Ich
► Das Ich als Tätigkeit

Wenn Sie sich denken ein Ineinanderspielen der Willensakte – da sei angefacht alles das, was Wollungen bei Ihnen sind – mit dem, was die Sinneswahrnehmungen sind, so haben Sie ein lebendiges Bild desjenigen, was da als Ich ins Bewußtsein sich hereinlebt. [1] In der Empfindungsseele ist dieses Ich so tätig, daß der Mensch dieses sein Ich kaum erst ahnt. Er ist insofern in der Empfindungsseele allen Trieben und Leidenschaften hingegeben. Das Ich brütet dumpf in dem, was wir die Empfindungsseele nennen. Das Ich arbeitet sich dann erst heraus, kommt erst zum Vorschein in der Verstandes- oder Gemütsseele und wird ganz klar erst in der Bewußtseinsseele. Wenn wir diese drei Glieder des menschlichen Innern abgesondert für sich untersuchen wollen, so müssen wir sie als drei Modifikationen, als drei Teile innerhalb des Astralleibes ansehen. Allerdings gilt ja das, daß diese drei Modifikationen, diese drei Glieder des Astralleibes, vorbereitend umarbeiten den Astralleib selber, den Ätherleib, und den physischen Leib. Das Seelische, das Innere des Menschen, sind drei Modifikationen des astralischen Leibes. Die drei Modifikationen müssen sich gewisser Werkzeuge bedienen, und diese prägen sich so aus, daß im Astralleibe die Empfindungsseele eine Art von Werkzeug hat, im Ätherleibe die Verstandes- oder Gemütsseele, und im physischen Leibe die Bewußtseinsseele. So also können wir das menschliche Innere von dem, was menschliche Hüllennatur ist, unterscheiden. Es ist also des Menschen innere Natur aus drei Modifikationen des astralischen Leibes bestehend. [2]

So stellt sich der Mensch für die Geisteswissenschaft als eine aus verschiedenen Gliedern zusammengesetzte Wesenheit dar. Leiblicher Art sind: der physische Leib, der Ätherleib und der Astralleib. Seelisch sind: Empfindungsseele, Verstandesseele und Bewußtseinsseele. In der Seele breitet das Ich sein Licht aus. Und geistig sind: Geistselbst, Manas, Lebensgeist oder Buddhi, Geistesmensch oder Atma. Die Empfindungsseele und der Astralleib sind eng vereinigt und machen in einer gewissen Beziehung ein Ganzes aus. In ähnlicher Art sind Bewußtseinsseele und Geistselbst oder Manas ein Ganzes. Denn in der Bewußtseinsseele leuchtet der Geist auf und von ihr aus durchstrahlt er die anderen Glieder der Menschennatur. Mit Rücksicht darauf kann man auch von der folgenden Gliederung des Menschen sprechen. Man kann Astralleib und Empfindungsseele als ein Glied zusammenfassen, ebenso Bewußtseinsseele und Manas und kann die Verstandesseele, weil sie an der Ich-Natur Teil hat, weil sie in einer gewissen Beziehung schon das Ich ist, das sich seiner Geistwesenheit nur noch nicht bewußt ist, als «Ich» schlechtweg bezeichnen und bekommt dann sieben Teile des Menschen. [3] Unsere Ich-Wesenheit geht so weit, insofern wir Erdenmenschen sind, als unser Seelisches. Und wir sprechen davon, daß unser Ich sich hindurchentwickelt durch drei seelische Glieder: durch die Empfindungsseele, die Verstandesseele und die Bewußtseinsseele. [4] Das Ich gestaltet von sich aus die niederen Leiber um und bildet diesen dadurch höhere Glieder der Menschennatur ein. Die Veredelung und Läuterung des Astralleibes durch das Ich bewirkt die Entstehung des Geistselbst, Manas. Diese Umwandlung des Astralleibes ist in der gegenwärtigen Periode der Erdentwickelung in vollem Gange. Die Umwandlung des Ätherleibes (zu Buddhi) und des physischen Leibes (zu Atma) gehört späteren Zeiten an; gegenwärtig hat sie bloß bei den Eingeweihten – den Geheimwissenschaftern und ihren Schülern – begonnen. – Diese dreifache Umwandlung des Menschen ist die bewußte; ihr ist vorangegangen eine mehr oder weniger unbewußte, und zwar während der bisherigen Erdentwickelung. Man hat in dieser unbewußten Umwandlung von Astralleib, Ätherleib und physischem Leib die Entstehung der Empfindungsseele, der Verstandesseele und der Bewußtseinseele zu suchen. [5]

