Ich-Gefühl

Wäre der Astralleib sich selbst überlassen, es würden sich Lust und Schmerz, Hunger- und Durstgefühle in ihm abspielen; was aber dann nicht zustandekäme, ist die Empfindung: es sei ein Bleibendes in alle dem. Nicht das Bleibende als solches wird hier als Ich bezeichnet, sondern dasjenige, was dieses Bleibende erlebt. Wie der physische Leib zerfällt, wenn ihn nicht der Ätherleibzusammenhält; wie der Ätherleib in die Bewußtlosigkeit versinkt, wenn ihn nicht ein Astralleib durchleuchtet, so müßte der Astralleib das Vergangene immer wieder in die Vergessenheit sinken lassen, wenn dieses nicht vom Ich in die Gegenwart herübergerettet würde. Man kann auch sagen: dem Ätherleib sei das Leben eigen, dem Astralleib das Bewußtsein und dem Ich die Erinnerung. [1] Für das Ich bedeuten Erinnerung und Vergessen etwas durchaus Ähnliches wie für den Astralleib Wachen und Schlaf. [2]

Für die Erkenntnis des Verhältnisses der verschiedenen Welten kommt in Betracht, daß eine Kraft, die in einer Welt eine dem Sinne der Weltenordnung gemäße Wirkung entfalten muß, sich dann gegen diese Weltenordnung richten kann, wenn sie in einer anderen Welt zur Entfaltung kommt. So ist es für die Wesenheit des Menschen notwendig, daß in seinem ätherischen Leibe die zwei Gegenkräfte vorhanden sind: die Verwandlungsfähigkeit in andere Wesenheiten und das starke Ich- oder Selbstgefühl. [3] Geht das starke Ich-Gefühl von dem Ätherleib in den physischen Leib über, so bewirkt dies nicht nur eine Verstärkung des Egoismus, sondern auch eine Schwächung des ätherischen Leibes. Das übersinnliche Bewußtsein muß die Entdeckung machen, daß beim Eintritte in die übersinnliche Welt, das notwendige Ich-Gefühl um so schwächer ist, je stärker der Egoismus innerhalb der Sinnenwelt ist. Der Egoismus macht den Menschen in seinen Seelentiefen nicht stark, sondern schwach. [4]

Wir verdanken vieles in unserem Ich-Gefühl, daß wir uns als Persönlichkeit fühlen, gerade der Sprache. – Haben Sie (als Erzieher) dieses Gefühl von der Heiligkeit des Aufrufens des Ich durch die Sprache, dann werden Sie es auch durch die verschiedenen Maßnahmen bei den Kindern erwecken können. Und dann werden Sie namentlich das Ich-Gefühl bei den Kindern nicht in egoistischer Weise erwecken. Wenn man es falsch erweckt, dann wirkt es gerade zur Anfachung des Egoismus. [5]

Fassen wir diese Tatsache nur recht genau ins Auge, daß wir mit unserem Ich und unserem Astralleib hier in dem physischen Leib drinnenstecken; auch in dem Ätherleib, aber bleiben wir jetzt beim physisehen Leib. Beim Schlafen, wenn wir herausgehen, da stecken wir nicht drinnen, ich habe das öfter geschildert. Da aber verlieren wir auch das Ich-Bewußtsein, sogar das Bewußtsein des astralischen Leibes im normalen Zustand. Und wir erhalten es erst wieder, wenn wir uns gleichsam hineinpressen in den physischen Leib. Dieses Hereinpressen in den physischen Leib, das bewirkt zwischen der Geburt und dem Tode, daß wir uns eigentlich seelisch als Ich fühlen, ich könnte auch sagen, daß wir uns als eine Ich-durchdrungene Seele fühlen. [6]

Zitate:

[1]  GA 13, Seite 61f   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[2]  GA 13, Seite 64   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[3]  GA 17, Seite 61   (Ausgabe 1956, 102 Seiten)
[4]  GA 17, Seite 64f   (Ausgabe 1956, 102 Seiten)
[5]  GA 294, Seite 65f   (Ausgabe 1966, 202 Seiten)
[6]  GA 163, Seite 125   (Ausgabe 1975, 152 Seiten)

Quellen:

GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 17:  Die Schwelle der geistigen Welt (1913)
GA 163:  Zufall, Notwendigkeit und Vorsehung. Imaginative Erkenntnis und Vorgänge nach dem Tode (1915)
GA 294:  Erziehungskunst. Methodisch-Didaktisches (1919)