen das Welten-Ich im Weltengeist auf dem Umwege durch den Schwefel in dem sich gestaltenden und immer wieder auflösenden Kohlenstoff. Es ist so, daß in früheren Epochen unserer Erdentwickelung der Kohlenstoff dasjenige war, was überhaupt abgeschieden worden ist. Erst später kam dann dasjenige dazu, was zum Beispiel das Kalkige ist, das der Mensch dann benützt, um als Unterlage nun auch ein Festeres zu schaffen. Damit dasjenige, was im Kohlenstoff lebt, bewegt sein kann, schafft der Mensch in seinem kalkigen Knochengerüste ein unterliegendes Festes, das höhere Tier auch. Damit hebt sich der Mensch heraus in seiner beweglichen Kohlenstoffbildung aus der bloß mineralischen, festen Kalkbildung, die die Erde hat, und die er auch sich eingliedert, um feste Erde in sich zu haben. [3]

Der Kohlenstoff ist das, was uns immer bei uns bleiben läßt. Er ist eigentlich unser Haus. Er ist das, worin wir wohnen, während uns das Silizium fortwährend aus unserem Haus herausführen will und uns zurückbringen will in die Zeit, in der wir waren, bevor wir in unser Kohlenstoffhaus eingezogen sind. Und so hat das, was in uns Kohlenstoff und Kiesel ist, einen fortwährenden Kampf zu führen. Aber in diesem Kampfe liegt unser Leben. [4] Das, was Sie an Kohlenstoff in der schwarzen, rußigen Kohle und in dem Diamanten und in dem Graphit sehen, das tragen wir in einer anderen Form in uns. Wir sind zwar nicht viel, aber eben doch etwas Diamant. Das hält uns in unserem Erdenhause fest. Da wohnt unser Geistig-Seelisches, wenn es im Leibe wohnt. [5] Dasjenige, was der Kohlenstoff, wenn er außen seine Bildekräfte entfaltet, wirkt, das müssen wir innerlich identifizieren mit dem Lungensystem, aber jetzt nicht das Lungensystem als Atmungssystem aufgefaßt, sondern die Lunge, insofern sie ihre Eigenbildungskräfte hat. [6]

Wenn der Mensch lebt vom rhythmischen System hin zum Gliedmaßen-Stoffwechselsystem, dann erweist sich dasjenige, was aus dem Kohlenstoff wird, seine Verwandtschaft mit dem, was aus dem Stickstoff wird, und es entsteht fortwährend die Tendenz, in der menschlichen Wesenheit nach unten hin Verbindungen zu schaffen von Kohlenstoff und Stickstoff. Man wird früher auch den Verdauungsprozeß selbst und namentlich den Ausscheidungsprozeß nicht durchsichtig bekommen, wenn man nicht die Tendenz der Verbindung des Kohlenstoffes mit dem Stickstoff ins Auge faßt. Diese Tendenz zur Verbindung von Kohlenstoff und Stickstoff führt zuletzt zur Bildung von Zyansäure, und tatsächlich besteht im Menschen nach unten fortwährend die Tendenz, Zyansäure zu erzeugen oder zyansaure Salze zu erzeugen. Wir haben nicht einmal einen ordentlichen Ausdruck für das, was da entsteht. Was da entsteht, wird nur soweit getrieben, daß es gerade bis zu dem Punkt kommt, anzufangen zu entstehen, dann wird es, durch die Absonderungen der Galle namentlich, sofort aufgehoben. Nun bedeutet aber Zyanverbindungen im Menschen schaffen, den Menschen zerstören. Es ist die schnellste Methode, wodurch man die Menschengestalt zerstören kann, wenn man sie mit Zyan durchdringt. Diese Tendenz besteht namentlich nach dem Gliedmaßen-Stoffwechselsystem hin. Fortwährend will der menschliche Organismus Zyanverbindungen schaffen, die gleich wieder zerstört werden. Aber in diesem Moment zwischen dem Entstehen und dem sogleich Aufgelöstwerden der Zyansäure- (Blausäure)verbindungen ergreift der Wille das Muskelsystem. – Im Paralysieren dieses Prozesses liegt die Möglichkeit für den Willen einzugreifen, so daß der Mensch sich bewegen kann. Hat der Kohlenstoff die Tendenz nach unten Stickstoffverbindungen zu bilden, so hat er nach oben die Tendenz, Sauerstoffverbindungen zu bilden. Die früheren Alchimisten nannten ihn den Stein der Weisen. Er hat nach oben die Tendenz Sauerstoffverbindungen zu erzeugen, Sauerstoffsäuren oder sauerstoffsaure Salze. Die aber regen den Gedanken an, und jedesmal wenn wir bildhaft lebendig das Kind beschäftigen, regen wir die Kohlensäurebildung und damit das Denken an. Jedesmal, wenn wir das Kind anleiten, gleichzeitig während des Denkens etwas zu tun, rufen wir einen Gleichgewichtszustand herbei zwischen der Kohlensäurebildung und der Zyanerzeugung; und darauf kommt im menschlichen Leben eigentlich alles an, daß diese zwei Dinge im Gleichmaß erzeugt werden. Wir greifen in der Tat, wenn wir einen Lehrplan (für die Schule) machen und zum Beispiel Musikunterricht und anderen Unterricht verteilen, wir greifen in Erkrankungs- und Gesundungsprozesse des menschlichen Organismus unmittelbar ein. [7]

Zitate:

[1]  GA 316, Seite 56f   (Ausgabe 1980, 246 Seiten)
[2]  GA 327, Seite 65ff   (Ausgabe 1963, 306 Seiten)
[3]  GA 327, Seite 67   (Ausgabe 1963, 306 Seiten)
[4]  GA 213, Seite 88   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)
[5]  GA 213, Seite 95   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)
[6]  GA 312, Seite 234   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[7]  GA 302a, Seite 136ff   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)

Quellen:

GA 213:  Menschenfragen und Weltenantworten (1922)
GA 302a:  Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (1920-1923)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 316:  Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst (1924)
GA 327:  Geisteswissenschaftliche Grundlagen zum Gedeihen der Landwirtschaft. (Landwirtschaftlicher Kursus) (1924)