Islam

In einer gewissen Weise ragt also das, was in der vorchristlichen Epoche während der althebräischen Kultur da war, auch wieder, den Christus-Impuls gleichsam überschneidend, in die nachchristliche Zeit hinein, so daß sich dasjenige, was sich in der Jahve-Weltanschauung vorbereitet hat, in einer gewissen Weise nachher wieder aufgetreten ist und, trotzdem die anderen Faktoren bestehen, dennoch in die späteren Faktoren hineinspielt. Das Wiederauftauchen der alten Jahve-Mond-Religion ist zu sehen in der Religion des Halbmondes. In dieser Weltanschauung des Mohammed ist zunächst unberücksichtigt geblieben der Christus-Impuls, daß diese Mahomed-Religion wirklich eine Art Wiederaufleben war dessen, was man im Einheitsgotte des Mosaismus finden konnte. [1] Es ist wie eine Synthese alles dessen, was die ägyptisch-chaldäischen Priesterweisen gelehrt haben mit dem, was die althebräische Jahve-Religion lehrte, was uns da im Arabertum (im Islam) entgegentritt. Es geschieht nun aber bei einem solchen Zusammenfluß nicht bloß ein Zusammendrängen, sondern es wird auch immer etwas ausgesondert und abgetrennt. Es mußte nun alles abgesondert sein, was auf hellseherische Beobachtung zurückgeführt war. Ein Kombinieren, ein bloßes intellektuelles Forschen war es, was blieb, so daß die Begriffe der ägyptischen Heilkunde, der chaldäischen Astronomie, die hervorgegangen waren sowohl bei den Ägyptern wie bei den Chaldäern aus altem Hellsehen, uns in intellektualisierter und individualisierter Form entgegentreten im Arabertum des Mahomet (Mohammed). Es wird uns da gleichsam auf dem Umwege durch die Araber etwas Durchgesiebtes in Europa hereingebracht – durchgesiebt, indem alle alten Begriffe, die bei den Ägyptern und Chaldäern geherrscht haben, ihrer hellseherischen Bildgehalte entkleidet und in abstrakte Formen gegossen, uns in der bewunderungswürdigen Wissenschaft der Araber, die von Afrika über Spanien in Europa hereindrangen, wieder auftauchten. Hat das Christentum einen Impuls gebracht, der im wesentlichen für die menschliche Seele da war, so war der größte Impuls für den menschlichen Kopf, für den menschlichen Intellekt auf dem Umwege durch die Araber (Mohammedaner) gekommen. Und die, welche nicht genau bekannt sind mit dem Gang der Menschheitsentwickelung, wissen gar nicht, was diese Weltanschauung, die erneuert unter dem Symbol des Mondes auftrat, der gesamten Menschheit doch geliefert hat. Kepler und Kopernikus wären nicht möglich gewesen ohne die Impulse, welche durch das Arabertum nach Europa gebracht sind. Denn die ganze Art und Weise des Denkens und Kombinierens von Weltanschauungen mit Hinwegrechnung des alten Hellsehens sehen wir wieder auftreten in der Zeit, als die dritte Kulturperiode (ägyptisch-chaldäische) ihre Auferstehung feiert in unserem fünften Zeitraum in unserer heutigen Astronomie, in unserer heutigen Wissenschaft überhaupt. [2] Die Geistesart, die an den Namen des Mohammed anknüpft, sie erweist sich gegenüber dem Christentum als etwas, was mehr in Abstraktionen lebt als das Christentum. Das Christentum enthält, möchte ich sagen, viel mehr von unmittelbarer Schilderung der geistigen Welt als der Mohammedanismus. Aber der Mohammedanismus, er hat das Schicksal gehabt, vieles von alter Wissenschaft, alter Kultur in sich aufzunehmen. [3] Nur aus dem Zusammenfluß der Christus-Religion und der Mahomet-Religion konnte in der Zeit, in welcher wir einen wichtigen Einschnitt zu verzeichnen haben, das entstehen, was eigentlich unsere neuzeitliche Kultur ist. Wir müssen uns ungefähr sechs bis sechseinhalb Jahrhunderte lange Epochen denken gerade für solche Impulse; so daß in der Tat 6 Jahrhunderte nach dem Christus-Ereignis der erneuerte Mondkultus, der arabische (islamische) Mondkultus aufgeht, sich verbreitet und eindringt nach Europa und bis ins 13. Jahrhundert hinein die Christus-Kultur befruchtet, die ihre direkten Impulse auf andern Wegen erhalten hatte. Da gab es einen fortwährenden Austausch. Wer genau auch nur den äußerlichen Gang der Ereignisse kennt, wer weiß, wie selbst in den Mönchsklöstern des westlichen Europas – mochten sie auch das Arabertum bekämpfen – die arabischen Gedanken hineinflossen in die Wissenschaft und sich darin verbreiteten, der weiß auch, daß bis zu dem Zeitpunkt in der Mitte des 13. Jahrhunderts, der wieder etwas besonderes bedeutet, ein Zusammenströmen der zwei Impulse vorhanden war. Nun gab es, nachdem diese unmittelbare Befruchtung gewissermaßen ihr Ziel erreicht hatte, etwas Neues, das sich allmählich eben seit dem 12., 13. Jahrhundert vorbereitet hat. Es ist interessant, daß selbst heute die äußere Wissenschaft anerkennt, daß damals etwas Unerklärliches durch die Seelen der europäischen Menschheit ging. Die äußere Wissenschaft sagt: etwas Unerklärliches. Der Okkultismus aber sagt, daß in dieser Zeit, gleichsam nachströmend dem direkten Christus-Impuls, in die Seelen sich ergießt auf geistige Weise dasjenige, was der vierte Zeitraum der nachatlantischen Kultur selbst geboten hat; die griechische Zeit bildet eine nachströmende Welle. [4] (Weiteres siehe: Renaissance).

Zitate:

[1]  GA 124, Seite 171f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[2]  GA 124, Seite 172f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[3]  GA 239, Seite 51   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[4]  GA 124, Seite 173ff   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)

Quellen:

GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 239:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Fünfter Band (1924)