Was geschieht da nun eigentlich? Versuchen wir uns einmal zu vergegenwärtigen: Was ist der astralische Leib? Er ist nichts anderes als die Summe von Begierden, Trieben und Leidenschaften, von Lust und Leid, Freude und Schmerz. Alles, was da zusammenwirkt im Menschen, ist Äußerung des Geistes, Geist in irgendeiner Form; weil alles Geist ist. Daß das Ich an dem astralischen Leib arbeitet, ist dadurch möglich, daß sich dem Ich der Geist in seiner ureigenen Gestalt erschließt. In den Leidenschaften, Trieben und Begierden ist der Geist verborgen, da erscheint er in seinen Äußerungen. In das Ich strömt er in seiner ureigenen Gestalt ein, und das Ich läßt ihn wieder verströmen in den Astralleib, so daß das Ich vermittelt zwischen der ureigenen Gestalt des Geistigen und der seiner Äußerung. So wahr es ist, daß alles, was uns entgegentritt an Mineralien, Geist ist – aber Geist in seiner äußeren Wirkung –, so wahr ist es, daß das, was uns im Menschen entgegentritt, auf dem Wege zur Vegeistigung ist durch das, was das Ich selbst in die niedere Wesenheit hineingießt. Aber nur indem zwischen dieser Äußerung, dem Materiellen des Menschen, seinem physischen Leib, Ätherleib und astralischen Leib, und den Gliedern des Geistes (Manas, Buddhi, Atma), die hineinleuchten in die drei Leiber, das Ich steht, ist diese Überleitung des Geistes in die drei Leiber möglich. Das Ich muß dazwischen stehen. Dann kann das Obere das Untere bearbeiten. Das Ich ist dasjenige, was den Geist von innen heraus einfließen läßt in das, was andere Form des Geistes ist. Wir können daher das Wesen des Ich geradezu bezeichnen als Verinnerlichung. [6] Wir haben eigentlich ein vierfaches Ich in uns. Wir haben in uns dasjenige, was das Ich aus dem physischen Leibe macht. Wir haben dann dasjenige, was das Ich aus dem Ätherleibe macht, dann das, was es aus dem Astralleibe macht und dann das Ich selbst in dem Ich. [7]

Wir sind uns nicht voll bewußt des ganzen inneren Erlebens, und insofern wir bei Tage schlafen, leben bei Tage auch in uns die Wesenheiten der höheren Hierarchien. Man kann sagen: als unbewußtes Selbsterlebnis sind in uns die Willen gebenden Archai, die Gefühle gebenden Archangeloi und die Denken gebenden Angeloi. Und das alles strebt und webt in das Ich hinein und wird zuletzt zu dem, was der Mensch eben sein inneres Seelenleben nennt.

Wie das Ich 1 aussieht, das gibt sich uns, wenn wir einem Menschen gegenübertreten, in seiner Gestalt, in seiner Form zu erkennen. So wie das Ich 1 in der physischen Gestalt, in der physischen Form sich kundgibt für das äußere Wahrnehmen, kann natürlich das Ich 2, also das, was das Ich aus dem ätherischen Leibe macht, nur dem Hellseher erscheinen. Der ätherische Leib ist nicht ein Formenleib, sondern ein Bewegungsleib. Das Ich 2 versetzt den ätherischen Leib in ganz bestimmte rhythmische Bewegungen. Wir versuchen das, was da das Ich im ätherischen Leibe darinnen an Bewegungen erzeugen kann, ich möchte sagen, herauszuholen durch die eurythmischen Bewegungen, soweit das in der Gegenwart schon geschehen kann. [8] Und wenn wir von außen wahrnehmen die Wirkung von Ich 2, so ist es dann, wenn der Mensch singt oder spricht. Ich 3 lebt in sehr unterbewußten Regionen; es lebt in alle dem, dessen der Mensch fähig ist im Umfange seines Phantasieschaffens. Alles was der Mensch an Bildern in sich hervorbringen kann, die nicht Abbilder der physischen Außenwelt sind, das stammt von Ich 3, so daß wir sagen können: es lebt als schöpferische Phantasie im weitesten Umfange. Hier müßte auch dasjenige beschrieben werden, was Sie in meiner «Philosophie der Freiheit» unter dem Titel «Moralische Phantasie» finden. Da kommt sie zum Vorschein als Moralprinzipien schaffende Phantasie. Alles Schöpferische, im Guten und im Bösen, gehört an diese Stelle der menschlichen Wesenheit. Wenn Sie alle die Schöpfungen der Phantasie ins Auge fassen, welche die Menschen zuwege bringen, indem sie über ihre Mitmenschen dieses oder jenes sagen, oder auch sonst dieses oder jenes zum besten geben, so werden Sie ein ziemliches Quantum von Phantasie finden auch bei denjenigen Menschen, die im gewöhnlichen, im edleren Sinne phantasiearm sind. Die menschlichen Fähigkeiten verschlagen sich eben manchmal, und Lügenhaftigkeit und Verleumdungssucht sind eben verschlagene Phantasie. Auf dieses Ich 3 haben Einfluß Wesenheiten aus der Kategorie der Angeloi und Archangeloi, im Guten und im Bösen, (also auch) mit luziferischer und ahrimanischer Natur. [9]

Zitate:

[1]  GA 206, Seite 132   (Ausgabe 1967, 208 Seiten)
[2]  GA 121, Seite 52   (Ausgabe 1982, 214 Seiten)
[3]  GA 13, Seite 77   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[4]  GA 155, Seite 141f   (Ausgabe 1982, 252 Seiten)
[5]  GA 11, Seite 213   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[6]  GA 56, Seite 80ff   (Ausgabe 1965, 372 Seiten)
[7]  GA 161, Seite 12   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[8]  GA 161, Seite 14f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[9]  GA 161, Seite 17ff   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 56:  Die Erkenntnis der Seele und des Geistes (1907/1908)
GA 121:  Die Mission einzelner Volksseelen im Zusammenhang mit der germanisch-nordischen Mythologie (1910)
GA 155:  Christus und die menschliche Seele. Über den Sinn des Lebens. Theosophische Moral. Anthroposophie und Christentum (1912/1914)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 206:  Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Zweiter Teil:. Der Mensch als geistiges Wesen im historischen Werdegang (1921)